Rinderproblem des Archimedes

Rinderproblem des Archimedes

Das Rinderproblem des Archimedes, auch Problema Bovinum, ist ein zahlentheoretisches Problem aus der Theorie Diophantischer Gleichungen, das heißt Polynomgleichungen über den ganzen Zahlen. Das Problem wird Archimedes zugeschrieben: Die Anzahl der Rinder (Bullen und Kühe, mit je vier Sorten) in einer Herde des Sonnengottes soll bestimmt werden aus einigen Nebenbedingungen.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Das Rinderproblem wurde 1773 von Gotthold Ephraim Lessing in einem griechischem Manuskript der Herzog August Bibliothek in Wolfenbüttel entdeckt, das einen in 44 Distichen abgefassten Brief des Archimedes an Eratosthenes von Kyrene enthielt (also aus Syrakus nach Alexandria).[1] Ob der Brief tatsächlich von Archimedes stammt, wird von Lessing und anderen angezweifelt,[2] das Problem selbst ist aufgrund seiner Schwierigkeit jedoch möglicherweise auf Archimedes zurückzuführen.[3] Ein Hinweis darauf ist auch Archimedes Interesse an großen Zahlen, wie sie etwa in Der Sandrechner zum Vorschein kommt.

Eine philologische Version des griechischen Textes und eine Übersetzung ins Lateinische findet sich im zweiten Band der von Johan Ludvig Heiberg besorgten Ausgabe der Werke von Archimedes.[4] Eine deutsche Übertragung des Gedichts wurde von Georg Nesselmann angefertigt und veröffentlicht (1842),[5] eine weitere von Bernhard Krumbiegel (1880).

Der von Lessing veröffentlichte Text enthält eine Teillösung, die aber zwei Forderungen aus dem zweiten Teil des Gedichtes nicht erfüllt. Dies blieb wegen der zur Lösung nötigen Berechnung von sehr großen Zahlen bis vor einigen Jahren ungelöst. Ein Lösungsverfahren wurde 1880 von August Amthor gefunden, mit welchem die Lösung von etwa 7,76·10206544 Rindern (eine Zahl mit 206.545 Stellen) bestimmt werden konnte. Für die explizite Dezimaldarstellung brauchten die Computer (IBM 7040 und IBM 1620) von Hugh Williams, Gus German und Bob Zarnke 1965 eine Gesamtrechenzeit von 7 Stunden 49 Minuten.[6]

Problem

Das Problem, in einer an Nesselmann und Krumbiegel angelehnten, das Versmaß nicht erhaltenden vereinfachten Fassung:

Zähle, mein Freund, die Rinder unter der Sonne, die einst unter der Sonne Siziliens grasten, die nach ihrer Farbe in vier Herden geteilt werden. Eine ist milchweiß, eine schwarz, eine gefleckt und eine gelb. Die Anzahl der Bullen ist größer als die der Kühe, und die Beziehung zwischen ihnen ist wie folgt:

weiße Bullen =\left(\tfrac{1}{2} + \tfrac{1}{3}\right) schwarze Bullen + gelbe Bullen,
schwarze Bullen =\left(\tfrac{1}{4} + \tfrac{1}{5}\right) gefleckte Bullen + gelbe Bullen,
gefleckte Bullen =\left(\tfrac{1}{6} + \tfrac{1}{7}\right) weiße Bullen + gelbe Bullen,
weiße Kühe =\left(\tfrac{1}{3} + \tfrac{1}{4}\right) schwarze Herde,
schwarze Kühe =\left(\tfrac{1}{4} + \tfrac{1}{5}\right) gefleckte Herde,
gefleckte Kühe =\left(\tfrac{1}{5} + \tfrac{1}{6}\right) gelbe Herde,
gelbe Kühe =\left(\tfrac{1}{6} + \tfrac{1}{7}\right) weiße Herde.
Falls du, o Freund, mir nicht die Anzahl der Rinder jeder Art, Bullen und Kühe, angeben kannst, kannst du noch nicht als hoch qualifiziert betrachten. Bedenke aber noch die folgenden zusätzlichen Beziehungen zwischen den Bullen unter der Sonne:
Weiße Bullen + schwarze Bullen = eine quadratische Zahl,
Gefleckte Bullen + gelbe Bullen = eine Dreieckszahl.
Wenn du diese auch noch berechnet hast, o Freund, und du die Gesamtzahl der Rinder gefunden hast, dann juble als ein Eroberer, weil du dir selbst bewiesen hast, dass du ein sehr begabter Rechner bist.[7]

In Gleichungsform formuliert: Gesucht werden die Anzahlen W, X, Y, Z verschieden gefärbter Bullen und w, x, y, z von Kühen in den entsprechenden Farben mit:

\begin{align}
W&= \tfrac{5}{6} X + Z\\
X&= \tfrac{9}{20} Y + Z\\
Y&= \tfrac{13}{42} W + Z\\
w&= \tfrac{7}{12} (X + x)\\
x&= \tfrac{9}{20} (Y + y)\\
y&= \tfrac{11}{30} (Z + z)\\
z&= \tfrac{13}{42} (W + w)
\end{align}

Die Gesamtzahl der Rinder ist dann W + X + Y + Z + w + x + y + z.

In der schwierigeren Form werden zusätzlich die Nebenbedingungen:

\, W + X = \mathrm{Quadratzahl} = m^2
 Y + Z = \mathrm{Dreieckszahl} = \tfrac12 (n+1)n

verlangt (für ganze Zahlen n,m). Zur Lösungsmethode siehe auch den Artikel über die Pellsche Gleichung.

Einzelnachweise

  1. Gotthold Ephraim Lessing: Zur Geschichte und Litteratur. Aus den Schätzen der Herzoglichen Bibliothek zu Wolfenbüttel. Zweiter Beitrag. Braunschweig 1773, S. 421–446.
  2. Vgl. u. a. Jacob Struve, Karl Ludwig Struve: Altes Griechisches Epigramm mathematischen Inhalts, mathematisch und kritisch behandelt. Altona 1821.
  3. Vgl. z. B. Bernhard Krumbiegel, August Amthor: Das Problema bovinum des Archimedes. In: Zeitschrift für Mathematik und Physik, Historisch-literarische Abtteilung. 25, 1880, S. 121–136, 153–171.
  4. Johan Ludvig Heiberg (Hrsg.): Archimedis opera omnia cum commentariis Eutocii. E codice Florentino recensuit, latine uertit notisque illustrauit. Bd. 2. Teubner, Leipzig 1881, S. 446–455.
  5. Georg Heinrich Ferdinand Nesselmann: Versuch einer kritischen Geschichte der Algebra. Bd. 1: Die Algebra der Griechen. Reimer, Berlin 1842. ND Minerva, Frankfurt 1969, S. 482 (Protokoll), 483 (Z. 1–30), 486-487 (Z. 31–44).
  6. Hugh C. Williams, R. Angus German, C. Robert Zarnke: Solution of the cattle problem of Archimedes. In: Mathematics of Computation. 19, 1965, S. 671–674.
  7. Merriman, Mansfield: The Cattle Problem of Archimedes. In: Popular Science Monthly. 67, 1905, Seiten 660–665.

Quellen

Weblinks


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