Sennentuntschi

Sennentuntschi

Das Sennentuntschi, auch Hausäli oder Sennpoppa (Sennenpuppe), ist ein im ganzen deutschsprachigen Alpenraum verbreitetes Sagenmotiv.

Inhaltsverzeichnis

Verbreitung und Inhalt

Der Wissenboden ist eine jener Alpen, auf denen das „Sennentuntschi“ erschienen sein soll. Die gleiche Sage wird jedoch auch im Urserental und in anderen Gegenden der Alpen erzählt. Ihre Verbreitung reicht von den Berner Alpen über Uri, Graubünden, das St. Galler Oberland bis nach Liechtenstein, Vorarlberg, Tirol und Kärnten. Varianten der Sage sind im Oberwallis, in der Steiermark und in Oberbayern verbreitet. Tuntschi oder Toggel sind Sagengestalten der Alpengebiete.

Es gibt verschiedene Versionen dieser Sage, zentral sind meistens folgende Punkte: Die einsamen Sennen und Hirten auf den hochgelegenen Alpen schaffen sich aus Langeweile – auf den Alpen arbeiteten meistens nur Männer – eine weibliche Puppe. Sie füttern sie aus Spaß, sprechen mit ihr und nehmen sie zu sich ins Bett. Kurz vor der Alpabfahrt wird die Puppe lebendig und beginnt zu sprechen. Sie rächt sich für die Übeltaten und die gottlose Tat, die die Sennen an ihr vollbracht hatten. In der Sage zwingt sie einen der Sennen bei ihr zu bleiben und zieht diesem die Haut vom Leib.

Den Anlass zur Sage gaben wahrscheinlich die Fantasien über das abgeschiedene Tun und Treiben der Alphirte während der Sommermonate. Die Sage erinnert auch an die antike Geschichte des Pygmalion, wo ein selbstgeschaffenes Abbild des Menschen ebenfalls eine eigene Existenz gewinnt. In diesem ursprünglichen Motiv erscheint ein allgemeinmenschlicher Wesenszug gespiegelt. Als „Pygmalion-Effekt“ bezeichnet es die Psychologie, einem Geschöpf Leben und Erleben zu unterstellen, das dem Menschen in Statur und Verhalten ähnelt. Der geschundene Senn ist möglicherweise eine religiöse Zutat, die den Frevel, die Schaffung und Belebung der Puppe und den Verkehr mit ihr, sühnen soll. Im Sprachgebrauch wurde Sennentuntschi zu einer Metapher für ein aus Verzweiflung entstandenes Kunstgebilde oder Produkt, mit dem anständige Menschen sich nicht abgeben.

Künstlerische Verarbeitungen des Motivs

  • Der Schweizer Dramatiker und Schriftsteller Hansjörg Schneider verfasste aus diesem Motiv 1972 ein gleichnamiges, erotisches Dialektschauspiel mit dem er bekannt wurde. Bei ihm fügen die Sennen aus einer Weinflasche, Mistgabeln, Stroh und Käse das „Sennentuntschi“ zusammen. 1981 sendete das Schweizer Fernsehen das Stück zu später Stunde und rief damit eine Welle der Empörung hervor. In Schneiders Fassung verlustieren sich drei Sennen in einer entlegenen Alphütte im sexuellem Notstand mit dieser selbst gebastelten Strohpuppe. Besonders die verbalen Andeutungen gegenüber dem erschaffenen Wesen erregten die Gemüter. Es kam zu einer Anzeige gegen das Schweizer Fernsehen: wegen Gotteslästerung – denn das eigentlich Verwerfliche war nicht die sexuelle Praxis, sondern die Beseelung einer Puppe. Als in der Folge eine medienkritische Diskussionsrunde mit „Sennentuntschi“-Ausschnitten stattfinden sollte, wurde diese von den Verantwortlichen des SRG zensiert. Das beliebte „Skandalstück“ steht noch heute immer wieder auf dem Spielplan verschiedener Theater.
  • Jost Meier schrieb 1981/82 eine gleichnamige Oper in 5 Akten nach Texten von Hansjörg Schneider.
  • Der Österreicher Felix Mitterer hat 1986 in seinem Drama „Die wilde Frau“ Elemente der Sage verwendet.
  • An der Hochschule der Bildenden Künste Bern entstand der Kurzfilm „Letzte Bergfahrt“ von Adrian Hess. Er adaptiert die Sage vom Sennentuntschi.
  • Der Roman „Quatemberkinder“ von Tim Krohn, der größtenteils auf einer Glarner Alp spielt, verwendet das Motiv des Sennentuntschi ebenfalls.[1]
  • Die Zürcher Filmstiftung hat im Jahr 2005 einen Förderbeitrag zur Neuverfilmung an die Firma C-Films vergeben. Kontraproduktion AG hat das Projekt übernommen. Die Dreharbeiten begannen im September 2008 und sind abgeschlossen. Gedreht wurde das 5,5-Millionen-Franken-Projekt in der Schweiz und im Tirol. Regie führte Michael Steiner („Mein Name ist Eugen“ und „Grounding – Die letzten Tage der Swissair“). Nach Finanzierungsschwierigkeiten – Steiners Produktionsgesellschaft ist mit 2,8 Millionen Franken verschuldet – sind mit der Constantin Film neue Geldgeber gefunden worden. Der Film Sennentuntschi wurde zur Eröffnung des 6. Zurich Film Festivals vom 23. September 2010 uraufgeführt.[2] Am 14. Oktober 2010 startete der Film in den Schweizer Kinos.[3]
  • Der Verein TanzTheater König Franz zeigt eine Adaption der Sage mit vertauschten Geschlechterrollen als Tanztheater. Choreographie: Patricia Schmid, Musik: ensemble carroté. UA 2007, Aarau (Schweiz).
  • Der deutsche Film "Sukkubus - Den Teufel im Leib" des Regisseurs Georg Tressler von 1989 erzählt die Sage in Exploitation-Form.

Quellen

Literatur

  • Urs Bircher (Hrsg.): Das Theater von Hansjörg Schneider. Hansjörg Schneider liest Sennentuntschi (Aufnahme von 1971 - Buch und Audio-CD). Verlag der Autoren, Frankfurt am Main 2008, ISBN 978-3-88661-311-3.
  • Leander Petzoldt (Hrsg.): Deutsche Volkssagen. Anthologie. Marix, Wiesbaden 2007, ISBN 978-3-86539-138-4.
  • Curt Englert-Faye, Berta Tappolet (Illustrationen): Alpensagen und Sennengeschichten aus der Schweiz. ISBN 978-3-85989-392-4.
  • Gotthilf Isler: Die Sennenpuppe. Eine Untersuchung über die religiöse Funktion einiger Alpensagen. 2. Auflage. Schweizerische * Gesellschaft für Volkskunde, Basel 1992, ISBN 978-3-90812-247-0.
  • Jost Meier (Musik); Hansjörg Schneider, Martin Markun [Text]: Sennentuntschi. Oper in 5 Bildern (1981-82). Schott Music, Mainz [o. J.], (ohne ISBN).
  • Hansjörg Schneider: Stücke. Sennentuntschi, Der Erfinder, Der Schütze Tell. Ammann, Zürich 1991, ISBN 3-250-01045-6.

Einzelnachweise

  1. Tim Krohn: Quatemberkinder. Und wie das Vreneli die Gletscher brünnen machte. 7. Auflage. Aufbau Taschenbuch 1880, Berlin 2008, ISBN 978-3746618807.
  2. Grüner Teppich an der Eröffnung des Zurich Film Festivals in: Tages-Anzeiger vom 24. September 2010
  3. tagesanzeiger am 3. Februar 2010: «Sennentuntschi» ist gerettet – Kinostart steht fest. Abgerufen am 3. Februar 2010.

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