Sitztanz

Sitztanz

Sitztanz ist ein im Sitzen ausgeführter Tanz, der zur Unterhaltung dienen, eine rituelle oder therapeutische Funktion haben kann. Alle Sitzpositionen wie Schneidersitz, auf dem Boden knien oder Sitzen auf einem Stuhl sind möglich. Die Ortsgebundenheit, die nur Bewegungen des Oberkörpers erlaubt, lässt sich durch Gestik (eine besondere Sprache mit den Händen) und Mimik (zum Beispiel Augenbewegungen) ausgleichen.

Traditioneller Sitztanz

Sitztanz auf den Fidschi-Inseln
ʻOtuhaka. Sitztanz auf Tonga

Sitztänze kommen traditionell in vielen Kulturen vor, verbreitet sind sie im südpazifischen Raum. Es gibt Sitztänze auch in Schwarzafrika und im islamischen Nordafrika.

Sitztänze sind einzeln, als Paartanz oder in Gruppen möglich. Bei Gruppentänzen sitzen die Teilnehmer in einer Reihe, im Kreis oder in einer rechteckigen Formation auf der Erde und vollführen gleichzeitig verschiedenste rhythmische Bewegungen mit Armen, Händen und Oberkörper. Häufig wird dazu gesungen. Die Tanzenden können sich wie beim Vakamalolo-Gruppentanz[1] auf Fidschi während der Aufführung um 90 Grad drehen, sodass sie den Zuschauern zu- oder abgewandt sitzen. Beispiele für Sitztänze sind:

  • In der Tradition des Hula in Hawaiʻi gibt es Tänze, die im Sitzen ausgeführt und als hula noho bezeichnet werden.[2]
  • Beim Siva, dem Nationaltanz auf Samoa sitzen die Tanzenden im Kreis um die in ihrer Mitte stehende Dorfjungfrau, die als Vortänzerin fungiert. Mit pantomimischen Bewegungen von Händen und Oberkörpern werden Tätigkeiten wie Fischfang oder Rudern nachgeahmt. Von den Marshall-Inseln sind Gruppentänze bekannt, die auf den Knien mit seitlich wiegenden Oberkörpern und gestreckten Armen ausgeführt werden.[3]
  • Auf der zu Mikronesien gehörenden Insel Yap haben sich Frauen auf einen Sitztanz spezialisiert, während Jungen und Männer mit Stöcken im Stehen tanzen.[4]
  • ʻOtuhaka ist ein gemischter Gruppentanz im Schneidersitz auf der Südseeinsel Tonga. Ein anderer Sitztanz auf Tonga ist der Ma'ulu'ulu. Beide Tänze werden zu bestimmten Abschnitten von Gesängen und der großen Kesseltrommel nafa begleitet.
  • Auf Bali wurde Anfang des 20. Jahrhunderts der Kebyar Duduk erfunden (kebyar ein balinesischer Tanzstil, duduk, indonesisch „sitzen“). In dem Einzeltanz beschreibt ein junger Mann mit Gesten und Augenspiel die verschiedenen Stimmungen eines unreifen Jugendlichen bis zum Erwachsensein.
  • Meuseukat ist ein Frauensitztanz im Westen der Provinz Aceh auf der indonesischen Insel Sumatra, der unter anderem in der Stadt Meulaboh aufgeführt wird. Die üblicherweise acht muslimischen Frauen sind mit Kopftüchern und langärmligen Blusen bekleidet. Bewegungen der Arme und Oberkörper erfolgen wie das Händeklatschen entweder synchron oder gegenläufig. Die Texte ihrer Lieder enthalten Alltagsgeschichten, die von religiösen Phrasen unterbrochen werden.[5][6]
  • Salawek dulang ist ein Sitztanz der muslimischen Minangkabau-Männer im Westen Sumatras. Die Tänzer singen und schlagen den Rhythmus auf dem bronzenen Teller dulang. Auf Sumatra stehen Meuseukat, Salawek dulang und andere Sitztänze im Zusammenhang mit der heutigen Islamisierungsbewegung und haben ihre Wurzeln im 16. und 17. Jahrhundert, als arabische Händler und Sufi-Gelehrte aus Jemen, Persien und Indien den Islam zusammen mit der Zupflaute Gambus und der Rahmentrommel Rapai verbreiteten. Beide Instrumente sind charakteristisch für die islamische Musik Indonesiens.[7]
  • Beim Sitztanz ratéb duek („Liturgie im Sitzen“) in Aceh bilden Männer eine Reihe, singen muslimische Lieder und schnalzen mit den Fingern. Ratéb entspricht dem Arabischen rātib, das eine Abfolge von Dhikr-Gesangsübungen bezeichnet, die von Sufi-Bruderschaften (Tariqas) praktiziert werden. Die knieende Position entspricht der islamischen Gebetshaltung. Der entsprechende säkulare Tanzstil heißt ratoh duek. Er wird von Männern und Frauen getrennt aufgeführt und von Liedern begleitet, die von romantischer Liebe, Seefahrt und Landbestellung handeln. Gelegenheiten zur Aufführung bieten religiöse und staatliche Feiertage. Der beliebteste Tanz auf den Knien heißt saman und stammt von Gayo-Hochland in Zentral-Aceh. Wegen seiner schnellen Handbewegungen wird er als „Tanz der tausend Hände“ angepriesen.[8]
  • Onkankula ist ein Sitztanz für Oluzimba-sprechende Männer in Namibia, bei dem sie ihre Rinderherden preisen und besingen.[9]
  • Die südafrikanischen Zulu kennen den Sitztanz Umchwayo, dabei bewegen sich die Frauen langsam am Boden vorwärts.[10]
  • Akulavye ist ein Tanz, den Mädchen der Mpyemo-Ethnie im Südwesten der Zentralafrikanischen Republik und in der benachbarten Grenzregion in Kamerun auf niedrigen Stühlen sitzend vorführen. Die bantusprachigen Mädchen gehören einem Geheimbund an und sind durch farbige Gesichtsbemalung „maskiert“. Sie bewegen heftig ihre Beine, Oberkörper und Arme. An den Oberarmen sind sie mit Fellstreifen behängt, die das Totem des Clans, die Raubkatze siu darstellen sollen. Im Tanz wird dieses Tier imitiert. Das Erlernen des Tanzes ist Teil der Initiation.[11]
  • Guedra ist ein Tanz auf den Knien, den Berberfrauen in der Region um Goulimine im Süden Marokkos ausführen. Guedra heißt die zur Begleitung geschlagene Tontrommel. Die Bewegungen mit Brust, Kopf und Händen werden als erotisch bezeichnet. Gleichzeitig beinhaltet die Guedra die Tradition von Besessenheitstänzen und ähnelt damit der Derdeba. Die unregelmäßige Atmung kann zu einem Zustand der Trance führen.
  • Nakh, auch „Haartanz“, wird im Sitzen von unverheirateten jungen Frauen vor jungen Männern in einigen Regionen Libyens, im Süden Tunesiens und Südalgerien getanzt. Das Zurschaustellen der Haare wirkt verführerisch. Früher war der Tanz bei Hochzeiten unter den Nomaden beliebt.[12]
  • Takemba ist ein moderner Musikstil mit Sitztanz der Tuareg in Nordwestafrika, bei dem die Gesangsstimme von der Zupflaute Tahardent begleitet wird.

Therapeutischer Sitztanz

Seit den 1980er Jahren wird Sitztanz in Deutschland als Methode in der pädagogischen und therapeutischen Arbeit mit Schwerpunkt in der Altenbetreuung angewendet. Die Tänzer sitzen dabei im Kreis auf Stühlen, deswegen können auch Beine und Füße eingesetzt werden. Handgeräte wie Bälle und Wedel kommen bei einigen Tänzen zum Einsatz; Gesang oder Tonträger dienen der Tanzbegleitung. Diese Methode kann unter anderem seit 1996 durch einen zertifizierten Ausbildungslehrgang zum Sitztanzleiter beim Malteser Hilfsdienst erlernt werden. Der Bundesverband Seniorentanz bietet seit 1993 ebenfalls eine zertifizierte Ausbildung zum Tanzleiter für Sitztänze an.

Einzelnachweise

  1. CANTERBURY FIJIAN PARISH CONCERT:FIJIAN SITTING DANCE..VAKAMALOLO. Youtube Video
  2. hula noho in Hawaiian Dictionaries
  3. Hans Zacharias (Hrsg.): Der Tanz der Naturvölker. Kapitel 1 in: Geschichte des Tanzes. Musiker Geschichten. Von der Musik. (Bücher der Musik. Bd. 6) Reinhard Welz Vermittlerverlag, Mannheim 2005, S. 27, ISBN 978-3938622346
  4. PAC0039-19: Women decorated with Hibiscus perform traditional Yapese sitting dance, on Map Island. Yap, Micronesia. Foto
  5. Margaret J. Kartomi: Meuseukat (II). Monash University, Melbourne
  6. Rateeb Meuseukat. Youtube Video
  7. Margaret J. Kartomi: The development of the Acehnese sitting song-dances and frame-drum dances as part of religious conversion and continuing piety. In: Bijdragen tot de Taal-, Land- en Volkenkunde. 166, Nr. 1, Leiden 2010, S. 83–106
  8. Aceh’s Saman Dance to Join Batik as Part Of World’s Intangible Heritage: Official. Jakarta Globe, 20. Oktober 2010
  9. Minette Mans: Centering on African Practice in Musical Arts Education. African Minds, 2006, S. 36, ISBN 978-1920051495
  10. Vusabantu Ngema: Symbolism and Implications in the Zulu dance forms: Notions of composition, performance and appreciation of dance among the Zulu. University of Zululand 2007, S. 20
  11. Gerhard Kubik: Zum Verstehen afrikanischer Musik. LIT Verlag, Wien 2004, Abb. 5; ders.: Makisi nyau mapiko. Maskentradition im bantu-sprachigen Afrika. Trickster Verlag, München 1993, S. 48f
  12. Viviane Lièvre: Die Tänze des Maghreb. Marokko – Algerien – Tunesien. (Übersetzt von Renate Behrens. Französische Originalausgabe: Éditions Karthala, Paris 1987) Otto Lembeck, Frankfurt am Main 2008, S. 115–118, 143–145, ISBN 978-3-87476-563-3

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