Archivbibliothek

Archivbibliothek
Eingang zu den Archivkammern im Palast des Assurbanipals
Zeichnung eines Archivschranks 16. Jahrhundert

Unter einem Archiv (lateinisch archivum aus griechisch αρχείο(ν), archeío(n), „Regierungs-“, „Amtsgebäude“) versteht man eine Institution oder Organisationseinheit, in der Unterlagen aus Verwaltungshandeln, die von den erstellenden Bereichen, sog. Registraturbildnern, zur laufenden Aufgabenerfüllung nicht mehr benötigt werden (Wortgetreu entspr. den Archivgesetzen) nach archivwissenschaftlichen Grundsätzen bewertet und die als archivwürdig bewerteten und somit zu Archivgut umgewidmeten Teile, erfasst, erschlossen, erhalten, ausgewertet und zugänglich gemacht werden. Im übertragenen Sinne bezeichnet es auch das Gebäude. Archivgut sind Schriftstücke, Akten, Karten, Pläne, Siegel, Bild-, Film- und Tonmaterialien sowie sonstige, auch elektronisch gespeicherte Aufzeichnungen, die einen bleibenden Wert besitzen.

Diese eher historische Definition wird in der heutigen Zeit erweitert um das elektronische Archiv bzw. die elektronische Archivierung. Die Begriffe Aufbewahrung von Information und Archivierung gehen dabei nahtlos ineinander über. Reine Aufbewahrung bedeutet im weitesten Sinne Speicherung auf einem Medium (Plattenspeicher, Magnetband...) bzw. in einem System (Dokumentenverwaltungssystem) wobei das Originaldokument im Vordergrund steht. Archivierung ist an weitere Regeln gebunden wie Unveränderbarkeit, langfristige Wiederauffindbarkeit und Wiedergabefähigkeit. Die reine Sicherung von Daten auf einem kostengünstigen Medium wie sie etwa in einem Rechenzentrum üblich ist, sollte nicht Archivierung genannt werden, da hierbei der langfristige Aufbewahrungsaspekt nicht gegeben ist. Die Lebensdauer der Information im Fall der Archivierung ist nicht etwa konstant oder unendlich. Die sogenannte Aufbewahrungsfrist (Retentiontime) ist zum Archivierungszeitpunkt festzulegen und beinhaltet eine mögliche bzw. notwendige Vernichtung der Information zu gegebener Zeit, was wirtschaftlich bedeutsam ist.

Betrachtet man „die“ Archive in Deutschland und den deutschsprachigen Nachbarländern, fällt eine starke Fragmentierung und verschiedenartige Ausrichtung der einzelnen Institutionen auf. Das Institut für Geschichte der Universität Wien (2004) strukturiert die einzelnen Formen so: Die wichtigsten Betreiber von Archiven sind öffentliche und halböffentliche Institutionen. Daneben werden Archive aber auch von großen Unternehmen, Organisationen und Privatpersonen unterhalten. Vom Betreiber hängen auch die Sammelgebiete der einzelnen Archive ab. (Quelle: Institut für Geschichte der Universität Wien 2004)

Zu den Archiven der öffentlichen Hand zählen allgemein gesamtstaatliche Archive, Landesarchive, Gemeindearchive, Kammerarchive sowie Schul- und Universitätsarchive. Zu den Archiven von Institutionen und Vereinigungen gehören Archive von Religionsgemeinschaften (auf der Ebene von Ländern, Klöstern und Pfarren und nach Konfessionen getrennt), Vereinsarchive, Parteiarchive, Gewerkschafts- und Arbeitgeberverbandsarchive, Innungsarchive und weitere. Im Bereich der privaten Archive finden sich etwa Unternehmensarchive und Archive von privaten Personen bzw. Familien. Hinzu kommen die (meist nur durch Mitarbeiter nutzbare) Archiven in Zeitungs- und Zeitschriftenverlagen.

Inhaltsverzeichnis

Abweichende Begriffsverwendungen

Das Institut für Geschichte der Universität Wien (2004) definiert ein Archiv als „eine Einrichtung zur Sammlung, Ordnung, Aufbewahrung, Verwaltung und Nutzung von meist schriftlichen und auch anderen Überresten aus dem Bereich der Verwaltung oder auch anderen öffentlichen oder privaten Institutionen.“

Archiv ist zum Bedauern der Facharchivare kein geschützter Begriff. Jeder, der etwa Bierdeckel sammelt, könnte seine Sammlung auch Archiv nennen. Eine Fülle ganz unterschiedlicher Einrichtungen, die Schrift-, Bild-, Ton- oder Datenträger sowie Sachobjekte dokumentieren, nennt sich Archiv, obwohl es vielfach näher läge, sie als Bibliotheken, Museen oder Dokumentationsstellen zu bezeichnen.

Völlig unscharf ist die Verwendung des Begriffs Archiv in der Computer-Sprache. So werden etwa Systeme zur Elektronischen Archivierung oder für die Datensicherung (siehe etwa das Tar-Dateiformat) als Archive bezeichnet.

In der postmodernen Kulturwissenschaft wird Archiv im Anschluss an Michel Foucault als Oberbegriff für Informations- und Wissensspeicher wie z. B. Bibliotheken gebraucht.

Auch im Titel von Fachzeitschriften begegnet der Begriff Archiv: Archives of Sexual Behavior, Sudhoffs Archiv.

Bestandserhaltung

Da Archive das ihnen anvertraute Kulturgut (ebenso wie die anderen Kulturgut verwahrenden Institutionen Bibliotheken, Museen und Denkmalämter) dauerhaft oder zumindest für längere Zeit sichern sollen, stellt sich das Problem der Bestandserhaltung. Auf diesem Feld kooperieren Archive, Bibliotheken und Museen, die sonst weitgehend getrennte fachliche Wege gehen, am meisten. Die Erhaltung etwa eines Tonbands sollte in jeder Institution nach den gleichen fachlichen Maßstäben, wie er auch dem Selbstverständnis des Restauratoren-Berufs zugrundeliegt, erfolgen.

Besondere Probleme wirft die Langzeitarchivierung von digitalen Informationen auf, da die Haltbarkeit der derzeit üblichen Datenträger sehr begrenzt ist. Beispielsweise sind bereits heute Teile der Magnetbänder mit den Daten des Apollo-Programmes nicht mehr lesbar, weil die Computer, Betriebssysteme und Programme von damals nicht mehr verfügbar sind. Die oben beschriebene Fragmentierung und Vielschichtigkeit der Archivlandschaft ist auch für die Vielfalt technischer (Insel-)Lösungen in im Bereich Bestandserhaltung mitverantwortlich.

Ein weiteres Problem ist die Archivierung von Papierdokumenten, die keine Hanfbestandteile mehr enthalten. Während Dokumente auf altem Hanfpapier sehr dauerhaft über Jahrhunderte lagerfähig sind, zerfallen Dokumente auf dem heute üblichen Papier schon nach wenigen Jahrzehnten durch Säurefraß.

Erschließung

Die Erschließung, das ist die Ordnung und Verzeichnung des Archivguts, erfolgt in Facharchiven heute nach dem Provenienzprinzip, während im 19. Jahrhundert das Pertinenzprinzip weit verbreitet war, das die Unterlagen ohne Rücksicht auf ihren Entstehungszusammenhang und ihre Herkunft (Provenienz) nach Sachbegriffen (Pertinenzen) organisierte. Ein aus dem Zusammenhang gerissenes Schriftstück hat erheblich geringere Aussagekraft als ein Schriftstück, das in seinem Kontext belassen wurde.

Ausgehend vom angloamerikanischen Raum arbeiten Archive an gemeinsamen Standards wie Encoded Archival Context und Encoded Archival Description. Da sich in den USA Archive und Bibliotheken weit näher stehen als im deutschsprachigen Raum, kommt es durch die Kooperation auf dem Gebiet der Standardisierung zu einer verstärkten Zusammenarbeit von Archiven und Bibliotheken.

Allerdings hat es sich nicht bewährt, bibliographische Formate auf archivische Bedürfnisse anzupassen. Der Internationale Archivrat (ICA/CIA[1]) verabschiedete im Jahr 2000 ISAD(G) als Anwendungsstandard zur Verzeichnung von Archivgut (General International Standard Archival Description), bzw. 2004 ISAAR(CPF) (International Standard Archival Authority Record for Corporate Bodies, Persons, and Families).

Damit wird der Eigenständigkeit archivischer Arbeitsmethoden Rechnung getragen. Der Individualisierung von Einzelstücken wird entgegengewirkt und der im Provenienzprinzip artikulierten Bedeutung der Entstehungszusammenhänge und Ursprungszwecke Rechnung getragen. Durch die Vereinheitlichung wird eine Verbesserung der Arbeitsmethoden erreicht, die sich an der Praxis orientiert und die damit zur Grundlage für die Entwicklung nationaler Standards wird.

Angestrebt wird, dass in Zukunft der Benutzer nach einheitlichen Standards weltweit in vernetzten Archivdatenbanken in den Findmitteln der Archive recherchieren kann.

Benutzung

Vor allem die Entwicklung des Datenschutzes war der Motor für die Archivgesetzgebung. In den öffentlichen Archiven weltweit spielt der Respekt vor sensiblen personenbezogenen Daten eine große Rolle. Beispielsweise können Personalakten in der Regel erst einige Zeit nach dem Tod des Betreffenden in die Benutzung gegeben werden (in Deutschland 10 bis 30 Jahre). Ist der Todeszeitpunkt nicht bekannt, wird eine Frist ab der Geburt (i. d. R. 90 bis 100 Jahre) festgelegt.

Mit dem Aufkommen der Informationsfreiheitsgesetze spielen die früher dominierenden Befürchtungen, Benutzer könnten durch verfrühte Einsicht in Behördenakten der Verwaltung schaden, eine immer geringere Rolle. Für die Unterlagen des Bundes und der Länder gilt in Deutschland eine Regelsperrfrist von 30 Jahren nach Entstehung.

Vereinzelte Pilotprojekte gelten der Digitalisierung von Findemitteln und Archivgut, um beides im Internet zur Benutzung bereitzustellen. Derzeit wird zwar das Einstellen von Findmitteln in das World Wide Web allgemein befürwortet, aber der Gedanke von Open Access für Archivgut ist noch kaum verbreitet und wird wohl unter dem Kostendruck der öffentlichen Verwaltungen einerseits und bei den hohen Digitalisierungskosten andererseits nicht bald zu realisieren sein.

Die Digitalisierung von analogem Archivgut - abseits der Findemittel - wird ebenfalls befürwortet und meist in individuellen Einzelprojekten vorangetrieben. Dabei entstehende Digitalisate sollen mittelfristig zur Nutzung über das WWW bereit gestellt werden. Allgemein scheint auch dieser Gedanke befürwortet zu werden, wird allerdings auf breiter Ebene unter dem Kostendruck öffentlicher Verwaltungen einerseits und den Digitalisierungskosten andererseits in nächster Zeit vielfach auch nur ein Gedanke bleiben.

Als Beispiel für das Archiv eines großen Zeitungsverlages eignet sich das der Süddeutschen Zeitung. „Die Süddeutsche Zeitung (SZ) verfügt seit ihrer Gründung 1945 über ein Pressearchiv, das die Texte der eigenen Redakteure und zahlreicher nationaler und internationaler Publikationen dokumentiert und auf Anfrage für Recherchezwecke bereitstellt. [...] Die technische Weiterentwicklung ab Mitte der 90er Jahre diente zwei Zielen: (1) dem vollständigen Wechsel von der Papierablage zur digitalen Speicherung und (2) dem Wandel von einer verlagsinternen Dokumentations- und Auskunftsstelle zu einem auch auf dem Markt vertretenen Informationsdienstleister“, fasst Markus Schek (2005) die Entwicklungen zusammen. (Quelle: Schek in MedienWirtschaft 1/2005, siehe Literatur) Hier wird deutlich, dass Archive also durchaus einen gewissen Verständniswandel erleben können, indem sie nicht nur unternehmensintern Informationen liefern, sondern auch extern auftreten. Gerade im Hinblick auf Zeitungsverlage ist hier in den nächsten Jahren vermehrt mit derartigen Schritten zu rechnen, um bisher ungenutzte Archivinhalte aus den Kellern der Verlage auf die eigene Website zu holen. Dort können sie aktuelle Berichte um eine historische Komponente anreichen oder sogar direkt monetarisiert werden.

Archivorganisationen und Berufsbild

Dem fachlichen Austausch dienen die Berufsverbände der Archivarinnen und Archivare (in Deutschland: VdA, in der Schweiz VSA, in Österreich VÖA) und Zusammenschlüsse von Archiven sowie archivische Fachzeitschriften (in Deutschland ist an erster Stelle Der Archivar und die Archivalische Zeitschrift zu nennen, in der Schweiz ARBIDO, in Österreich Scrinium). Erst in neuester Zeit nutzen Archivare verstärkt das Internet zum Informationsaustausch (Websites, Mailinglisten).

Siehe auch

Literatur

  • Adolf Brennecke: Archivkunde, bearb. und erg. von Wolfgang Leesch, Leipzig 1953.
  • Heinz Lieberich: Artikel Archiv, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, Bd. 1, Sp. 211-217.
  • Hans-Joachim Hecker: Artikel Archive, in: Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, 2. Aufl., Bd. 1, Sp. 285-293, ISBN 978-3-503-07912-4
  • Markus Schek (2005): Automatische Klassifizierung und Visualisierung im Archiv der Süddeutschen Zeitung. In: MedienWirtschaft 1/2005, S. 20-24.
  • Norbert Reimann (Hg.): Praktische Archivkunde. Ein Leitfaden für Fachangestellte für Medien- und Informationsdienste, Fachrichtung Archiv, Ardey-Verlag Münster 2004, geb., 360 Seiten, ISBN 3-87023-255-2
  • Bernd Hüttner: Archive von unten. Bibliotheken und Archive der neuen sozialen Bewegungen und ihre Bestände, Verlag AG SPAK, Neu-Ulm 2003, 180 Seiten, ISBN 3-930830-40-X
  • Sabine Brenner-Wilczek, Gertrude Cepl-Kaufmann, Max Plassmann: Einführung in die moderne Archivarbeit, Wissenschaftliche Buchgesellschaft (WBG) 2006, 151 Seiten, ISBN 978-3-534-18190-2
  • Martin Burkhardt: Arbeiten im Archiv. Praktischer Leitfaden für Historiker und andere Nutzer, Verlag Schöningh, Paderborn 2006 (UTB 2803), 136 Seiten, 12 Abb., 1 Foto, ISBN 3-8252-2803-7
  • Steffen Schwalm, Rainer Ullrich: Lexikon Dokumentenmanagement und Archivierung, Berlin 2008, 150 Seiten

Weblinks


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