Festung Germersheim

Festung Germersheim
Modell der Festung von Osten aus gesehen

Die Festung Germersheim war eine königlich-bayerische Festung in der pfälzischen Stadt Germersheim. Sie wurde vom Deutschen Bund finanziert und war Teil eines Festungssystems im Westen Deutschlands zum Schutz vor befürchteten französischen Angriffen. Die Festung Germersheim war nicht, wie oft behauptet, eine Bundesfestung. Während der 1834 begonnenen und 1855 bzw. 1861 vollendeten Erbauung Arbeitsplätze sichernd, behinderte sie späterhin die Stadtentwicklung und verhinderte jegliches Wachstum der Bevölkerungszahl oder Ansiedlung von Industrie. Seit 1878 war die Festung Standort des 17. Infanterieregiments „Orff“ der Bayerischen Armee. Infolge des Vertrages von Versailles wurde sie zwischen 1920 und 1922 zum größten Teil geschleift; die heute noch erhaltenen Teile werden mittlerweile gemeinhin als lokales Kulturgut angesehen.

Inhaltsverzeichnis

Hintergrund und Erbauung der Stadtbefestigung

Nachdem die Stadt 1792 französisch geworden war, legten die Franzosen neue Befestigungen an, die 1814 nach der Übernahme durch Bayern verstärkt wurden. Der Deutsche Bund erkannte bereits ein Jahr später die Bedeutung Germersheims als strategisch wichtiger Knotenpunkt. Im Falle eines französischen Angriffes sollten möglichst schnell Truppen in der Linie LuxemburgLandauRastatt gesammelt werden, um diesen abzuwehren. Germersheim kam eine wichtige Bedeutung zu, da es das erste militärische Mittelzentrum war, an dem die Franzosen, deren Angriff in erster Linie aus südlicher Richtung zu erwarten gewesen wäre, den Rhein überschreiten und in Baden einfallen könnten. Weiterhin wäre die Stadt zum damaligen Zeitpunkt von Osten, wo der Rhein eine natürliche Grenze darstellte, und Norden, da dies zu dem damaligen Zeitpunkt reines Sumpfgebiet war, nur schwer zurückzuerobern gewesen.

Vor diesem Hintergrund begannen bereits 1818 erste Vermessungsarbeiten an der Stadt, bei denen ein jedoch bald wieder verworfener Plan, eine Festung nach dem Polygonalsystem zu errichten, entworfen wurde. Der endgültige Entschluss der Bundesversammlung, die Stadt zu befestigen, erfolgte erst 1832. Die Ausarbeitung eines Planes und die Leitung der Bauarbeiten wurden Friedrich von Schmauß übertragen.

Am 30. Juni 1834 begann mit der Aushebung des Hauptgrabens der Bau der Festung, am Jahrestag der Völkerschlacht bei Leipzig des gleichen Jahres, dem 18. Oktober, wurde der Grundstein der Festung gelegt. Der eigentliche Bau wurde 1855 vollendet, jedoch zog sich das Graben der Minengänge bis 1861 hin; insgesamt dauerte der Bau also siebenundzwanzig Jahre.

Aufbau der Festung

Das Hauptwerk der polygonalen Festung war, nebst einer Stadtumwallung, in sechs Fronten (von Nordwesten im Uhrzeigersinn: Carl, Reuß, Diez, Lamotte, Schmauß und Beckers) eingeteilt, wozu noch die Vorfronte Hertling sowie einige Kaponniere kamen. Weiterhin gab es zehn vorgelagerte Verteidigungsanlagen: Die drei stärksten (Friedrich (der Siegreiche) im Nordosten, Wrede im Osten und Deroy im Südosten) wurden Vorfesten (zeitgenössisch noch -veste geschrieben) genannt; sechs schwächere, sogenannte Vorwerke, von welchen sich vier auf rechter Rheinseite (von Süden nach Norden: Zandt, Brückenkopf, Seydewitz und Treuberg) und zwei (Siebein im Norden und Vincenti im Südwesten am Rheinufer) auf linker Rheinseite befanden; schließlich kam noch das besonders schwache linksrheinische Flügelwerk Ysenburg ['iːzən-] im Nordwesten hinzu. Es gab zwei Eingänge zur Stadt, nämlich das Ludwigstor (ursprünglich Deutsches Thor) im Nordwesten und das Weißenburger Tor (ursprünglich Französisches Thor) im Osten. Weiterhin war das Gelände außerhalb der Hauptumwallung fast vollständig von Minengängen durchzogen. Es gab ursprünglich vier Kasernen, davon drei Defensivbauten (Stengelkaserne, Seysselkaserne und Theobaldkaserne), sowie die nicht-defensive (Franziskaner-)Klosterkaserne. Später kamen noch drei weitere (Zollerkaserne, Pontonierkaserne und Maschinengewehrkaserne) dazu, sodass sich die Anzahl am Ende des Bestehens der Festung auf sieben Kasernen belief.

Hauptwerk

In erster Linie bestand die Festung aus der 3200 m langen Stadtumwallung, die in sechs Fronten aufgeteilt war. Ihre stärksten Fronten waren die Fronte Beckers im Westsüdwesten und die Fronte Schmauß im Südsüdwesten. Beide Abschnitte waren mit je 490 Metern gleich lang. Ihre Hauptwerke waren zweischenklige Grabenwehren und vor denen sich etwa an der Basis vierzig Meter breite auf der Spitze mit Galerien versetzte Erdwälle erhoben, vor denen sich wiederum ein trockener Graben befand. Neben den Wällen befanden sich ovalförmige Reduits, die nach der Frontseite zweistöckige begehbare Gebäude darstellten, nach hinten jedoch nur eine etwa drei Meter hohe, mit Schießscharten versehene Mauer bereitstellten. Von den Galerien führten wiederum Poternen inform von Walltraversen zurück in die Stadt. Diese Walltraversen bildeten auch die Eingänge in die Kasematten der hinteren Wehrgalerie. Zwischen diesen benachbarten und gleich gebauten Fronten befand sich (vor der Hauptumwallung und dem Graben) die Lünette Nr. 83.

Das Weißenburger Tor (von „außen“ gesehen) – heute inoffizielles Wahrzeichen der Stadt

Wenn man von der Fronte Schmauß weiter gegen den Uhrzeigersinn vorgeht, so kommt man südöstlich innerhalb des Hauptwalles zur 480 Meter langen Fronte Lamotte, in der auch das Weißenburger Tor lag. Da sie im Gegensatz zu Beckers und Schmauß gegen den Rhein lag (nur etwa vierhundert Meter vom Ufer entfernt) und daher aus dieser Richtung nicht direkt ein französischer Angriff zu erwarten war, war sie schwächer, so war die Grabenwehr auch nur einschenklig. Vom Weißenburger Tor führte eine Straße über eine Zugbrücke, auf der man auf eine Landstraße um die Stadt herum gelangte; diese führte links nach Norden Richtung Lingenfeld und weiter nach Speyer, nach rechts südlich um die Stadt herum und daraufhin weiter westlich Richtung BellheimLandau. Zweihundert Meter südwestlich der Fronte Lamotte lag und liegt der Friedhof der Stadt an den sich wiederum die Fronte Hertling anschloss, ebenfalls eine Lünette. Sie war durch einen etwa 280 Meter langen Tunnel mit dem Hauptwerk verbunden.

Nördlich der Fronte Lamotte befand sich die Fronte Diez im Osten der Anlage, die mit nur 360 Metern der kürzeste Abschnitt des Festungswerkes war. Davon wurde auf einer Gesamtlänge von 230 Metern die Umwallung durch ein einzelnes zur Gewehr- und Geschützverteidigung ausgelegtes Gebäude ersetzt, das außerdem als Provinzamt-Magazin, Garnisonsbäckerei, Kriegsmühle und Schlachthof fungierte. Etwa in seiner Mitte machte dies einen fast rechtwinkligen Knick, dementsprechend konnte sie auch direkt ohne Grabenwehr verteidigt werden. Durch den Graben der Fronte führt das Bett der Queich, von dem aus im Verteidigungsfall der Graben der Fronte Diez, sowie der Fronte Reuß und Teilen der Fronte Carl durch Aufstauen hätte geflutet werden können.

Eingangsbereich des ehemaligen Zeughauses

Der Nordosten der Hauptumwallung wurde durch die 530 Meter lange Fronte Reuß beherrscht. Sie war der schwächste Teil der Festungsanlage, da sie als letzte eine potentielle Angriffsfläche bot. Da das Gelände außerdem sehr sumpfig war, wurde auf eine starke Mauer verzichtet. Das stärkste Gebäude anstelle des Walles war das Zeughaus der Festung, das auf Pfählen errichtet wurde, um ein Einsinken zu verhindern. Mit der Fronte Diez war es durch eine nur 1,30 m starke Einzelmauer verbunden. Im Sprachgebrauch wurde diese meist „Carnot’sche Mauer“ genannt. Hinter dem Zeughaus befand sich dennoch eine Grabenwehr mit einem davorliegenden Wall, wie bei der Fronte Lamotte.

Nordöstlich der Fronte Diez befand sich das Flügelwerk Ysenburg, das nur durch einen Infanterie-Unterraum vom Rhein getrennt wurde. Das Fort sollte bei der Verteidigung helfen, sollte tatsächlich ein französischer Angriff von rechter Rheinseite erfolgen.

Ludwigstor von „außen“

Das letzte Verbindungsstück, um dann wiederum zur Fronte Beckers zu kommen, bildete die Fronte Carl, die mit 830 Metern den größten Teil der Anlage ausmachte. Sie war der Fronte Reuß am ähnlichsten, so hatte sie auch einen im Normalfall trockenen, aber dennoch (zumindest abschnittsweise) flutbaren Graben. Sie unterschied sich von anderen Anlagen vor allem dadurch, dass sie eine relativ große vorspringende Bastion hatte. Weiterhin befand sich das andere Stadttor, das „Ludwigstor“ in ihr, dessen Straßen zum einen nach Speyer als auch zu den einzelnen Forts führten.

Vorwerke und -festen

Es gab drei Vorfesten Wrede, Deroy und Friedrich der Siegreiche, von denen Wrede als das Hauptwerk des Fortgürtels galt. Sie war von der Form her eine klassische Bastion, mit zwei jeweils etwa 150 Meter langen Facen und je etwa einhundert Meter langen Flanken. Der Graben war an den Facen rund 33 Meter breit, verengte sich jedoch an den Seiten der Flanken auf zwanzig Meter; sie war etwa 650 Meter westlich der Fronte Beckers angelegt. Deroy, etwa 700 Meter von der Fronte Schmauß entfernt und Fort Friedrich der Siegreiche lagen an der Straße nach Lingenfeld, rund 1,4 Kilometer von der Fronte Carl entfernt.

Auf linker Rheinseite befanden sich außerdem die Vorwerke Vincenti im Südosten am Rheinufer, das etwa 1,1 km von der Fronte Lamotte entfernt lag, und Siebein im Norden, etwa 900 Meter nördlich des Überganges von der Fronte Reuß in die Fronte Carl (bzw. umgekehrt). Beide hatten einen fünfzig (Vincenti) bzw. fünfundfünfzig (Siebein) Meter breiten Graben.

Das nördlichste rechtsrheinische Vorwerk war Treuberg. Es lag etwa 1,7 m nordöstlich der Fronte Reuß und war mit einem 45–60 m Graben umgeben. Etwas südlich davon lag das kleinere Vorwerk Seydewitz (etwa 1,2 Kilometer ostnordöstlich der Fronte Reuß). Das größte der Werke war der Brückenkopf, etwa einen Kilometer östlich der Stadt. Von oben gesehen hatte er etwa die Form eines großen „B“, dessen Feuerlinie etwa 640 Meter betrug und von einem 70 Meter breiten Graben umgeben war. Südlich des Rheinsheimer Altrheines lag letztlich das Vorwerk Zandt, dessen Entfernung von der Fronte Lamotte etwa 1100 Meter betrug.

Kasernen

Die in der Festung stationierten Soldaten waren ursprünglich in vier Kasernen, von denen drei als Defensivkasernen fungierten, untergebracht. Später wurden auch noch die Zollerkaserne, die Pontonnierkaserne, sowie die Maschinengewehrkaserne (letztere beiden außerhalb der Stadtumwallung) als nicht-defensive Kaserne, hinzugefügt.

Die stärkste und größte Defensivkaserne war die so genannte Seysselkaserne, die im Notfall das letzte Hindernis für heranstürmende Feinde in der Südwestfont sein sollte (sofern die Lünette Nr. 83, sowie die Fronte Beckers und die Fronte Schmauß, zumindest schon an ihrer Nahtstelle, gefallen sein sollten). Sie war ein zweistöckiges langes Gebäude mit einer 284 m langen Frontseite, sowie an den Enden kurzen in 45°-Winkeln abspringenden Seitenflügeln. Die gesamte Front war mit Schießscharten versehen, sodass der Hauptflügel mit den Seitenflügeln einen Gegner ins Kreuzfeuer nehmen konnte. Ihr Haupteingang war der Stadtseite Richtung Ludwigsstraße zugewandt. Daneben hatten auch die Seitenflügel noch Nebeneingänge, die direkt zu der rechten Walltraverse der Fronte Schmauß (linker Flügel) bzw. der linken Walltraverse der Fronte Beckers (rechter Flügel) über die Straße führten.

Die andere Defensivkaserne war die Stengelkaserne, ein 220 m langes Gebäude, das in der Mitte einen 225°-Knick (Winkel nach außen gemessen) machte, sodass ihre Schusslinien in verschiedene Richtungen zeigten, sprich keine Überlagerung zugunsten eines Kreuzfeuers hatten. Sie befand sich im Westen der Stadt. Ihr linker Eingang war in Richtung der rechten Walltraverse der Fronte Beckers gerichtet, ihr rechter in Richtung Fronte Carl (wo es keine Walltraversen gab).

Die dritte Defensivkaserne schließlich war die Theobaldkaserne in der Südspitze des Walles. Sie war nur etwa 160 m lang und in Richtung Wall stumpfwinklig, sodass ihre Feuerlinien ebenfalls ein Kreuzfeuer ergaben. Ihr linker Eingang zeigte in Richtung der (einzigen) rechten Walltraverse der Fronte Lamotte, ihr rechter in Richtung der linken Walltraverse der Fronte Schmauß.

Die älteste, die (Franziskaner-)Klosterkaserne, hatte ihren Namen daher, dass sie vor ihrer Einrichtung als Kaserne das Kloster der Franziskaner in der Stadt war (vgl. hierzu den Artikel zur Germersheimer Jakobikirche). Zumindest mit der katholischen Stadtkirche bildete sie einen rechteckigen Innenhof.

Die erste neugebaute Kaserne war die 1867/68 errichtete Zollerkaserne, die auf einem Planquadrat angelegt war. Gegen drei der vier sie umgebenden Straßen lag je ein Flügel, der Rest bildete einen wiederum rechteckigen Innenhof. Ihr Hauptflügel war etwa 170 m lang, die Seitenflügel je etwa 80 m. Weiterhin wurde später außerhalb der Mauer die Pontonnierkaserne angelegt. Sie lag in der Nähe einer Kurve der Eisenbahnlinie Germersheim–Philippsburg nahe dem Rhein bei einer Brücke. 1914/15 wurde die Maschinengewehrkaserne westlich außerhalb der Stadt angelegt.

Benennung

Ursprünglich führten die einzelnen Festungswerke keinen eigenen Namen, sondern waren mit römischen Ziffern durchnummeriert. Die Vorwerke und -festen hatten Nummern von I. bis XXIV., wobei manche Werke auch aus mehreren Teilnummern bestanden und auch manche Zahlenbereiche übersprungen wurden. Die Fronten der Hauptumwallung waren in ihren Übergängen nummeriert. Dabei begann die Nummerierung bei dem Übergang Lamotte-Schmauß mit XII. und nahm mit dem Uhrzeigersinn gehend zu. Die Fronte Carl wurde also ursprünglich als „Fronte Nr. XIV. XV.“ bezeichnet. Der Entschluss zur Änderung kam von Seiten König Ludwigs I.:[1]

„Seine Königliche Majestät haben unterm 26. dieß den Haupt- und Vorwerken der Festungen Ingolstadt und Germersheim die in den beyfolgenden beyden Verzeichnißen enthaltenen Benennungen mit dem Beyfügen allerhöchst zu ertheilen geruht, dass gedachte Werke von nun an nur unter diesen Namen genannt und aufgeführt werden, sollen, welches hiemit bekannt gegeben wird.
München, den 29. Jänner 1842“

Nachstehende Tabelle gibt einen Überblick über die Nummern, Namen und Namenspatrone der Werke:

Ursprünglicher Name Geänderter Name Benannt nach
Nr. I. Deroyveste Bernhard Erasmus von Deroy
Nr. III. IV. Wredeveste Carl Philipp von Wrede
Nr. V. Friedrichsveste 1 ) Friedrich der Siegreiche
Nr. VI. Siebein Justus Siebein
Nr. VIII. Vincenti Karl von Vincenti
Nr. IX Zandt Balduin Freiherr von Zandt
Nr. X Treuberg Friedrich Freiherr von Treuberg
Nr. XI. Seydewitz Kurt Friedrich August Graf von Seydewitz
Nr. XIX. XXI. XII. Hertling Franz Joseph von Hertling
Nr. XXIII. XXIV. Ysenburger Fronte Georg August Graf Ysenburg & Wilhelm Christoph Graf von Ysenburg
Fronte XII. XIII. Fronte Schmauß Friedrich von Schmauß
Fronte XIII. XIV. Fronte Beckers Karl August von Beckers
Fronte XIV. XV. Fronte Carl 2 ) Karl Prinz von Bayern
Fronte XV. XVI. Fronte Reuß Heinrich LII. jüngerer Reuß
Fronte XVI. XVII. Fronte Diez Karl Philipp Diez
Fronte XVII. XII. Fronte Lamotte 3 ) Peter de La Motte

Anmerkungen:
1 ) Am 25. Oktober 1847 änderte der König den Namen erneut in „Friedrich des Siegreichen Vorveste“
2 ) Auch „Fronte Karl“ geschrieben
3 ) Ursprünglich „Fronte La Motte“ geschrieben

Nachstehende Tabelle gibt einen Überblick über die Namen und Namenspatrone von Kasernen und Toren:

Name Lage Benannt nach
Ludwigstor in der Fronte Carl Ludwig I. von Bayern
Theobaldkaserne hinter Fronte Schmauß Karl Peter Wilhelm Apolinaris von Theobald
Seysselkaserne hinter Fronte Beckers Max Graf Seyssel d'Aix
Stengelkaserne hinter Fronte Carl Karl Freiherr von Stengel
Zollerkaserne hinter Weißenburger Tor Oskar Freiherr von Zoller

Militärische Bedeutung

Zu Beginn der Bauarbeiten sollte Germersheim eine der stärksten Festungen überhaupt werden. Wäre sie zu diesem Zeitpunkt bereits gestanden, so hätte sie zweifellos als „uneinnehmbar“ gegolten. Doch soweit kam es nicht: Noch während der Bauarbeiten setzte eine Welle der Verstärkung von Feuerwaffen ein. Insbesondere die neuen Kanonen zeigten sich als schlecht für die Festung: Die Reichweite vergrößerte sich so sehr, dass sie nunmehr ausreichte, sowohl die Forts als auch die Hauptumwallung gleichzeitig unter Beschuss nehmen zu können. Da weiterhin die Stadtumwallung, wie sich späterhin herausstellte, nur unnötig die Stadtentwicklung behinderte, empfahl Heinrich von Heß bereits bei einer Festungsbesichtigung 1860 das Werk um eine zweite Reihe von Forts zu erweitern. Diese sollten wie folgt angeordnet sein:[2]

„1. Am linken Ufer des Rheins bei Sondernheim.
2. Auf der ‚Sondernheimer Höhe‘ westlich des Bahnhofs.
3. An der Hexenbrücke im Zug der großen Straße Germersheim–Bellheim.
4. Bei der Holzmühle im Bellheimer Wald.
5. An der Kulbrücke auf dem linken hohen Talrand der tief eingeschnittenen Druslach.
6. An der Ausmündung der Druslach südlich des Dorfes Lingenfeld.
7. In der Nordostspitze der Insel Grün.
8. Auf dem rechten Rheinufer, dicht östlich des Dorfes Rheinsheim.
9. Am Bruchgraben, östlich des Forts ‚Brückenkopf‘.
10. Auf dem Elisabethenwörth an dem Altrhein, (bei der ‚Rollfähre‘).
11. Im oberen [Elisabethenwörth] dicht am rechten Rheinufer.“

Dies hätte Vorteile für die Stadt gehabt, da der Hauptwall mangels Nutzen hätte aufgelassen werden können. Als Folge dieser Maßnahme hätte sich die Stadt weiterentwickeln können. Aus Kostengründen (es hätte knapp 5½ Mio. Gulden gekostet) wurde dies jedoch nicht realisiert.

Insbesondere nach dem Sieg der Deutschen im Deutsch-Französischen Krieg und der Annexion Elsaß-Lothringens kümmerte man sich in erster Linie um die neuen Festungen Metz und Straßburg. Weiterhin wurde die noch stärker veraltete Festung Landau aufgelassen, woraufhin sich die Stadt fast explosionsartig weiterentwickelte. Germersheim wurde nicht weiter befestigt. Zusammen mit dem Veralten der Anlagen lässt sich ihr Nutzen während der Kaiserzeit also fast als „null“ betiteln.

1908 wurde erstmals ein Durchbruch durch die Festungsmauer vorgenommen. Dabei wurde die Orffstraße verlängert und die heutige Zeppelinstraße und somit ein neuer Zugang zur Stadt geschaffen, der fortan als Abkürzung der Straße Germersheim–Bellheim fungierte (ohne, dass Anreisende zunächst ein Mal südlich an der Stadt vorbeigehen und sie schließlich im Osten durch das Weißenburger Tor betreten müssten). Allein die Tatsache, dass hierbei die Fronte Schmauß (also die Hauptfront) durchbrochen wurde, zeigt sehr gut den Alterungszustand der Festungsanlage auf.

Im Jahr 1904 wurde offiziell beantragt, die Festung aufzulassen. Doch es dauerte neun Jahre bis dem Antrag 1913 stattgegeben wurde. Im folgenden Jahr bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges hatte die Stadt keine Zeit mehr sich deutlich weiterzuentwickeln.

Garnison

Bereits ab 1815 war die Stadt Standort der Bayerischen Armee, die Garnison wechselte bis 1840 jährlich, ab dann bis 1870 alle zwei Jahre. Im Jahre 1850 betrug die Garnison 4.499 Mann (davon 64 Kommandanten) und 285 Pferde; sie setzte sich aus unterschiedlichen militärischen Einheiten zusammen. Für das Jahr 1868 befand sich folgende Garnison in der Festung:

Ab 1871 bestand die Garnison aus folgenden Einheiten:

Truppe Garnisonszeit
1. Bataillon des 6. Regimentes 28. Juni 1871–30. August 1874
1. Bataillon des 5. Regimentes 3. Juli 1871–30. August 1874
1. Bataillon des 9. Regimentes 3. Juli 1871–30. August 1874
2. Bataillon des 6. Regimentes 7. September 1874–1878
3. Bataillon des 5. Regimentes 19. September 1874–1878
2. Bataillon des 9. Regimentes 20. September 1874–1878

Durch Allerhöchste Erschließung wurden das 6. (am 15. September 1878 eingetroffen), 8. und 10. Königlich Bayerische Jägerbataillon (jeweils am 16. September 1878 eingetroffen) zum 17. Infanterie-Regiment „Orff“ (das diesen Namen jedoch erst später erhielt) vereinigt und bildeten fortan bis zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges die Festungsgarnison. Folgende Auflistung aller Truppen hat den Stand des Jahres 1897:[3]

Schleifung

Artikel 180 des Friedensvertrages von Versailles besagte, dass „alle befestigten Anlagen, Festungen […], die auf deutschem Gebiete westlich einer Linie in 50 km Abstand östlich des Rheins [lägen], […] abgerüstet und geschleift [würden]. […]“[4], was auch Germersheim betraf, jedoch einerseits wegen des ohnehin nicht mehr vorhandenen militärischen Nutzens der Festungsanlage, andererseits wegen der bereits vollzogenen Auflassung der Festung unnötig war.

Die Durchführung der Schleifungsarbeiten war Angelegenheit des Reiches. Nachdem sich Germersheim bereits durchgesetzt hatte, dass nicht alles vernichtet werden musste, wollte die „Interalliierte Militärkontrollkommission in Berlin“ mehr schleifen als letztlich geschleift wurde, da sie bei diesen Anlagen, die nach dem Krieg als Notunterkünfte fungierten, Entgegenkommen zeigte. Die Vorwerke und -festen wurden zunächst nur soweit abgetragen, dass die Umrisse noch erkennbar blieben. Die Minengänge wurden an Knotenpunkten gesprengt.

Die Schleifungsarbeiten wurden im Herbst 1920 aufgenommen und dauerten bis in den Winter 1921/22. Einige Niederreißungen einzelner Grundmauern erfolgten vor und nach dem Zweiten Weltkrieg, als die Stadt nach über einhundert Jahren wieder zu wachsen begann und auch die Grundrisse den Bau weiterer Wohnungen verhinderten.

Heutige Nutzung

Alle ehemaligen und erhaltenen Festungsgemäuer sind nunmehr denkmalgeschützt. Folgende Werke sind vollständig erhalten:

Werk Heutige Nutzung
Seysselkaserne Fachbereich Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaften der Johannes Gutenberg-Universität Mainz
Stengelkaserne ehemaliges Bundeswehrgebäude (momentan funktionslos)
Klosterkaserne Wieder ins Kirchengebäude integriert
Ludwigstor Stadt- und Festungsmuseum Germersheim
Zeughaus Deutsches Straßenmuseum und Sitz des Kunstvereins Germersheim
Proviantamt ehemaliges Bundeswehrgebäude (momentan funktionslos)
Arrestgebäude Vereinsnutzung
Garnisonslazarett ehemaliges Bundeswehrgebäude (momentan funktionslos)
Weißenburger Tor Nutzung in Vorbereitung (Tourismuszentrum)
Offizierskasino Stadthaus
Kommandantur Evangelisches Dekanat
Fortifikation Kreisverwaltung (Gesundheitsamt)

Folgende Werke sind teilweise erhalten:

Ein Teil der Carnot’schen Mauer heute
Werk Erhaltener Ausschnitt Heutige Nutzung
Fronte Beckers 250 m breiter Ausschnitt der gesamten Anlage, rund um die Grabenwehr Städtisches Jugendzentrum, sowie Städtische Musikschule und Musikakademie Germersheim; weiterhin Aufführungsort diverser kultureller Veranstaltungen wie Konzerte etc.
Fronte Lamotte Grabenwehr, sowie einzelne Mauerabschnitte Park, Künstlerattelier, Vereinsnutzung
Carnot’sche Mauer Alles außer einem Straßendurchbruch

Alle anderen Werke innerhalb des Hauptwerkes sind zerstört, von den ehemaligen Forts sind mitunter noch Grobverläufe erkennbar. Auf den Ruinen der Vorfeste Wrede wurde das Germersheimer Sportzentrum Wrede errichtet. Nahezu alle Werke (und andere Festungsteile mit Namenspatron) sind heute in Straßennamen enthalten.[5]

Das ehemalige Zeughaus beherbergt heute das Deutsche Straßenmuseum

Weblinks

 Commons: Festung Germersheim – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

Literatur

  • Georg Ball: Germersheim - Die geschleifte Festung, Steimer Druck und Verlag, 2. Auflage, Germersheim 1984
  • Ludwig Hans: 175 Jahre Festung Germersheim, Chroma Druck & Verlag GmbH, Römerberg-Berghausen 2009, ISBN 978-3-00-027876-1
  • Hermann Helmes: Die Namens-Patrone der Festungswerke zu Germersheim, J. Lindauersche Buchhandlung, München 1903
  • Joseph Probst: Geschichte der Stadt und Festung Germersheim, Verlag der Buchhandlung Johann Richter, 2. Auflage, Pirmasens 1974, ISBN 3-920784-16-2 (Anmerkung: Es gibt auch eine neuere Auflage dieses Buches)

Einzelnachweise

  1. Zitiert nach: Hermann Helmes: Die Namens-Patrone der Festungswerke zu Germersheim, S. 6.
  2. Zitiert nach: Georg Ball: Germersheim - Die geschleifte Festung, S. 45f.
  3. Probst: Geschichte der Stadt und Festung Germersheim, S. 136–148. Sämtliche Angaben dieses Abschnittes stammen von dort.
  4. Zitiert nach: Friedensvertrag von Versailles. Artikel 159 bis 213. Bestimmungen über das Landheer, Seemacht und Luftfahrt (28. Juni 1919), in: documentArchiv.de [Hrsg.], URL: http://www.documentArchiv.de/wr/vv05.html, Stand: 1. Dezember 2006.
  5. So gibt es im Straßenverzeichnis von Germersheim die Benennungen An der Stengelkaserne, An Deroy, An Fronte Beckers, An Fronte Diez, An Fronte Karl, An Fronte Lamotte, Hertlingstraße, Ludwigsring, Ludwigstraße, Reußstraße, Ritter-von-Schmauß-Straße, Siebeinstraße, Theobaldstraße, Vincentistraße und Ysenburgstraße, dazu liegt im südlichen Gemeindegebiet der Ortsgemeinde Lingenfeld die Straße Am Vorwerk Friedrich; Aus: Amtlicher Stadtplan Germersheim, Stadtverwaltung Germersheim (Hrsg.), Pietruska Verlag, Rülzheim 2004.
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