Rosanow

Rosanow

Wassili Wassiljewitsch Rosanow (russisch Василий Васильевич Розанов; wissenschaftlich Vasilij’Vasil’evič Rozanov; * 20. Apriljul./ 2. Mai 1856greg. in Wetluga; † 5. Februar 1919 in Sergijew Possad) war ein russischer Religionsphilosoph und Publizist.


Inhaltsverzeichnis

Leben

Rosanow wurde in ärmliche Verhältnisse hineingeboren und wuchs in der Provinz auf. Sein Vater starb bereits, als er fünf Jahre alt war. Rosanow besuchte das Gymnasium in Kostroma und Simbirsk. In seinem 14. Lebensjahr starb auch seine Mutter, die ihn sehr lieblos behandelt hatte. Während seines Philologiestudiums an der Universität Moskau, dessen Inhalt er eher als zufällig und langweilig erlebte, verliebte er sich in die fast zwanzig Jahre ältere Apollinarija Prokofjewna Suslowa. Die ehemalige Geliebte Dostojewskis verkörperte für Rosanow den typischen russischen Volkscharakter, aufgrund ihres energischen und leidenschaftlichen Temperaments. Er heiratete sie noch während des Studiums.

Nach fünf turbulenten Ehejahren wurde er von seiner Frau verlassen. Nach dem Studium unterrichtete Rosanow an einem Gymnasium im Süden Russlands. An dieser Tätigkeit fand er keinen Gefallen. Seine gesamte Energie steckte er stattdessen in das Verfassen seines ersten philosophischen Werks „Über das Verstehen“. Mit einer Auflage von 600 Stück gab Rosanow dieses Schriftstück auf eigene Kosten heraus, wofür er ein ganzes Jahresgehalt als Gymnasiallehrer aufbringen musste. Die ausbleibende Reaktion auf sein Buch enttäuschte Rosanow und zeigte ihm, dass man von der Philosophie in Russland nicht leben kann. Daher entschied er sich für eine Laufbahn als Publizist. Erste Zeitschriftenartikel erschienen von ihm im konservativen „Russischen Boten“, von 1899 bis 1917 auch in „Die neue Zeit“, sowie in Kunstzeitschriften „Die Welt der Kunst“, „Das goldene Vlies“ und „Die Waage“. Auch privat änderte sich sein Leben. 1891 heiratete er ein zweites Mal, eine sehr schlichte, tief gläubige Frau. Eine kirchliche Hochzeit konnte jedoch nicht stattfinden, da seine erste Frau einer Scheidung nicht zustimmte. Vermutlich verschärfte der Umstand, dass Rosanows zweite Ehe keinen kirchlichen Segen erhielt, die Kritik des jungen Publizisten an der strikten Haltung der Kirche im Eherecht, was literarisch in dem Werk „Das dunkle Antlitz- Metaphysik des Christentums“ zum Ausdruck (1911) kommt.

Rosanow veröffentlichte Arbeiten über Probleme der Ehe und des Familienlebens. Die Verbindung mit seiner zweiten Frau, aus der fünf Kinder hervorgingen, verlief glücklicher. 1893 zog Rosanow nach St. Petersburg um. Dort organisierte er sogenannte „jours fixe“, abendliche Treffen an Sonntagen, für die er hauptsächlich die Petersburger Intelligenz zu Diskussionen einlud. Nicht nur durch diese regelmäßigen Treffen, sondern auch auf Grund seiner zahlreichen Publikationen gewann Rosanow an Popularität.

Die sprachlich-künstlerische Darstellung hatte für Rosanow einen noch viel größeren Stellenwert als der eigentliche Inhalt seiner Werke. Nach eigener Aussage fürchtete er sich weniger davor, einen Fehler im Denken zu begehen, als ein schlechter Künstler seines eigenen Gedankens zu sein.

1894 verfasste er eine Studie über Dostojewski mit dem Titel „Dostojewski und seine Legende vom Großinquisitor“. Diese erste bedeutende Darstellung des berühmten russischen Autors wurde von den Kritikern Rosanows allerdings teilweise scharf abgelehnt. Großen Erfolg hingegen hatte Rosanow mit der 1912 erschienen Sammlung seiner Aphorismen unter dem Titel „Solitaria“. Dieses Projekt setzte er von 1913 bis 1915 in dem Werk „Gefallene Blätter“ fort. In diesen Schriften zeigt sich Rosanows spät entwickelter fragmentarischer Schreibstil, der seine ausdrucksstarken Formulierungen besonders gekonnt zur Geltung bringt.

Am 26. Januar 1914 wurde Rosanow offiziell aus der Religiös-Philosophischen Gesellschaft ausgeschlossen, weil er sich in seinen Veröffentlichungen zur Beilis-Affäre provokativ über Beilis, einen in Kiew als angeblichen Mörder eines christlichen Jungen angeklagten jüdischen Arbeiter äußerte, indem er in einem seiner Artikel die Möglichkeit eines Ritualmords einräumte und den getöteten Jungen als christlichen Märtyrer bezeichnete. Der Ausschluss aus dieser Gemeinschaft sorgte dafür, dass bis auf Pawel Florenski die meisten Freunde und Bekannten den Kontakt zu Rosanow abbrachen. Auch seine finanzielle Situation verschlechterte sich, da seine Artikel nicht mehr gedruckt wurden. Als Trotzreaktion verfasste Rosanow die vier antisemitischen Pamphlete „Die olfaktorische und taktile Beziehung der Juden zum Blut“, „In der Nachbarschaft von Sodom (Die Ursprünge Israels), „Der Engel Jehovas (Die Ursprünge Israels)“ und „Europa und die Juden“, deren Vernichtung er jedoch bereits 1917 anordnete.

Als überzeugter Monarchist und Gegner der Oktoberrevolution floh er mit seiner Familie in ein Dorf nahe dem Dreieinigkeits-Sergius-Kloster. Dort gehörte er der religiösen Bewegung der „Gottsucher“ an und verfasste das Werk „Apokalypse unserer Zeit“, in dem er seine kritische Position zur Machtübernahme der Bolschewiken darlegte. In diesem Ort starb Rosanow am 5. Februar 1919.

Einstellung zur Religion

Rosanow veränderte seine ideologischen Standpunkte im Laufe seines Lebens radikal. Dies zeigt sich auch im den Wandel seiner konfessionellen Präferenzen. Während er 1899 das Christentum als lebensbejahende und fröhliche Religion bewertete, kam später die weltabgewandte Seite der Orthodoxie hinzu: „Nur dem Osten war es gegeben, das Antlitz Christi aufzunehmen. Und der Osten sah, dass dieses Antlitz von unendlicher Schönheit und von unendlicher Traurigkeit war.“

Zwischenzeitlich betrachtete er sogar das Judentum als dem Christentum gegenüber vitaler: „Im Geschlecht liegt die Kraft, das Geschlecht ist die Kraft. Die Juden sind mit dieser Kraft vereint, während die Christen von ihr abgetrennt sind. Dies ist der Grund, weshalb die Juden die Christen besiegen.“

Zwei Jahre vor seinem Tod widmete er sich in dem Buchprojekt „Östliche Motive“ auch der ägyptischen Religion, wobei die Ägypter für ihn die eigentlichen Begründer des religiösen Bewusstseins waren: „Die Griechen und Römer haben mich nie angezogen, die Juden nur zeitweise- und wie mir später bewusst wurde, sie zogen mich nur durch den Abglanz an, der von Ägypten her auf sie fiel. Die Wurzel von allem befindet sich in Ägypten. Das Fundament für die Religion wurde in Ägypten gelegt.“

In seinem Werk „Abgefallene Blätter“ wird klar, dass Rosanov trotz seiner Religionskritik gläubig geblieben ist. Er beschreibt darin, mit welcher Intensität und Breite er sich mit verschiedenen Themen und somit auch mit der Religion auseinandergesetzt hat: „Ich habe viele Themen im Fluge gestreift, doch mich bei keinem aufgehalten. Der Flug selbst - das ist mein Leben. Die Themen sind wie im Traum. Eines, ein anderes… viele… und alle vergessen. Bis zum Grabe hab ich sie alle vergessen. Im Jenseits werde ich ohne Themen sein. Gott wird mich fragen: - Nun was hast du gemacht? - Nichts.“

Werke

  • Über das Verstehen. Versuch einer Untersuchung der Natur, der Grenzen und der inneren Struktur der Wissenschaft als ganzheitlichem Wissen (1886)
  • Natur und Geschichte (1903)
  • Über die Sakramente (1907)
  • Über die Legende vom Großinquisitor (1906)
  • Metaphysik des Christentums (Das dunkle Antlitz, Mondlichtmenschen) (1911)
  • Religion und Sexualität (1912)
  • Solitaria (1912)
  • Abgefallene Blätter (1915)
  • Östliche Motive (1917)
  • Apokalypse unserer Zeit (1918)

Werke in deutscher Übersetzung

  • Die Kirche (Aufsatz), Frankfurt am Main 1906
  • Dostojewski und seine Legende vom Grossinquisitor, Berlin 1924
  • Solitaria: ausgewählte Schriften, Hamburg 1963
  • Metaphysik des Christentums (=Bubnoff, N. v.: Das dunkle Antlitz, Köln, 1966, S. 101- 167)
  • Apokalypse unserer Zeit (=Bubnoff, N. v.: Das dunkle Antlitz, Köln, 1966, S. 168- 200)
  • Abschied von der Wolga, Berlin 1992
  • Abgefallene Blätter, Frankfurt am Main 1996
  • Mondlichtmenschen (=Schmid, U.: Russische Religionsphilosophen des 20. Jahrhunderts,Freiburg/Br. 2003, S. 70-92)

Literatur

  • Schmid, U.: Russische Religionsphilosophen des 20. Jahrhunderts, Freiburg/Br. 2003
  • Bautz, F.-W. (Hrsg.); Bautz, T.: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon . VIII. Band, Herzberg 1994
  • Meyers Enzyklopädisches Lexikon in 25 Bänden / Band 20, Mannheim 1977, Nachdruck 1981

Weblinks


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