- Zentralrat der Juden in Deutschland
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Der Zentralrat der Juden in Deutschland (ZdJ) ist als Körperschaft des öffentlichen Rechts die größte Dachorganisation der jüdischen Gemeinden und Landesverbände in Deutschland und deren politische Vertretung. Er wurde am 19. Juli 1950 in Frankfurt am Main gegründet.
Derzeitiger Präsident des Zentralrats ist Dieter Graumann.
Derzeit gehören 23 Landesverbände mit insgesamt 107 jüdischen Gemeinden mit etwa 106.000 Mitgliedern dem Zentralrat an.[1] Sitz des Rates ist seit dem 1. April 1999 das Leo-Baeck-Haus in Berlin.
Inhaltsverzeichnis
Überblick
Der Zentralrat wurde am 19. Juli 1950 in Frankfurt a. M. von Delegierten der in der Bundesrepublik Deutschland bereits wieder existierenden jüdischen Gemeinden und ihrer Landesverbände gegründet. Seinem ersten Direktorium gehörten an: der bayerische Staatskommissar für rassisch, religiös und politisch Verfolgte, Philipp Auerbach; der in Bergen-Belsen befreite, später langjährige Vorsitzende der Berliner jüdischen Gemeinde Heinz Galinski; der auf Wiedergutmachungsfragen spezialisierte Jurist Benno Ostertag; die beiden Mitglieder des Zentralkomitees in der US-Zone Peisach Piekatsch und Chaskiel Eife; Josef Rosensaft und Norbert Wollheim für die britische Zone. Erster Sitz des Zentralrats der Juden in Deutschland wurde Frankfurt am Main, ab 1951 Düsseldorf, ab 1985 Bonn und seit dem 1. April 1999 Berlin.
Als ihre Hauptaufgabe betrachtete die Organisation in den ersten Jahren, auf die Gesetzgebung zur Wiedergutmachung des nationalsozialistischen Unrechts einzuwirken. Später wurden der Kampf gegen den Antisemitismus, die Unterstützung einer Annäherung zwischen Deutschland und dem Staat Israel und die Förderung der Arbeit der Mitgliedsgemeinden und Landesverbände zu wichtigeren Aufgaben; ebenso der Einsatz für das gegenseitige Verständnis von Juden und Nichtjuden.
Seit dem Mauerfall und der deutschen Wiedervereinigung 1990 bildet die Zuwanderung von Zehntausenden von Juden (zumeist als „Kontingentflüchtlinge“) aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion (GUS-Staaten) einen neuen Wirkungsschwerpunkt. Sie werden nach dem Königsteiner Schlüssel, der hauptsächlich die Einwohnerzahl spiegelt, auf die Bundesländer verteilt. Seit 1990 hat sich die Zahl der jüdischen Gemeindemitglieder in Deutschland mehr als verdreifacht.
Noch prägen in Deutschland geborene den Zentralrat – und wenige aus dem Osten Europas stammende Juden, die mittlerweile vielerorts die Mehrheit der Gemeindemitglieder stellen. Der Zentralrat gibt die Wochenzeitung Jüdische Allgemeine heraus. Die Union progressiver Juden, deren Gemeinden ca. 3000 Mitglieder angehören, ist nach dem Zentralrat die zweitgrößte Vereinigung jüdischer Gemeinden in Deutschland. Nach früheren Kontroversen zwischen beiden Organisationen (siehe auch unten) kam es in letzter Zeit wieder zu einer Annäherung. Teilweise gibt es mittlerweile Mitgliedschaften von Landesverbänden der Union progressiver Juden im Zentralrat der Juden in Deutschland.
Organisation
Struktur
Der Zentralrat hat drei Organe:
- die Ratsversammlung als Vertretung der Gemeinden,
- das Direktorium als Vertretung der Landesverbände und Großgemeinden
- das Präsidium als Exekutive
Der Ratsversammlung gehören alle Landesverbände sowie die Großgemeinden in Berlin, München, Frankfurt und Köln an, wobei für je 1000 Gemeindemitglieder ein Delegierter entsandt wird. Als oberstes Entscheidungsgremium des Zentralrats hat sie die Richtlinienkompetenz, das Haushaltsrecht und kontrolliert die Arbeit des Präsidiums. Sie entscheidet über Grundsatzfragen der jüdischen Gemeinschaft unter Berücksichtigung der Autonomie der einzelnen Mitgliedsgemeinden in höchster Priorität. Sie tagt mindestens einmal im Jahr und wählt aus ihrer Mitte für die Dauer von vier Jahren drei Mitglieder in das neunköpfige Präsidium des Zentralrats.
Das Direktorium setzt sich aus von den einzelnen Mitglieds- bzw. Landesverbänden entsandten Vertretern zusammen, wobei je angefangenen 5000 Gemeindemitglieder ein Delegierter entsandt wird. Das Direktorium wählt aus seiner Mitte auf vier Jahre sechs Mitglieder des neunköpfigen Präsidiums. Das Direktorium überwacht die Tätigkeit des Präsidiums und wählt den Generalsekretär.
Das Präsidium wählt aus seinen Reihen den Präsidenten und die beiden Vizepräsidenten, die den Zentralrat der Juden in der Öffentlichkeit vertreten. Das Präsidium führt die Geschäfte des Zentralrats, die laufenden Geschäfte führt der auf fünf Jahre gewählte Generalsekretär.
Der Zentralrat ist Vollmitglied in mehreren internationalen jüdischen Organisationen, unter anderem:
- Jüdischer Weltkongress
- Europäischer Jüdischer Kongress
- World Jewish Restitution Organisation
- Conference on Jewish Material Claims against Germany
Bisherige Präsidenten und Vorsitzende
- 1954–1963: Heinz Galinski, Vorsitzender
- 1963–1969: Herbert Lewin, Vorsitzender
- 1969–1988: Werner Nachmann, Vorsitzender
- 1988–1992: Heinz Galinski, Vorsitzender und Präsident
- 1992–1999: Ignatz Bubis, Präsident
- 2000–2006: Paul Spiegel, Präsident
- 2006–2010: Charlotte Knobloch, Präsidentin
- seit 2010: Dieter Graumann, Präsident
Generalsekretäre
- 1950–1973: Hendrik van Dam
- 1973–1988: Alexander Ginsburg
- 1988–1992: Micha Guttmann
- seit 2004: Stephan Kramer
Landesverbände
Derzeit gehören 23 Landesverbände mit insgesamt 107 jüdischen Gemeinden mit etwa 104.000 Mitglieder dem Zentralrat an.[1] Diese sind:
- Israelitische Religionsgemeinschaft Baden
- Landesverband der Israelitischen Kultusgemeinden in Bayern
- Jüdische Gemeinde zu Berlin
- Landesverband der Jüdischen Gemeinden Brandenburg
- Jüdische Gemeinde im Lande Bremen
- Jüdische Gemeinde Frankfurt am Main
- Jüdische Gemeinde Hamburg
- Landesverband der Jüdischen Gemeinden in Hessen
- Synagogen-Gemeinde Köln
- Landesverband der Jüdischen Gemeinden in Mecklenburg-Vorpommern
- Israelitische Kultusgemeinde München und Oberbayern
- Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Niedersachsen
- Landesverband der israelitischen Kultusgemeinden von Niedersachsen K. d. ö. R.
- Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Nordrhein
- Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Rheinland-Pfalz
- Synagogengemeinde Saar
- Landesverband Sachsen der Jüdischen Gemeinden
- Landesverband jüdischer Gemeinden in Sachsen-Anhalt K. d. ö. R.
- Jüdische Gemeinschaft Schleswig-Holstein K. d. ö. R. c/o Jüdische Gemeinde Kiel und Region mit Sitz in Kiel
- Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Schleswig-Holstein K. d. ö. R.
- Jüdische Landesgemeinde Thüringen
- Landesverband der Jüdischen Gemeinden von Westfalen-Lippe
- Israelitische Religionsgemeinschaft Württembergs
Kontroversen
Nachmann-Skandal
Nach dem Tod Werner Nachmanns wurde der Vorwurf erhoben, Nachmann habe in der Zeit von 1981 bis 1987 etwa 33 Millionen DM an Zinserträgen aus Wiedergutmachungsgeld der Bundesregierung veruntreut. Der tatsächliche Verbleib des Geldes ist bis heute weitgehend ungeklärt, obwohl sich insbesondere Nachmanns Amtsnachfolger Heinz Galinski jahrelang intensiv um die Aufklärung der Angelegenheit bemühte.
Kontroverse um Fördermittel
Im April 2004 kam es zum offenen Streit zwischen Zentralratspräsident Paul Spiegel und dem Vorsitzenden der Union progressiver Juden in Deutschland, Jan Mühlstein. Mühlstein fordert eine finanzielle Gleichberechtigung der liberalen jüdischen Gemeinden bei der Verteilung der auf Grundlage eines Staatsvertrags gezahlten jährlichen drei Millionen Euro staatlicher Fördermittel. Die Erben von Leo Baeck wollen wegen des Streits dem Zentralrat das Recht zur Nutzung des Namens Leo Baeck entziehen. In einem Gespräch unter Vermittlung der Weltunion progressiver Juden am Rande von deren Jahrestagung zu Pessach 2006 in Hannover haben Zentralrat und Union ihre Differenzen weitgehend beigelegt.
Positionierung zum Israel-Libanon-Krieg 2006
Führende Vertreter des Zentralrats positionierten sich durchweg und uneingeschränkt auf der Seite der israelischen Regierung. Im August 2006 kam es zu einer internen Kontroverse, als Direktoriumsmitglied Rolf Verleger in einem offenen Brief die Haltung Israels kritisierte und sich für eine friedliche Lösung des Palästinakonflikts aussprach. Aufgrund dieses Briefs setzte ihn am 9. August 2006 seine Jüdische Gemeinde Lübeck als Vorsitzenden der Jüdischen Gemeinschaft Schleswig-Holstein ab.[2][3]
Siehe auch
- Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens
- Reichsvereinigung der Juden in Deutschland
- Reichsvertretung der Deutschen Juden
- Reichsbund jüdischer Frontsoldaten mit Bund jüdischer Soldaten (seit 2006)
- Zentralarchiv zur Erforschung der Geschichte der Juden in Deutschland
- Zentralwohlfahrtsstelle der Juden in Deutschland
Literatur
- Jay Howard Geller: Jews in Post-Holocaust Germany. Cambridge University Press, Cambridge unter anderem 2005, ISBN 0-521-54126-3.
- Stephan J. Kramer: Wagnis Zukunft. 60 Jahre Zentralrat der Juden in Deutschland. Hentrich & Hentrich Verlag Berlin, 2011, ISBN 978-3-942271-10-3.
Weblinks
Commons: Zentralrat der Juden in Deutschland – Sammlung von Bildern, Videos und AudiodateienWikinews: Zentralrat der Juden in Deutschland – in den NachrichtenEinzelnachweise
- ↑ a b Mitglieder: Landesverbände und jüdische Gemeinden
- ↑ Schalom 5767 – Friede 2006
- ↑ Zentralrats-Kritiker muss gehen, taz am 24. August 2006
Vorsitzende, Präsidenten und Generalsekretäre des Zentralrats der Juden in DeutschlandVorsitzende: Heinz Galinski | Herbert Lewin | Werner Nachmann | Heinz Galinski
Präsidenten: Heinz Galinski | Ignatz Bubis | Paul Spiegel | Charlotte Knobloch | Dieter Graumann
Generalsekretäre: Hendrik van Dam | Alexander Ginsburg | Micha Guttmann | Stephan Kramer
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