Totengedenken

Totengedenken

Das Memorialwesen (von lateinisch: memoria = Gedächtnis) hat als Totengedenken eine lange Geschichte seit Menschengedenken. Mit Memorialwesen im etwas engeren Sinn meint man das Totengedenken seit der Antike. Memorialforschung ist heute fester Bestandteil der Mediävistik.

Inhaltsverzeichnis

Das Memorialwesen im Mittelalter

Bestimmend für das Wesen des mittelalterlichen Memorialwesens (oder kurz der Memoria) war das christliche Verständnis vom Tod. Für den Christen des Mittelalters war der Tod nicht das Ende des Lebens. In seiner Vorstellung bestand die Erwartung, am Jüngsten Tag mit Christus wiederaufzustehen und das ewige Heil zu erlangen. Der Todestag war der „dies natalis“, der eigentliche Geburtstag. Bis zu diesem Tag sollte das Gedächtnis an den Verstorbenen bewahrt werden, damit dieser mit den Lebenden zusammen an der Erlösung teilhaben konnte. Zugleich sollte das Gedächtniswesen die irdischen Verfehlungen des Verstorbenen tilgen, die dieser nicht mehr sühnen konnte. Durch die Verpflichtung an die Lebenden, Memorialdienste zu erfüllen, entstand eine Gemeinschaft über den Tod hinaus.

Dem Menschen des Mittelalters war es daher wichtig, zu seinen Lebzeiten für seine Memoria zu sorgen, das Memorialwesen hatte damit eine große Bedeutung im Alltagsleben. Das Gebetsgedächtnis konnte dabei durch Gaben, Almosen, einmalige Schenkungen oder dauerhafte Stiftungen wie etwa die Hausklöster bedeutender Adelsfamilien bewirkt werden, durch die die Empfänger, oftmals Klöster, zum Gedächtnis verpflichtet wurden. Stiftungen im Rahmen des Memorialwesens bildeten häufig die wirtschaftliche Grundlage der klösterlichen Gemeinschaften. Die Nennung der Namen der Stifter während des Meßopfers (Memento) machte diese zu Teilnehmern an der Eucharistie.

Die wachsende Anzahl der erinnerungspflichtigen Namen führte dazu, dass diese schriftlich aufgezeichnet wurden. Die Namen von Personen und Personengruppen wurden zunächst in Diptychen, später in Memorialbüchern niedergelegt. Im späteren Mittelalter, als die Anzahl der Namen so weit gewachsen war, dass nicht mehr jeder Name verlesen werden konnte, wurde die Teilnahme der zu Erinnernden an der Messe dadurch hergestellt, dass das Memorialbuch auf den Altar gelegt wurde.

Gleichzeitig setzte eine Entwicklung zu einer mehr individualisierten Form des Gedächtnisses ein. Neben die Verbrüderungsbücher traten nun kalendarisch geordnete Nekrologe, aufgrund derer den Toten an ihrem Sterbetag gedacht werden konnte. Das um 1050 datierte Testament der Essener Äbtissin Theophanu, in dem sie ihren Memorialdienst detailliert regelte, geht bereits von einem individualisierten Memorialgedanken aus.

Zur Verstärkung der Memoria gingen Klostergemeinschaften Gebetsverbrüderungen mit anderen Gemeinschaften ein, zu deren Erfüllung Gedenklisten und Nekrologe ausgetauscht wurden.

Heutige Bedeutung des Memorialwesens

Aufgrund des Bestrebens, von der Nachwelt erinnert zu werden, sind zahlreiche Kunstschätze wie etwa das Otto-Mathilden-Kreuz des Essener Domschatzes entstanden. Das Memorialwesen hat eine Vielzahl schriftlicher Quellen erzeugt, die oftmals wichtige Schlüsse zu Verwandtschaftsbeziehungen, Bündnissen und anderen historischen Vorgängen bieten. So findet sich die erste Erwähnung Otto des Großen als Mitkönig seines Vaters Heinrich I. in einer Verbrüderungsliste des Klosters Reichenau.

Literatur

  • Thorsten Fremer: Äbtissin Theophanu und das Stift Essen: Gedächtnis und Individualität in ottonisch-salischer Zeit, Verlag Peter Pomp, Bottrop Essen 2002, ISBN 3-89355-233-2.
  • Caroline Horch: Der Memorialgedanke und das Spektrum seiner Funktionen in der Bildenden Kunst des Mittelalters. Königstein i. Ts. 2001. ISBN 3-7845-7550-1.
  • Memoria in der Gesellschaft des Mittelalters (= Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte 111), hrsg. von Dieter Geuenich / Otto Gerhard Oexle, Göttingen 1994. ISBN 3-525-35648-X.
  • Otto Gerhard Oexle: Memoria in der Gesellschaft und in der Kultur des Mittelalters, in: Modernes Mittelalter. Neue Bilder einer populären Epoche, hrsg. v. Joachim Heinzle. Frankfurt a.M. u. Leipzig 1994, S. 297–323.
  • Karl Schmid/ Joachim Wollasch: Die Gemeinschaft der Lebenden und der Verstorbenen (= Frühmittelalterliche Studien 1), Berlin 1967, S. 365–405.

Weblinks


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