Venusfigurinen

Venusfigurinen
Venus von Willendorf

Venusfigurinen (heute besser: Frauenstatuetten) ist ein traditionell verwendeter Sammelbegriff für weibliche Statuetten aus dem Jungpaläolithikum. Diese Kleinkunstwerke stammen fast ausnahmslos entweder aus dem jüngeren Gravettien (von Westeuropa bis Sibirien, in Niederösterreich und Mähren auch als Pavlovien bezeichnet) oder aus dem Magdalénien (Mittel- und Westeuropa). Sie sind damit zwischen 28.000 Jahren (24.000 14C-Jahre) und 12.000 Jahren alt.

Nur zwei Venusfigurinen, die Venus vom Hohlen Fels und die Venus vom Galgenberg, stammen aus dem Aurignacien und sind mindestens 35.000 Jahre alt.[1] Noch ältere Funde (Venus von Tan-Tan, Venus von Berekhat Ram) werden von der Mehrheit der Archäologen als Pseudoartefakte angesehen.[2][3]

Inhaltsverzeichnis

Begriffsgeschichte

Der Genrebegriff Venus wurde 1864 beim ersten Fund einer paläolithischen Venus geprägt, die der Finder Marquis de Vibraye wegen ihrer vollständigen Nacktheit als „Venus impudique“ (schamlose Venus) taufte. Die Statuette aus Mammutelfenbein stammt vom Abri Laugerie-Basse bei Les Eyzies-de-Tayac-Sireuil und wurde in Schichten des Magdaléniens gefunden. Der Begriff hat jedoch nichts mit einer Interpretation als „Liebesgöttin“ zu tun, sondern ist eine verschämte Umschreibung von weiblicher Nacktheit in der Ausdrucksweise des 19. Jahrhunderts. Als Taufpaten des Namens Venus dürften die antike Aphrodite von Knidos und das Gemälde Venus von Urbino von Tizian zur Seite gestanden haben, wie auch die 1820 gefundene Venus von Milo. Während Venusskulpturen der griechisch-römischen Antike ihre Scham meist verhüllten (Venus pudica = schamvolle Venus), wurde im Jahre 1874 mit der Venus vom Esquilin eine antike Venusskulptur gefunden, die – wie die altsteinzeitlichen Venusfigurinen – ebenfalls vollständig nackt dargestellt ist.

Mit dem Fund der Venus von Willendorf im Jahre 1908 war der Begriff Venus im Paläolithikum etabliert und wird seitdem für die meisten Neufunde von Frauenstatuetten verwendet, zum Teil unabhängig von deren Nacktheit.

Aussehen und verwendetes Material

Venus von Dolní Věstonice

Die meisten der Figurinen zeigen stark ausgeprägte weibliche Merkmale, so sind besonders die Brüste und das Gesäß stark akzentuiert, aber auch Bauch und Schenkel wurden überproportional dargestellt, so dass sie entweder hochschwanger oder stark übergewichtig wirken. Andere, zum Beispiel mehrere Figurinen von Malta (Russland) sind - abgesehen von der Venus von Mal'ta - sehr schlank und weisen keine Geschlechtsmerkmale auf. Auffallend unkonkret ausgeführt oder bewusst weggelassen ist meist das Gesicht der Statuetten. Die Figuren sind meist kleiner als 10 Zentimeter, nur selten erreichen sie 15 Zentimeter.

Hergestellt wurden die Venusfigurinen aus Stein (z. B. Venus von Willendorf), Knochen oder Elfenbein (z. B. Venus vom Hohlen Fels, Lespugue, Moravany, Venus II von Willendorf), sie wurden aber auch aus Ton und Lehm geformt und gebrannt (Venus von Dolní Věstonice). Letztere stellen somit einige der ältesten bekannten Formen von Keramik dar.

Kulturelle Bedeutung

Die kulturelle Bedeutung dieser Objekte ist ungeklärt; einen offensichtlichen Nutzen haben sie nicht. Die meisten Interpretationen beziehen sich auf zwei Deutungsmöglichkeiten: Darstellung oder Förderung der menschlichen Fruchtbarkeit durch Fruchtbarkeitssymbole oder Abbildungen von Göttinnen oder eine Mischung aus beidem. Gelegentlich wurde auch von paläolithischen Pin-ups gesprochen. Ein Zusammenhang mit der Fruchtbarkeit von Feldern ist auszuschließen, da der Ackerbau erst später erfunden wurde. Interpretiert man die Überzeichnung der Formen als Fettleibigkeit, kann auch der Wunsch nach einer guten Versorgung mit Nahrung der Hintergrund sein. Von einigen Autoren wurden die Figurinen als Hinweise auf ein Matriarchat gedeutet. Diese Interpretation gilt in der Fachwissenschaft allerdings als unbelegt.

Die offensichtliche Steatopygie einiger Figurinen gab besonders in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Anlass zu Spekulationen, dass ein Zusammenhang mit Bevölkerungen bestehen könne, wo diese Form des so genannten „Fettsteiß“ häufiger vorkommt. Dies ist zum Beispiel bei den Khoisan des südlichen Afrika der Fall.[4] Derartige Spekulationen sind aus heutiger Sicht haltlos, da es keinerlei Hinweise für die Einwanderung der Gravettien-Bevölkerung aus dem südlichen Afrika gibt.

Liste paläolithischer Venusfigurinen

aus dem Aurignacien:

aus dem Gravettien:

aus dem Magdalénien:

Einzelnachweise

  1. Christine Neugebauer-Maresch: Zum Neufund einer weiblichen Statuette an der Aurignac-Station Stratzing/Krems-Rehberg, Niederösterreich. in: Germania. Mainz 67.1989, 551-559. ISSN 0016-8874
  2. Die Venus von Tan-Tan bei BBC News
  3. Details zur Kontroverse
  4. Luce Passemard: Les statuettes féminines paléolithiques dites Vénus stéatopyges. Nîmes: Librairie Teissier 1938

Siehe auch

Literatur

  • Wilhelm Angeli: Die Venus von Willendorf. Edition Wien, Wien 1989. ISBN 3-85058-035-0
  • Richard Rudgley: Abenteuer Steinzeit. Die sensationellen Erfindungen und Leistungen prähistorischer Kulturen. Magnus, Essen 2004. ISBN 3-88400-420-4
  • Desmond Morris: Die nackte Eva. Der weibliche Körper im Wandel der Kulturen. Heyne, München 2004. ISBN 3-453-12006-X
  • LeRoy McDermott: Self-Representation in Upper Paleolithic female figurines. in: Current Anthropology. Chicago 37 1996,2, 227-275. ISSN 0011-3204
  • Clive Gamble: Interaction and alliance in Palaeolithic Society. in: MAN. The journal of the Royal Anthropological Institute of Great Britain and Ireland. N.S. London 17.1982,1, 92-107. ISSN 0025-1496
  • Catherine Hodge McCoid, Leroy D. McDermott: Toward decolonizing gender. Female vision in the Upper Paleolithic. pn: American Anthropologist. N.S. Malden 98.1996,2, 319-326. ISSN 0002-7294

Weblinks

 Commons: Venus figurines – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien

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