Römische Rota

Römische Rota

Die Römische Rota (lat.: Tribunal Rotae Romanae) eigentlich: Gericht der Römischen Rota, ist der ordentliche Appellationsgerichtshof und ist nach der Apostolischen Signatur das zweithöchste Gericht der römisch-katholischen Weltkirche. Er übt für den Papst die ordentliche Gerichtsbarkeit aus. Die Rota hat ihren Sitz in Rom im Palazzo della Cancelleria.

Inhaltsverzeichnis

Geschichte

Der Heilige Stuhl verfügte schon früh über eine eigene Gerichtsbarkeit. Die richterlichen Funktionen lagen ursprünglich in den Händen des Papstes und seiner Ratgeber, der Kardinäle. Um 1000 n. Chr. fanden sich als Richter auch die »Cappellani Papae - Kapläne des Papstes«, die der Papst beauftragte, die Prozesse zu leiten (»audire causas«), denen er nicht persönlich vorzustehen beabsichtigte oder den Kardinälen zuteilen wollte. Diese Kapläne waren zunächst Vernehmungsrichter (daher die noch heute gebräuchliche Bezeichnung »Auditor«); von Innozenz III. (1198–1216) wurde ihnen dann die Vollmacht zugesprochen, Urteile zu fällen. Erst im 14. Jahrhundert erhielt der päpstliche Gerichtshof eine festumrissene Gestalt durch die Apostolische Konstitution »Ratio iuris« von Johannes XXII. (1316–1334).

In dieser Zeit kam erstmals die Bezeichnung »Rota« auf. Worauf sie zurückgeht, ist nicht mit Sicherheit festzustellen. Vielleicht rührt sie daher, dass der Fußboden des Sitzungssaales mit einer runden Platte (»rota«) geschmückt war; vielleicht auch von dem auf Rädern laufenden Gestell, auf dem sich die Gesetzbücher befanden und das während der Sitzungen vor dem Richtertisch stand. Aber auch die kreisförmige Anordnung der Richterstühle oder die Tatsache, dass die Prozesse nach einem bestimmten Turnus den verschiedenen Kollegien von je drei oder fünf Auditoren zur Behandlung überwiesen wurden - gewissermaßen »rotierten« -, könnte zu der Namensgebung geführt haben.

Papst Martin V. (1417–1431) legte am 1. September 1418 durch die Apostolische Konstitution »In apostolicae dignitatis« fest, welche Eigenschaften von den Richtern der Rota verlangt wurden. Für die Ernennung zum Auditor war es erforderlich, dass der Betreffende ein »doctor iuris famosus« war. Er musste eine mindestens dreijährige öffentliche Lehrtätigkeit an einer Universität vorweisen können. Doch schon bald wurde vom Nachweis einer Lehrtätigkeit dispensiert; stattdessen verlangte man den Grad eines Doktors des weltlichen und kirchlichen Rechts, und zwar ohne jede Ausnahme und Dispens. Der Kandidat sollte zudem über einen bestimmten Besitz verfügen, damit gegen ihn nicht der Verdacht der Käuflichkeit aufkam. Die »lex Martiniana« war jahrhundertelang eines der Grundgesetze der Rota, dem die Auditoren alljährlich bei der Eröffnung des Gerichtsjahres die Treue schwören mussten.

Im 15. Jahrhundert gelangte das Tribunal durch das Wirken bedeutender Männer zu hohem Einfluss. Die Blütezeit des Gerichtshofs fiel in das 16. und 17. Jahrhundert. Fünf Auditoren dieser Epoche wurden später zu Päpsten gewählt. Der Ruf der unbestechlichen Gerechtigkeit der Rota war legendär - so u. a. dokumentiert im Eheprozess Heinrich VIII. Die Päpste gewährten den Richtern eine große Anzahl von Privilegien und Ehren. Alexander VII. (1655–1667) ernannte die Auditoren zu Apostolischen Subdiakonen und Hütern der Pallien; der Papst gestand ihnen ferner violette statt schwarzer Gewänder zu.

Auf die Glanzzeit des Gerichtshofs folgte die Zeit des Niederganges, der im 18. Jahrhundert durch Präzedenzstreitigkeiten mit den römischen Adelsgerichten begann und gegen Ende des Jahrhunderts seinen sichtbaren Ausdruck darin fand, dass nicht wenige europäische Höfe die Vollstreckung der Rota-Urteile verweigerten oder verhinderten.

Nach der Französischen Revolution fristete die Rota nur noch ein kümmerliches Dasein. Im Jahre 1831 musste die alljährlich mit großem Prunk zelebrierte Reiterprozession zur Eröffnung des Gerichtsjahres unterbleiben, weil sie für die Römer ein Gegenstand des Spottes geworden war. Drei Jahre später beschränkte Gregor XVI. (1831–1846) die Zuständigkeit der Rota auf das Gebiet der Päpstlichen Staaten, so dass der Gerichtshof nach dem vorläufigen Ende der weltlichen Herrschaft der Päpste im Jahre 1870 zu völliger Bedeutungslosigkeit herabsank.

Im Jahre 1908 wurde die Rota durch den Papst Pius X. (1903–1914) kraft der Apostolischen Konstitution »Sapienti consilio« zu neuem Leben erweckt. Der Papst gab der Rota ein eigenes Gesetz, die »Lex propria S. R. Rotae et Signaturae Apostolica« (1908), und verfügte die »Regulae servandae apud S. R. Rotae Tribunal« (1910), an deren Stelle später die »Normae S. R. Rotae Tribunalis« (1934) traten. Die aktuell gültigen Normen erließ Papst Johannes Paul II. am 7. Februar 1994.

Zuständigkeiten

In erster Instanz urteilt die Rota in den Streitsachen der Bischöfe, über den Abtprimas oder Abtpräses einer monastischen Kongregation, die obersten Leiter von Ordensinstituten päpstlichen Rechts sowie über die Diözesen und sonstige physische oder juristische Personen in der Kirche, die keinem anderen Oberen als dem Papst selbst unterstehen. Sofern nichts anderes festgelegt ist, behandelt die Rota diese Fälle auch in zweiter oder höherer Instanz. Ferner fällt sie ihre Urteile in den Verfahren, die ihr vom Papst eigens übertragen wurden.

In der Praxis ist die Rota jedoch überwiegend mit der Berufung in Ehenichtigkeitsverfahren beschäftigt; ein Ansuchen um die Annullierung einer Ehe kann die Rota auch direkt unter Umgehung diözesaner Gerichte übernehmen. Hierbei ist die Rota dafür zuständig, die Gültigkeit kirchlicher Eheschließungen zu beurteilen und ist dabei i.d.R. Berufungsinstanz der Gerichte der einzelnen Diözesen. Da die sakramental geschlossene Ehe zwischen zwei Christen nach katholischem Verständnis unauflöslich ist, kann die Rota lediglich feststellen, dass eine Ehe von Beginn an nie gültig zustande gekommen, d. h. nichtig ist.

Falls es in einem Verfahren um die Ehe eines Staatsoberhauptes oder Angehörigen eines regierenden Herrscherhauses geht, wird der Prozess grundsätzlich in Rom verhandelt, da die Gefahr einer Beeinflussung des örtlichen Gerichtes besteht.

Zusammensetzung

Alle Richter der Rota werden vom Papst direkt ernannt und stammen aus allen Teilen der Weltkirche. Sie müssen die Priesterweihe empfangen haben, sollen sich durch große Rechtserfahrung auszeichnen und über persönliche Klugheit verfügen. Die aus der Geschichte gewachsene Tradition, bei der Berufung der Richter bestimmte Nationen zu berücksichtigen, wird auch heute noch beachtet. Alle Auditoren sind dem Rang nach gleich; die einzige Unterscheidung ist das Dienstalter. Dem Auditoren-Kollegium steht ein Dekan als »primus inter pares« vor. Die Richter der Römischen Rota sind Prälaten und den Apostolischen Protonotaren gleichgestellt. In der Regel sind die Richter der Rota keine Kardinäle; häufig erhalten jedoch die Dekane im Laufe ihrer Amtszeit die Bischofsweihe.

Aktuelle Auditoren

  • Antoni Stankiewicz, Dekan der römischen Rota (14. Februar 1978)
  • Kenneth Boccafola (3. April 1986)
  • Josef Huber (5. Dezember 1992)
  • Giovanni Battista DeFilippi (20. Dezember 1993)
  • Robert M. Sable (6. Juni 1993)
  • Egidio Turnaturi (9. Juni 1994)
  • Maurice Monier (9. Januar 1995)
  • Pio Vito Pinto (25. März 1995)
  • Giordano Caberletti (12. November 1996)
  • Angelo Bruno Bottone (4. November 1997)
  • Grzegorz Erlebach (4. November 1997)
  • Americo Ciani (8. Februar 1999)
  • Jair Ferreira Pena (8. Februar 1999)
  • Giovanni Verginelli (28. März 2000)
  • Agostino De Angelis (23. April 2001)
  • Gerard McKay (8. Juni 2004)
  • Abdou Yaacoub (15. November 2004)
  • Michael Xavier Leo Arokiaraj (25. April 2007)
  • Alejandro Arellano Cedillo (25. April 2007)
  • Vito Angelo Todisco (4. Oktober 2011)
  • Felipe Heredia Esteban (4. Oktober 2011)

Der Gerichtshof fällt alle Urteile kollegial, Einzelrichter gibt es nicht. In der Regel behandelt er die an ihn herangetragenen Verfahren durch ein Gremium von drei Auditoren, den sogenannten »Turnus«. In dem jeweiligen Dreierkollegium führt der dienstälteste Richter den Vorsitz. Die Rota kann aber auch in besonderen Fällen in der Gesamtheit ihrer Auditoren tätig werden (»videntibus Omnibus«).

Das Gerichtspersonal der Rota setzt sich, wie auch bei jedem Diözesan- oder Metropolitangericht, aus einem Kirchenanwalt (Promotor iustitiae), mehreren Ehebandverteidigern (Defensores vinculi) und einer Reihe von Notaren zusammen.

Anwaltszwang/-ausbildung

An der Römischen Rota besteht Anwaltszwang; das heißt, streitende Parteien können vor diesem Gerichtshof ihre Prozesse nur durch zugelassene Anwälte führen. Die Rota-Advokaten sind allesamt Spezialisten im kanonischen Recht und haben eine gesonderte Ausbildung erhalten, sind allerdings in der Regel Laien.

Bei der Rota gibt es ein eigenes Studium, das »Studium rotale«, das die Ausbildung von Rota-Advokaten sowie von zukünftigen Richtern, Kirchenanwälten und Ehebandverteidigern für kirchliche Gerichte zum Ziel hat. Das Studium findet unter der Aufsicht des Dekans der Rota statt und wird durch einen Auditor geleitet. Die Ausbildung steht Klerikern und Laien offen, die zumindest über den akademischen Grad eines Lizenziaten im Fach Kirchenrecht verfügen; für die Zulassung zum Abschlussexamen wird der Nachweis des Doktorates verlangt. Der Kurs, der zur Erlangung des Titels eines Rota-Advokaten erforderlich ist, dauert drei Jahre.

Liste der Dekane (unvollständig)

Literatur

  • Knut Wolfgang Nörr: Über die mittelalterliche Rota Romana. Ein Streifzug aus der Sicht der Geschichte der kurialen Gerichtsbarkeit, des römisch-kanonischen Prozessrechts und der kanonistischen Wissenschaft. In: Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte. 124. Bd., Kanonistische Abteilung, 2007, ISSN 0323-4142, S. 220–245.

Weblinks


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