Nutzen (Wirtschaft)

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Nutzen ist ein zentraler Begriff der Wirtschaftslehre, der unterschiedliche Interpretationen zulässt. Dem Alltagsverständnis nahe stehen Interpretationen, die im Nutzen das Maß für die Fähigkeit eines Gutes sehen, die Bedürfnisse eines wirtschaftlichen Akteurs (z. B. eines Privathaushalts) zu befriedigen.[1] In der neueren Neoklassik, also dem Mainstream der modernen Wirtschaftswissenschaften, ist Nutzen jedoch nicht über die Befriedigung physischer oder psychischer Bedürfnisse definiert, sondern ausschießlich über Entscheidungen bei der Auswahl zwischen Zuständen der Welt. Wird ein Zustand, beispielsweise der Besitz eines bestimmten Gutes, einem andern Zustand vorgezogen (Präferenz), so hat der erste Zustand definitionsgemäß einen höheren Nutzen.

Ist der Nutzen eines Gutes oder einer Verhaltensweise aufgrund von Unsicherheit nicht exakt zu quantifizieren, so spricht man vom Erwartungsnutzen. Dem Nutzen stehen die Kosten gegenüber. Die Differenz zwischen Nutzen und Kosten wird auch als Nettonutzen bezeichnet. Die Bedeutung der Nutzentheorie ergibt sich u. a. aus ihrer zentralen Stellung in der neoklassischen Theorie für die Ableitung der Nachfragefunktion für Konsumgüter, die sich im Haushaltsoptimum ergibt (Maximierung des Nutzens bei gegebenen Preis- und Einkommensverhältnissen).

Inhaltsverzeichnis

Begrifflichkeit

Historische Entwicklung

Während Jeremy Bentham noch meinte, Glück bzw. Nutzen sei eine empirisch messbare psychologische Größe, ist der Nutzenbegriff der modernen Entscheidungstheorie nur eine Begrifflichkeit, mit der man sehr präzise ausdrücken kann, was ein Subjekt will. Wenn Carlo 200 Euro im Portemonnaie hat und sich Sportschuhe für 150 Euro kauft, dann bedeutet das, dass er lieber die Schuhe hat und dazu 50 Euro im Portemonnaie anstatt diese Schuhe nicht zu haben und dafür 200 Euro im Portemonnaie. Carlo präferiert das Güterbündel 1 (Schuhe und 50 Euro) gegenüber dem Güterbündel 2 (keine Schuhe und 200 Euro). Güterbündel 1 hat für Carlo unter den gegebenen Bedingungen einen größeren Nutzen als Güterbündel 2.

Mehr als solche Präferenzordnungen und einige sehr allgemeine Annahmen über die Beschaffenheit der menschlichen Präferenzen (z. B. Sättigung bei zunehmender Ausstattung mit einem Gut) sowie die entsprechenden Produktionsfunktionen benötigt die moderne Theorie der Marktwirtschaft nicht, um aus diesem Modell Folgerungen zu ziehen hinsichtlich Preisen, Angebot und Nachfrage, Produktion und Konsum etc.

In der Folge gab man unter dem Einfluss des Positivismus, der von den Wissenschaften den Verzicht auf Werturteile forderte, das Konzept eines messbaren, für alle Personen gleichartigen Nutzens auf und hielt sich an die beobachtbaren Wahlhandlungen der wirtschaftlichen Akteure.

Sozialphilosophisch trat an die Stelle des utilitaristischen Prinzips des größten Glücks bzw. Nutzens, berechnet als die Summe der individuellen Nutzen, das Kriterium des Optimums, wie es Vilfredo Pareto definierte: Ein Zustand ist pareto-optimal, wenn niemand besser gestellt werden kann, ohne zugleich jemand anders schlechter zu stellen. Dieses Kriterium benötigt keine interpersonalen Nutzenvergleiche, sondern kommt mit rein subjektiven Präferenzordnungen aus. Allerdings ist das Kriterium der Pareto-Optimalität in vielen Fällen nicht sehr aussagekräftig.

Ein Beispiel soll dies verdeutlichen:

Angenommen man hat eine Anzahl von Individuen und ein bestimmte Menge von einem Gut, das auf die Individuen verteilt ist. Weiterhin sei angenommen, dass alle Individuen lieber mehr als weniger von diesem Gut wünschen. In diesem Fall ist jede mögliche Verteilung des Gutes auf die Individuen pareto-optimal. Wenn z. B. 1000 Euro auf 10 Individuen verteilt sind, stellt jede denkbare Verteilung ein Optimum dar. Man kann niemandem mehr geben, ohne einem anderen etwas wegzunehmen.

Insofern ist die am Kriterium der Pareto-Optimalität orientierte Wohlfahrtsökonomie (englisch welfare economics) in ihrer Reichweite auch entsprechend begrenzt.

Erklärende und bewertende Verwendung

Der Begriff des Nutzens kann zum einen verwendet werden zur Erklärung menschlichen Handelns, z. B.: „Die Individuen verhalten sich so, dass sie ihren Nutzen maximieren.“ Zum anderen kann der Begriff des Nutzens verwendet werden zur Bewertung von Alternativen, z. B.: „Wenn ein Zustand Z für das Individuum A einen größeren Nutzen hat als der bestehende Status quo, dann bedeutet die Verwirklichung von Z eine Verbesserung für das Individuum A.“

Diese positiv-normative Doppelfunktion des Nutzenbegriffs wird z. B. bei der theoretischen Rechtfertigung der Marktwirtschaft verwendet. Wenn sich Konsumenten und Produzenten unter Konkurrenzbedingungen nutzenmaximierend verhalten, dann besteht die Tendenz zu einem Marktgleichgewicht, in dem Angebot und Nachfrage ausgeglichen sind (positive, erklärende Verwendung des Nutzenbegriffs).

Dieser Gleichgewichtszustand ist zugleich pareto-optimal, da er so beschaffen ist, dass man kein Individuum besser stellen kann, ohne dadurch ein anderes Individuum schlechter zu stellen (normative, wertende Verwendung des Nutzenbegriffs).

Ähnliche theoretische Modelle unter Verwendung des Nutzenbegriffs finden sich z. B. auch in der Politikwissenschaft. Dies zeigt die große Bedeutung des Nutzenbegriffs.

Gefahr der Zirkularität

Der Nutzenbegriff kann nur dann zur Erklärung menschlichen Verhaltens und Entscheidens verwendet werden, wenn der Nutzen unabhängig von dem zu erklärenden Verhalten bestimmt werden kann. Sonst wird die Erklärung zirkulär und unbrauchbar.

Ein Beispiel: Wenn sich Marco für 50 Euro ein Paar Schuhe kauft und nicht den Pullover, der genauso viel kostet, so kann man dies damit erklären, dass die Schuhe für Marco einen größeren Nutzen besitzen als der Pullover. Wenn nun gefragt wird, woher man weiß, dass die Schuhe für Marco einen größeren Nutzen haben als der Pullover, so kann man dies nicht wiederum damit begründen, dass Marco sich für die Schuhe entschieden habe, woran man erkennen könne, dass die Schuhe für ihn einen größeren Nutzen haben als der Pullover.

Dennoch führt die Ableitung von Nutzen allein aus der Beobachtung von Entscheidungen zwischen Handlungsalternativen nicht automatisch zu zirkulären Ergebnissen. Würde Marco beispielsweise der Pullover gestohlen und er bekäme daraufhin 50 EUR von seiner Tante geschenkt, würden wir vorhersagen, dass er erneut einen Pullover kaufen würde, falls sich sonst nichts wesentliches ereignet hat.

Nutzenquantifizierung

Unter der Annahme, dass sich der Nutzen unterschiedlicher Güter auf eine Dimension reduzieren lässt, unterscheidet man zwischen der kardinalen und der ordinalen Nutzentheorie. Das Konzept der kardinalen Nutzenmessung misst der Nutzendifferenz zweier Güterbündel eine Bedeutung zu, wohingegen die ordinale Nutzenmessung der Nutzendifferenz zweier Güterbündel keine wesentliche Aussagekraft beimisst.

Eine ordinale Nutzenfunktion sagt über den Nutzen zweier Güter lediglich aus, welches der Güter einen höheren Nutzen hat, jedoch nicht, wie viel höher der Nutzen ist. Sie dient insbesondere dem Zweck, die Konsumpräferenzen eines Konsumenten analytisch darzustellen. Mit der ordinalen Nutzentheorie begegnet man gleichzeitig der Kritik, dass Nutzenvorstellungen verschiedener Individuen nicht quantifizierbar seien.

Der kardinale Nutzen eines Gutes lässt sich hingegen auch quantifizieren, d. h. als Zahl darstellen. Um eine kardinale Nutzenmessung zu ermöglichen, versucht man oft, den Nutzen durch Geldflüsse zu approximieren. Dabei wird beispielsweise für gewinnorientierte Unternehmen in der Regel unterstellt, der Umsatz entspreche einem Nutzen und der Gewinn einem Nettonutzen.

John von Neumann und Oskar Morgenstern haben einen Weg vorgeschlagen, aus dem ordinalen Nutzen zweier Güter den kardinalen Nutzen dieser Güter abzuleiten. Hierzu wird dem Individuum eine Lotterie vorgeschlagen, bei welcher mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit Gut A bzw. Gut B gewonnen werden kann. Wenn das Individuum Entscheidungen zwischen jeweils zwei solcher Lotterien mit verschiedenen Wahrscheinlichkeiten fällt, lässt sich aus der Reihe der gefällten Entscheidungen ein kardinaler Erwartungsnutzen beider Güter ableiten.

Insgesamt ermöglicht das Konzept des Nutzens die Messung der Wirtschaftlichkeit einer individuellen Entscheidung oder auch einer Unternehmensentscheidung, da er eine rationale Entscheidungsfindung unterstützt. Zu beachten bleibt jedoch, dass keine Annahmen über die Art der Präferenzen des Individuums gemacht werden. Deshalb ist die Nutzenmaximierung (Optimierungsproblem unter Beachtung einer Budgetrestriktion) nicht gleichbedeutend mit Egoismus oder auch Kapitalismus, da ein Individuum z. B. auch einen immateriellen Nutzen aus dem Glück anderer Personen ziehen und deshalb aus rationalem Antrieb nach der Maximierung dieses Glücks streben könnte.

Volkswirtschaftlicher Nutzen

Das Streben der Haushalte nach Nutzenmaximierung ist eine der zentralen Annahmen der Volkswirtschaftslehre. In der Mikroökonomie wird dies beispielsweise durch das Haushaltsoptimum modelliert. Nach Paul Anthony Samuelson (1937) zeigt die Tatsache, dass ein bestimmtes Güterbündel einem anderen vorgezogen wird, dass das präferierte Güterbündel einen höheren Nutzen stiftet. Dieser Nutzen wird auch als Entscheidungsnutzen bezeichnet. Nach dem hedonistischen Konzept spricht man vom erfahrenen Nutzen.

Mathematisch lässt sich der Nutzen in Form einer Nutzenfunktion darstellen.

Betriebswirtschaftlicher Nutzen

Nutzenschema des Grundnutzens und zusätzlicher Nutzenfaktoren.

Das Nutzenschema der Nürnberger Schule nach Wilhelm Vershofen (1940) repräsentiert einen anderen Nutzenbegriff, wie er in der Betriebswirtschaftslehre verwendet wird. Dabei wird ein Gut nicht als Ganzes betrachtet, sondern es werden die einzelnen Attribute hinsichtlich ihres Nutzens bewertet, der in einen technisch-funktional ausgerichteten Grundnutzen und einem emotionalen Zusatznutzen aufgeteilt werden kann. Dabei ist es für den Haushalt nicht entscheidend, ob der Nutzen lediglich ordinal als mehr oder weniger oder kardinal als quantifizierbare Einheit gemessen wird. Der betriebswirtschaftliche Nutzenbegriff wird z. B. für die Erforschung des Kaufverhaltens oder das Produktdesign verwendet.

Literatur

  • Paul A. Samuelson: A Note on Measurement of Utility. Review of Economic Studies 4 (1937) 155-161.
  • Wilhelm Vershofen: Handbuch der Verbrauchsforschung. Berlin 1940.

Quellen

  1. W. Deppert, D. Mielke, W. Theobald (Hrsg.): Mensch und Wirtschaft - Interdisziplinäre Beiträge zur Wirtschafts- und Unternehmensethik. 1. Band der Reihe Wirtschaft mit menschlichem Antlitz. Leipziger Universitätsverlag 2001, ISBN 3-934565-69-7, S. 134, 136, 153, 165, 193.

Siehe auch


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