Maurice Godelier

Maurice Godelier

Maurice Godelier (* 28. Februar 1934 in Cambrai) gilt als Begründer der neomarxistischen Wirtschaftsethnologie. Er ist Spezialist für die Gesellschaften Ozeaniens und Forschungsdirektor an der École des Hautes Études en Sciences Sociales (EHESS) in Paris.

Maurice Godelier, 1977

Inhaltsverzeichnis

Leben

Godelier besuchte die École normale supérieure von Saint Cloud, die er mit der Agrégation (Lehrbefähigung für Gymnasien und Universitäten) im Fach Philosophie und einer Licence (Staatsexamen) in Psychologie und Neuphilologie abschloss. Nach dem Studium in Lille und Paris war er ab 1963 an der École des Hautes Études en Sciences Sociales zunächst als Dozent und von 1975 bis 1982 als Professor für Wirtschaftsethnologie tätig. Dort war er auch Projektleiter bei Fernand Braudel und Oberassistent von Claude Lévi-Strauss. Zwischen 1970 und 1988 führte er zahlreiche Feldstudien bei den Baruya in Papua-Neuguinea durch. Von 1982 bis 1986 leitete er die Abteilung für Human- und Sozialwissenschaft am Centre National des Recherches Scientifique (CNRS), wo er den Lehrstuhl für Soziale Logik von Produktion und Macht besetzte. 2001 erhielt Godelier von der Direktion des CNRS die Goldmedaille. Er gilt als international renommierter Anthropologe und wird als Spezialist für die Gesellschaften Ozeaniens angesehen. Godelier war ein Schüler des marxistischen Philosophen Louis Althusser und gilt zusammen mit den Ethnologen Claude Meillassoux und Emmanuel Terray als Begründer der so genannten neomarxistischen Schule der französischen Ethnologie.

Die theoretische Position Godeliers

Godelier gilt als Vertreter des Neostrukturalismus. Godeliers Weiterführung des Strukturalismus schlägt eine Brücke zum Neomarxismus und er gilt deshalb auch als Begründer der neomarxistischen Wirtschaftsethnologie.

Neostrukturalismus

Seine Weiterführung des Strukturalismus besteht in der Verbindung mit dem historischen Materialismus bzw. dialektischen Ansatz von Marx. Godelier verknüpfte den historischen Materialismus mit einem strukturalistischen Ansatz, um „der verborgenen Logik des ökonomischen Systems und der Notwendigkeit ihres geschichtlichen Werdens und Vergehens auf den Grund zu gehen“ [1] und so den Widerspruch zwischen historischer Dynamik und gesellschaftlich angelegten Strukturen aufzuheben.

Neomarxismus

Godeliers neomarxistische Wirtschaftsethnologie wird auch als „Neue Wirtschaftsethnologie“ bezeichnet. Diese Richtung hat sich in den sechziger und siebziger Jahren in Frankreich entwickelt und zur Ablösung der „Alten Wirtschaftsethnologie“, die ihren Höhepunkt in der Substantivismus/Formalismus-Debatte erreicht hatte, geführt.[2] In seinem Werk „Rationalité et irrationalité en économie“ von 1966 postuliert Godelier eine theoretische Perspektive, die von einer Einbettung der wirtschaftlichen Aktivitäten in den sozialen Strukturen (wie die Religion und die Politik) einer Gesellschaft ausgeht[3]. Godelier sieht in diesen sozialen Strukturen die Basis für die Produktion und Reproduktion der Wirtschaft.

Feldforschungen

Maurice Godeliers erste Feldforschung begann 1967 bei den Baruya, einer klassenlosen Gesellschaft von ca. 2000 Menschen, die im Hochland Papua-Neuguineas leben. Die Feldforschung bei den Baruya nahm zwischen 1966 und 1988 insgesamt sieben Jahre seiner Zeit in Anspruch. Er fokussierte sich auf Probleme, die eher allgemeiner theoretischer Natur sind (die Macht und die Rolle der Imagination in der sozialen Reproduktion). Genauer untersuchte er dort das Verhältnis zwischen Ökonomie und Sozialstruktur, mit der Entstehung politischer Macht und der Bedeutung von ideellen Konstrukten [4]. 1982 entstand aus seinen zusammengefassten Materialien sein erstes Werk „La Production des Grands Hommes“ (big men, great men Konzept), welches zentral für die Analyse von Machtverhältnissen in Melanesien wurde. Themen, die Godelier während seinen Feldforschungen beschäftigten:

  • die Rolle des Ideellen (mentales Konstrukt) in sozialen Beziehungen
  • die Unterscheidung zwischen der Imagination und der Symbolik (symbolische Praxis)
  • die Unterscheidung zwischen Gabe, Geschenk und unveräusserlichen Dingen (Reziprozität) [5]

Aus seinen Feldforschungen sind zahlreiche Publikationen und Filme entstanden.[6]

Werke

Godelier behandelt in seinen Werken einerseits die Fügung verschiedener Ethnien während der australischen Kolonialverwaltung sowie der daraus resultierende soziale Wandel in Ozeanien. Er beschäftigte sich außerdem mit der Struktur und dem inneren System der sozialen Organisation, die von Verwandtschaftsstrukturen abhängig sind. Innerhalb dieser gibt es bedeutende sexuelle Figuren und ungleiche Verteilung der Geschlechterrollen, welche Godelier in seinen Werken aufzeigt und beschreibt. Dadurch versucht er die dominante männliche Herrschaftsstruktur zu erklären. Godeliers Werke wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt. Sein Hauptwerk „La production des Grands Hommes“ erhielt einen Preis und hatte einen entscheidenden und folgereichen Einfluss in der Anthropologie.

Hauptwerk

Godeliers Hauptwerk „La production des Grands Hommes“ wurde 1982 publiziert und erhielt einen Preis der Académie française. Es umfasst das Material seiner Feldforschungen ab 1966 bei den Baruya, eine Ethnie des Hochgebirges von Papua-Neuguinea. Die Baruya lebten bis zur Unterwerfung der Kolonialverwaltung Australiens im Jahre 1960 sowohl staaten- als auch klassenlos. Godelier versucht in seinem Werk die soziale Organisation der Baruya zu analysieren, welche stark von der männlichen Herrschaft und somit von einer Ungleichheit zwischen den Geschlechtern geprägt ist. „Ein Teil der Gesellschaft, die Männer, lenkte den anderen, die Frauen; sie regierten die Gesellschaft zwar nicht ohne die Frauen, aber gegen sie. Damit kommt der Fall der Baruya, einer klassenlosen Gesellschaft, zu all denen hinzu, die bereits deutlich davon zeugen, daß die Ungleichheit unter den Geschlechtern, die Unterordnung, Unterdrückung, ja Ausbeutung der Frauen gesellschaftliche Realitäten sind, die nicht erst mit dem Auftauchen der Klassen entstanden, sondern schon vorher existierten, auch wenn sich die Herrschaft der Männer mit den tausend Formen der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, die den unseren vorausgingen, auf tausenderlei Arten gefestigt und erneuert hat." [7] Godeliers zentrale Fragestellung kann man schon dem Titel des Werkes entnehmen, nämlich wie die „Grands Hommes“ entstanden sind, wodurch sie sich auszeichnen und wie sich als solche in der Gesellschaft etabliert haben.[8]

Weitere Schriften

  • L'idéel et le matériel. Ed. Fayard (1984).
  • L'énigme du don. Ed. Fayard (1996), dt.: Das Rätsel der Gabe. Beck (1999).
  • La production du corps. Approches anthropologiques et historiques et Le corps humain, supplicié, possédé, cannibalisé. Von Maurice Godelier und Michel Panoff zusammengestellte und herausgegebene Textsammlung. Amsterdam, Archives contemporaines (1998).[8]
  • Rationalität und Irrationalität in der Ökonomie, Frankfurt am Main 1972. (frz. 1966).
  • Oekonomische Anthropologie. Untersuchungen zum Begriff der sozialen Struktur primitiver Gesellschaften, Reinbek b. Hamburg 1973.
  • Die Produktion der Großen Männer, Macht und männliche Vorherrschaft bei den Baruya in Neuguinea, Frankfurt am Main 1987. (frz. 1982)
  • Natur, Arbeit, Geschichte. Zu einer universalgeschichtlichen Theorie der Wirtschaftsformen, Hamburg 1990.
  • Das Rätsel der Gabe. Geld, Geschenke, heilige Objekte, München 1999. (frz. 1996)

Literatur

  • Fischer, Hans (1998): Ethnologie: Einführung und Überblick. Berlin: Dietrich Reimer Verlag.- Godelier, Maurice (1987): Die Produktion der großen Männer. Macht und männliche Vorherrschaft bei den Baruya in Neuguinea. Frankfurt: Campus.
  • Rössler, Martin (2005 [1999]): Wirtschaftsethnologie. Eine Einführung. Berlin: Dietrich Reimer Verlag.
  • Vered, Amit (2004): Biographical dictionary of social and cultural anthropology. London: Routledge. S. 199-200.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Fischer 1989:317
  2. Rössler 1998: 132
  3. Vered 2004: 199
  4. http://www.lai.at/web/oeku/cp/theogrundlagen/theogrundlagen-234.html
  5. http://www.europa.eu.int/comm/research/rtdinfo/37/article_61_en.html
  6. http://www.virginia.edu/anthropology/events/godelier-bio.html
  7. Godelier, 1987:10
  8. a b http://www.arte.tv/de/Willkommen/Die-Welt-der-Papuas/Partner/220076,CmC=401682.html

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