Nicole Glocke

Nicole Glocke

Nicole Glocke (* 7. Oktober 1969 in Bochum) ist eine deutsche Schriftstellerin.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Nicole Glocke wurde in Bochum als zweite Tochter des später vom Überläufer Werner Stiller verratenen Stasi-Spions Karl-Heinz Glocke geboren und legte dort 1989 das Abitur an der Graf-Engelbert-Schule ab.

Sie studierte an der Ruhr-Universität Bochum und in Bonn Geschichte und Politikwissenschaft, promovierte 1997 über die Geschichte der christlichen Mission in deutschen Kolonialgebieten.

Zwischen 1998 und 2002 arbeitete sie als Abgeordnetenmitarbeiterin beim Deutschen Bundestag und betätigte sich seit dieser Zeit als Autorin mehrerer Fachartikel und eines autobiographischen Buches, die schwerpunktmäßig die Tätigkeit der Hauptverwaltung Aufklärung thematisieren.

Werk

Entstehung und Inhalt von „Verratene Kinder“

Das Erstlingswerk von Nicole Glocke entstand auf Grundlage einer vieljährigen Recherche nach den Vorgängen, die nach der Republikflucht von Werner Stiller in den Siebziger Jahren zur Inhaftierung ihres Vaters führten. Im Laufe der professionell betriebenen Archivarbeit trat sie in engen Kontakt mit vielen HVA-Mitarbeitern wie Werner Stiller, was schließlich zu einer Begegnung mit dessen Tochter Edina Stiller führte, die nach der Flucht ihres Vaters in der DDR verblieb.[1] Erst nach der Veröffentlichung des Buches kam es zu einem Treffen mit Markus Wolf, der sich um das Treffen bemüht hatte.[2]

In der autobiographisch-analytischen Erzählung Verratene Kinder schildern die beiden von ihren Vätern auf unterschiedliche Art verratenen Töchter ihre Parallelschicksale.

Das Buch erfuhr zahlreiche Besprechungen in Presse und Funk; auf Lesungen vor Schulklassen versuchen die beiden Autorinnen, die junge Generation mit dieser nahezu in Vergessenheit geratenen Problematik vertraut zu machen.

Henry Bernhard beschrieb das Buch für den Deutschlandfunk als „ein Zeugnis der Generation der 30-jährigen, die mit den Trümmern des Kalten Krieges leben müssen, für die sie nicht verantwortlich sind. Es ist flüssig und packend zu lesen, ein paar kleine sachliche Fehler hätten dem Lektor auffallen sollen.“ Allerdings machen es die Autorinnen laut Bernhard sich und den Lesern nicht leicht mit ihren Vorwürfen und ihren Urteilen zum Verrat im Kalten Krieg. Sie würden sich dabei zwischen alle Stühle setzen.[3] Für den Spiegel schrieb Ulrich Schwarz, dass dieses Buch „eine überfällige Nachlese zur Stasi-Aufarbeitung“ sei. Das Buch sei eine gradlinige, offene Erzählung der Lebensgeschichten der Autorinnen ohne Pathos. Hierdurch würde das Buch überzeugend wirken.[4]

Inhalt und Prozesse um Das Leben und Leiden des Eugen Mühlfeit

Der deutsch-tschechische Dissident Eugen Mühlfeit erzählt in dem Buch der Autorin seine Lebensgeschichte. Die kritische Distanz der Autorin zum Erzähler wird durch eingeschobene Erzählsprünge in die Interviewsituation sowie die Einbindung von Äußerungen anderer Zeitzeugen (unter anderem von Katja Havemann) ergänzt. Zudem werden einige Aussagen von Mühlfeit durch teilweise widersprüchliche Zeitdokumente relativiert.

Dennoch kam es am 2. Februar 2010 zu einem Prozess um eine Äußerung Mühlfeits. Katja Havemann wollte - ungeachtet ihrer Mitwirkung an der Entstehung des Buches - eine Äußerung Mühlfeits unterbinden lassen, nach der ihr verstorbener Mann Robert Havemann bei der Verbringung von Kunstwerken von der Tschechoslowakei nach Westdeutschland in den 1970er Jahren eine Rolle gespielt haben soll. Vorausgegangen war eine - an der äußerst kleinen Auflage des Buches gemessen - erstaunlich heftig geführte Auseinandersetzung zwischen Historikern, der BStU und der Autorin. Die Kritiker warfen Nicole Glocke vor, das Buch werde dem Rechercheanspruch an historische Forschung nicht gerecht; für die Verwicklung von Robert Havemann in den Kunsthandel gebe es keine stichhaltigen Beweise. Die Autorin, Herr Mühlfeit und der Verlag argumentierten hingegen, die Recherchetiefe ginge weit über das ansonsten in Lebenserinnerungen übliche Maß hinaus; das Buch sei keine wissenschaftliche Arbeit. Zudem könne man weitere Zeitzeugen benennen, die sich an diese Vorgänge erinnerten. Die Klage von Katja Havemann auf Unterlassung und Entschädigung in Höhe von 50.000 € wurde abgewiesen[5]. Das Urteil ist mittlerweile rechtskräftig, die Berufungsfrist abgelaufen.

In einem weiteren Prozess klagte Erika Gaus, die Witwe des Staatssekretärs Günter Gaus, welcher zu Zeiten des strittigen Kunstwerke-Transfers ständiger Vertreter der Bundesrepublik Deutschland in der DDR war, gegen den Inhaber des Lukas-Verlags Franz Böttcher, die Autorin Dr. Nicole Glocke und Eugen Mühlfeit vor dem Landgericht Hamburg auf Unterlassung einer Passage des Buches, die ihren verstorbenen Ehemann betrifft.

In der Passage wird Mühlfeits Erinnerung dahingehend zitiert, dass Havemann und sein Freundeskreis entschieden hätten, die Bilder über Diplomaten in den Westen bringen zu lassen. Dazu wollten sie Günter Gaus kontaktieren, welcher versprach, einen seiner Mitarbeiter zu fragen, ob dieser sich daran beteiligen wolle. Die genaue Abwicklung sei Mühlfeit nicht bekannt; Günter Gaus habe auf eine spätere Nachfrage sehr ärgerlich reagiert.

Frau Gaus sieht in der Behauptung eine schwere Entstellung des Persönlichkeitsbildes ihres verstorbenen Mannes, da dieser sich durch eine Beteiligung am Bilderschmuggel strafbar gemacht hätte. Die Zivilkammer des Landgerichts Hamburg wies die Klage im Urteil vom 11. März 2011 als unbegründet ab [6]. In der Urteilsbegründung wird argumentiert, eine Beteiligung am Schmuggel von Kunstwerken verfolgter Künstler aus dem Umkreis der Charta 77 sei keinesfalls ehrverletzend, sondern eher geeignet, beim Leser Sympathie für Gaus zu erzeugen. Zudem werde eine direkte Beteiligung nicht behauptet. Letztendlich sei noch nicht einmal eine Strafbarkeit nach bundesdeutschem Recht gegeben.

Artikel

  • Im Laufe der Promotion entstanden wissenschaftliche Fachaufsätze zur Kolonialgeschichte, die in einem Buch zusammengefasst wurden.
  • In dem Publikationsorgan des Deutschen Bundestags Das Parlament veröffentlichte sie einen sehr kontrovers diskutierten Artikel zum Reichstagsbrand.
  • Mai 2007; Mehrere Artikel in diversen Zeitungen und Online-Publikationsorganen, die sich kritisch mit der wissenschaftlichen Qualität der Lehrerausbildung für Waldorfschulen auseinandersetzen [7]. Daraufhin großes Leserbriefecho, unter anderem in der FAZ.

Bücher

  • Nicole Glocke: Zur Geschichte der Rheinischen Missionsgesellschaft in Deutsch-Südwestafrika unter besonderer Berücksichtigung des Kolonialkrieges von 1904 bis 1907. (Diss.) Namibiana Buchdepot, 1997. ISBN 3-936858-15-2
  • Nicole Glocke, Edina Stiller: Verratene Kinder. Zwei Lebensgeschichten aus dem geteilten Deutschland. Ch. Links Verlag, Berlin 2003. ISBN 3-86153-302-2
  • Nicole Glocke: Maskerade. Roman. Matrixmedia Verlag, Juni 2007, ISBN 978-3-932313-22-6
  • Nicole Glocke: In den Fängen von StB, MfS und CIA: Das Leben und Leiden des Eugen Mühlfeit. Lukas Vlg f. Kunst- u. Geistesgeschichte, März 2009, ISBN 3-86732-052-7
  • Nicole Glocke: Im Auftrag von US-Militäraufklärung und DDR-Geheimdienst: Die Lebensgeschichte zweier ehemaliger Agenten im Kalten Krieg. Dr. Köster Verlag, Februar 2010, ISBN 978-3-89574-725-0
  • Nicole Glocke: Erziehung hinter Gittern - Schicksale in Heimen und Jugendwerkhöfen der DDR. Mit einem Nachwort des ehemaligen Bürgerrechtlers und Mitbegründers der Ost-SPD Stephan Hilsberg. Mitteldeutscher Verlag, Februar 2011, ISBN 978-3-89812-782-0

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Kinder Deutschlands, Berliner Zeitung vom 19. März 2004.
  2. Mein Vater, der Spion, Der Tagesspiegel vom 2. Oktober 2007
  3. Henry Bernhard, Verlorene Jugend, Deutschlandfunk vom 19. Januar 2004
  4. Spiegel Online vom 1. Oktober 2003
  5. Urteil der 27. Zivilkammer des Landgerichts Berlin vom 2. Februar 2010 auf den Webseiten der Havemann-Gesellschaft
  6. Urteil des Landgerichts Hamburg vom 11. März 2011, Geschäfts-Nr. 324 O 438/10 in der Sache Erika Gaus gegen Glocke, Böttcher und Mühlfeit; Richter Maatsch, Buske und Link
  7. Novo-Magazin, Inkarnieren zum Klavier - Nicole Glocke über ihre Erfahrungen am Seminar für Waldorfpädagogik in Berlin

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