Staatspräsident (Estland)

Staatspräsident (Estland)
Flagge des estnischen Staatspräsidenten
Konstantin Päts
Lennart Meri
Arnold Rüütel
Toomas Hendrik Ilves
Amtssitz des estnischen Staatspräsidenten im Tallinner Stadtteil Kadriorg

Der Staatspräsident der Republik Estland (estnisch Eesti Vabariigi President[1]) ist das estnische Staatsoberhaupt. Die Wahl und die Kompetenzen des Staatspräsidenten werden durch die estnische Verfassung von 1992 bestimmt. Seine Kompetenzen sind mit denen des österreichischen Bundespräsidenten vergleichbar.

Inhaltsverzeichnis

Wahl

Zum estnischen Staatspräsidenten kann jeder estnische Staatsbürger gewählt werden, der das 40. Lebensjahr vollendet hat. Der Staatspräsident wird vom estnischen Parlament (Riigikogu) in geheimer Wahl bestimmt. Er muss eine Mehrheit von zwei Dritteln der gesetzlichen Mitgliederzahl des Parlaments auf sich vereinigen.

Gelingt dies in drei Wahlgängen nicht, geht das Wahlrecht vom Parlament auf eine besondere Wahlversammlung (valimiskogu) über. Diese besteht aus den Abgeordneten des estnischen Parlaments sowie Wahlmännern und -frauen, die von den kommunalen Gebietskörperschaften bestimmt werden. Sie tritt innerhalb eines Monats nach dem dritten Wahlgang im Parlament zusammen.

Die beiden Kandidaten, die im dritten Wahlgang des Riigikogu die meisten Stimmen erhalten haben, sowie Kandidaten, die von mindestens 20% der Mitglieder der Wahlversammlung vorgeschlagen werden, stehen im ersten Wahlgang der Wahlversammlung zur Wahl. Gewählt ist der Bewerber, der die absolute Mehrheit erhält. Wird kein Kandidat im ersten Wahlgang gewählt, findet am selben Tag ein weiterer Wahlgang statt. In diesem treten die beiden Kandidaten an, die im ersten Wahlgang die höchste Stimmenzahl erhalten haben. Findet auch dort kein Kandidat eine absolute Mehrheit, finden spätestens zehn Tage vor Ablauf der Amtszeit des amtierenden Staatspräsidenten außerordentliche Parlamentswahlen statt. Das Wahlrecht für das Amt des Staatspräsidenten geht anschließend wieder auf das Parlament über.

Amtszeit

Die Amtszeit des estnischen Staatspräsidenten beträgt fünf Jahre. Eine anschließende Wiederwahl ist nur einmal zulässig. Zu Beginn seiner Amtszeit legt der estnische Staatspräsident seinen Amtseid vor dem Parlament ab.

Der Präsident darf während der Ausübung seines Amtes keiner politischen Partei angehören und keine anderen Ämter bekleiden.

Der estnische Staatspräsident genießt während seiner Amtszeit Immunität vor strafrechtlicher Verfolgung. Die Immunität kann nur auf Antrag des Rechtskanzlers durch das Parlament mit der Mehrheit seiner gesetzlichen Mitgliederzahl aufgehoben werden. Bei einer anschließenden Verurteilung verliert der Präsident sein Amt.

Das Amt des Staatspräsidenten endet mit dem Amtsantritt seines Nachfolgers. Er ist zum Rücktritt vom Amt (außer in Kriegszeiten) berechtigt. Bei Verhinderung der Amtsausübung wird der estnische Staatspräsident durch den Parlamentspräsidenten vertreten, dem aber nur eingeschränkte Befugnisse zustehen.

Aufgaben und Kompetenzen

Das Amt des estnischen Staatspräsidenten ist hauptsächlich zeremonieller Natur. Er ist Oberbefehlshaber der estnischen Streitkräfte.

Der Staatspräsident vertritt Estland völkerrechtlich. Er ernennt die estnischen Botschafter und beglaubigt die ausländischen Gesandten in Estland. Er verleiht Orden sowie militärische und diplomatische Titel. Ihm steht das Gnadenrecht zu.

Er ruft ordentliche und unter den in der Verfassung vorgesehenen Fällen außerordentliche Parlamentswahlen aus. Er beglaubigt die neu gewählten Abgeordneten und eröffnet die erste Sitzung. Er kann dem Parlamentspräsidenten die Einberufung einer außerordentlichen Sitzung vorschlagen.

Nach Konsultationen mit den politischen Parteien schlägt er dem Parlament einen Kandidaten für das Amt des Ministerpräsidenten vor. Findet dieser Kandidat keine Mehrheit im Parlament, kann der Präsident einen anderen Kandidaten vorschlagen. Findet auch dieser Kandidat keine Mehrheit, geht das Nominierungsrecht auf das Parlament über.

Auf Vorschlag des Ministerpräsidenten ernennt und entlässt der Staatspräsident die Minister. Ihm steht dabei kein Prüfungsrecht zu. Der Staatspräsident ernennt und entlässt den Vorsitzenden des Staatsgerichtshofs (Riigikohus), den Vorsitzenden des Zentralbankrats der Eesti Pank, den Vorsitzenden des Rechnungshofs, den Rechtskanzler und den militärischen Befehlshaber der Streitkräfte. Er ernennt auf Vorschlag des Vorsitzenden des Staatsgerichtshofs dessen Richter und auf Vorschlag des Zentralbankrats den Präsidenten der Eesti Pank. Ihm steht die Aufhebung der strafrechtlichen Immunität des Rechtskanzlers zu.

Der Staatspräsident fertigt die Gesetze aus. Hält er ein Gesetz für verfassungswidrig oder aus politischen Gründen für unangemessen, kann er das Gesetz an das Parlament zurückverweisen. Verabschiedet es das Parlament erneut in unveränderter Form, kann es der Präsident dem Staatsgerichtshof (Riigikohus) zur Überprüfung vorlegen. Hält der Staatsgerichtshof das Gesetz für verfassungkonforn, muss es der Präsident ausfertigen.

Der Staatspräsident kann dem Parlament eine Änderung der Verfassung vorschlagen. Lennart Meri hat zweimal von diesem Recht Gebrauch gemacht[2], Toomas Hendrik Ilves bislang einmal.[3]

Der estnische Staatspräsident ist Oberbefehlshaber der Streitkräfte (obwohl dieses Amt mehr symbolischer Natur ist). Er kann dem Parlament die Ausrufung des Verteidigungsfalles, die Erklärung des Notstands sowie die Mobilmachung und Demobilisierung vorschlagen. Im Falle eines kriegerischen Angriffs auf Estland stehen ihm diese Rechte ohne Befassung des Parlaments zu.

Estnische Staatspräsidenten

Staatspräsident Lebensdaten Amtszeit Partei
Konstantin Päts 1874–1956 24. April 1938 – 23. Juli 1940 Isamaaliit
Lennart Meri[4] 1929–2006 6. Oktober 1992 – 8. Oktober 2001 Isamaaliit
Arnold Rüütel * 1928 8. Oktober 2001 – 9. Oktober 2006 Rahvaliit
Toomas Hendrik Ilves * 1953 seit 9. Oktober 2006 SDE

Geschichte des Amts

1918 erlangte Estland seine staatliche Unabhängigkeit von Russland. Die Verfassung von 1920 sah keinen Staatspräsidenten vor; dadurch wurde die Konzentration der Macht in einer Person vermieden und ein stark parlamentarisches System errichtet. Bis 1934 war der Staatsälteste (Riigivanem) als Regierungschef gleichzeitig estnisches Staatsoberhaupt. Er konnte damit jederzeit vom Parlament entlassen werden. Eine ausgleichende politische Rolle zwischen Parlament und Regierung fehlte.

Mit der Verfassungsreform von 1933 wurde ein Präsidialsystem eingeführt. Das Staatsoberhaupt hieß weiterhin Staatsältester. 1934 riss allerdings der damalige Regierungschef Konstantin Päts in einem gewaltlosen Putsch die Macht an sich und errichtete ein autoritäres Regime. Er wollte damit einer Machtergreifung rechtsextremistischer Kräfte zuvorkommen. Mit der Verfassung von 1938 wurde Päts zum Präsidenten gewählt. Die Amtszeit sollte sechs Jahre dauern. Sie endete 1940 mit der sowjetischen Besetzung des Landes.

Mit der Wiedererlangung der estnischen Unabhängigkeit im August 1991 wurde eine moderne estnische Verfassung geschaffen. Sie ist bis heute gültig. 1992 wurde Lennart Meri zum ersten Staatspräsidenten nach dem Zweiten Weltkrieg gewählt.

Siehe auch

Weblinks

Anmerkungen

  1. Sein amtlicher Titel lautet Vabariigi President, "Präsident der Republik"
  2. Vorschlag zur Volkswahl des Staatspräsidenten und Schaffung eines estnischen Verfassungsgerichts; beide Vorschläge scheiterten im Parlament
  3. Ernennung des militärischen Kommandierenden der Streitkräfte durch die Regierung und nicht mehr durch das Parlament; bislang noch nicht entschieden
  4. Bei den ersten Präsidentenwahlen nach Wiedererlangung der estnischen Unabhängigkeit 1992 fand ausnahmsweise eine Volkswahl statt, die Lennart Meri im zweiten Wahlgang für sich entscheiden konnte. Seine erste Amtszeit betrug lediglich vier Jahre.

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