- Schwere Stunde
-
Schwere Stunde ist eine novellistische Studie, die Thomas Mann zum Schillerjahr 1905 als Auftragsarbeit für den Simplicissimus geschrieben hat.
Inhaltsverzeichnis
Inhalt
Erzählt wird eine schwere Stunde aus dem Leben des großen deutschen Dichters in einer Nacht des Jahres 1796, als er mit dem Stoff seines Wallenstein gerungen hat. Der Dezemberwind faucht durch die Gassen von Jena und Schiller leidet unter seiner hitzigen Brustkrankheit. Der Arzt möchte ihn am liebsten im Zimmer halten. Auch Goethe, sein Freund-Feind, der drüben in Weimar so sehr Rücksicht auf die eigene Gesundheit nimmt, hat ihm zu mehr Schonung geraten. Aber davon will Schiller nichts wissen. Er muss den Wallenstein jetzt schreiben. Dem Text fehle der Schwung. So sei er nicht aufführbar. Wenn er an Körner (Christian Gottfried Körner [1756-1831], Förderer Schillers) schriebe, schimpfte der und hielte ihm den erfolgreichen Don Carlos vor. Schiller widerspricht der landläufigen Meinung, Talent sei ein Göttergeschenk. Talent sei eine Geißel, postuliert er. Was mache dann groß? Wenn er die Qualen missachte und weitermache. Er leide, wenn er arbeite. Egoistisch schaffe er das Besondere. Gleichzeitig beneide er den Freund-Feind, der drüben in Weimar sinnlich, göttlich-unbewusst leichthin dichte. Die schöne Klage endet zuversichtlich:
„Und es wurde fertig, das Leidenswerk. Es wurde vielleicht nicht gut, aber es wurde fertig. Und als es fertig war, siehe, da war es auch gut.“
Anmerkungen
Thomas Mann nennt in dem Text weder Schiller noch Goethe ein einziges Mal beim Namen. Auch das Wort Wallenstein suchen wir vergeblich. Aus dem Kontext ersieht der Leser aber ganz zweifelsfrei, wovon die Rede ist.
- Auf die Parallele, die Thomas Mann von sich aus zu Schiller zieht, weist Sprengel hin.
- Beim zweiten Lesen der Kurzgeschichte möchte man Kurzke zustimmen, der sogar behauptet, Thomas Mann „sei“ in Schwere Stunde Friedrich Schiller. Wer Thomas Manns Vita kennt, weiß, dass an dem etwas dran ist. Sein Werk ist alles andere als schmal. Er hat erfolgreich produziert, indem er ins Chaos hinabgestiegen, sich aber in der gefährlichen Gegend keinen Moment länger als unbedingt erforderlich aufgehalten hat. Streng konzentriert hat sich Thomas Mann immer auf den einen Stoff, den er gerade auf dem Schreibtisch hatte. Das Erfolgsrezept des unermüdlichen Thomas Mann, der sich höchstwahrscheinlich wie Schiller regelrecht zum Schreiben zwang, kann umschrieben werden mit solchen markigen Ermunterungen: Verzettele dich nicht! Werde fertig! Vergiss das Fertige! Es ist vorbei! Fange das nächste Werk an! Obendrein macht Kurzke auf den versteckten Bruder aufmerksam, den es in der Novelle gäbe. Gemeint ist der Geheime Rat drüben in Weimar. Der Vergleich des Dichterfürsten mit Heinrich Mann fällt ein wenig aus dem Rahmen.
- Vaget weist darauf hin, dass sich Thomas Manns Text von den nationalistischen Kult um Schiller im Jahr 1905 wohltuend abhebt. Thomas Manns Behauptung, dass Größe aus Leiden folgt, nahm die Kritik während des 1. Weltkrieges ungnädig auf. Ein Deutscher litt damals nicht im Schützengraben, sondern kämpfte.
Ausgaben
- Erstdruck: In «Simplicissimus» München, Jg.10, 6. September 1905
- Erste Buchveröffentlichung: In «Das Wunderkind», Novellen. Berlin: S. Fischer [1914] (Fischers Bibliothek zeitgenössischer Romane, Bd. 6)
- Thomas Mann: Sämtliche Erzählungen. Band 1. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt 1987, ISBN 3-10-348115-2, S. 364 - 372
Literatur
- Terence J. Reed in: Helmut Koopmann (Hrsg.): Thomas-Mann-Handbuch. Kröner, Stuttgart 2001, ISBN 3-520-82803-0, S. 103 - 106
- Hans R. Vaget in: Helmut Koopmann (Hrsg.): Thomas-Mann-Handbuch. Kröner, Stuttgart 2001, ISBN 3-520-82803-0, S. 572
- Hermann Kurzke: Thomas Mann. Das Leben als Kunstwerk. Fischer-Taschenbuch-Verlag, Frankfurt 2001, ISBN 3-596-14872-3, S. 129
- Peter Sprengel: Geschichte der deutschsprachigen Literatur 1900–1918. Von der Jahrhundertwende bis zum Ende des Ersten Weltkriegs. Beck, München 2004. ISBN 3-406-52178-9, S. 351
- Burkhard Meyer-Sickendiek:Die letzte Warnung vor dem grübelnden Tiefsinn: Thomas Manns „Schwere Stunde“, : Ders.:Tiefe – über die Faszination des Grübelns. Fink, Paderborn, München 2010, S. 254ff ISBN 978-3-7705-4952-8
Weblinks
- Schwere Stunde. Online-Text, Project Gutenberg.
-
Wikibooks: Zweideutigkeit als System - Thomas Manns Forderung an die Kunst: Schwere Stunde – Lern- und Lehrmaterialien
Werke von Thomas MannRomane
Buddenbrooks | Königliche Hoheit | Der Zauberberg | Joseph und seine Brüder (Tetralogie) | Lotte in Weimar | Doktor Faustus | Der Erwählte | Bekenntnisse des Hochstaplers Felix KrullErzählungen, Novellen
Vision | Gefallen | Der Wille zum Glück | Enttäuschung | Der Tod | Der kleine Herr Friedemann | Der Bajazzo | Tobias Mindernickel | Der Kleiderschrank | Gerächt | Luischen | Der Weg zum Friedhof | Gladius Dei | Tonio Kröger | Tristan | Die Hungernden | Das Wunderkind | Ein Glück | Beim Propheten | Schwere Stunde | Anekdote | Das Eisenbahnunglück | Wie Jappe und Do Escobar sich prügelten | Der Tod in Venedig | Herr und Hund | Gesang vom Kindchen | Wälsungenblut | Unordnung und frühes Leid | Mario und der Zauberer | Die vertauschten Köpfe | Das Gesetz | Die BetrogeneTheaterstücke
Fiorenza | Luthers Hochzeit (Fragment)Einzelne Essays und Autobiographisches
Versuch über das Theater | Die Lösung der Judenfrage | Betrachtungen eines Unpolitischen | Zur jüdischen Frage | Leiden und Größe Richard Wagners | Bruder Hitler | Das Problem der Freiheit | Deutsche Hörer! | Deutschland und die Deutschen | Nietzsches Philosophie im Lichte unserer Erfahrung | Die Entstehung des Doktor Faustus | Versuch über Schiller
Wikimedia Foundation.
Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:
Jemandes schwere Stunde — Im gehobenen Sprachgebrauch wird mit dieser Fügung der Zeitpunkt der Niederkunft einer Frau umschrieben: Die junge Frau war ganz allein zu Haus, als sie ihre schwere Stunde nahen fühlte … Universal-Lexikon
Stunde — sechzig Minuten; Vierundzwanzigstel eines Tages * * * Stun|de [ ʃtʊndə], die; , n: 1. a) Zeitraum von 60 Minuten: eine halbe, viertel, ganze, volle, gute, knappe Stunde; sie musste zwei Stunden warten; eine Stunde früher, später; eine Stunde vor… … Universal-Lexikon
Die spanische Stunde — Werkdaten Titel: Die spanische Stunde Originaltitel: L Heure espagnole Form: Musikalische Komödie Originalsprache: französisch Musik … Deutsch Wikipedia
Paul Thomas Mann — Thomas Mann, 1937 Foto von Carl van Vechten Thomas Manns Unterschrift Paul Thomas Mann (* 6. Juni 1875 … Deutsch Wikipedia
Beim Propheten — Stefan George (Porträt von Reinhold Lepsius), dessen ästhetizistisches Kunstverständnis Thomas Mann in seiner Erzählung kritisiert hat. Der dort von ihm beschriebene Prophet „mit gewaltig hoher, bleich zurückspringender Stirn und einem bartlosen … Deutsch Wikipedia
Thomas Mann — Thomas Mann, 1937 Foto von Carl van Vechten … Deutsch Wikipedia
Alois Permaneder — Buddenbrooks: Verfall einer Familie ist der erste Roman von Thomas Mann und der erste Gesellschaftsroman deutscher Sprache von Weltrang.[1] Er schildert Stolz, Glanz und Kultur der Kaufmannsfamilie Buddenbrook und ihren langsamen Verfall während… … Deutsch Wikipedia
Buddenbrooks. Verfall einer Familie — Buddenbrooks: Verfall einer Familie ist der erste Roman von Thomas Mann und der erste Gesellschaftsroman deutscher Sprache von Weltrang.[1] Er schildert Stolz, Glanz und Kultur der Kaufmannsfamilie Buddenbrook und ihren langsamen Verfall während… … Deutsch Wikipedia
Buddenbrooks - Verfall einer Familie — Buddenbrooks: Verfall einer Familie ist der erste Roman von Thomas Mann und der erste Gesellschaftsroman deutscher Sprache von Weltrang.[1] Er schildert Stolz, Glanz und Kultur der Kaufmannsfamilie Buddenbrook und ihren langsamen Verfall während… … Deutsch Wikipedia
Das Wunderkind — ist eine Erzählung Thomas Manns, die am 25. Dezember 1903 als Weihnachtsbeilage zur Zeitschrift Neue Freie Presse publiziert wurde und 1914 im S. Fischer Verlag erschien. Sie kann als humoristisches Nachspiel der melancholischen Künstler Novelle… … Deutsch Wikipedia