Paranthropus boisei

Paranthropus boisei
Paranthropus boisei
Nachbildung des Schädels OH 5 und eines Unterkiefers

Nachbildung des Schädels OH 5 und eines Unterkiefers

Zeitraum
Oberes Pliozän bis Pleistozän
2,3 bis 1,4 Mio. Jahre
Fundorte
Systematik
Teilordnung: Altweltaffen (Catarrhini)
Überfamilie: Menschenartige (Hominoidea)
Familie: Menschenaffen (Hominidae)
Tribus: Hominini
Gattung: Paranthropus
Paranthropus boisei
Wissenschaftlicher Name
Paranthropus boisei
Mary Leakey, 1959

Paranthropus boisei ist eine Hominiden-Art aus der Gattung Paranthropus innerhalb der Entwicklungslinie der Hominini. Fossilien, die Paranthropus boisei zugeordnet wurden, stammen aus rund 2,3 bis 1,4 Millionen Jahre alten Fundschichten in Ostafrika.[1] Die Funde wurden von Mary Leakey zunächst als Zinjanthropus boisei bezeichnet, später wurden sie auch Australopithecus boisei genannt.

Die Arten der Gattung Paranthropus werden zur Gruppe der Australopithecina gerechnet und stellen vermutlich eine evolutionäre Seitenlinie zur Gattung Homo dar.

Die Bezeichnung der Gattung Paranthropus leitet sich von altgriechisch ἄνθρωπος anthropos („Mensch“) und para („neben“, „abweichend von“) ab. Das Epitheton boisei verweist auf Charles Boise, der die Ausgrabungen Leakeys seit 1948 finanziell unterstützt hatte. „Zinjanthropus“ war abgeleitet worden von von ‚Zinj‘, der alten lokalen Bezeichnung für Ostafrika.

Inhaltsverzeichnis

Erstbeschreibung

Der später als OH 5 (Olduvai Hominid 5) bezeichnete, nahezu vollständige fossile Schädel mit vollständiger Bezahnung des Unterkiefers wurde am 17. Juli 1959 an einer als FLK I bezeichneten Stelle in der Olduvai-Schlucht von Mary Leakey, der Frau von Louis Leakey, entdeckt. Bereits am 15. August 1959 erschien in der Fachzeitschrift Nature die Erstbeschreibung der anhand des Fundes eingeführten Art Zinjanthropus boisei.[2]

Der als Holotypus ausgewiesene Schädel OH 5 (auch: Zinji genannt) wurde in der Erstbeschreibung als männlich und so jung ausgewiesen, dass die Molaren M3 noch keine Abriebspuren aufwiesen. Auch wurde auf seine morphologische Nähe zu Paranthropus hingewiesen, jedoch wurden aus seiner Restkonstruktion rund 20 abweichende Merkmale hergeleitet, die eine Zuordnung zu einer neuen Art zu rechtfertigen schienen.

Eine ausführlichere Beschreibung des Holotyps erfolgte 1967 durch Phillip Tobias.[3]

Merkmale

Rekonstruktion
von Paranthropus boisei
im Westfälischen Museum für Archäologie

Von Paranthropus boisei sind relativ viele Fossilien überliefert, darunter mehrere Schädel, diverse gut erhaltene Schädeldecken, Unterkiefer und Zähne. Die Fundstücke sind unterschiedlich groß, was die Annahme begründet, dass die Art einen ausgeprägten Sexualdimorphismus aufwies.[4] Für die Größe des Gehirns wurde nach Vermessung von sechs Schädeln 475 bis 545 cm³ errechnet, was ungefähr 100 cm³ größer ist als das Hirnvolumen eines heutigen Schimpansen.

Paranthropus boisei wurde ein Gewicht von 40 bis 80 kg und eine Körpergröße von 1,20 bis 1,40 m zugeschrieben;[5] allerdings ist unsicher, ob die hierfür herangezogenen Knochenfunde aus dem Bereich unterhalb des Kopfes tatsächlich zu Paranthropus boisei gehören (sie stammen aus gleich alten Fundschichten) oder zu Homo habilis.[4] Paranthropus boisei ähnelt dem durch Funde in Südafrika belegten Paranthropus robustus, aber die Breite des Gesichts, die meisten Ansätze für Hals- und Kaumuskeln sowie die Backenzähne sind stärker ausgebildet. Paranthropus boisei besaß die größten Backenzähne sowie die höchste Beißkraft aller Hominiden und wird daher – wie man inzwischen weiß: irreführend – auch „Nussknacker-Mensch“ genannt; seine Schneidezähne und Eckzähne waren jedoch vergleichsweise klein. Mit seiner kräftigen Kaumuskulatur, die an massiven Kieferknochen und an einem oben, in der Mitte des Hirnschädels befindlichen, auffällig emporragenden Knochenkamm ansetzte, konnte er große Mengen härtester Pflanzennahrung, beispielsweise trockene Gräser, zerkleinern.[6] Eine 2011 publizierte Untersuchung kommt zum Ergebnis, dass Paranthropus boisei mit etwa 77 ±7 % mehr C4-Pflanzen in seinem Stoffwechsel umgesetzt hat als alle bisher untersuchten Homininen und demzufolge auf Gräser spezialisiert war.[6][7] Eine ähnliche Spezialisierung auf Gräser und Grassamen weist unter den Primaten nur der Dschelada-Pavian auf, der ein ähnliches Gebiß besitzt.[8]

Vor allem wegen des starken Gebisses zählt er – mit Paranthropus robustus und Paranthropus aethiopicus – zu den „robusten“ Australopithecinen. Einige Experten betrachten Paranthropus boisei und Paranthropus robustus als regionale Varianten der gleichen Art. Nach aktuellem Forschungsstand gelten Paranthropus boisei und Paranthropus robustus als die letzten „robusten“ Vertreter der Australopithecinen und starben aus, ohne weitere Nachfolgearten zu hinterlassen.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. G. J. Sawyer, Viktor Deak: Der lange Weg zum Menschen. Lebensbilder aus 7 Millionen Jahren Evolution. Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg, 2008, S. 96
  2. Louis Leakey: A new fossil skull from Olduvai. In: Nature, Band 184, Nr. 4685, 1959, S. 491–493, doi:10.1038/184491a0,Volltext (PDF)
  3. Phillip Tobias: The Cranium and Maxillary Dentition of Australopithecus (Zinjanthropus) boisei. In: Olduvai Gorge, Volume 2. Cambridge University Press, Cambridge 1967
  4. a b Bernard Wood, Nicholas Lonergan: The hominin fossil record: taxa, grades and clades. In: Journal of Anatomy, Band 212, Nr. 4, 2008, S. 360, DOI:10.1111/j.1469-7580.2008.00871.x, Volltext (PDF)
  5. The Cambridge Encyclopedia of Human Evolution. Cambridge University Press, 1992, S. 236
  6. a b Thure E. Cerling u. a.: Diet of Paranthropus boisei in the early Pleistocene of East Africa. In: PNAS, Band 108, Nr. 23, 2011, S. 9337–9341, doi:10.1073/pnas.1104627108
  7. Nussknacker-Mensch knackte doch keine Nüsse. Der Standard, 2. Mai 2011, abgerufen am 3. Mai 2011 (deutsch).
  8. Charles Q. Choi: Ancient 'Nutcracker Man' ate more like a cow, it seems. MSNBC, 2. Mai 2011, abgerufen am 3. Mai 2011 (englisch).

Weblinks

 Commons: Paranthropus boisei – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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