Polygonalsystem

Polygonalsystem
Polygonale Stadtbefestigung Koblenz um 1880
Detachierte Forts der rechten Rheinseite von Koblenz

Das Polygonalsystem ist ein Fachbegriff aus dem Festungsbau. Die Bezeichnung leitet sich ab von griech.: poly = viel + gonos = Winkel und beschreibt also ein Vieleck.

Es baut im Wesentlichen auf den Befestigungsmanieren des Marquis de Montalembert auf, kam zur Zeit von Friedrich dem Großen zur Einführung und war in der Folge das in Deutschland bevorzugte System, während Frankreich noch weiter am Bastionärsystem festhielt.

Charakteristisch für das Polygonalsystem ist eine Fernverteidigung von langgezogenen Walllinien mit stumpfen Winkeln. Durch den Wegfall der Bastionen und die weitausgreifenden Linien des Tenaillensystems (eine Folge von ein- und ausspringenden Winkeln) ergibt sich eine schmälere Wallführung. So wurde mehr Platz für die Städte gewonnen und die Baukosten gesenkt. Die separierte Grabenverteidigung erfolgte durch freistehende Escarpenmauern und/oder Galerien sowie durch freistehende oder angebundene Grabenkaponnieren.

Prototyp für die Anwendung des Polygonalsystems in Deutschland war die Festung Koblenz-Ehrenbreitstein, die von 1815 bis 1834 komplett neu erbaut wurde. In diesem Zusammenhang ist von der neupreußischen oder neudeutschen Befestigungsmanier die Rede.

Neupreußische Befestigungsmanier

Eine erste Veröffentlichung von Johann Ludwig von Xylander 1819 fasste die beim Bau der Festung Koblenz entwickelten neuen Befestigungsgrundsätze zusammen:

  • Die Festung wird nach den Grundsätzen der Strategie dort angelegt, wo sie unmittelbar in die großen Operationen der Kriege eingreift.
  • Es gibt kein allgemein verbindliches Festungssystem, da kein System auf jedem Terrain ideal ist. Stattdessen bestehen Befestigungsgrundsätze, die die anzuwendenden Regeln bestimmen.
  • Aus taktischen, ökonomischen Gründen ist das natürliche Terrain für die Festung zu nutzen und künstlichen Hilfsmitteln vorzuziehen.
  • Die Eroberung eines Teils darf nicht zur Eroberung der ganzen Festung führen.
  • Die Werke und Festungsabschnitte sind so arrangiert, dass die sie verfehlenden Schüsse nicht zwangsweise andere treffen.
  • Die Festungsteile müssen so voneinander getrennt und eingerichtet sein, dass sie sich gegenseitig verteidigen können, wobei die Eroberung eines Teils dem Angreifer nach Möglichkeit keinen Vorteil bieten und ihn in eine missliche Lage bringen soll.
  • Die Festungsverteidigung muss maßgeblich gegen die beiden Hauptkomponenten des Angriffs erfolgen:
1. Das Verteidigungsfeuer konzentriert sich gegen die Anlage von Angriffsbatterien, zu diesem Zeitpunkt kann der Belagerer noch keine entsprechende Gegenwirkung ausüben und die Verteidigungsgeschütze können ohne Deckung frei auf dem Wall platziert werden.
2. Der Grabenübergang muss energisch bekämpft werden, was durch gedecktes Feuer zu geschehen hat, gegen das der Feind nur unzulänglich mit seinen Feldbatterien vorgehen kann.
  • Anlegung ausreichender Schutzräume für die Besatzung und die allgemeinen Bedürfnisse, um die Wirkung der feindlichen Wurfgeschütze und des Rikoschettschusses entscheidend zu minimieren.
  • Vermehrung von Mörserbatterien bei der Verteidigung.
  • Die Bekleidungsmauer wird prinzipiell der Sicht des Feindes entzogen. Die freistehende Escarpe ist vorzuziehen, damit deren Demolierung nicht mit der Breschierung des Walls einhergeht.

Im Festungsbau der folgenden 50 Jahre sieht das so aus: Eine geschlossene innere Enceinte umfasst zunehmend weiträumiger die Stadt (Möglichkeit der Entwicklung). Vorgelagert ist eine äußere Enceinte aus detachierten (vorgeschobenen), selbstständigen Werken, die den Gegner auf Distanz hält. Diese können sich gegenseitig flankieren. Die Festungsstruktur ermöglicht aufgrund ihrer Ausdehnung ein verschanztes Lager, erlaubt den Außenkrieg und gestattet einen defensiven wie offensiven Gebrauch. Es ergibt sich eine befestigte Fläche, wie sie in dieser Größe vorher nicht zu bezahlen war (Umfang Koblenz 14 km). Die vorgeschobenen Forts erhalten einen dreiseitigen Erdwall, dessen Form dem Gelände und der strategischen Bedeutung angepasst wird. Die Kehlseite bekommt meist eine krenelierte Mauer und in deren Mitte ein kassematiertes, gemauertes Reduit (als mehrstöckiger Geschützturm ausgeführt) oder Blockhaus.

Diesen Prinzipien werden in der Folge im deutschen Raum beim Bau der Festungen Köln (ab 1816), Danzig (ab 1818), Thorn (ab 1818), Minden (ab 1827), Posen (ab 1829), Germersheim (ab 1834), Linz (ab 1828), Verona (ab 1837), Przemysl (ab 1853), Krakau (ab 1849), Komorn (ab 1849), Mainz (ab 1825), Luxemburg (ab 1826), Rastatt (ab 1842) und Ulm (ab 1843) berücksichtigt.

Literatur

  • Klaus T. Weber: Die preußischen Festungsanlagen von Koblenz. Verlag und Datenbank für Geisteswissenschaften, Weimar 2003
  • Hartwig Neumann: Festungsbaukunst und Festungsbautechnik. Bernard & Graefe Verlag, Bonn 1988

Siehe auch


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