Roman Ossipowitsch Jakobson

Roman Ossipowitsch Jakobson

Roman Ossipowitsch Jakobson (russisch Роман Осипович Якобсон, wiss. Transliteration Roman Osipovič Jakobson; * 11.jul./ 23. Oktober 1896greg. in Moskau; † 18. Juli 1982 in Boston, Vereinigte Staaten) war ein russischer Philologe, Linguist und Semiotiker.

Inhaltsverzeichnis

Biographie

Jakobson studierte Slawistik in seiner Heimatstadt Moskau. Er schloss sich bald dem Moskauer Linguistenkreis an, der dem Russischen Formalismus zugerechnet wird, einer Schule, die unter anderem die erste Theorie des damals neuen Mediums Film hervorgebracht hat.

1920 kam Jakobson als Mitarbeiter der sowjetischen Gesandtschaft nach Prag, verließ diesen Posten aber bald, um sich wieder der Wissenschaft zu widmen. 1926 war er Mitbegründer des Prager Linguistenkreises. 1933 erhielt er eine Professur an der Universität Brünn. 1939 floh er vor dem Einmarsch der Deutschen aus der Tschechoslowakei nach Dänemark und Norwegen, dann nach Schweden (Uppsala, Stockholm). 1941 folgte er einem Ruf an die École Libre des Hautes Études, eine französische Exil-Universität in New York. Dort traf er Claude Lévi-Strauss, den er nachhaltig beeinflusste. 1943 erhielt er eine Professur an der Columbia University; 1949 wurde er an die Harvard University berufen. Ab 1957 lehrte er, als erster Harvard-Professor überhaupt, zugleich auch am benachbarten Massachusetts Institute of Technology (MIT). 1967 wurde er emeritiert und hatte bis 1974 Gastprofessuren am Collège de France und an den Universitäten Yale, Princeton, Brown, Brandeis, Leuven und New York.

Werk

Neben Nikolai Trubetzkoy spielte Jakobson eine herausragende Rolle als Anhänger der Prager Schule, zu deren Forschungsgegenständen die phonologischen Grundlagen unserer Sprache zählten. Jakobson erbrachte besonders in der Entdeckung der allgemeinen Gesetze, nach denen unsere Sprache funktioniert, große Leistungen. Außerdem beschäftigte er sich intensiv mit der Entwicklung der Kindersprache und der Sprache der Aphasiker. Hervorragende Erkenntnisse lieferte er auch für die Semiotik, die Kommunikationswissenschaft und Bereiche der Philosophie und Psychologie. Auch seine zahlreichen interdisziplinären Ansätze sollen nicht unerwähnt bleiben. Jakobson publizierte außerdem über Folklore, über Film, Malerei und immer wieder über Poetik.

Das Kommunikationsmodell

Aufbauend auf dem dreigliedrigen Organon-Modell der Sprache von Karl Bühler (1933) formuliert Jakobson in seinem Aufsatz Linguistics and Poetics (1960) ein Modell, demzufolge an jeder sprachlichen Mitteilung sechs Faktoren und Funktionen (Sprachfunktionen) beteiligt sind:

Schema communication generale jakobson.png
  • der Kontext, von Jakobson auch referent genannt, der Voraussetzung dafür ist, dass die Kommunikation eine referentielle Funktion entfalten, nämlich Inhalte vermitteln kann;
  • die Botschaft, die in ihrer poetischen Funktion selbst zum Thema werden kann;
  • der Sender, über dessen Haltung zum Gesagten die emotive Funktion Auskunft gibt;
  • der Empfänger, an den die Botschaft über ihre konative Funktion eine Aufforderung senden kann;
  • der Kontakt, in Anlehnung an die Nachrichtentechnik auch physikalischer Kanal genannt, der durch die phatische Funktion der Botschaft aufrechterhalten wird;
  • der Code, dessen wechselseitige Verständlichkeit in der metalingualen Funktion der Botschaft zum Thema wird.

Als Anwendung hat Jakobson dabei die literaturwissenschaftliche Textanalyse im Blick. Möglicherweise hat Jakobson aber dazu beigetragen, ein Modell zu popularisieren, das inzwischen, oft auf vier (4-Ohren-Modell) oder fünf (Lasswell-Formel) Konstituenten reduziert, in den Kernbestand der von "Kommunikationstrainern" in unzähligen Seminaren gelehrten reduktionistischen Psychologie übergegangen ist.

Jakobsons Beitrag zur Literaturwissenschaft und Poetik

Ausgehend von Erkenntnissen aus der Phonologie wendet Jakobson linguistische Konzepte auf die Poesie an und erklärt: „Poesie ist Sprache in ihrer ästhetischen Funktion“. In seiner Schrift „Die neueste russische Poesie“ schreibt er: „Die Einstellung auf den Ausdruck, auf die sprachliche Masse ist das einzige für die Poesie wesentliche Moment.“ Dabei meint er mit Ausdruck den aus der Form hervorgehenden Sinn. Die Funktion der Sprache als Sozialkontakt reduziert sich in der Poesie auf ein Minimum. Dabei hebt Jakobson immer die Unterschiede zwischen praktischer und poetischer Sprache hervor. Gegenstand der Literaturwissenschaften und der Poesie ist nach Jakobson die Literarizität (später nannte er sie Poetizität). Diese bezeichnet den Faktor, der einen Text zu einem literarischen Kunstwerk macht. Jakobson meint die Art und Weise, wie die Laute miteinander verbunden sind, also der lautliche Stoff der Sprache, sei für die Sinnhaftigkeit einer Aussage ausschlaggebend. Die Unterscheidung zwischen Phonetik und Phonologie haben bei diesem Gedanken Pate gestanden.

Bei der Analyse poetischer Texte spielt für ihn die intersubjektive Absicherung eine bedeutende Rolle, die Vergleichbarkeit und Prüfbarkeit gewährleistet. Wie auch schon bei Humboldt ist das Subjekt nur untergeordnet wichtig, da Sprache nur ihren eigenen Regeln gehorcht und das bewusste Sprachverhalten des Subjekts untergraben oder gar entwerten kann.

Von großer Bedeutung für die Geschichte der Linguistik war seine Einführung der Unterscheidung (sowohl auf lexikalischer, als auch auf semantischer Ebene) zwischen Merkmalhaftigkeit und Merkmallosigkeit. Während etwa der Begriff „Katze“ einen merkmallosen Begriff darstellt, ist das Wort „Kater“ als merkmalhaft anzusehen (mit „Katze“ bezeichnen wir das Tier an sich, eine geschlechtsspezifische Angabe ist nicht klar ersichtlich, während wir mit „Kater“ ausschließlich männliche Katzen bezeichnen). Nach Jakobson zeigt sich die poetische Sprache als besonders merkmalhaft gegenüber der merkmallosen, „normalen“ Sprache.

Die von ihm begründete poetische Funktion von Sprache macht literarische Texte der linguistischen Analyse zugänglich. In seinen Werke zu diesem Thema hält er am Formalismus fest, was ihm oftmals zum Vorwurf gemacht wurde. So meinten Kritiker, diese Betrachtungsweise würde ihn an der Erfassung des Wesens der Poesie hindern.

Indem er die Sprache als Träger des Unbewussten identifiziert, bringt er eine wichtige Vorleistung für die spätere Entwicklung der Psychoanalyse. Jakobson meint außerdem, dass wir stets die poetisch passenden Worte aus vielen äquivalenten Worten wählen. Dabei wird nach phonologischen Kriterien, die die Bedeutung der Aussage lautsemantisch färben, entschieden.

Durch diese Identifizierung der Poesie als Kunst, die der Ausgangspunkt jeder wissenschaftlichen Analyse über die Grundlagen der Sprache sein soll, privilegiert er sie deutlich gegenüber allen anderen literarischen Formen, was ihm ebenfalls häufig vorgeworfen wurde.

„Die in der morphologischen und syntaktischen Struktur der Sprache verborgene Quelle der Poesie, kurz die Poesie der Grammatik und ihr literarisches Produkt, die Grammatik der Poesie, sind den Kritikern selten bekannt, wurden von den Linguisten fast gänzlich übersehen und von schöpferischen Schriftstellern meisterhaft gehandhabt.“ (Jakobson 1979: S.116)

Die Textanalyse nach Jakobson

Jakobsons Analyse literarischer Texte zeichnet sich durch folgende Kriterien aus:

1) Induktive Analyse (Der Text wird in seine Bausteine zerlegt und daraus eine hierarchische Gliederung aufgestellt, diese baut auf der zuvor erwähnten binären Semantik, also auf dem Zusammenspiel zwischen Ähnlichkeiten und Differenzen, auf. Außerdem werden nach diesem Prinzip die verschiedenen, miteinander in Verbindung stehenden Sprachebenen funktional und hierarchisch analysiert.)

2) Mythologisierung der Semantik (Streben nach Allgemeingültigkeit, die Differenzen zwischen Oberbegriffen werden aufgehoben, so auf am zuvor erwähnten Beispiel der Katze).

An dieser Vorgangsweise werden vor allem die Vernachlässigung des Kontextes und die Ausblendung des Beobachterstandpunktes kritisiert.

Kindersprache und Aphasie

Aus seinen Studien zu diesem Thema geht im Allgemeinen hervor, dass allen Sprachen die extreme lautliche Unterscheidung, wie etwa zwischen maximal offenen und maximal geschlossenen Vokalen, oder zwischen Vokalen und geschlossenen Konsonanten, gemeinsam ist. Diese lautlichen Unterscheidungen sind es, die das Kind zuerst lernt und der Aphasiker zuletzt verliert. In Hinblick darauf können Jakobsons Untersuchungen als eine Art Entwicklungsgeschichte der Sprache gesehen werden. Auch die so genannte innere Sprache (vor allem die Sprachproduktion im Traum) versuchte er mittels Lautgesetzen zu erklären. Im Falle der Aphasie findet man Kombinationsstörungen (diese finden auf der syntagmatischen Achse statt, es handelt sich um Metonymien) und Wortfindungsstörungen (auf paradigmatischer Achse, mit Metapher bezeichnet).

Der Strukturalismus nach Jakobson

Jakobson war Anhänger der strukturalistischen Schule, unter anderem des Prager Strukturalistenkreises und leistete wertvolle Beiträge zu deren Weiterentwicklung. Nach strukturalistischer Denkweise werden Gegenstände durch ihre Beziehung zu anderen Elementen des Systems konstituiert, die ohne dieses nicht existieren könnten und in ihren Eigenschaften beschrieben werden sollen. Der Prager Strukturalismus des 20. Jahrhunderts hält funktionale Erklärungen für immanente Erklärungen und stellt sich somit gegen das vorherrschende Bild mechanisch-kausaler Beziehungen. Es wird behauptet, dass Jakobson anlässlich des ersten Internationalen Linguistenkongresses 1929 in einer Rede den Begriff des Strukturalismus eingeführt hätte, was jedoch auch von mehreren Seiten bestritten wird. Die Betrachtung der Struktur als linguistische Interpretationsmethode ist als Abwendung vom vorherrschenden Positivismus und Atomismus der Junggrammatiker zu sehen. Charakteristisch für den Prager Strukturalismus zwischen 1929 und 1939 ist die Betrachtungsweise der Linguistik in Bezug auf ihre Einbettung und ihren Ursprung in alltäglichen Erfahrungen und Fragestellungen. Zum Verhältnis der Linguistik gegenüber anderen Wissenschaften meinte Jakobson, dass die Wechselbeziehungen zwischen den Humanwissenschaften in der Linguistik ihren Mittelpunkt fänden und diese als die progressivste und exakteste unter den Humanwissenschaften als Modell für alle übrigen dieser Disziplin fungiere. Diese Bedeutung der Errungenschaften der Linguistik für andere Wissenschaftsfelder hebt er in seinen Werken immer wieder hervor.

Als Grundlage für die Interpretation poetischer Texte sieht er die Mehrdeutigkeit. Jakobson prägte auch die Begriffe Ikonizität (Ähnlichkeit) und Kontrast (Indexikalität). Diese lassen sich schließlich auf paradigmatischer bzw. syntagmatischer Achse ansiedeln (siehe Paradigma bzw. Syntagma). Jakobson unterscheidet außerdem zwischen Metapher und Metonymie. Diese sogenannte „binaristische Grundstruktur“ der Sprache ist allen sprachlichen Operationen zuteil.

Unterschiede zu gängigen Konzepten des Strukturalismus

Der Strukturalismus, den Jakobson vertritt, unterscheidet sich in wesentlichen Punkten von den Ansichten de Saussures. So widerspricht er Saussure etwa bei der Arbitrarität der Zeichen und spricht sich für eine Betrachtung des Objekts bei der Einbettung in das Regelsystem aus, das die Willkürlichkeit einschränkt. Die Regeln des sprachlichen Codes sieht er als Merkmale aller Sprachen, so etwa grundlegende Eigenschaften wie die Trennung von Vokal und Konsonant. Ein radikaler Unterschied zu anderen Sichtweisen zeigt sich auch in der Betrachtungsweise von An- und Abwesenheit von Objekten. Diese wären ohne die Existenz des jeweils anderen nicht bestimmbar (als Beispiel dafür ist die Gebundenheit nasaler Vokale an nasale Konsonanten und orale Vokale zu erwähnen). In diesem Sinne sind alle Zeichen nach Jakobson in einer gewissen Weise motiviert, unmotivierte Zeichen existieren nicht. Außerdem vertritt er im Gegensatz zu den Ansichten Saussures die Meinung, dass Synchronie und Diachronie eine untrennbare dynamische Einheit bilden. Als Differenz zum amerikanischen Strukturalismus kann die duale Betrachtungsweise zu Code und Nachricht und das Festhalten am Funktionalismus gesehen werden. Indem er auf die dynamischen Aspekte sowohl der Synchronie als auch der Diachronie hinweist, meint er, dass Synchronie und Diachronie keine unüberwindbaren Antithesen darstellen.

„Die Elimination der Statik, die Vertreibung des Absoluten, das ist der wesentliche Zug der neuen Zeit, die Frage nach brennender Aktualität. Gibt es eine absolute Ruhe, und sei es auch nur in der Form eines absoluten Begriffs ohne reale Existenz in der Natur, aus dem Relativitätsprinzip folgt, dass es keine absolute Ruhe gibt.“ (Jakobson 1988: S.44)

Aus dieser Aussage lässt sich Jakobsons Hang zur Relativität, also gegen die Dinge, wie wir sie nur aus unserer bestimmten Perspektive heraus sehen, erkennen. Ein schwerwiegender Unterschied zum romantischen Strukturalismus zeigt sich in Jakobsons Ansichten über die Funktionen des Individuums, indem er dem gängigen Bild des individuellen Empfindens und dessen Orientierung an der Hermeneutik widerspricht und das Subjekt nur als eine Funktion unter vielen erwähnt.

Phänomenologischer Strukturalismus

„Strukturalismus heißt, nach Jakobson, Phänomene als ein strukturiertes Ganzes zu betrachten und die statischen oder dynamischen Gesetze dieses Systems freizulegen.“ (Pichler 1991, S.101) Somit schließt er an Husserls Ansichten über die Phänomenologie der Sprache an. In seinen Werken bezieht sich Jakobson auch oftmals auf Holenstein wenn er meint, dass die Phänomenologie als Fundamentalbetrachtung für den Strukturalismus fungiert. Er sieht in jedem Begriff eine phänomenologische Bestimmung.

Jakobson berücksichtigt unter anderem die subjektorientierten Fragestellungen und die Abhängigkeit der Urteilenden von ihrem jeweiligen Standpunkt. Er spricht sich für die „Einklammerung des Unwesentlichen“, anstatt der „Anhäufung und Synthese vorhandenen Wissens“ aus und meint dadurch den Gegenstand an sich betrachten zu können. Hierbei spielt jedoch die Einstellung des Beobachters eine maßgebliche Rolle. Diese phänomenologische Einstellung stellt für Jakobson ein unbestreitbares Faktum dar, das für die Dominanz der einen oder anderen Sprachfunktion entscheidend ist. Das strenge Festhalten an der Phänomenologie und die daraus resultierende Ausblendung des Kontextes ließ schließlich den Poststrukturalismus als Gegenbewegung entstehen.

Formalismus – Strukturalismus

Die 1928 von Jakobson und Tynjanow postulierten Prager Thesen weisen die mechanistischen Ansätze des russischen Formalismus, die Analyse durch Klassifizierung und Terminologisierung ersetzen, zurück und stellen somit den Übergang zum Strukturalismus dar. Der Wunsch nach einer Zerstückelung des Wissens solle abgelegt werden und ganzheitlichen Verfahren und Betrachtungsweisen weichen. Dennoch lässt sich aus Jakobsons Werken ein gewisser Hang zum Hegelianismus und damit eine Verbindung zum russischen Denken auffinden. Immer wieder distanziert er sich zwar vom Formalismus, also von einseitiger Betrachtung eines einzelnen Aspekts, dennoch sind Spuren seiner anfänglichen Prägung durch diese Schule in seinem Werk zu erkennen. Jakobson macht auch auf die Notwendigkeit der ganzheitlichen Untersuchung sowohl in der Linguistik, als auch in der Poetik aufmerksam. Er ersetzt das mechanische Verfahren durch die Konzeption eines zielorientierten Systems. Außerdem meint er in Bezug auf den teleologischen Charakter der poetischen Sprache, dass dieser sowohl bei der Poesie als auch in der Alltagssprache offensichtlich sei.

Zum Verhältnis von Kunst und Wissenschaft

Jakobson sieht Kunst und Wissenschaft als zwei nicht eindeutig abgrenzbare Gebiete. Im Hinblick auf die Poesie und die Kreativität der Sprache sieht er die Grenzen immer mehr verschwimmen. Da die Poesie keinen Wahrheitswert beansprucht, sondern erst im Sprechakt an sich die Funktionalität der Sprache enthüllt, stellt sie für ihn einmal mehr Möglichkeiten zur Entfaltung der funktionalen Vollkommenheit der Sprache dar. Eine Analyse der Poesie ist demnach eine Möglichkeit, das Rätsel der Sprache zu entdecken. Er enthüllt damit die Poesie als die reinste Sprachkunst. (siehe oben) Die Fragestellungen, die in seinen linguistischen Untersuchungen auftauchen, sind für Jakobson untrennbar mit denen der modernen Kunst der zwanziger Jahre verbunden. In diesem Sinne findet er besonders am Kubismus Gefallen, der seiner Ansicht nach auch den Ausgangspunkt für eine Analyse des Futurismus darstellt. „Der Kubist vervielfacht im Bild einen Gegenstand, zeigt ihn aus mehreren Perspektiven und macht ihn fühlbar. Das ist ein Verfahren der Malerei.“ (Jakobson 1979: S.131) Ebenso wie die Kunst die Solidarität der Teile, die schließlich ein Ganzes bilden, betont, ist es dasselbe Verfahren das nach Jakobson auch der Poetik zuteil ist. Die Prager Strukturalisten sehen in der Kunst zuvörderst eine Struktur, später entwickeln sie ein Konzept der Kunst als Zeichensystem. Somit werden keine isolierten Untersuchungen vorgenommen, sondern die einzelnen Strukturen stets in Korrelation mit anderen Zeichensystemen untersucht. So werden etwa die Gesellschaft, die Psychologie des Autors/Künstlers und die Evolution der Formen in die Analyse miteinbezogen. Jakobson besteht auf dem kommunikativen Charakter auch in der Kunst und die wiederum trennbare Vereinigung von Bedeutung und Ausdruck. Während das kommunikative Zeichen jedoch in arbiträrem Bezug mit der Realität steht, weist das ästhetische Zeichen in der Kunst mehrere Beziehungen zur Realität auf (damit meint er den gesamten Kontext, der den Rezipienten in Form von Kultur umfasst).

„Meine futuristischen Jahre“

Bei diesem Werk handelt es sich um die Autobiographie Jakobsons, in der er unter anderem über seine Begegnungen mit wichtigen Dichtern oder Wissenschaftlern seiner Zeit berichtet. Hier stellt er eine sehr turbulente und belebte Jugend dar, die für sein nachfolgendes Schaffen von großer Bedeutung waren. Er selbst meinte, dass ihm der Kontakt zu Künstlern und Dichtern eine neue Perspektive eröffnete und seinen Geist prägte. Die Schrift liefert nicht nur interessante Hintergrundinformationen zum Leben Roman Jakobsons, sondern hilft auch, viele seiner Ansichten und vor allem Distanzierungen von Ansichten anderer Wissenschaftler und Künstler besser zu verstehen.

Schriften

Jakobson publizierte in deutscher, englischer, französischer, italienischer, polnischer, russischer und tschechischer Sprache. Seine Originalbeiträge in Zeitschriften, Zeitungen, Sammelbänden, Konferenzberichten u.ä. sind großenteils nur schwer greifbar. Eine Gesamtausgabe (Selected Writings) ist auf 10 Bände angelegt.

Einige Aufsatz- und Buchtitel in willkürlicher Auswahl:

  • Remarques sur l'evolution phonologique du russe comparée à celle des autres langues slaves (1929)
  • K charakteristike evrazijskogo jazykovogo sojuza (1930)
  • Kindersprache, Aphasie und allgemeine Lautgesetze (1941)
  • Preliminaries to Speech Analysis (mit G. Fant und M. Halle, 1952)
  • Fundamentals of Language (mit M. Halle, 1956)
  • Linguistics and Poetics: Closing Statement (in Style in Language, Hg. Thomas Sebeok, 1960)
  • Child Language Aphasia and Phonological Universals (1968)
  • Phonological Studies (1971)
  • Dialogues (mit seiner Ehefrau und Kollegin Krystyna Pomorska, 1983)

Bibliographie

Primärliteratur

  • Jakobson, Roman: Form und Sinn. Sprachwissenschaftliche Betrachtungen. Wilhelm Fink Verlag, München 1974
  • Jakobson, Roman: Aufsätze zur Linguistik und Poetik." München 1974
  • Jakobson, Roman: Kindersprache, Aphasie und allgemeine Lautgesetze. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1992, ISBN 3-518-10330-X
  • Jakobson, Roman/ Jangfeldt, Bengt (Hrsg.): Meine futuristischen Jahre. Friedenauer Presse, Berlin 1999, ISBN 3-932109-14-7
  • Jakobson, Roman/ Holenstein, Elmar (Hrsg.): Poetik. Ausgewählte Aufsätze 1921-1971. Frankfurt am Main 1979, ISBN 3-518-07862-3
  • Jakobson, Roman/ Holenstein, Elmar (Hrsg.): Semiotik. Ausgewählte Texte 1919-1982. Suhrkamp. Frankfurt am Main 1992, ISBN 3-518-28607-2
  • Jakobson, Roman/ Halle, Morris : Grundlagen der Sprache. Berlin. (Schriften zur Phonetik, Sprachwissenschaft und Kommunikationsforschung. Nr.1). Berlin 1960
  • Jakobson, Roman: Der grammatische Aufbau der Kindersprache. Rheinisch-Westfälische Akademie der Wissenschaften, Vorträge G 218 (mit Diskussionsbeiträgen) 1977
  • Jakobson, Roman/ Birus, Hendrik/ Donat, Sebastian (Hrsg.): Poesie der Grammatik und Grammatik der Poesie. Sämtliche Gedichtanalysen. Kommentierte deutsche Ausgabe. 2 Bde. Walter de Gruyter, Berlin und New York 2007, ISBN 978-3-11-018362-7

Sekundärliteratur

  • Glanc, Tomás: Formalismus forever. Roman Jakobson 1935. In: Nekula, Marek (Hrsg.): Prager Strukturalismus. Winter, Heidelberg 2003, ISBN 3-8253-1486-3
  • Grotz, Stephan: Vom Umgang mit Tautologien. Martin Heidegger und Roman Jakobson. Meiner, Hamburg 2000, ISBN 3-7873-1531-4
  • Holenstein, Elmar: Von der Hintergehbarkeit der Sprache. Kognitive Unterlagen der Sprache. Suhrkamp, Frankfurt am Main 1980, ISBN 3-518-07916-4 (formal falsche ISBN)
  • Pichler, Irene: Roman Jakobsons Beitrag zur strukturalen Linguistik und Poetik. Zur Wissenschaftsgeschichte des Strukturalismus. Dissertation Universität Wien, Wien 1991
  • Reif, Adelbert (Hrsg.): Antworten der Strukturalisten. Roland Barthes, Michel Foucault, Francois Jacob, Roman Jakobson, Claude Lévi-Strauss. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 1973, ISBN 3-455-09053-2
  • Hendrik Birus, Sebastian Donat, Burkhard Meyer-Sickendiek (Hg.): Roman Jakobsons Gedichtanalysen. Eine Herausforderung an die Philologien, Göttingen: Wallstein Verlag 2003. ISBN 3892446377.

Weblinks

Siehe auch


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