Mysterium

Mysterium

Das Wort Mysterium (von griechisch μυστήριον mysterion, ursprünglich für kultische Feiern mit einem geheim bleibenden Kern, volkstümlich auch abgeleitet von myo, den Mund schließen[1]) wird gewöhnlich mit Geheimnis übersetzt. Gemeint ist ein Sachverhalt, welcher sich der eindeutigen Aussagbarkeit und Erklärbarkeit prinzipiell entzieht - nicht einfach eine nur schwer mittelbare oder zufällig verschwiegene Information.

Inhaltsverzeichnis

Griechische Antike

Im griechischen Kulturmilieu erhöht die Beanspruchung von noch nicht bekannten Geheimnissen tendenziell das Prestige einer Religion.[2] Zwischen noch verborgenen und bereits geoffenbarten religiösen Sachverhalten zu unterscheiden und bezüglich der einigen bekannten Sachverhalte eine Geheimhaltung (Arkandisziplin) für bestimmte esoterische Lehren zu üben ist nicht nur in griechischen Mysterienkulten verbreitet, sondern auch bei einigen Philosophen, am bekanntesten bei Platon.[3]

Ägypten

Die altägyptische Religion sieht durch Mysterien das „machtvolle sakrale Wissen gesichert“.[4]

Iran

Im Zoroastrismus gelten eschatologische Ereignisse sowie der Kampf zwischen Göttern und Dämonen und Wissen über die Möglichkeiten, jene zu besiegen, als Mysterien.[5]

Judentum

Der griechische Gebrauch von mysterion für geheime Lehren findet auch Eingang in Texte des hellenistischen Judentums. Dass die Wege Gottes menschliches Verstehen übersteigen, wird des Öfteren in atl. Texten ausgesagt. Eine spezifische Vorstellung von Geheimnissen, welche das Ende der Tage betreffen und die erst im Traum geoffenbart werden, findet sich im Buch Daniel[6] Im Buch der Weisheit wird von Gottes Geheimnissen gesprochen; heidnische Geheimkulte werden in polemischer Absicht mit demselben Wort mysterion bezeichnet.[7] Apokalyptische Texte wie der äthiopische Henoch sprechen von Geheimnissen der Endzeit, die geschrieben stehen und einzelnen eröffnet werden.[8] In Qumrantexten findet sich ein unspezifischerer Wortgebrauch.[9]

Christentum

Neues Testament

Im Neuen Testament wird das Wort mysterion praktisch durchweg für sonst nicht zugängliche Offenbarung verwendet, die aber keiner Arkandisziplin unterliegen, sondern allgemein mitgeteilt werden sollen[10]. In diesem Sinne wird der Ausdruck besonders im Zusammenhang der Christologie gebraucht, bei Paulus und im Epheserbrief vor allem bezogen auf dessen errettenden Kreuzestod[11], daneben auch bezogen auf prophetische Überlieferung[12], im synoptischen Corpus nur einmal, mit Bezug auf das Gottesreich, welches Nichtchristen unverständlich bleibe.[13] Im 1. Brief an Timotheus wird bereits von einem „Geheimnis des Glaubens“ gesprochen.[14]

Patristik

Christliche Theologen aus Alexandrien knüpfen an die Terminologie der Mysterienreligionen an und bezeichnen auch Inhalte christlichen Glaubens als Mysterien; ansonsten wird vor allem das Christusgeschehen so bezeichnet.[15]

Im vierten nachchristlichen Jahrhundert werden dann auch christliche Riten als Mysterium oder - in lateinischer Entsprechung dazu - als sacramentum bezeichnet. Der lateinische Ausdruck wird zunehmend stärker im Sinne von Zeichen aufgefasst.

Mittelalter

Mittelalterliche Theologen entwickeln eine Sakramententheologie, welche die einzelnen Typen sakraler Handlungen wie Taufe oder Eucharistie systematisiert. Im liturgischen Sprachgebrauch bleibt die Wortbedeutung aber weitergefasst.[16]

Fragen der Erkennbarkeit und Benennbarkeit Gottes werden seit den frühesten Systemversuchen jüdischer (Philo von Alexandrien) und christlicher Theologie (u.a. Klemens von Alexandrien, Kappadozier u.a.m.) diskutiert, parallel auch im Mittelplatonismus, welchem die erstgenannten ebenfalls zugerechnet werden. Die überwiegende Mehrheit nimmt dabei einzelne Glaubenswahrheiten, insbesondere das absolut einfache „Wesen“ Gottes, einer Zugänglichkeit durch eindeutig beherrschbare Terminologie und übliche rationale Methodik aus. Die Zurückweisung positiver Benennungen fasst man unter dem Sammelbegriff Negative Theologie zusammen. Die genaue Abgrenzung zwischen Denk- und Sagbarem und Verschlossenem aber erfolgt unterschiedlich. Der Problemzusammenhang wird verkompliziert durch die Unterscheidung von Möglichkeiten der Vernunft aus ihrer eigenen Natur heraus oder unter Rücksicht auf erfolgte Offenbarung. Thomas von Aquin beispielsweise nimmt diejenigen Glaubensinhalte, welche erst durch Offenbarung zugänglich sind, vom Gegenstandsbereich natürlicher Vernunft aus und bezeichnet sie als mysteria stricte dicta. (Trinität, Menschwerdung Gottes, der stellvertretende Tod Jesu, siehe auch Geheimnis des Glaubens).

Während Gott an sich selbst für viele Theologen dem Verstand (ratio), jedenfalls dem natürlichen Verstand, unzugänglich bleibt, ist das göttliche Mysterium, wie einige Theologen lehren, einer Vernunft (intellectus, intelligentia) zugänglich, welche ein Denken in Unterscheidungen und andere Modalitäten des Verstandesgebrauchs überschreitet und ihr Streben nicht auf bestimmte endliche Güter bzw. nicht auf sich selbst orientiert. Ein solcher Weg kann stärker dem Intellekt oder stärker der Affektivität, also der Erfahrung, zugeordnet werden, und kann als aus eigener Natur möglich oder nur durch konkrete göttliche Gnade eröffnet oder zu Ende führbar verstanden werden. Auch Zwischenpositionen werden vertreten. Die Debatte über diese Zusammenhänge wird weithin in Texten geführt, welche der mystischen Theologie zuzuordnen sind, oftmals in Kommentaren zum gleichnamigen Werk des Pseudo-Dionysius Areopagita; - seit der frühen Neuzeit wird auch kurz von „Mystik“ gesprochen.

Neuzeit

Der Theologe und Religionswissenschaftler Rudolf Otto führte in seinem 1917 erschienenen Hauptwerk Das Heilige die komplementären Begriffe Mysterium fascinosum und Mysterium tremendum ein, um die – seiner Auffassung nach – grundlegenden Ausprägungen der Erfahrungen von Menschen mit dem Heiligen zu charakterisieren.

Einzelnachweise

  1. Siehe z.B. Hutter, l.c.; Dieter Zeller: Art. Mysterien/Mysterienreligionen, in: Theologische Realenzyklopädie, Bd. 23, 504-426, hier 504
  2. Vgl. Hutter, l.c.
  3. Symposion 28
  4. Hutter, l.c.
  5. S. Hutter, l.c.
  6. Dan 2 und 4; vgl. Hutter, l.c. und Theobald, l.c.
  7. Weish 6,22 und 14,25.23; n. Theobald, l.c.
  8. s. Theobald, l.c.
  9. s. Theobald, l.c.
  10. Theobald, l.c.
  11. s. Theobald, l.c.
  12. 1 Kor 13,2 und 14,2, n. Theobald, l.c.
  13. Mk 4,11 par.; n. Theobald, l.c.
  14. 1 Tim 3,9.16, hier n. Theobald, l.c.
  15. s. Faber, l.c.
  16. Vgl. zum Vorstehenden Faber, l.c.

Literatur

  • Manfred Hutter, Michael Theobald, Eva-Maria Faber, Anastasios Kallis: Art. 'Mysterium, I.-IV., in: Lexikon für Theologie und Kirche, 3. A., 577-582.
  • Hans G. Kippenberg, G. G. Stroumsa (Hgg.): Secrecy and Concealment, Studies in the History of Mediterranean & Near Eastern Religions, Leiden 1995, ISBN 9004102353.
  • Karl Rahner: Über den Begriff des Geheimnisses in der katholischen Theologie, in: Siegfried Behn (Hrsg.): Beständiger Aufbruch [Festschrift für Erich Przywara], Nürnberg 1959, 181-216; auch in: Schriften zur Theologie 4 (1960), 51-99.
  • Karl Rahner: Über das Geheimnis, in: Stimmen der Zeit 167 (1961), 241-252; auch in: Theologisches Jahrbuch (Leipzig) (1962), 295-305.

Weblinks

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