Staatsleistungen

Staatsleistungen

Unter Staatsleistungen versteht man im deutschen Staatskirchenrecht alle auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhende finanzielle Zuwendungen der Länder an die traditionellen Kirchen, die auf Grund historischer Gegebenheiten entstanden sind. Die Staatsleistungen werden in Art. 138 Abs. 1 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) erwähnt, der gemäß Art. 140 GG geltendes Verfassungsrecht ist. Subventionen sind keine Staatsleistungen in diesem Sinne. Viele Staatsleistungen sind aber inzwischen vertraglich in Subventionen übergeleitet worden, um die Kirchen auf eine Ebene mit anderen staatlich bezuschussten kulturellen Einrichtungen zu stellen und die Leistungen von alten Rechtstiteln abzulösen.

Im weiteren, nicht technischen Sinne versteht man unter Staatsleistungen alle finanziellen Zuwendungen des Staates an Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften (also nicht nur an Kirchen) unabhängig von Entstehungsgrund und -zeit.

Keine Rolle spielt, ob die Staatsleistungen lediglich eine Pflicht des Staates begründen oder ob dieser auch ein Subjektives Recht der jeweiligen Gemeinschaft gegenübersteht.

Inhaltsverzeichnis

Einteilung

Die Staatsleistungen im technischen, engeren Sinne und diejenigen im weiteren Sinne kann man einteilen in positive und negative Staatsleistungen. Positive Staatsleistungen mehren das Vermögen aktiv. Dagegen verzichten negative Staatsleistungen lediglich darauf, das Vermögen zu mindern, wie es bei Steuer- und Gebührenbefreiungen der Fall sein kann.

Zu den positiven Staatsleistungen gehören vor allem die Dotationen, also zweckgebundene Zuwendungen zur Finanzierung kirchlicher Behörden und Amtsträger. Im Katholischen Bereich spricht man im ersten Fall von Bistumsdotationen, im evangelischen von Dotationen für das Kirchenregiment. Unter die Dotation von Amtsträgern fallen vor allem Zuschüsse zur Besoldung der Pfarrer. Neben den Dotationen gibt es aber auch eine Vielzahl von regional unterschiedlichen Formen der positiven Staatsleistungen, die sowohl in Geld- als auch in Sachzuwendungen (Nahrungsmittel), in Nutzungs-, Bau- und Unterhaltungspflichten bestehen können. Sie können dem Betrag nach festgelegt sein oder bedarfsabhängig.

Entstehung der Staatsleistungen

Die neueren Staatsleistungen im weiteren Sinne sind Teil der staatlichen Kultur- und Grundrechtsförderung. Bei paritätischer Berücksichtigung der verschiedenen Gemeinschaften ist eine solche Förderung nicht nur zulässig, sondern in einem weltanschaulich neutralen Staat geradezu geboten, da Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften sonst gegenüber anderen gesellschaftlichen Gruppierungen benachteiligt wären. Positive Staatsleistungen in diesem Sinne erhalten neben den großen Kirchen unter anderem die Altkatholische und Altlutherische Kirche, die Israelitische Synagogengemeinde, Freireligiöse Landesgemeinden und Freigemeinden, teilweise auch die Methodisten[1] sowie neuerdings der Zentralrat der Juden in Deutschland[2].

Staatskirchenrechtlich weit problematischer sind die älteren, historisch gewachsenen Staatsleistungen im engeren Sinne. Deren Entstehung ist nur vor dem Hintergrund der geschichtlichen Entwicklung in Deutschland verständlich. Sie ergaben sich durch die Enteignung von Kirchenvermögen im Zuge der Säkularisation vor allem während der Reformationszeit, nach dem Westfälischen Frieden 1648 und im Zuge der Organischen Artikel 1802 (für linksrheinische, als französisches Staatsgebiet annektierte Gebiete) bzw. des Reichsdeputationshauptschlusses 1803. Der Einzug des Kirchengutes im Wege der Gesamtrechtsnachfolge schuf nämlich kein beliebig verwendbares Staatsvermögen:

  • Viele der bisher kirchlichen Grundstücke waren belastet mit Unterhaltspflichten zu Gunsten kirchlicher Einrichtungen, die vom Eigentumsübergang an den Staat unberührt blieben. War etwa ein Grundstück mit der Verpflichtung belastet, dass aus seinem Ertrag der örtliche Pfarrer mitunterhalten werden musste, so erlosch diese Haftung nicht durch die Enteignung. Die Verpflichtungen richteten sich also statt gegen den bisherigen, kirchlichen Eigentümer nun gegen den neuen, den Staat.
  • Andere Leistungen sind Ersatzzahlungen, die der Staat für die - selbst nach den damaligen Regeln über die Säkularisation rechtswidrige - Enteignung von Grundstücken der Domkirchen zahlte, anstatt die Grundstücke zurückzugeben.
  • Klostergut schließlich durfte nach den Regelungen über die Säkularisation nur zu gemeinnützigen Zwecken enteignet werden, zu denen ausdrücklich der Gottesdienst gezählt wird (so beispielsweise § 35 des Reichsdeputationshauptschlusses).

Die Tatsache, dass alleine in Folge des Reichsdeputationshauptschlusses (!) ca. 95.000 km² Grundfläche enteignet wurden (zum Vergleich: ca. 27% des heutigen Bundesgebietes von 357.050 km² - freilich in anderen Grenzen), macht die Vielzahl der so entstandenen Staatsleistungen verständlich. Angesichts dieser finanziellen und volkswirtschaftlichen Schwierigkeiten haben deutsche Staaten der Rückgabe der enteigneten Vermögenswerte immer eine Geldentschädigung vorgezogen.

Je nach Intensität der Enteignungen ist auch die Höhe der Staatsleistungen regional unterschiedlich. Wo das kirchlich genutzte Vermögen in staatliche Stiftungen eingebracht wurde (etwa Klosterkammer Hannover), sind die Zuwendungen notwendigerweise höher als dort, wo es als kirchliche Stiftung (etwa Evangelische Stiftung Pflege Schönau) der Kirche verblieben ist.

Regelung der Staatsleistungen im engeren Sinne im Grundgesetz

Das Grundgesetz bestimmt in Art. 140 i.V.m. Art. 138 WRV:

(1) Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf.
(2) Das Eigentum und andere Rechte der Religionsgesellschaften und religiösen Vereine an ihren für Kultus-, Unterrichts- und Wohltätigkeitszwecken bestimmten Anstalten, Stiftungen und sonstigen Vermögen werden gewährleistet.

Der Hauptausschuss des Parlamentarischen Rates beschloss in erster Lesung eine Fassung des Art. 140 GG, die nur auf Abs. 2 des Art. 138 WRV Bezug nahm, die Regelungen über die Staatsleistungen in Abs. 1 aber (ebenso wie weitere Artikel) nicht umfasste. Dafür ordnete er ausdrücklich ein Fortbestehen der Staatskirchenverträge an, wobei umstritten war, ob darunter auch das Reichskonkordat fallen sollte.[3] Zu Formulierung und Inhalt des Art. 140 GG erzielte der Hauptausschuss zunächst keine Einigkeit, sodass der Fünferausschuss eine Formulierung vorschlug, die auch Art. 138 Abs. 1 WRV umfasste. Nach weiteren Ergänzungen nahm der Hauptausschuss in vierter Lesung die heutige Fassung des Art. 140 GG an [4]und ließ so die Regelungen der Weimarer Reichsverfassung über die Ablösung der Staatsleistungen als Verfassungsrecht fortgelten.

Das Grundgesetz enthält also ein Säkularisationsverbot (Abs. 2), die sog. Kirchengutsgarantie. Abs. 1 nimmt aber die Staatsleistungen im engeren Sinne hiervon aus: sie sollen, um die Rechtsverhältnisse von Staat und Kirchen zu entflechten, abgelöst werden. Mit der Ablösung ist also nicht ein ersatzloser Wegfall der Staatsleistungen gemeint, sondern eine Entschädigung.

Damit sich die Länder als Zahlungsverpflichtete nicht ohne Rücksicht und auf Kosten der Kirchen von den Staatsleistungen entledigen können, sollte das Reich, selbst nicht von Zahlungsverpflichtungen betroffen, Grundsätze für die Ablösung aufstellen. Dazu ist es aber bis heute nicht gekommen, sodass auch die Landesgesetzgebung nicht tätig werden konnte. Auch so wurden aber vor allem auf Gemeindeebene vielfach Einigungen erzielt. Zahlreiche Staatskirchenverträge regeln die Staatsleistungen einvernehmlich und schaffen somit Rechtssicherheit.

Rechtspolitische Diskussion

Insbesondere diese älteren Staatsleistungen werden häufig als der Trennung von Staat und Kirche widersprechend kritisiert. Andererseits wird argumentiert, die historische Begründung setze gerade eine Unterscheidung zwischen kirchlichen und staatlichen Vermögensträgern voraus. Auch Autoren, die den Kirchen positiv gegenüberstehen, fordern aber eine Ablösung der Staatsleistungen, weil die historischen Verbindlichkeiten heute nicht mehr verstanden würden und man es somit Gegnern leichtmache, diese als Privilegien der Kirchen hinzustellen. „Die Beseitigung der Emotionen provozierenden historischen Staatsleistungen würde die in einem religiös-weltanschaulich neutralen Staat selbstverständliche Einbeziehung der Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in den Kreis der Empfänger grundrechtsaktivierender Staatsleistungen problemärmer und ‚kulturstaatsaktivierende Lösungen‘ leichter werden lassen.“[5]

Die Staatsleistungen ermöglichen es, dass die Erträge des säkularisierten Vermögens dem Willen der historischen Stifter, Schenker und Erblasser gemäß verwendet werden, denn diese ließen die später säkularisierten Werte ursprünglich nicht dem Staat, sondern bewusst der Kirche zur Förderung deren Aufgaben zukommen.

Belege

  1. vgl. Frh. v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, 3. Aufl., München 1996, S. 326 u. 330 Fn. 21.
  2. Art. 2 des Vertrags zwischen der Bundesrepublik Deutschland und dem Zentralrat der Juden in Deutschland
  3. Klaus-Berto von Doemming, Rudolf Werner Füsslein, Werner Matz (Bearbeiter), Entstehungsgeschichte der Artikel des Grundgesetzes, in: Gerhard Leibholz, Hermann von Mangoldt (Herausgeber), Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart, neue Folge Band 1, Tübingen 1951, S. 903 f.
  4. von Doemming/Füsslein/Matz a.a.O. S. 907.
  5. vgl. Frh. v. Campenhausen, Staatskirchenrecht, 3. Aufl., München 1996, S. 335.
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