Reißkilometer

Reißkilometer

Die Reißlänge, auch spezifische Reißfestigkeit, ist eine charakteristische Materialeigenschaft. Es handelt sich dabei um diejenige Länge LR, bei der ein sogenannter „freihängender Querschnitt mit der Fläche A (zum Beispiel ein Draht)“ eines Werkstoffs durch sein Eigengewicht an der Befestigung abreißt. Dieses Abreißen wird jedoch nicht als eigener Versuch im Rahmen der Werkstoffprüfung realisiert; die Reißlänge kann aus der im Zugversuch gemessenen Festigkeit Rm und der Dichte ρ als abgeleitete Größe berechnet werden. Demnach versagt der Werkstoff, wenn die Belastung durch das Gewicht A LR ρ gleich der Kraft RmA ist, die der Werkstoff aufnehmen kann. Aus diesem Kräftegleichgewicht

L_\mathrm{R} \cdot A \cdot \rho \cdot g = R_\mathrm{m} \cdot A

ergibt sich durch Auflösen nach LR die Reißlänge zu

L_\mathrm{R} = \frac{R_\mathrm{m}}{\rho \cdot g}

Sie ist definiert durch das Verhältnis von Zugfestigkeit Rm zum Produkt aus Dichte ρ und Schwerebeschleunigung g. Die Länge wird meist in Kilometer angegeben. In der Textilindustrie hat sich dafür die Abkürzung Reißkilometer Rkm eingebürgert. Die Reißlänge ist unabhängig von Größe und Form der Querschnittsfläche, da nicht nur die Festigkeit linear mit der Querschnittsfläche wächst, sondern auch die Masse. Ein Rohr hat dieselbe Reißlänge wie ein Draht, wenn Material und Querschnittsfläche sich nicht unterscheiden.

Der Begriff wurde erstmals von Galileo Galilei geprägt.

Bedeutung

Die Reißlänge ist dann eine hilfreiche Kennzahl, wenn die Masse eines Bauteils von Bedeutung ist. Wegen der Äquivalenz von träger und schwerer Masse ist das der Fall, wenn eine Belastung durch das Eigengewicht oder durch Trägheitskräfte verursacht wird.

Beispielsweise ist die Belastung eines Bilderhakens durch sein Eigengewicht auf Grund der Masse vernachlässigbar und bei gegebener Form die Festigkeit als Kenngröße ausreichend. Bei einer Brücke kann die Belastung durch das Eigengewicht die durch Nutzung verursachte Belastung übertreffen. Dann ist der Werkstoff höherer Reißlänge vorzuziehen.

Die Masse eines Bauteils induziert jedoch nicht nur durch die Gravitation eine Belastung, sondern möglicherweise auch durch ihre Trägheit. Deshalb gewinnt die Reißlänge dann an Bedeutung, wenn Bauteile großen Trägheitskräften ausgesetzt sind. Dies ist bei Turbinenschaufeln oder Pleuelstangen der Fall.

In der Praxis tritt die Reißlänge bei der Werkstoffauswahl jedoch oft in den Hintergrund, da andere Kriterien wie Kosten, Verarbeitbarkeit oder Beständigkeit dominieren. Ist dann etwa der Werkstoff Stahl alternativlos, ist die Festigkeit entscheidend, da die Dichte von Stählen kaum variiert. Deshalb dient die Reißlänge eher dem technisch-physikalischen Verständnis als der konkreten Arbeit eines Konstrukteurs.

Beispiele

Material Faser Kompakt
Aluminium 29 km 14 km
Baustahl 51 km 6 km
Beton 0,16 km
Dyneema 300 km
Glas 160 km 2,2 km
Holz 30 km 2 km
Horn 31 km
Titan 15 km
Seide 50 km

Alle Angaben sind relativ zur Qualität der Materialien, der Faserausrichtung, der Struktur und der Temperatur während der Messungen.

Rechenbeispiel:

Bsp. Holz mit Rm = 100 N/mm² und einer Dichte von 500 kg/m³

L_\mathrm{R} = \frac{100 \, \frac{\mathrm{N}}{\mathrm{mm}^2} } {500\,\frac{\mathrm{kg}}{\mathrm{m}^3} \cdot g} = \frac{100 \cdot 10^6 \,\frac{\mathrm{N}}{\mathrm{m}^2} } {500\,\frac{\mathrm{kg}}{\mathrm{m}^3} \cdot g}\approx 20.000\,\mathrm{m} = 20\,\mathrm{km}

Hierbei wurde die Schwerebeschleunigung an der Erdoberfläche g mit 10 m/s² abgeschätzt. Der mittlere Wert beträgt ca. 9,81 m/s², nimmt aber in einer Höhe von 20 km merklich ab: \Delta g = 3{,}1 \frac{\mu \mathrm{m}}{\mathrm{s}^2\cdot \mathrm{m}} \cdot 20.000\,\mathrm{m} = 0{,}062 \, \frac{\mathrm{m}}{\mathrm{s}^2}

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