Teilhirntod

Teilhirntod

Der Hirntod ist das in der Medizin gängige Todeskriterium. Mit Feststellung des Hirntodes ist naturwissenschaftlich-medizinisch der Tod des Menschen festgestellt. Nach abgeschlossener Hirntoddiagnostik und festgestelltem Hirntod wird die Todesbescheinigung ausgestellt. Festgestellt wird nicht der Zeitpunkt des eintretenden, sondern der Zustand des bereits eingetretenen Todes. Als Todeszeit wird die Uhrzeit registriert, zu der die Diagnose und Dokumentation des Hirntodes abgeschlossen sind.

Inhaltsverzeichnis

Definition

Der Wissenschaftliche Beirat der Bundesärztekammer definierte am 29. Juni 1991 den Hirntod als einen

Zustand des irreversiblen Erloschenseins der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms bei einer durch kontrollierte Beatmung künstlich noch aufrechterhaltenen Herz-Kreislauffunktion. Mit dem Hirntod ist naturwissenschaftlich-medizinisch der Tod des Menschen festgestellt.

Das für die Schweiz gültige Verfahren der Todesfeststellung findet sich in den medizinisch-ethischen Richtlinien zur Feststellung des Todes mit Bezug auf Organtransplantationen der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW).[1]

Kriterien

Bevor die Untersuchungen zur Hirntodfeststellung eingeleitet werden, müssen folgende Voraussetzungen überprüfbar erfüllt sein:

  1. Vorliegen einer akuten primären oder sekundären Hirnschädigung,
  2. Ausschluss einer anderen Ursache oder Mitursache für einen (eventuell nur zeitweisen) Ausfall der Hirnfunktionen (z. B. Vergiftung o.a.).

Klinische und apparative Kriterien sind zu unterscheiden. Die klinischen Kriterien müssen zum Beweis des Hirntodes zwingend nachgewiesen sein. Dies sind:

  1. der Verlust des Bewusstseins (Koma),
  2. eine Areflexie des Hirnstamms (z. B. weite lichtstarre Pupillen, fehlende Schmerzreaktion im Trigeminusbereich, fehlender Lidschlussreflex, Puppenkopfphänomen, fehlender Schluck- und Hustenreflex), wobei autonome Reflexe auf Rückenmarksebene erhalten sein können,
  3. der Verlust der Spontanatmung (Apnoe).

Durch eine erneute Untersuchung der klinischen Kriterien nach festgelegter, adäquater Wartezeit (12, 24 beziehungsweise 72 Stunden je nach Alter und Lokalisation der primären Hirnläsion) oder durch eine ergänzende apparative Untersuchung wird bewiesen, dass es sich um einen unumkehrbaren Ausfall aller Hirnfunktionen (also um Hirntod) handelt. Zu diesen apparativen Kriterien gehören:

  1. ein Null-Linien EEG. Die EEG-Untersuchung soll in Anlehnung an die Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für klinische Neurophysiologie durchgeführt werden. Ergibt die EEG-Ableitung über einen Zeitraum von mindestens dreißig Minuten eine hirnelektrische Stille, also ein sogenanntes Null-Linien EEG, so ist die Irreversibilität des Hirnfunktionsausfalls ohne weitere Beobachtungszeit nachgewiesen.
  2. ein mittels zerebraler Perfusionsszintigraphie oder Doppler-Sonographie festgestellter Durchblutungsstopp in allen hirnversorgenden Gefäßen. Bei der Perfusionsszintigraphie wird eine schwach radioaktiv markierte Substanz injiziert und ihre Verteilung im Gehirn verfolgt. Bei intakter Hirndurchblutung lässt sich die Markierungssubstanz über Stunden in den durchbluteten Hirnregionen nachweisen. Bei einem Hirntoten hingegen stellt sich die Schädelhöhle infolge eines Abbruchs der gesamten Hirndurchblutung „leer“ dar. Bei der Dopplersonographie werden die Hirnbasisarterien beschallt. Anhand der Reflexion des Schallsignals wird die Blutflussgeschwindigkeit in den Hirngefäßen gemessen. Die Dopplersonographie darf nur von einem hierin erfahrenen Untersucher vorgenommen werden und muss mindestens zweimal im Abstand von wenigstens 30 Minuten erfolgen.
  3. der Ausfall der akustischen oder somatosensiblen evozierten Potentiale bei einer primären Läsion des Großhirns und bei einer sekundären Hirnschädigung (Sauerstoffmangel des Gehirns z. B. nach Wiederbelebung des Herzens). Dabei ist die Reizantwort des Gehirns auf einen peripheren Nervenreiz unumkehrbar aufgehoben. Evozierte Potentiale sind hirnelektrische Potentialschwankungen auf akustische (AEP, akustisch evozierte Potentiale) oder elektrische (SEP, somatosensibel evozierte Potentiale) Reize.

Die klinischen Kriterien zum Nachweis des unumkehrbaren Ausfalls der Hirnfunktion müssen in der Bundesrepublik Deutschland zu verschiedenen Zeitpunkten von verschiedenen Ärzten, die nach den Kriterien der Bundesärztekammer über „eine mehrjährige Erfahrung in der Intensivbehandlung von Patienten mit schweren Hirnschädigungen“ verfügen müssen, bestätigt werden, um den Hirntod zweifelsfrei festzustellen. Sollen dem Patienten nach der Feststellung Organe entnommen werden, so muss die Feststellung des Hirntods durch Ärzte erfolgen, die nicht an der Organentnahme oder der Transplantation beteiligt sind. Eine zusätzliche apparative Untersuchung ist nur in den Fällen zwingend erforderlich, in denen die primäre Schädigung im Bereich des Hirnstamms oder des Kleinhirns lag (primär infratentorielle Hirnschädigung). Die apparative Zusatzuntersuchung kann jedoch als Beweis der Irreversibilität der klinischen Ausfallsymptome die Wartezeit verkürzen.

Hirntoddiagnostik: Messbarkeit des Ausfalls aller Hirnfunktionen

In der Informationsbroschüre „Kein Weg zurück…“ des Arbeitskreis Organspende wird folgende Aussage gemacht:

„Es ist richtig, dass die unübersehbare Vielzahl von Hirnfunktionen nicht durch klini­sche oder apparative Untersuchungen in ihrer Gesamtheit erfasst werden kann. Dies ist aus medizinischer Sicht auch unnötig. Vielmehr soll durch die Hirntoddiagnostik die Vollständigkeit und Endgültigkeit einer Schädigung des Gehirns als funktionierendes Ganzes festgestellt werden. Die Gültigkeit dieses Konzepts ist empirisch begründet, d. h. durch Erfahrung an vielen Tausend von Hirntod-Fällen belegt. Es erhebt nicht den Anspruch, den Tod jeder einzelnen Hirnzelle nachzuweisen.“

Quelle: Arbeitskreis Organspende: Kein Weg zurück… Informationen zum Hirntod, 1. A.100.8/99, S. 29

Das EEG (das Hirnstrombild)

Neben der unabdingbaren klinischen Untersuchung ist das EEG eine zusätzliche apperative Methode, die bei der Hirntoddiagnostik eingesetzt werden kann. Die EEG-Untersuchung soll in Anlehnung an die Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für klinische Neurophysiologie durchgeführt werden. Ergibt die EEG-Ableitung über einen Zeitraum von mindestens dreißig Minuten eine hirnelektrische Stille, also ein sogenanntes Null-Linien EEG, so ist die Irreversibilität des Hirnfunktionsausfalls ohne weitere Beobachtungszeit nachgewiesen.

EEG-Aktivitäten trotz klinischer Hirntod-Zeichen und nachgewiesenen Durchblutungsstillstandes

Laut Aussagen der Deutschen Stiftung Organtransplantation (DSO) konnten in Ausnahmefällen EEG-Aktivitäten trotz klinischer Hirntod-Zeichen und nachgewiesenen Durchblutungsstillstandes beobachtet werden.

Die Ursache: „sog. Anastomosen (Gefäßverbindungen) in den Randgebieten zwischen der (unterbrochenen) Blutversorgung hirneigener Arterien und dem noch intakten Kreislauf der äußeren Halsschlagader […], welche die Gesichtsweichteile, aber auch die Hirn­häute versorgt. Hierdurch kann es zu einem Überleben umschriebener Nervenzellpopulatio­nen nach Eintreten des Hirntodes kommen.“[2]

Motivation

Die Diagnose des Hirntodes ist nur im Krankenhaus durch die modernen intensivmedizinischen Behandlungsmöglichkeiten (künstliche Beatmung, Kreislauftherapie, Hormonersatztherapie) möglich. Durch die maschinellen Unterstützungsmaßnahmen kann die Durchblutung und Sauerstoffversorgung der Organe zeitlich begrenzt aufrechterhalten werden. Dennoch kommt es in allen Fällen nach festgestelltem Hirntod trotz aller intensivmedizinischen Maßnahmen nach Stunden oder Tagen zu einem Herzstillstand und zum Zusammenbruch des Herz- Kreislaufsystems.

Nach Feststellung des Hirntodes wird bei Zustimmung zur Organspende die Organentnahme und Transplantation durchgeführt oder, falls die Organspende abgelehnt wurde, das Beatmungsgerät abgestellt und alle weiteren intensivmedizinischen Maßnahmen beendet.

Der Hirntod bietet ein Kriterium, auf die weitere Therapie des Patienten zu verzichten. Ein u.U. bestellter rechtlicher Betreuer hätte z. B. keine Befugnis mehr, auf einer Fortsetzung der „lebenserhaltenden“ Therapie zu bestehen, wenn bereits ärztlicherseits der Hirntod festgestellt wurde.

Nach § 3 des Transplantationsgesetzes (TPG) ist die Hirntodfeststellung Voraussetzung zur Organentnahme. Daraus, dass in diesem Gesetz vom toten Organspender die Rede ist, wird in der Rechtswissenschaft allgemein geschlossen, dass der Hirntod auch juristisch das Todeskriterium erfüllt. Dies wird z. B. inzwischen auch im Erbrecht oder im Personenstandsrecht akzeptiert.

Wörtlich heißt es in § 3 TPG: "(2) Die Entnahme von Organen oder Geweben ist unzulässig, wenn

  1. die Person, deren Tod festgestellt ist, der Organ- oder Gewebeentnahme widersprochen hatte,
  2. nicht vor der Entnahme bei dem Organ- oder Gewebespender der endgültige, nicht behebbare Ausfall der Gesamtfunktion des Großhirns, des Kleinhirns und des Hirnstamms nach Verfahrensregeln, die dem Stand der Erkenntnisse der medizinischen Wissenschaft entsprechen, festgestellt ist."

Kontroverse

Wenn nicht sichergestellt ist, dass mit dem Hirntod auch alle Empfindungen erloschen sind, besteht bei einer Organentnahme die Möglichkeit, dass (neben der Körperverletzung) die Würde des Organspenders verletzt wird (siehe auch Störung der Totenruhe).

Dazu hat die Bundesärztekammer im Jahr 2001 eine Erklärung abgegeben: Nach dem Hirntod gibt es keine Schmerzempfindung mehr. Deshalb sind nach dem Hirntod bei Organentnahmen keine Maßnahmen zur Schmerzverhütung (zum Beispiel Narkose) nötig. Die Tätigkeit eines Anästhesisten bei der Organentnahme dient ausschließlich der Erhaltung der Funktionsfähigkeit der zu entnehmenden Organe.

Erlanger Baby

In diesem Zusammenhang wird häufig der Fall des Erlanger Babys zitiert, in dem eine in der 15. Woche schwangere Frau nach Hirntod noch 5 Wochen am „Leben“ erhalten wurde, bei normalem Wachstum des Fetus. Was für den Laien unverständlich scheint, erklärt sich dadurch, dass durch die Intensivmedizin (Beatmung, Kreislauftherapie, Hormonersatz) der Körper der Frau und damit auch der Uterus in seiner Grundfunktion erhalten blieb und damit auch das Kind unversehrt war. Durch eine Infektion kam es dann zum Ende der Schwangerschaft.

Zu berücksichtigen ist aber auch die Frage, ob es ethisch gerechtfertigt werden kann, die hirntote Mutter solange künstlich zu beatmen und zu ernähren, bis der Fetus per Kaiserschnitt auf die Welt geholt werden kann.

Die Schwangerschaft wurde in diesem Fall erst bei der Vorbereitung zur Organentnahme festgestellt. Als entschieden wurde, zu versuchen die Schwangerschaft auszutragen, wurde die Organentnahme abgesagt. Als es jedoch nach 5 Wochen zur Fehlgeburt kam, war auch die Organentnahme nicht mehr möglich.

Betreuerbestellung

Entgegen der o.g. Aussage war der hirntoten Schwangeren im übrigen ein rechtlicher Betreuer bestellt worden, um über die weitere medizinische Behandlung zu entscheiden. In dem Beschluss des Amtsgerichtes Hersbruck vom 16. Oktober 1992 – XVII 1556/92, NJW 1992, 3245 = FamRZ 1992, 1471 heißt es wörtlich: Die Bestellung eines vorläufigen Betreuers für die genannten Aufgabenkreise erschien erforderlich, ungeachtet der Tatsache, daß die Betroffene tot im Sinne des Gesetzes ist… Zur Klarstellung wird darauf hingewiesen, daß die Entscheidung des vorläufigen Betreuers über das Abschalten der funktionserhaltenden Apparate vor Entbindung oder Tod der Leibesfrucht im Mutterleib einer Genehmigung durch das Gericht bedarf. Nach diesem Zeitpunkt ist eine Genehmigung nicht mehr erforderlich.

Katholische Kirche

Aus Sicht der Römisch-katholischen Kirche gilt die Hirntod-Definition, nachdem das Ausbleiben messbarer Hirnströme über einen Zeitraum von mindestens sechs Stunden den Tod des Menschen anzeige.[3]

Literatur

  • Akerma, Karim: Lebensende und Lebensbeginn. Philosophische Implikationen und mentalistische Begründung des Hirn-Todeskriteriums, Lit Verlag, Hamburg 2006, ISBN 3-8258-9744-3
  • Alberto Bondolfi (Hrsg.): Hirntod und Organspende. Verlag Schwabe, Basel 2003, ISBN 3-7965-1968-7.
  • Johannes Hoff (Hrsg.): Wann ist der Mensch tot? Organverpflanzung und „Hirntod“-Kriterium. Rowohlt, Reinbek 1995, ISBN 3-499-19991-2.
  • Steven Laureys: Hirntod und Wachkoma (Artikel in Spektrum der Wissenschaft)
  • Adrian Schmidt-Recla: Tote leben länger. Ist der Hirntod ein ausreichendes Kriterium für die Organspende?. In: MedizinRecht 2004, S. 672–677.
  • Ralf Stoecker: Der Hirntod. Ein medizinethisches Problem und seine moralphilosophische Transformation. Alber, Freiburg 2006, ISBN 3-495-48181-8.
  • Hartwig Wiedebach: Hirntod als Wertverhalt. Medizinische Bausteine aus Jonas Cohns Wertwissenschaft und Maimonides’ Theologie. LIT-Verlag, Münster 2003, ISBN 3-8258-7098-7.
  • Urban Wiesing (Hrsg.): Ethik in der Medizin. Ein Studienbuch. Reclam, Stuttgart 2004, ISBN 3-15-018341-3.
  • englische Literaturliste zum Artikel

Weblinks

Einzelnachweise

  1. [1] – Richtlinien: Feststellung des Todes mit Bezug auf Organtransplantationen; PDF-Datei abgerufen am 27. Juli 2008
  2. Deutsche Stiftung Organtransplantation (DSO): Der Hirntod als der Tod des Menschen, 1. A.30.12/95, S.36
  3. „Wie tot ist hirntot?“, Radio Vatikan, 4. September 2008

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