Megiser

Megiser

Hieronymus Megiser (* um 1554 in Stuttgart; † 1618 oder 1619[1] in Linz, Österreich) war ein mittlerweile nahezu vergessener Polyhistor, Sprachgelehrter und Geschichtsschreiber.

Inhaltsverzeichnis

Lebenslauf

Er studierte ab 1571 in Tübingen, war ein Lieblingsstudent des Späthumanisten und Philologen Nicodemus Frischlin, wurde dort 1577 Magister und ging 1581 als Privatlehrer („Praeceptor“) nach Laibach, dem heutigen Ljubljana. Ab 1582 studierte er Rechtswissenschaften in Padua auf und war danach erneut als Privatlehrer junger Adeliger aus Krain und der Steiermark tätig, unternahm ausgedehnte Reisen - 1588/89 Italien mit Malta sowie 1591 Norddeutschland, Holland und England -, ehe er 1590/91 in Graz von Erzherzog Karl zum „Ordinarius Historiographus“[2], zum Landschaftlichen Geschichtsschreiber, ernannt wurde und den jungen Johannes Kepler kennenlernte, mit dem er späterhin „in wissenschaftlichem und freundschaftlichem Verkehr“[3] blieb. Nach weiteren Reisen ließ er sich in Frankfurt am Main nieder, wo er die Tochter des Druckers Johann Spiess heiratete. 1593 kam er nach Kärnten wo er bis 1601 die Stelle des Rektors am evangelischen „Collegium sapientiae et pietatis“ der Landstände in Klagenfurt innehatte. Als diese Anstalt von Universitätsniveau,[4] in deren Tradition sich das heutige Europagymnasium in Klagenfurt sieht, im Zuge der Gegenreformation den Jesuiten übereignet wurde, musste er wie nahezu alle übrigen protestantischen Professoren Kärnten verlassen. Er ging wieder nach Frankfurt am Main zurück und wurde dann Professor für Geschichte an der Universität Leipzig. In den Jahren nach 1610 war das Interesse der oberösterreichischen Stände an der Geschichte so groß, dass sie eigens einen Historiker beschäftigt wollten, der die landschaftliche Bibliothek leiten und ähnlich wie die Hofhistoriographen Auftragsarbeiten erledigen sollte. Die Wahl fiel auf Hieronymus Megiser, der 1615 zum „historicus“ der Landschaft ernannt wurde. Noch im selben Jahr bekam er den Auftrag zu einer Chronik des Landes. Als zwischen 1618 und 1620 die Auseinandersetzungen zwischen den protestantischen Ständen und dem katholischen Herrscherhaus ihren Höhepunkt erreichten, verfasste er Schriften, in denen die verfassungsrechtlichen Anschauungen der Ständeopposition historisch gerechtfertigt wurden, beispielsweise die Übernahme der Landesadministration durch die Landschaft während eines Interregnums. Aus dieser zeitlichen Tatsache der Auseinandersetzungen ergibt sich auch die Annahme eines späteren Sterbedatums als des bislang angenommenen Jahres 1618. Es handelte sich um ein heikles Thema, bei dem ständisches und landesfürstliches Verfassungsdenken frontal aufeinanderprallten. Megiser vertrat hier kompromisslos die Sicht der Landstände, derzufolge in dieser Zeit einzig die Landschaft befugt sei, die Herrschaftsrechte auszuüben.[5]

Bedeutung

  • Er war der Redakteur und Herausgeber der ersten je gedruckten Kärntner Geschichte[6] und veranlasste die Leipziger Drucklegung der Annales Carinthiae des Michael Gothard Christalnick[7], die jener 1579 - 1592 erarbeitet hatte,[8][9]und als deren Verfasser Megiser selbst lange galt, ein Werk, in dem erstmals die Bedeutung des Kärntner Herzogstuhls als Dokument ständischer Demokratie interpretiert wurde.
  • Des Weiteren regte er die Restaurierung des Herzogstuhls an, der 1597 die letzte persönliche Session[10] eines Landesfürsten erleben sollte[11]
  • Auch machte er sich um die Bibliothek des oft auch als Universität[12] bezeichneten Collegiums in Klagenfurt verdient, indem er die erste Bibliotheksordnung verfasste und einen Index über den gesamten Bestand der Bibliothek anlegte.
  • Mit seinen zwei Wörterbüchern, die beide erstmals die „windische“[13] (= slowenische) Sprache als dem Deutschen, Lateinischen und Italienischen ebenbürtig ansah, machte er sich um die slowenische Sprache verdient.
  • Er gab eine erste türkische Grammatik heraus, ein vielsprachiges Wörterbuch praktisch aller damals bekannter Sprachen, eine erste mehrsprachige Sprichwörtersammlung, Reisebeschreibungen, darunter die erste deutsche Übersetzung Marco Polos u.v.a.

Werke

  • Megiser, Hieronymus - Ein Tractat von dem Dreyfachen Ritterstand und aller Ritter Orden der Christenheit (1593 - ältestes Werk in deutscher Sprache über die weltlichen und geistlichen Ritterorden)
  • Megiser, Hieronymus - LANDS HANDVEST DES LOEBLICHEN ERTZHERTZOGTHUMBS KHAERNDTEN. DARINNEN KAYSERLICHE, KOENIGLICHE VND LANDS FUERSTLICHE FREYHAITEN, STATUTA, LANDS-GEBRAEUCH UND ANDER SATZ- UND ORDNUNGEN, NACH LAENGS BEGRIFFEN. [LEIPZIG] [A. LAMBERG] 1610
  • Megiser, Hieronymus ed.[14] Christalnick, Michael Gothard: Annales Carinthiae, Das ist, Chronica Des Löblichen Ertzhertzogthumbs Khärndten: Darinn außführlich, beschrieben ist, was sich in demselben Edlen Land Khärndten für namhaffte Historien vnd Geschichten begeben[15][16], Leipzig (Lamberg) 1610 - 1612, das erste gedruckte Werk über die Geschichte Kärntens; Klagenfurt 1981: Nachdruck der Ausgabe von 1612, Verlag Johannes Heyn; ISBN 3-85366-368-0 und ISBN 3-85366-369-9)
  • Megiser, Hieronymus - Dictionarium quatuor linguarum (1592,1608,1744 - eines der essentiellsten Werke zur slowenischen Sprache umfasste die Sprachen: Deutsch, Latein, Slowenisch, Italienisch) - gibt es auch online)
  • Megiser, Hieronymus - Slovensko-nemsko-latinski slovar (1592, 1977, 1967 Faksimile der Ausgabe von 1592)
  • Megiser, Hieronymus -Specimen quinquaginta diversarum atque inter se differentium linguarum et dialectorum; videlicet, oratio dominica. Frankfurt: Joachim Brathering, 1603 (Texte in 50 Sprachen)
  • Megiser, Hieronymus - Thesaurus Polyglottus.Frankfurt 1603
  • Megiser Hieronymus und Joannes Melchior Maderus - Institutionum linguae turcicae, Leipzig 1612
  • Megiser, Hieronymus - Delitiae Neapolitanae - Das ist Außführliche Beschreibung des mechtigen und inn Europa hoch unnd weit berühmbten Königreichs […] Neapel, Leipzig (1605).
  • Megiser, Hieronymus - Septentrio Novantiquus, Oder Die newe NortWelt. Das ist: Gründliche und warhaffte Beschreibung aller der mitternächtigen und Nortwerts gelegenen Landen und Insulen. Leipzig (1613)
  • Megiser Hieronymus - Iconographia Caesarum: oder summarische Keyser Chronicken Auszug. . . aller Romischen Keyser von V. Julio Casare an biss auff den jetz regierenden Herrn Matthiam. Regensburg 1616
  • Megiser Hieronymus - Rom.Imperat. vitae, das ist Denckwürdige…Beschreibungen aller römischen Kayser vom ersten Julio Caesare biss…Ferdinandum III., Regensperg [sic!] 1657
  • Megiser, Hieronymus:Icones & Vitae Paparum: LIBELLVS RECENS EDITVS. Quo non solum OMNIVM ROMANAE SEDIS PONTIFICVM, A D. PETRO, VSQVE AD CLEMENtem IIX. Effigies, quam accuratissime ad vivum expressae, ob oculos ponuntur: sed etiam, SINGVLORVM VITAE, NOMINA, parentes, familia, natales, patria, insignia, Symbola, dignitates & officia, resquè gestae: Annus item, Mensis ac Dies Creationis, Inaugurationis, administrati Pontificatus, Obitus & Sedis vacantis …,Frankfurt a. M., Joachim Brathering, 1602
  • Megiser Hieronymus ed. Jansen des Enenkels Fürstenbuch von Oesterreich und Steiermark, Linz 1618;
  • Megiser Hieronymus ed. Übersetzung von Marco Polos Reisebericht, 1609

Literatur

  • Theodor Elze: Megiser, Hieronymus. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 21, Duncker & Humblot, Leipzig 1885, S. 183–185.
  • Doblinger, Max,: Hieronymus Megisers Leben und Werke, in: Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Bd. XXVI, Innsbruck 1905, S. 431-478
  • Anton Kreuzer: „Zweimal Kärnten“, Klagenfurt 1970, S. 24-27, Kreuzer-Buch Eigenverlag, Einigkeitsstraße 3, 9020 Klagenfurt
  • Josef Pauser, Martin Scheutz und Thomas Winkelbauer (Hg.)Quellenkunde der Habsburgermonarchie (16.–18. Jahrhundert). Ein exemplarisches Handbuch(= Mitteilungen des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung, Ergänzungband 44). Sonderdruck. Wien München 2004
  • Oskar Sakrausky: Protestantische Sprachschöpfung bei den Slowenen im 16. Jahrhundert: Einführung zur lateinischen Vorrede der Grammatik des Adam Bohorič und den lateinischen Disticha des Wörterbuches in vier Sprachen von Hieronimus Megiser.In: Jahrbuch für die Geschichte des Protestantismus in Österreich Bd. 114, 1998 S. 5-24
  • Heidi Stein: Der türkische Transkriptionstext des Hieronymus Megiser. Ein Beitrag zur Sprachgeschichte des Osmanisch-Türkischen. Phil. Diss. Leipzig 1975,(Masch. Ms.)
  • Arno STROHMEYER, „Vom Licht des Krieges zur Geburt der Geschichte“. Die Geschichtskultur der österreichischen Stände im Werden der Habsburgermonarchie (1550–1650). In: Anzeiger der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, philosophisch-historische Klasse Jg. 137, Wien 2002, S. 147–165.
  • Arno STROHMEYER, „Höfische“ und „ständische“ Geschichtsschreibung als historiographiegeschichtliche Kategorien: Die Erbländer im 16. und 17. Jahrhundert.In: ÖGL, Jg. 46, Wien 2002, S. 202–218.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Die Angaben über Geburts- und Sterbejahre variieren. Während ADB als Geburtsjahr „um 1553“ und als Sterbejahr wie die meisten anderen Quellen 1618 angibt, findet sich in den Mitteilungen des Instituts für Österr. Geschichtsforschung, Bd. 44, 2004, S. 886, die Angabe „um 1554/55–1619“,. [1]
  2. Walter Höflehner, Wissenschaftsgeschichte: Hieronymus Megiser
  3. Theodor Elze: Megiser, Hieronymus. In: Allgemeine Deutsche Biographie (ADB). Band 21, Duncker & Humblot, Leipzig 1885, S. 183–185.
  4. Dieter Jandl,Klagenfurt. Von der Siedlung an der Furt zur Wissensstadt, Historischer Überblick, Klagenfurt 2006, S 22,
  5. Arno STROHMEYER, Vom Licht des Krieges zur Geburt der Geschichte“. Die Geschichtskultur der österreichischen Stände im Werden der Habsburgermonarchie (1550–1650). In: Anzeiger der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, philosophisch-historische Klasse 137, Wien 2002, S 165.
  6. Dieter Jandl, a.a.O. S 20
  7. Artikel Christalnick, Michael Gotthard im Österreich-Lexikon von aeiou
  8. Wilhelm Neumann, Zeittafel zur Geschichte Kärntens In: Das ist Kärnten, hg. Amt der Kärntner Landesregierung, 2. Aufl., Klagenfurt 1978, S 13
  9. Wilhelm Neumann, 600 Jahre Geschichtsschreibung. Von Johann von Viktring bis Martin Wutte.In: Das ist Kärnten, hg. Kärntner Landesregierung, 2. Aufl. S 90 f, Klagenfurt 1978
  10. Bild der Herzogeinsetzung
  11. Wilhelm Neumann, Zeittafel, a.a.O. S 13
  12. Höflehner, a.a.O.
  13. Megiser's Search Engine 1744: „The Megiser dictionaries from 1592 and 1744 offer corresponding items from four different languages from three different branches of Indo-European:Teutsch-Lateinisch-Windisch-Wälisch, i.e. German-Latin-Slovenian-Italian“]
  14. Dieter Jandl,a.a.O.
  15. Der ursprüngliche Titel lautet: „Historia Carinthiaca. Das ist Weitläufftige und ordentliche Beschreibunge der Historien des hochloblichen und Uralten Ertzherzogthumbs Kärndten […] publiciert und am tag gegeben im 1578. Jar.“ Das nur zum Teil erhaltene Manuskript Christalnicks (vorhanden sind die Vorrede und die ersten vier Bücher, die bis in die Römerzeit reichen) umfasst 188 Folien und befindet sich im Augustiner-Chorherrenstift St. Florian, Stiftsbibliothek,Hs. XI, 523.
  16. Annales Carinthiae, Gedruckt in Leipzig durch Abraham Lamberg. MDCXII, geht aber mitunter auch über Kärntens Landesgrenzen hinaus bis ins Gottscheer Land in Krain, etwa S 5:
    „Ebner massen findet man auch bey den glaubwürdigen Authoribus, daß die fürnembsten Völker aus den Schwaben, Sennones genannt, in dieser gegne vnd Landsart gewohnt haben: Dann sie zum ersten in Liburnia, bey dem winckel des Adriatischen Meers niedergesessen, nemlich neben Histerreich (Istrien), Dalmatien vnd Friaul. Wir nennen dise Ort im Lande den Pyrpamer (Birnbaumer) Wald, Karsch, Wippach, Gottschee vnd die Windische March. Strabo vnd Plinius nenen diese Schwaben Cenomanos vnd seind jhre vberbliebne Nachkommen noch heutigs Tags zu Gottschee vnd daselbst herumb, welche Einwohner mitten vnder den Windischen sich der Teutschen Sprach gebrauchen vnd ain Schwäbische Aussprach haben.“

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