Translozierung (Baudenkmalpflege)

Translozierung (Baudenkmalpflege)

In der Denkmalpflege bedeutet Translozierung (auch Versetzung oder Transferierung) den dokumentierten Abbau und anschließend möglichst originalgetreuen Aufbau eines historischen Gebäudes (Baudenkmals) an einem anderen Ort. Das geschieht vor allem, wenn Kulturdenkmäler Bauprojekten im Wege stehen. Die Translozierung ist ein Verfahren der Gebäudeversetzung.

Inhaltsverzeichnis

Probleme der Translozierung

Translozierung ist eine Form der Rekonstruktion an anderer Stelle, bei der ein Teil der Gebäudegesamtheit verloren geht. Denkmalpfleger sehen die Translozierung von Denkmalen aus folgenden Gründen äußerst kritisch:

  • Bei einem Abbau werden relevante Teile der historischen Substanz vernichtet, so die originale Gründung. Bei Fachwerkgebäuden gingen früher die Füllungen der Gefache und damit ein Gutteil des Hauses verloren. Durch die Technik der "Translozierung in Ganzteilen" wird dies verhindert.
  • Ein Kulturdenkmal büßt durch die Versetzung seinen historischen Kontext ein: Es verliert die städtebaulichen, siedlungs- und sozialgeschichtlichen Bezüge, in denen es entstanden ist (baulicher Kontext des originalen Standorts, archäologische Relikte und Bezug zu Vorgängerbauten), die es mit bezeugt und in denen es historisches Zeugnis wurde.
  • Geschichts- und Umbauspuren werden getilgt. Selbst bei Wiederverwendung der Originalmaterialien gehen die handwerklichen Spuren verloren. Dadurch wird das Gebäude als historische Quelle entwertet.
  • Mit dem neuen Standort entsteht ein Bezug zur neuen Umgebung. Er verfremdet den ursprünglichen Kontext und eventuell auch den des neuen Standorts: Es entsteht der Eindruck, das Gebäude habe hier schon immer gestanden. Besonders problematisch ist das Versetzen von Gebäuden in eine ihnen ganz fremde Umgebung.

Eine Translozierung sollte deshalb nur in Ausnahmefällen durchgeführt werden, etwa bei drohendem Totalverlust.

Beispiele von Translokationen

Freilichtmuseen

Ziel einer Translozierung kann ein Freilichtmuseum sein. Dafür gibt es zahlreiche Beispiele. Freilichtmuseen können zum überwiegenden Teil von solchen Translokationen leben.

Außerhalb von Freilichtmuseen

  • Zahlreiche ägyptische Obelisken wurden bereits vor langer Zeit, zum Teil schon in der Antike an andere Standorte gebracht (z. B. Obelisken in Rom, Cleopatra's Needle in London, Obelisk von Luxor in Paris).
  • Eine der ersten und spektakulärsten Translozierungen im 19. Jahrhundert war die Versetzung der ursprünglich zum Gebäudekomplex der Kommende Ramersdorf gehörenden Georgskapelle auf den Alten Friedhof in Bonn
  • Die ägyptischen Tempel von Abu Simbel wurden zwischen 1964 und 1968 versetzt, um die Überflutung durch den Nassersee zu verhindern.
  • 1907 wurde die Villa Haux in Albstadt-Ebingen auf die andere Straßenseite verschoben, um einer neuen, größeren Villa Platz zu machen.
  • Das Ohm'sche Haus wurde von Langendorf nach Dannenberg (Elbe) transloziert. Die Umsetzung wird kritisch gesehen, weil das Bauernhaus aus seinem dörflichen Kontext entfernt wurde und nun in unmittelbarer Nähe der Dannenberger Innenstadt steht, wo dieser Haustyp historisch nicht vorkommt.
  • Im Scheunenviertel von Steinhude wurden die noch erhaltenen Gebäude durch Scheunen aus anderen Orten ergänzt, die von der Bautradition des Ortes stark abweichen. Damit wurde das Ortsbild an dieser Stelle stark verfälscht.
  • Laroslehen: von Berchtesgaden-Unterau nach Ramsau bei Berchtesgaden-Hintersee, heute Klausbachhaus und Nationalparkinfostelle.[1] [2]
  • Fragmente des ehemaligen Hotel Esplanade (Berlin) wurden 1996 im Zuge des Baus des Sony Centers transloziert und in das Center integriert. Dazu wurde der Kaisersaal um 75 m verschoben, der Frühstückssaal wurde zerlegt und am neuen Ort wieder zusammengefügt.
  • 1997 wurde die byzantinische Kapelle St. Peter und Paul um 350 m verschoben, um Platz für die westliche Landebahn des Athener Flughafens zu schaffen, gleichzeitig konnte unter der Kirche ein archäologisches Grabungsfeld erschlossen werden[3]
  • 2007 wurde die Emmauskirche von Heuersdorf in Sachsen nach Borna versetzt, um sie vor der Zerstörung durch den Braunkohlenabbau im mitteldeutschen Revier zu bewahren.

Literatur

  • Fred Kaspar: Bauten in Bewegung. Von der Wiederverwendung alter Hausgerüste, vom Verschieben und vom Handel mit gebrauchten Häusern, von geraubten Spolien, Kopien und wiederverwendeten Bauteilen (= Denkmalpflege und Forschung in Westfalen 47). von Zabern, Mainz 2007, ISBN 978-3-8053-3856-1.

Siehe auch

Einzelnachweise

  1. www.berchtesgadener-anzeiger.de: "Das entwurzelte und neu gepflanzte Gebäude" 19. Juni 2004
  2. Wiederaufbau des Laroslehens
  3. Projekt auf der Website von Hochtief

Weblinks


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