Stuart Hall (Soziologe)

Stuart Hall (Soziologe)

Stuart Hall (* 3. Februar 1932 in Kingston, Jamaika) ist ein britischer Soziologe. Er gilt als einer der Begründer der Cultural Studies und formulierte gegenüber dem in der Theorie der Kommunikation üblichen Sender-Empfänger-Modell[1] das der Bedeutungsproduktion durch Kodierung und Dekodierung.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Hall wurde 1932 in Kingston auf Jamaika geboren. 1951 kam er als Rhodes-Stipendiat nach Oxford. Seitdem lebt er in Großbritannien. Von 1957 bis 1961 gehörte er dem Herausgeberkomitee der New Left Review an. In dieser Zeit begann er auch seine Lehrtätigkeit, zunächst an höheren Schulen, ab 1964 am Centre for Contemporary Cultural Studies der Universität Birmingham. Von 1968 bis 1979 war er als Nachfolger von Richard Hoggart der dortige Direktor. 1979 wurde er Professor für Soziologie an der Open University, wo er bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1997 lehrte.[2]

1995-1997 war er Präsident der British Sociological Association.

Theorie

Hall beschäftigt sich mit Kultur und verinnerlichter Kultur (kulturelle Identität) in der heutigen spätmodernen Zeit und berührt damit zwangsläufig auch immer Fragen der Macht. Unsere Zeit ist kulturell so vielschichtig, dass Identitäten sich als einheitliche Gebilde auflösen. Wir bestehen alle aus widersprüchlichen Identitäten. UND: Identitäten entwickeln sich. Statt sauber geordneten und von unterschiedlichen Kulturen, geht Hall von einem Zusammenspiel aus, in dem der Andere ein Teil der eigenen Identität ist. Überhaupt löst sich Kultur als festgefügte Ordnung auf, und wird ein sozialer Prozess, in dem ständig neue Bedeutungen konstruiert werden und sich kulturelle Praktiken vermischen können (Hybridität). Simple Beispiele sind deutscher Hip Hop oder das Fortführen bayerischer Traditionen in den USA durch deutsche Immigranten. Hybridisierung ist auch ein politisches Geschehen, weil Identität auch immer politisch ist, da über sie Einschließung und Ausschließung mitgeteilt wird, zum Beispiel durch Kleidung. Auch die Religion verändert sich, es können neue Gottesvorstellungen entstehen oder spirituelle Praktiken sich vermischen.

Hall setzt sich in zahlreichen seiner Schriften mit der Theoriebildung des sog. westlichen Marxismus auseinander und baut kritisch auf diese auf. Schwerpunkt dieser Auseinandersetzung sind v.a. die Arbeiten des italienischen Kommunisten Antonio Gramsci.

Hall brachte mit seinem Aufsatz „The Great Moving Right Show“ von 1979 den Begriff des Thatcherismus in das Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit. Er sieht den Thatcherismus als Versuch, mit Hilfe eines „autoritären Populismus“ eine neue kapitalistische Hegemonie zu errichten.[3]

Siehe auch

Werke (Auswahl)

  • Ideologie, Kultur, Rassismus. Ausgewählte Schriften 3, Hamburg, 2000 (Deutsch von Wieland Elfferding)
  • Cultural Studies. Ein politisches Theorieprojekt. Ausgewählte Schriften 3, Hamburg, 2000, ISBN 3886192601
  • Ideologie, Identität, Repräsentation. Ausgewählte Schriften 4, Hamburg 2004, ISBN 3886193268
  • Situating Marx: Evaluations and Departures (1972)
  • Encoding and Decoding in the Television Discourse (1973)
  • Policing the Crisis (1978)
  • The Hard Road to Renewal (1988)
  • Resistance Through Rituals (1989)
  • The Formation of Modernity (1992)
  • Questions of Cultural Identity (1996)
  • Cultural Representations and Signifying Practices (1997)
  • The West and the Rest: Discourse and Power(1992). In: ders./Bram Gieben (Hrsg.): Formations of Modernity. Cambridge: Polity Press, S. 275-320.
  • Wann gab es „das Postkoloniale“?: Denken an der Grenze(2002). In: Sebastian Conrad/Shalini Randeria (Hrsg.): Jenseits des Eurozentrismus. Postkoloniale Perspektiven in den Geschichts- und Kulturwissenschaften. Frankfurt am Main/New York: Campus, S.219-246.
  • Wann war „der Postkolonialismus“? Denken an der Grenze (1997). In: Elisabeth Bronfen (Hrsg.): Hybride Kulturen: Beitraege zur anglo-amerikanischen Multikulturalismusdebatte. Stauffenburg-Verlag: Tuebingen. S.219-246. ISBN 3-86057-032-3.
  • Rassismus und kulturelle Identität (1994), Argument-Verlag: Hamburg.

Sekundärliteratur

  • Rainer Winter: Stuart Hall. In: Stephan Moebius & Dirk Quadflieg (Hg.): Kultur. Theorien der Gegenwart. Wiesbaden: VS- Verlag für Sozialwissenschaften, 750 S., 2006, ISBN 3-531-14519-3
  • Linda Supik: Dezentrierte Positionierung. Stuart Halls Konzept der Identitätspolitiken, Bielefeld: transcript Verlag, 122 S., 2005, ISBN 3-89942-409-3

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Stuart Hall: Encoding and Decoding in the Television Discourse (1973)
  2. Rainer Winter: Stuart Hall - Die Erfindung der Cultural Studies. In: Moebius/Quadflieg: Kultur. Theorien der Gegenwart, VS-Verlag, 2006, S. 381-393.
  3. Dominik Geppert: Thatchers konservative Revolution - Der Richtungswechsel der britischen Tories (1975-1979), Oldenbourg, 2002, S. 10.

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