Temporale Stunden

Temporale Stunden
Zifferblatt einer Wand-Sonnenuhr für die gleichzeitige Anzeige temporaler (zwölf Stunden, schwarz) und äquinoktialer (rot, Ziffer am Stunden-Ende) Tages-Stunden
(Zur Tag-Nacht-Gleiche sind beide Stunden-Arten gleich lang.)

Temporale Stunden, auch biblische oder jüdische Stunden, sowie antike oder römische Stunden, lateinisch horae temporales, ist die Bezeichnung für die über das Jahr nicht gleich lang bleibenden gleichen Abschnitte, in die einerseits der lichte Tag, andererseits die Nacht unterteilt ist.

Die erste temporale Stunde beginnt bei Sonnenauf- beziehungsweise nach Sonnenuntergang. Sind lichter Tag und Nacht zum Beispiel in je zwölf temporale Stunden unterteilt, so fällt Mittag und Mitternacht jeweils in die sechste oder siebte Stunde.[1]

Inhaltsverzeichnis

Astronomische Grundlagen

Dem Begriff des lichten Tags entspricht der astronomische Begriff Tagbogen der Sonne. Mit Ausnahme des Äquators hängt die Länge des lichten Tages von der geographischen Breite und der Jahreszeit ab. Auf 49° nördl./südl. Breite (z. B. in Karlsruhe) schwankt er zwischen 16 äquinoktialen Stunden im Sommer und 8 äquinoktialen Stunden im Winter. Ab 66,5° nördl./südl. Breite geht die Sonne im Sommer nicht mehr jeden Tag unter (den Horizont) und im Winter nicht mehr jeden Tag auf – es gibt den ‚Tag‘ im Sinne des Begriffs nicht mehr. Näheres zu diesem Sachverhalt siehe Aufgang (Astronomie).

Durch die kontinuierliche Änderung der Längen des lichten Tags und der Nacht im Jahreslauf ändern sich auch die Längen der Tagteilung, also der temporalen Tagstunden und der temporalen Nachtstunden übers Jahr.

Die temporalen Stunden des Tages und der Nacht sind nur zum Frühlings- und Herbstbeginn (Tag-und-Nacht-Gleiche, Äquinoktien) gleich lang. Im Sommer sind die Tagstunden länger, im Winter die Nachtstunden.

Geschichte

Temporale Stunden waren in vielen Kulturen üblich. Eine Unterteilung des Tages und der Nacht in jeweils zwölf Stunden ist erstmals im Alten Ägypten belegt. Eine ähnliche Unterteilung des lichten Tages und der Nacht wurde später im Mittelmeerraum etwa seit der klassischen griechischen Antike in je zwölf Temporalstunden (griechisch ωραι καιρικαι, horai kairikai) vorgenommen.

In unserem Kulturkreis wurden sie von der römischen Zeitrechnung übernommen, und waren im europäischen Mittelalter und darüber hinaus gebräuchlich. Sie hatten insbesondere im festgelegten Tagesablauf der klösterlichen Ordensgemeinschaften Bedeutung. Diese Zeiteinteilung ermöglichte es, die Arbeiten des Tages - wie Essen, Beten oder Arbeiten - immer zur gleichen (temporalen) Stunde zu verrichten, egal wie lang der lichte Tag war.

Diese Zeitrechnung wird auch vom jüdischen Religionsgesetz (Halacha) verwendet, daher jüdische oder biblische Stundenteilung.

Mit der zunehmenden Verbreitung und Wichtigkeit der mechanischen Uhren wurden die temporalen Stunden durch die äquinoktialen Stunden, die über den ganzen Tag gleich lang sind, abgelöst. Letztere werden heute bei der Angabe der Uhrzeit ausschließlich verwendet.

Uhrwerke für temporale Stundenrechnung

Die astronomische Uhr des Zytglogge in Bern zeigt die temporalen Stunden in goldenen Linien an.

Alte astronomische Uhren, die in der Zeit des Umbruchs entstanden sind, wie jene am Ulmer Rathaus, haben Skalen, mit denen sowohl die Gleiche Stunde als auch die Temporale Stunde abgelesen werden kann. Frühe Klosteruhren hatten sogar die Möglichkeit, die Geschwindigkeit der Waag Hemmung zu verändern und damit ihre Laufgeschwindigkeit an die aktuelle Tages- und Nachtlänge anzupassen. Dazu hatte die Waag 26 Einstellmöglichkeiten (52 Wochen÷2). Nur in der Woche der Tagundnachtgleiche konnte die Uhr Tag und Nacht mit der mittleren Gewichtsstellung betrieben werden. In allen anderen Wochen mussten die Gewichte jeweils bei Sonnenaufgang und Sonnenuntergang in die richtige Lage gebracht werden.

Siehe auch

Literatur

  • Jürgen Osing: Hieratische Papyri aus Tebtunis I (Carsten Niebuhr Institute of Ancient Eastern Studies Copenhagen). Museum Tusculanum Press, Copenhagen 1998, ISBN 8-7728-9280-3
  • Rudolf Wendorff: Zeit und Kultur. Geschichte des Zeitbewusstseins in Europa. Westdeutscher Vlg, Wiesbaden 1980. ISBN 3-531-11515-4

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: Äquinoktialzeit – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Anmerkungen

  1. Der Zeitpunkt des tatsächlichen Mittags ereignet sich wahlweise am Ende der sechsten oder Anfang der siebten Stunde. Im Alten Ägypten wurde die Zeit "Mittag" in zwei Stunden aufgeteilt, die siebte Stunde zeigte im Normalfall den Beginn der zweiten Tageshälfte an; siehe Kairo, jahreszeitliche Uhrzeiten der sechsten/siebten Stunde: Tag-Nachtgleiche: Frühjahr, Sonne um 12:02 im Zenit, 11:03–12:03/12:03–13:03; Sommersonnenwende: Sonne um 11:57 im Zenit, Mittagsstunden 10:48–11:58/11:58–13:08; Tag-Nachtgleiche: Herbst, Sonne um 11:48 im Zenit, 10:48–11:48/11:48–12:49; Wintersonnenwende: Sonne um 11:53 im Zenit, 11:02–11:53/11:53–12:44; vgl. auch Jürgen Osing: Hieratische Papyri aus Tebtunis I. S. 203.

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