Montessoripädagogik

Montessoripädagogik
Maria Montessori

Montessoripädagogik ist ein von Maria Montessori und anderen ab 1907 entwickeltes pädagogisches Bildungskonzept, das die Zeitspanne vom Kleinkind bis zum jungen Erwachsenen abdeckt. Sie beruht auf dem Bild des Kindes als „Baumeister seines Selbst“ und verwendet deshalb zum ersten Mal die Form des offenen Unterrichts und der Freiarbeit. Sie kann insofern als experimentell bezeichnet werden, als die Beobachtung des Kindes den Lehrenden dazu führen soll, geeignete didaktische Techniken anzuwenden, um den Lernprozess maximal zu fördern. Als Grundgedanke der Montessoripädagogik gilt die Aufforderung „Hilf mir, es selbst zu tun“.

Laut Maria Montessori selbst handelt es sich bei ihrer Pädagogik bzw. bei der so genannten Montessori-Methode um „eine komplexe, pädagogische und soziale Bewegung, die unmittelbar aus der und durch die Offenbarung des Kindes entstanden ist.“[1]

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Maria Montessori

Demonstration von Montessori-Prinzipien 1929 in Berlin
Hauptartikel: Maria Montessori

Begründet wurde die Montessoripädagogik von Maria Montessori, 1870 in Italien geboren, die als eine der ersten Frauen ein Medizinstudium mit Promotion abschloss. Sie kam aus gutbürgerlichem, christlichem Hause, war weit gereist und engagierte sich stark für die Frauenrechte im Besonderen und die Persönlichkeitsrechte im Allgemeinen. Auf der psychiatrischen Station eines Krankenhauses arbeitete sie mit geistig behinderten Kindern. Im Laufe der Therapie stellte sich jedoch heraus, dass diese Kinder keineswegs geistig unterentwickelt waren, sondern ihnen bislang nur jegliche Förderung gefehlt hatte. Maria Montessori entwickelte spezielle Arbeitsmaterialien, das „Sinnesmaterial“, mit dem es ihr gelang, die Kinder zu stimulieren, ihre Neugier zu wecken und ihre Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit anzuregen.

Casa dei Bambini (Kinderhaus)

Maria Montessori gründete 1907 in San Lorenzo, einem Armenviertel von Rom, die erste Casa dei Bambini („Kinderhaus“), in dem zum Teil verwahrloste Kinder der sozialen Unterschicht betreut wurden.[2] Die Kinder lernten hier mit großem Erfolg binnen kürzester Zeit Rechnen und Schreiben. Hier verwirklichte Montessori erstmalig ihre Vorstellungen von Bildung und erweiterte ihre Methode.

Deutschland

Das erste Montessori-Kinderhaus wurde 1919, unter maßgeblicher Beteiligung von Clara Grunwald, in Berlin-Lankwitz und die erste deutsche Montessorischule zu Pfingsten 1923 in Jena in der ehemaligen Grundschule von Wenigenjena gegründet. Sie bestand bis 1929 und wurde dann von der nationalsozialistisch bestimmten Landesregierung von Thüringen verboten und geschlossen. Das meist von den Eltern hergestellte Montessorimaterial wurde der Jenaer Friedrich-Schiller-Universität übergeben.

Österreich

Das erste Montessori-Kinderhaus in Österreich wurde 1917 von Franziskanerinnen in Wien gegründet. 1922 gründete Lili Roubiczek mit ihren Mitarbeiterinnen das „Haus der Kinder“ in der Troststraße in Wien, 1924 folgte dort die Eröffnung der ersten Montessori-Schule Österreichs. Montessoripädagogik verbreitete sich in dieser Zeit rasch auch in den städtischen Kindergärten in Wien. Zwischen 1924 und 1936 besuchte Maria Montessori mehrmals die Stadt. Aus Wien kamen damals auch wesentliche Impulse für die Weiterentwicklung der Montessori-Kunstpädagogik.

1938 wurden alle Montessori-Einrichtungen von Nationalsozialisten geschlossen. Nach 1945 gelang ein Wiederaufbau zunächst in Innsbruck, wo 1951 ein internationaler Montessori-Ausbildungskurs stattgefunden hat. Bei diesem Anlass wurde auch die Österreichische Montessori-Gesellschaft gegründet, die bis 1954 aktiv war. 1990 wurde „Montessori Österreich – Bundesdachverband“ gegründet, kurz danach folgte die Neugründung der Österreichischen Montessori-Gesellschaft.

Ab den 1970er Jahren entstand in Österreich eine Reihe Montessori-Einrichtungen, vor allem im Kinderhausbereich.[3]

Philosophie

Die Montessorimethode wird oft als eine Philosophie beschrieben, die das Kind und seine Individualität in den Mittelpunkt stellt. Maria Montessori glaubte an den Eigenwert des Kindes. Vergleiche mit traditionellen Standards sind in der Montessoripraxis nicht erwünscht. Stattdessen meinen Montessori-Befürworter, dass Kinder frei lernen sollten, ohne Behinderung und Kritik. Montessori glaubte, dass sowohl Belohnungen als auch Strafen schädlich sind für die innere Einstellung des Menschen, dass Kinder ganz natürlich aus ihrer eigenen Motivation lernen wollen. Vor allem deshalb, weil es in ihrer Natur liege, am (erwachsenen) Leben teilhaben zu wollen.

Die Montessorimethode konzentriert sich als Pädagogik auf die Bedürfnisse, Talente und Begabungen des einzelnen Kindes. Montessori-Lehrer und -Pädagogen sind der Meinung, dass Kinder am besten in ihrem eigenen Rhythmus und in ihrer eigenen Art lernen. Kinder werden dazu ermutigt, das Tempo, das Thema und die Wiederholung der Lektionen selbstständig zu steuern. Dabei wird zugrunde gelegt, dass jede Abweichung vom Ideal des göttlichen Kindes eine Störung darstellt, die durch Einsatz von Lernmethoden behoben (normalisiert) werden kann.

Das Leitmotiv der Methode ist die Pflege der natürlichen Freude des Kindes am Lernen. Nach Montessori stellt diese Freude am Lernen einen Kernbestandteil des Wesens eines jeden Kindes dar. Mit Respekt und Achtung unterstützt und angeleitet, führt sie zu einer Entwicklung einer in sich ruhenden und ausgeglichenen Persönlichkeit.

Kinder, die in ihrem eigenen Rhythmus und den eigenen Interessen folgend lernen, erleben Selbstvertrauen und Selbstständigkeit und verinnerlichen das Gelernte so am besten.

Selbstständigkeit wird durch die Arbeiten des täglichen Lebens (Fähigkeiten, die direkt im praktischen Leben anwendbar sind) unterstützt. Montessori-Kindergartenkinder lernen (in erster Linie durch Nachahmung) sich anzuziehen, sich selbst zu waschen, den Esstisch vorzubereiten usw. Die Kinder können sich meist selbst aussuchen, mit wem und auch woran sie arbeiten möchten. Die Montessorimethode setzt ihren Schwerpunkt dabei immer auf den Lernenden als Führer seiner eigenen Entwicklung hin zum Ideal.

Für Maria Montessori war es vorrangig, dem Kind die Möglichkeiten zu bieten, sich in einer vorbereiteten Umgebung, die an seine psychischen Bedürfnisse angepasst ist, mit allen seinen Sinnen zu entfalten. Dabei ist es besonders wichtig, dass sich die Lehrenden auch als Lernende begreifen und den eigenen Rhythmus jedes Kindes berücksichtigen und erkennen, womit es sich auseinandersetzt. Zum Beispiel kann es sein, dass ein Kind sich der Mathematik nicht mit den dafür vorgesehenen (von Montessori entwickelten) Materialien bedient, sondern dies beim Messen, beim Bau einer Maschine tut. Um die gegenseitige Beeinflussung der zwei Lernenden (Kind und Begleiter) nicht in unerwünschte Richtungen gleiten zu lassen, ist es unbedingt erforderlich Supervision einzusetzen.

Entwicklungspsychologie

Der kindliche Entwicklungsprozess gliedert sich nach Montessori in drei Phasen: Erstes Kindheitsstadium (0 bis 6 Jahre), Zweites Kindheitsstadium (6 bis 12 Jahre) und Jugendalter (12 bis 18 Jahre), die jeweils einen deutlichen neuen Entwicklungsabschnitt darstellen. Die erste und dritte Phase werden jeweils weiter in dreijährige Unterphasen eingeteilt.

Das Erste Kindheitsstadium (0-6 Jahre) ist laut Montessori prägend, da sich in dieser Zeit die Persönlichkeit und Fähigkeiten des Kindes formen. Montessori versteht die ersten sechs Lebensjahre des Kindes als eine zweite embryonale Wachstumsphase, in der sich Geist und Psyche des Kindes entwickeln. Dabei wird gerade das Alter zwischen 3 bis 6 Jahren als die Entwicklungsphase gedeutet, in der die zuvor (0-3 Jahren) embryonal aufgebauten intellektuellen, motorischen und auch sozialen Funktionen weiterentwickelt und endgültig in der Mneme gespeichert (ursprünglich von Richard Semon als Eigenschaft von Lebewesen Erfahrungen zu speichern eingeführt). Diese Engramme sind für Montessori weitestgehend irreversibel. "Keine Erziehung kann später auslöschen, was in der Konstruktiven Epoche der Kindheit inkarniert wurde" [4]. Und weiter über die Mneme: "Erwachsene Individuen umändern zu wollen, ist ein vergeblicher Versuch" [5]. Gerade durch diese Eigenschaft der Mneme sieht Montessori eine Chance, durch kultivierte Umgangsformen die Kluft zwischen den Klassen zu reduzieren. Sie fordert die Gewöhnung an Disziplin und Ordnung. "Die Freiheit des Kindes muss als Grenze das Gemeinwohl haben, als Form das, was wir als Wohlerzogenheit bei seinen Manieren und seinem Auftreten bezeichnen. Wir müssen also dem Kind alles verbieten, was den anderen kränken oder ihnen schaden kann oder als unschickliche oder unfreundliche Handlung gilt." [6].

Das zweite Kindheitsstadium (6-12 Jahre) bezeichnet sie als stabile Phase.

Das Jugendalter (12-18 Jahre)[7][8] ist die Zeit einer radikalen Umwandlung. Die vielen physischen und psychischen Veränderungen in diesem Alter führen zu einer tiefen Verunsicherung. Gleichzeitig beginnen Jugendliche, sich als Teil der Gesellschaft zu fühlen und wollen von dieser anerkannt werden. Nach Montessori stehen nun folgende Bedürfnisse des Jugendlichen im Vordergrund und sollen in der Schule erfüllt werden: Die Jugendlichen müssen sich beschützt fühlen können und sie müssen lernen, die Rolle des Menschen in der Gesellschaft zu begreifen. Wichtig ist auch die Stärkung des Selbstvertrauens und die Entwicklung eines Gefühls für die eigene Würde. Montessori spricht von dieser Lebensphase auch als Epoche der sozialen Sensibilität. Die Jugendlichen möchten in sozialen Beziehungen leben, soziale Verantwortung übernehmen und als unabhängige Personen ernst genommen werden. Montessori schlägt deshalb vor, ihnen vorbereitete Umgebungen auf dem Lande zu schaffen, in denen sie das unabhängige Leben in Gemeinschaft erfahren können. Dort sollen sie sowohl intellektuell lernen (auf einer abstrakteren Basis als in den vorhergehenden Lebensphasen) als auch praktisch arbeiten und die Erfahrung machen, Geld für den Lebensunterhalt zu verdienen.

Während seiner Entwicklung durchläuft das Kind sogenannte „sensible“ oder „sensitive Perioden“. In solchen Phasen ist das Kind in besonderer Weise empfänglich für bestimmte Anreize aus der Umwelt, zum Beispiel im Zusammenhang mit Bewegung, Sprache oder sozialen Aspekten. Findet das Kind während einer sensiblen Phase eine Beschäftigung, die genau seine Bedürfnisse anspricht, ist das Kind zu einer tiefen Konzentration fähig, die als Polarisation der Aufmerksamkeit bezeichnet wird. In einer solchen Phase tiefer Konzentration lässt sich das Kind nicht von anderen Reizen ablenken – es durchläuft einen Erkenntnisprozess, der nicht nur sein Denken, sondern laut Montessori seine gesamte Persönlichkeitsentwicklung positiv beeinflusst. Montessori prägt für diesen Prozess den Begriff der „Normalisation“, d. h. dem Wiederherstellen der wahren positiven Möglichkeiten, über die das Kind von Natur aus verfügt, die aber bei einer unangemessenen Behandlung durch die Erwachsenen verbogen werden ("Deviationen"). "Und von nun an" - resümiert Montessori - "war es mein Bestreben, Übungsgegenstände zu suchen, die die Konzentration ermöglichen; und ferner studierte ich gewissenhaft, welche Umgebung die günstigsten äußeren Bedingungen für diese Konzentration bietet. So begann sich meine Methode aufzubauen." [9]

Entscheidend für die Entwicklung von Montessoris Pädagogik und Lehrmaterialien ist die Beobachtung, dass eine der wichtigsten sensiblen Phasen jedes Kindes jene der „Verfeinerung der Sinne“ ist. Jedes Kind hat einen natürlichen Drang alles zu berühren, zu riechen, zu schmecken. Montessori leitet aus dieser Beobachtung ihre Erkenntnis ab, dass der Zugang zum kindlichen Denken nicht auf abstraktem Wege, sondern grundsätzlich über die Sinne des Kindes erfolgt. Greifen und Be-greifen werden zur Einheit im Lernprozess. In dieser Sichtweise zeigt sich Montessori stark beeinflusst von den Arbeiten Jean Itards und Edouard Séguins. Des Weiteren sind in vielen wesentlichen Aspekten Parallelen zur Kentenich-Pädagogik zu entdecken, vor allem der Satz „Freiheit so viel wie möglich, Grenzen so viel wie nötig“ findet sich bei Maria Montessori und Josef Kentenich. Die beiden Methoden sind aber sehr wahrscheinlich ohne gegenseitige Kenntnis und Beeinflussung entstanden.

Aufbauend auf dieser Erkenntnis entwickelt Montessori ihre Lehrmaterialien, die grundsätzlich immer die kindlichen Sinne ansprechen. Ihr mathematisches Material beispielsweise erlaubt dem Kind, durch Berühren und Halten einer Perle sowie eines Blocks aus 1000 Perlen einen sinnlichen Eindruck der mathematischen Größen 1 oder 1000 zu bekommen, lange bevor das Kind ein abstraktes Verständnis für Zahlen dieser Größe entwickelt.

Kosmische Erziehung

Kosmische Erziehung ist das bildungstheoretische Modell der Montessoripädagogik. Dabei geht es ihr um die pädagogische Umsetzung der schon im antiken Griechenland vertretenen Vorstellung, dass der Mensch als Mikrokosmos Teil eines kosmischen Ganzen, des Makrokosmos, ist und dass seine Schöpfungsaufgabe darin besteht, an der Realisation eines universellen "kosmischen Plans" mitzuwirken. Die Schöpfung ist nach Montessoris Auffassung jedoch noch nicht vollendet, alle Wechselbeziehungen sollen am Ende eine große Einheit bilden. Damit das gelingt, hat jedes Lebewesen eine besondere Aufgabe zu erfüllen. Der Mensch mit seiner Intelligenz kann sich dieser Aufgabe bewusst werden, im Gegensatz zum Tier; er verändert die Natur zur Kultur und nimmt daher eine besondere Position ein. Er darf nicht auf Kosten anderer handeln, sondern als Teil der Schöpfung. In diesem Teil der Montessoripädagogik finden sich auch religiöse Bezüge. So wird in den Geschichten zur Erdentstehung (Cosmic Tales) auf ein Gottesbild zurückgegriffen, ohne dies aber den Kindern aufzudrängen.[10]

Im Rahmen der Kosmischen Erziehung nach Montessori lernt das Kind daher Selbstständigkeit und Verantwortungsbewusstsein, um seine „kosmische Aufgabe“ erfüllen zu können. Um dem Kind in der Zeit, in der es an den großen Zusammenhängen besonderes Interesse hat (Sensible Phase), das „kosmische Prinzip“ näher zu bringen, bildet die Kosmische Erziehung die Basis des Schulunterrichts in Montessori-Schulen für 6- bis 12-jährige Kinder (Primarstufe 1 und 2).

Die vorbereitete Umgebung

Die vorbereitete Umgebung ist ein wichtiger und notwendiger Bestandteil der Montessoripädagogik. Sie gibt dem Kind die Möglichkeit, sich nach und nach vom Erwachsenen zu lösen und selbstständig die Fähigkeiten zu erwerben, die es für seine Unabhängigkeit benötigt.

Die Verantwortung für die vorbereitete Umgebung trägt der Erzieher. Die Kinder sind angehalten, sie zu pflegen.

Den Kindern angemessen

Die Umgebung muss kindergerecht sein. Das Mobiliar ist in Montessori-Einrichtungen auf die Proportionen des Kindes abgestimmt. Stühle und Tische können von den Kindern selbst getragen werden. Das dient auch der Schulung der Motorik der Kinder. Sie sollen dadurch lernen, die Gegenstände möglichst leise zu tragen, damit sie nicht andere Kinder beim Arbeiten stören.

Die äußere Ordnung

Die Materialien und die Umgebung selbst verfügen über eine "äußere Ordnung", sind also übersichtlich angeordnet und werden aufgeräumt aufbewahrt. Diese äußere Ordnung soll dem kindlichen Geist als Orientierung dienen und letztendlich auch zu einer inneren Ordnung führen. Die Umgebung ist attraktiv und ästhetisch, was die Kinder zum Gebrauch motivieren soll. Alle Materialen und Gebrauchsgegenstände sind von hoher Qualität. Das Kind soll dadurch Geschicklichkeit erwerben und Wertschätzung für die Dinge erlernen.

Das Material

Das Material gliedert sich bei Montessori in fünf Bereiche:

  • Übungen des täglichen Lebens
  • Sinnesmaterial
  • Mathematikmaterial
  • Sprachmaterial
  • Material zur kosmischen Erziehung

Es steht frei, in Augenhöhe der Kinder, im Regal. Sein Äußeres sowie seine Platzierung im Raum geben dem Material einen Aufforderungscharakter. Jedes Material ist nur einmal vorhanden: so sollen die Kinder Rücksichtnahme erlernen. Die Kinder wählen bei Montessori frei, nach ihrem jeweiligen Entwicklungsstand, mit welchem Material sie arbeiten möchten. Sobald die ErzieherIn oder LehrerIn dieses Interesse vermutet oder feststellt, wird es von ihr "dargeboten", sie führt das Kind also in den Gebrauch des Materials ein. Beim Sprachmaterial spielt dabei die Drei-Stufen-Lektion eine besondere Rolle.

Die Rolle des Erwachsenen in der Montessori-Pädagogik

Vom Moment seiner Geburt strebt das Kind nach Freiheit und Unabhängigkeit vom Erwachsenen. Montessori beschreibt diesen Prozess als ein biologisches Grundgesetz menschlichen Lebens. Ebenso wie der kindliche Körper seine Fähigkeiten entwickelt und dem Kind Bewegungsfreiheit gibt, so ist der Geist des Kindes erfüllt von Lernhunger und geistiger Autonomie.

In diesem Prozess kann der Erwachsene zum Verbündeten des Kindes werden und dem Kind eine Umgebung bereiten, die auf die Bedürfnisse und den Lernhunger des Kindes ausgerichtet ist. Das Selbstverständnis des Erwachsenen in der Montessori-Pädagogik ist das eines Helfers, der dem Kind den Weg zur Selbstständigkeit ebnet, gemäß Montessoris Leitwort „Hilf mir, es selbst zu tun“. Der Prozess des Lernens und der Erkenntnis geschieht im Kind, das Kind ist sein eigener Lehrer. Der Erwachsene muss lernen, das Kind zum Lernen hinzuführen um sich dann zurückzunehmen und letztlich als Beobachter den kindlichen Erkenntnisprozess zu begleiten.

Da jedes Kind individuell sensible Phasen durchläuft, ist der Lehrplan in einem Montessori-Kinderhaus oder einer Montessori-Schule auf das individuelle Kind ausgerichtet. Der Lehrer ist geschult, sensible Phasen des Kindes zu erkennen und das Kind zu Aktivitäten hinzuführen, die sein Interesse wecken sollten. Grundsätzlich hat aber das Kind die Freiheit, sich seine Arbeit selber auszusuchen.

Kritik an der Pädagogik Maria Montessoris

Besondere hermeneutische Schwierigkeiten bei der Deutung der Primärquellen - die vor allem auf die Entstehungsgeschichte der Texte zurückzuführen sind[11] - bilden sowohl die große Herausforderung als auch den Gegenstand der Kritik.

Einbettung Montessoris in ihren historischen Kontext

Aus wissenschaftlicher Sicht ist bei aktueller Literatur die ungenügende Einbettung der Werke Montessoris in den historischen Kontext zu bemängeln. Das würde zu einer Relativierung der Aussagen Montessoris führen. Montessoris Werke sind stark im Positivismus des 19. Jahrhunderts eingebettet. In den Vorlesungen, die die Basis zu der Antropologia Pedagogica bilden, setzt sich Montessori mit dem aus physiologischen und morphologischen Studien entwickelte Idealbild des Menschen auseinander. Zudem integriert sie Ansätze der experimentellen Psychologie, Konzepte der Evolution und Biologie und der Sozialeugenik.

Kritik an der soziopsychischen Hygiene

Montessori geht unter anderem davon aus, dass - in einer Analogie zur Medizin - die pädagogische Forschung zunächst äußere Ursachen der Abweichung von der normalen und gesunden Entwicklung des Individuums erfassen muss. Dann sollen - ebenfalls analog zur Medizin - als Therapie erzieherische Maßnahmen bereitgestellt werden. Als Folge dieser Vorgehensweise fordert sie eine soziopsychische Hygiene der gesamten Gesellschaft. Denn es ist nach Montessori nicht genug, einzelne Kinder in ihren Verhaltensweisen zu beeinflussen, sondern sie fordert die "Normalisierung" der gesamten Population durch diese Hygiene, dem Entfernen schädlicher Einflüsse auf die Kinder. Dieser Ansatz einer homogen gestalteten Umwelt führt in Konsequenz nicht nur zu einer Gesellschaft, welche die individuellen Ausprägungen der Kinder dämpft, sondern auch zu einer uniformen, homogenen, dialektfreien Weltkultur. Bei der Formulierung dieser Weltkultur ignoriert Montessori Machtverhältnisse und Politik.

Empirische Forschung

Befunde aus der empirischen Forschung der Zeitgenossen (vgl. Piaget) widersprechen den Theorien der Montessoripädagogik ab der konkret-operationalen Stufe (ca. 7 Jahre).

Kunst

Der künstlerische Bereich wurde von Montessori eher stiefmütterlich behandelt, die Kreativitätserziehung steckte für Kinder am Beginn des 20. Jahrhunderts noch in den Kinderschuhen. Es ist eine große Herausforderung an die Erziehungsperson, die kreativen Intentionen zum Selbstausdruck (wie zum Beispiel sich malerisch auszudrücken oder zu singen) in eine gut zugängliche Umgebung zu verpacken, so dass Kinder auch zu diesen Bereichen die Möglichkeit einer freien Wahl vorfinden.

Bekannte Montessori-Schüler

Gegenwart

Montessori-Einrichtungen in Deutschland Mitte der 1990er Jahre

Die 1929 von Maria Montessori gegründete Association Montessori Internationale (AMI) mit Sitz in Amsterdam sorgt nach dem Tod Montessoris für die Fortsetzung ihres Lebenswerkes. Eine Reihe nationaler Montessori-Gesellschaften, die bestimmte Qualitätskriterien erfüllen, sind der AMI angeschlossen. Darüber hinaus gibt es eine Reihe nationaler und internationaler Montessori-Vereinigungen, die unabhängig von der AMI sind, und sich in Deutung, Umsetzung und Qualitätsverständnis der Montessori-Pädagogik von der AMI unterscheiden.

In Deutschland arbeiten über 600 Kitas nach den Prinzipien der Montessori-Pädagogik, ca. 300 Grundschulen und ca. 100 weiterführende Schulen. Die meisten Einrichtungen sind in freier Trägerschaft.[13]

Anfang der 70er Jahre wurde im indischen Dharamsala nach intensiver Recherche für das dortige tibetische Schulsystem die Montessori-Pädagogik eingeführt. In Dharamsala existiert eine eigene Betreuung für tibetische Waisen- und Flüchtlingskinder. Seit 1979 kommen jedes Jahr zwischen 700 und 1500 Kinder aus Tibet nach Indien.[14]

Literatur

Pädagogische Schriften Maria Montessoris

  • Antropologia pedagogica (1910)
  • Über die Bildung des Menschen (1949)
  • Kinder sind anders (1936)
  • Selbsttätige Erziehung im frühen Kindesalter. Nach den Grundsätzen der wissenschaftlichen Pädagogik methodisch dargelegt. (1909)

Sekundärliteratur

  • Winfried Böhm, Birgitta Fuchs: Erziehung nach Montessori. Klinkhadt, Bad Heilbrunn 2004, ISBN 3-7815-1309-2
  • Franz Hammerer: Maria Montessoris pädagogisches Konzept : Anfäge der Realisierung in Österreich. Jugend Volk, Wien 1997, ISBN 3-7100-0255-9.
  • Herbert Haberl, Franz Hammerer (Hrsg.): Montessori-Pädagogik heute. Grundlagen - Innenansichten - Diskussionen. Jugend & Volk, Wien 2004 ISBN 978-3-7100-1106-1.
  • Ingeborg Hedderich: Einführung in die Montessori-Pädagogik. Theoretische Grundlagen und praktische Anwendung. 2. Auflage Reinhardt, München / Basel 2005, ISBN 978-3-497-01788-1.
  • Helene Helming: Montessori-Pädagogik. Ein moderner Bildungsweg in konkreter Darstellung. Herder, Freiburg 2002. ISBN 3-451-26770-5
  • Hildegard Holtstiege: Modell Montessori - Grundsätze und aktuelle Geltung der Montessori-Pädagogik. 12. erweiterte Auflage, Herder, Freiburg im Breisgau u. a. 2000, ISBN 3-451-23358-4.
  • Heike Kellner-Rauch (Hrsg.): Die Begründung des Begriffs Normalisation bei Maria Montessori. Frage nach dem Ziel der Montessori-Pädagogik GRIN Verlag, 2008, ISBN 3-640-20248-1, ISBN 978-3-640-20248-5 Vorschau auf google.books.
  • Karin Kortschack-Gummer: Das Kosmische der „Kosmischen Erziehung“. Eine Grundlage der Bildungskonzeption Maria Montessoris. Königshausen & Neumann, 2005, ISBN 978-3-8260-3046-8.
  • Hélène Leenders: Der Fall Montessori. Die Geschichte einer reformpädagogischen Erziehungskonzeption im italienischen Faschismus (Übersetzt von Petra Korte). Klinkhardt, Bad Heilbrunn 2001, ISBN 3-7815-1100-6.
  • Harald Ludwig (Hrsg.): Erziehen mit Maria Montessori - Ein reformpädagogisches Konzept in der Praxis. 5. überarb. und erw. Aufl. Freiburg 2003.
  • Bianca Mattern: Montessori für Senioren. Einführung in die montessoripädagogische Arbeit mit Senioren und Hochaltrigen. Books on Demand, Norderstedt 2008, ISBN 978-3-8370-4929-9.
  • Cornelia Mitterböck: Montessori für die Betreuung und Pflege von Menschen mit Demenz. Möglichkeiten, Herausforderungen, Grenzen. VDM, Saarbrücken 2009, ISBN 978-3-639-21097-2.
  • Hans Dietrich Raapke: Montessori heute - Eine moderne Pädagogik für Familie, Kindergarten und Schule. 3. Auflage, Rowohlt-Taschenbuch, Reinbek bei Hamburg 2006, ISBN 978-3-499-60537-6.
  • Ulrich Steenberg: Kinder kennen ihren Weg. Ein Wegweiser zur Montessori-Pädagogik. 6. Auflage. Klemm & Oelschläger, Münster / Ulm 2003, ISBN 3-9802739-1-1
  • Ulrich Steenberg (Hrsg.): Handlexikon zur Montessori-Pädagogik. Ulmer Beiträge zur Montessori-Pädagogik. Band 4. 5. Auflage. Klemm & Oelschläger, Münster / Ulm 2006, ISBN 3-932577-44-2
  • Laßt uns Zeit … Montessoripädagogik à la Hans Elsner. Dokumentarfilm von Jean Christopher Burger. 1992. 30 Minuten. Trailer

Weblinks

Wikiversity Wikiversity: Montessoripädagogik – Kursmaterialien, Forschungsprojekte und wissenschaftlicher Austausch

Einzelnachweise

  1. Aus Montessori, Maria: Door het kind naar een nieuwe wereld, übers. und bearb. von A.m. Joosten, Heiloo 1941, zit. nach Montessori, Maria: Erziehung für eine neue Welt, Herder: Freiburg im Breisgau 1998, S. 17, in der Übersetzung von Harald Ludwig.
  2. Raapke 2001, S. 178
  3. Alle Angaben nach Haberl, H./Hammerer, F.: Montessori-Pädagogik in Österreich – Rückblick und Perspektiven, in: Erziehung und Unterricht, 147. Jg., H. 8/1997, S. 819-832
  4. Montessori, Maria: Das kreative Kind. S. 106, zitiert nach Fuchs, B. (2003). Maria Montessori - Ein pädagogisches Portrait. Weinheim und Basel:UTB
  5. Montessori, Maria: Das kreative Kind. S. 60, zitiert nach Fuchs, B. (2003). Maria Montessori - Ein pädagogisches Portrait. Weinheim und Basel:UTB
  6. Montessori, Maria: Selbsttätige Erziehung im frühen Kindesalter aus: P.Oswald & G. Schulz-Bennesch (1994). S.79
  7. Montessori, Maria: Erdkinderplan, in Von der kindheit zur jugend. Freiburg im Breisgau 1979, S. 91ff
  8. Gudula Meisterjahn-Knebel: Montessori-Pädagogik in der weiterführenden Schule. Der "Erdkinderplan" in der Praxis. Verlag Herder Freiburg im Breisgau 2003
  9. Maria Montessori: Dem Leben helfen, Kleine Schriften 3, Freiburg 1992, S. 44 f
  10. Ela Eckert, Ingeborg Waldschmidt (Hg.): Kosmische Erzählungen in der Montessori-Pädagogik, Münster 2007, ISBN 978-3-8258-9882-3
  11. Holtstiege, Hildegard: Modell Montessori - Grundsätze und aktuelle Geltung der Montessori-Pädagogik. Freiburg 2000.
  12. Gabriel García Márquez: Leben, um davon zu erzählen, (dt. v. Dagmar Ploetz), Frankfurt a.M. 2004 (4.Aufl.), S . 120.
  13. Montessori Dachverband Deutschland
  14. Seine Heiligkeit ist auch nur ein Mensch aus Fleisch und Blut Michaela Schlagenwerth interviewt Jetsun Pema, Magazin der Berliner Zeitung vom 10./11./12. Mai 2008

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