70. Sinfonie (Haydn)

70. Sinfonie (Haydn)

Die Sinfonie Nr. 70 in D-Dur komponierte Joseph Haydn im Jahr 1779.

Inhaltsverzeichnis

Allgemeines

Kurz vor Weihnachten 1779, einen Monat nachdem das Theater im Esterhaz abgebrannt war, vollendete Joseph Haydn diese Sinfonie. Die Stimme der Ersten Violine trägt das Datum „779 die 18te Xbris (Decembris)“. Die Uraufführung fand vermutlich im Marionettentheater statt, welches nicht abgebrannt war - möglicherweise aus Anlass der Grundsteinlegung für das neue Theater.[1] Haydn hatte das Werk zunächst ohne Pauken und Trompeten geschrieben, und in dieser Fassung ging es 1782 auch in Druck. Erst später fügte er die Stimmen für die beiden Instrumente nach.[2]

Die Sinfonie Nr. 70 ist zusammen mit Nr. 40 die einzige Sinfonie von Joseph Haydn, die eine „richtige“ Fuge als Schlusssatz aufweist. In anderen Schlusssätzen benutzt Haydn z. T. polyphone Mischformen, z. B. bei Nr. 3, Nr. 13 und Nr. 95. Polyphone Elemente sind bei Nr. 70 neben dem Schlusssatz auch im 1. und im 2. Satz vorhanden. Daneben fällt die Sinfonie durch ihre Dur-Moll – Gegensätze auf, insbesondere im Andante. Dieser Kontrast zwischen dem ernsten bzw. „gelehrten“ und dem leichten bzw. „galanten“ Stil war für die Musik des 18. Jahrhunderts von Bedeutung.[3]

Zur Musik

Besetzung: Flöte, zwei Oboen, Fagott, zwei Hörner in D, zwei Trompeten in D, Pauken, zwei Violinen, Viola, Cello, Kontrabass. Sofern jeweiligen im Orchester vorhanden, wurde möglicherweise zudem ein Cembalo zur Verstärkung der Bass-Stimme eingesetzt (jedoch wahrscheinlich nicht im Orchester von Schloss Esterhazy)[4]. Robbins Landon[2] schlägt weiterhin vor, dass Flöte und Fagott in den Forte-Passagen verdoppelt werden sollten, wenn die Sinfonie von einem größeren Orchester gespielt wird.
Aufführungszeit: ca. 16-20 Minuten (je nach Einhalten der vorgeschriebenen Wiederholungen).

Bei den hier benutzten Begriffen der Sonatensatzform ist zu berücksichtigen, dass dieses Schema in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts entworfen wurde (siehe dort) und von daher nur mit Einschränkungen auf die Sinfonie Nr. 70 übertragen werden kann. – Die hier vorgenommene Gliederung der Sätze ist als Vorschlag zu verstehen. Je nach Standpunkt sind auch andere Abgrenzungen und Deutungen möglich.

1. Satz: Vivace von brio

D-Dur, 3/4-Takt, 179 Takte

erstes Thema des Vivace con brio: D-Dur – Dreiklang (Motiv 1) und aufsteigende Linie (Motiv 2)

Der ouvertürenartige, energische Satz beginnt fanfarenartig im Forte-Unisono mit dem Hauptthema in abgesetzter Bewegung. Das Hauptthema basiert auf dem D-Dur – Dreiklang, der anfangs einmal mit (Takt 1-2) und einmal ohne (Takt 2-3) Pause gespielt wird (die hier auftretende Abfolge von Quarte und Terz kehrt im weiteren Satzverlauf mehrfach wider). Dabei ist auffällig, dass das Thema abtaktig beginnt, jedoch kann das D bei der Wiederholung des Dreiklangs (dritte Zählzeit von Takt 2) auch auftaktig zu Takt 3 gehört werden. Das zweite Motiv des Themas ist eine aufsteigende Linie („Frage“, Takt 4-6), die von einer fallenden Linie (Motiv 3, Takt 7-8) beantwortet wird.

Die ersten beiden Motive werden nun einmal piano von den Violinen wiederholt (allerdings um den ersten Eingangsdreiklang verkürzt sowie mit Legato-Einlage), wieder beantwortet von der energischen Schlusswendung (Motiv 3). Die Überleitung (Takt 15 ff.) lässt zunächst den Eingangsdreiklang in einer Piano-Passage im Dialog zwischen 1. Violinen und Viola / Bass auftreten unter einer durchlaufenden Achtelbegleitung der 2. Violine. Takt 23 wechselt abrupt zu einem Forte-Tutti-Block mit energischer Tonrepetition und einem aus Motiv 2 abgeleiteten, zweitaktigen Motiv in Sexten, das zunächst in den Violinen, dann auch in den übrigen Instrumenten erscheint. Die anschließende Auf- und Abbewegung tritt anfangs in gleichmäßigen, abgesetzten Vierteln auf, verkürzt sich dann kurzfristig zu tremoloartigen Achteln und kündigt mit drei Forteschlägen und einer Pause das zweite Thema an.

Dieses (Takt 43 ff.) steht erwartungsgemäß in der Dominante A-Dur und wird von den Streichern piano vorgetragen. Der Vordersatz greift die abwärts gehenden Intervallschritte (Quarte, Terz) vom Hauptthema wieder auf, wobei Viola und Bass um einen Viertelschlag später als die Violinen einsetzen. Der Nachsatz bekommt durch die durchgehende Viertelbewegung einen mehr wiegenden Charakter. In Takt 51 geht die Dreiklangsbewegung dann in einen Forte-Tutti – Block über, der den Grundton der Dominante A durch mehrfache Wiederholung mit Akzent energisch betont.

Die Schlussgruppe (Takt 61 ff.) besteht im ersten Teil aus einem sechstaktigen Frage-Antwort – Motiv (fast schon ein Thema), das die Streicher piano spielen und einmal mit Vorschlägen verziert wiederholen. Der zweite Teil stellt sich wieder als ein dazu kontrastierender Forte-Tutti-Block dar, bei dem die viertaktige Schlussfloskel zunächst in Vierteln, dann in Achteln aufgelöst gespielt wird.

Die Durchführung (Takt 83 ff.) beginnt unerwartet mit einer vierfachen Wiederholung von C im Forte-Unisono. Im eigentlichen Verarbeitungsteil spielen die Streicher versetzt den (von der Pause unterbrochenen) Eingangsdreiklang, wobei auf jeder Zählzeit des Taktes ein Instrument einsetzt (dadurch wird der gefühlte Taktschwerpunkt auf der 1. Zählzeit des 3/4-Taktes gelockert). Haydn moduliert in dieser Passage über D-Dur, e-Moll, C-Dur, A-Dur und Fis-Dur nach h-Moll, wo die heftige Bewegung schließlich auf einer Fermate zum Ruhen kommt. Es folgt ein kurzer Überleitungsabschnitt mit klopfender, gleichmäßiger Tonrepetition in den Streichern, der in die Reprise ab Takt 120 mündet.

Die Reprise ist gegenüber der Exposition insgesamt verkürzt (u. a. Fehlen des zweiten Themas) und teilweise verändert: Ab Takt 133 stellt Haydn eine Variante von Motiv 2 des Hauptthemas durch dessen versetzten Einsatz in den Instrumenten hervor. Die Schlussgruppe ist etwas erweitert. Exposition sowie Durchführung und Reprise werden je einmal wiederholt.

2. Satz: Specie d´un Canone in Contrapunto doppio. Andante

d-Moll / D-Dur, 2/4-Takt, 130 Takte, Variationssatz (Doppelvariation), Violinen mit Dämpfer

Thema mit Haupt- und Gegenstimme, Takt 1-4

Mögliche Satzgliederung:

  • A-Teil (Takt 1-30, d-Moll): Der A-Teil ist dreiteilig aufgebaut (Schema a-b-a´): Zunächst wird das achttaktige Thema, das durch punktierte Rhythmen und Wechsel von Staccato und Legato gekennzeichnet ist, vorgestellt. Ein Kanon im engeren Sinne, wie ihn die Satzüberschrift („Beispiel eines Kanons im doppelten Kontrapunkt“) vermuten lässt, liegt zwar nicht vor. Jedoch sind Hauptstimme (cantus firmus) und Gegenstimme (Kontrapunkt) so gesetzt, dass sie im Abstand einer Oktave miteinander vertauscht werden können[1]: So ist die Hauptstimme in Takt 1-8 in den Violinen, während Viola und Bass den Kontrapunkt spielen. Bei der Themenwiederholung Takt 9-16 spielen 2. Violine und Bass die Hauptstimme, die 1. Violine und Flöte die Gegenstimme (Kontrapunkt). Der zweite Abschnitt besteht aus einer vom bisherigen Material abgeleiteten sechstaktigen Passage (Takt 17-22), auf die als dritter Abschnitt wieder die Hauptstimme mit Kontrapunkt folgt, nun mit Begleitung auch der übrigen Holzbläser (Takt 22-30, Kontrapunkt in der Mittelstimme = 2. Violine + 2. Oboe, neuer Bass zur harmonischen Stabilisierung). Zweiter und dritter Abschnitt werden wiederholt.
  • B-Teil (Takt 31-48, D-Dur): Als Kontrast zum vorigen, düster-unheimlichen d-Moll folgt nun ein Abschnitt mit einem sanglichen Thema in D-Dur, der nicht mehr kontrapunktisch gehalten ist. Ab Takt 41 treten die Bläser zu den Streichern und ergänzen die sonst eher karge Klangfarbe (Violinen mit Dämpfern). Der Abschnitt besteht wiederum aus zwei Teilen, die wiederholt werden.
  • A-Teil Variante 1 (Takt 49-82, d-Moll): Zunächst spielen die Streicher die ersten vier Takte der Hauptstimme mit Kontrapunkt. Dann (Takt 53 ff.) wird der Kontrapunkt wiederholt, während die Hauptstimme in Figurationen aufgelöst ist. Diese Figurationen wandern nun auch durch die anderen Instrumente, in Takt 61/62 taucht kurz der Kopf vom Hauptthema in Originalgestalt auf (1. Oboe). Der zweite Abschnitt bringt eine Variante des Sechstakters von Takt 17 ff. In der anschließenden Wiederholung des Themas (dritter Abschnitt) ist die Hauptstimme in der 2. Violine in eine Figuration aufgelöst. Der zweite und dritte Abschnitt werden wiederholt.
  • B-Teil Variante 1 (Takt 83-106): stellt eine figurative Variation des B-Teils dar. Besteht wiederum aus zwei Teilen, der zweite Teil wird wiederholt.
  • A-Teil Variante 2 (Takt 107-130): „Reprise“ des A-Teils vom Satzanfang, jedoch mit chromatischer Variante beim mittleren Sechstakter. Der Satz verhaucht im Pianissimo.

3. Satz: Menuett. Allegretto

Beginn des Menuetts

D-Dur, 3/4-Takt, mit Trio 62 Takte

Wie der erste Satz macht auch das recht rasche Menuett einen ouvertürenartig-festlichen Eindruck. Hervorzuheben sind neben Tonwiederholungen, abgesetzten Vierteln und Echos der Hörner / Trompeten insbesondere die bis dahin erste Coda in einem Sinfonie-Menuett Haydns.

Das sehr melodische Trio steht ebenfalls in D-Dur und kontrastiert mit seiner sanglich-weichen Melodie in den Oboen und Streichern im Piano bis Pianissimo zum Menuett.

4. Satz: Allegro con brio

d-Moll, 4/4-Takt (alla breve), 194 Takte, Mischform mit einer Tripelfuge im Zentrum
Die ersten 26 Takte bilden die Einleitung zur Fuge: Die ersten Violinen wiederholen D im Piano fünffach in Vierteln, worauf die restlichen Streicher mit einem kurzen „Brummen“ antworten. Dieses wiederholt sich einmal, dann setzt das gesamte Orchester mit der fünffachen Tonwiederholung von D forte ein, wieder gefolgt von einem kurzen Brummen der tiefen Streicher. Eine Fermate auf der Dominante A-Dur beendet die Einleitung.

Ausschnitt Takt 44 ff.: ganzes Orchester setzt forte ein, Thema 3 (1. Violine) nicht dargestellt

Ab Takt 27 beginnt nun die eigentliche Fuge „a 3 Sogetti in Contrapunto doppio” (= mit drei Themen in doppeltem Kontrapunkt). Die Streicher machen den Anfang, ab Takt 44 setzt das gesamte Orchester ein. Die Themen werden von den Instrumenten imitatorisch aufgegriffen und in die verschiedensten Tonarten moduliert. Das erste Motiv beginnt dabei mit der aus der Einleitung bekannten Tonrepetition. Ab Takt 105 beruhigt sich die Bewegung etwas (fast nur Viertelnoten), dann folgt die für eine Fuge typische Kadenz-Bewegung über einem Orgelpunkt, hier auf A, wodurch Haydn wieder zur Tonika d-Moll gelangt. In einem weiteren polyphonen Abschnitt werden die drei Motive noch einmal aufgearbeitet (bis Takt 143).

Ab Takt 144 folgt ein Zwischenspiel, das die fünffache Tonwiederholung auf D aus der Einleitung aufgreift. Einen starken, geradezu dramatischen Kontrast bildet die unerwartete Rückung des Tonwiederholungsmotivs einen Halbtonschritt aufwärts (von D nach Es), also zum Neapolitaner, in Takt 152/153. Wie in der Einleitung, folgt die Antwort in Form eines kadenzartigen Brummens der Streicher, das auf der Dominante A im Piano zur Ruhe kommt.

Erneut folgt nun ein starker Kontrast in der Klangfarbe: Bis Takt 172 setzt das gesamte Orchester mit den Motiven der Fuge nochmals ein, nun aber in strahlendem D-Dur.

Der letzte Abschnitt ist ähnlich wie die Einleitung aufgebaut, wodurch der Satz eine geschlossene Form bekommt: fünffache Tonwiederholung von D im Piano (erste Violinen), beantwortet von dem Brummen (nun in Dur) der übrigen Streicher. Der Satz endet, wie er angefangen hat: mit dem Tonwiederholungsmotiv, zunächst pianissimo, dann im Forte-Tutti.

Einzelnachweise

  1. a b Walter Lessing: Die Sinfonien von Joseph Haydn. Dazu: Sämtliche Messen. Ausgabe in 3 Bänden, herausgegeben vom Südwestfunk Baden-Baden, 1987-89
  2. a b Howard Chandler Robbins Landon: (Vorwort zur Taschenpartitur der 70. Sinfonie von Joseph Haydn.) Eulenburg Taschenpartituren Nr. 559. Verlag Ernst Eulenburg Ltd., London / Zürich (ohne Jahresangabe)
  3. James Webster: Joseph Haydn - Symphonie Nr.70 D-Dur, Hob.I:70. Informationstext von Joseph Haydns Sinfonie Nr. 70 im Rahmen des Projektes „Haydn 100&7“ der Haydn-Festspiele Eisenstadt, http://www.haydn107.com/index.php?id=2&sym=70, Stand September 2010
  4. Die Haydn-Festspiele Eisenstadt (http://www.haydn107.com/index.php?id=21&pages=besetzung, Stand Dezember 2009, schreiben hierzu: „Haydn setzte, außer in London, für seine Symphonien höchstwahrscheinlich kein Tasteninstrument ein. Diese Ansicht, die von früheren Meinungen abweicht, wird heute unter Musikwissenschaftlern weithin anerkannt.“

Weblinks, Noten

Siehe auch


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