- Verfahrenspflegschaft
-
Der Verfahrenspfleger hat in Deutschland die Aufgabe, im Verfahren vor dem Vormundschaftsgericht (auf Bestellung eines Betreuers oder Anordnung einer Unterbringung) oder vor dem Familiengericht (in kindschaftsrechtlichen Verfahren) die Interessen des Betroffenen zu vertreten und kann hier Anträge stellen, Rechtsmittel einlegen und an den Anhörungen teilnehmen. Der Verfahrenspfleger im Kindschaftsrecht wird auch als „Anwalt des Kindes“, "Kinder- und Jugendanwalt" oder "Verfahrensbeistand" bezeichnet. Er hat, ähnlich wie ein Rechtsanwalt, als Parteivertreter die gleichen Rechte und Pflichten für seinen "Mandanten". Für ihn gelten daher auch die gleichen Bestimmungen zum Datenschutz, zur Dokumentation (Aktenhaltung) und Aussageverweigerungsrecht.
Inhaltsverzeichnis
Aufgaben
Der Verfahrenspfleger soll dem Betroffenen erläutern, wie das gerichtliche Verfahren abläuft, ihm Inhalte und Mitteilungen des Gerichtes erläutern. Auch soll er Wünsche des Betroffenen an das Gericht übermitteln. Auch kann er darauf achten, ob alle möglichen freiwilligen Hilfen für den Betroffenen ausgeschöpft sind. Rechtsgrundlage ist das Gesetz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FGG). In den Fällen kindschaftsrechtlicher Verfahren § 50 FGG, in Betreuungsverfahren § 67 FGG und in Unterbringungsverfahren § 70b FGG. Jährlich werden ca. 80.000 Verfahrenspfleger bestellt. Diese Zahlen beziehen sich nur auf die Verfahrenspfleger in betreuungs- und unterbringungsrechtlichen Verfahren. Durch eine Änderung des FGG wird aus der Kann-Regelung eine verbindliche Bestellpraxis. Bisher war es u.a. Ermessensfrage des Richters, ob und wann er einen Verfahrenspfleger bestellt hat. Meist wurde sich dabei an der Schwere des Verfahrens und der Erheblichkeit des Eingriffs in die Betroffenenrechte orientiert. Nach erfolgreicher Umsetzung der FGG-Reform wird das Gericht künftig in wesentlich mehr Verfahren, in denen Kinder u. Jugendliche betroffen sind, einen eigenen Interessensvertreter bestellen müssen.
Hierzu hat das OLG Frankfurt a.M. wie folgt Stellung genommen: „Der Verfahrenspfleger ist Pfleger eigener Art. Er ist dem Betroffenen zur Seite zu stellen, soweit dies zur Wahrung der Interessen des Betroffenen erforderlich ist. [...] Hintergrund der gesetzgeberischen Überlegung war hierbei speziell in Bezug auf das Unterbringungsverfahren, dass der Betroffene bei diesen besonders schweren Eingriffen in seine Freiheit nicht allein stehen, sondern fachkundig beraten und vertreten werden soll. Der Verfahrenspfleger hat im Rahmen des Verfahrens, für das er bestellt ist, die Rechtsstellung eines gesetzlichen Vertreters des Betroffenen. Er braucht Weisungen des Betroffenen nicht zu beachten, sondern hat nur die objektiven Interessen des Betroffenen wahrzunehmen.“ D.h. er vertritt, vergleichbar mit einem Rechtsanwalt oder juristischen Beistand, nur die Interessen des Kindes. Hauptsächlich wird dies in seiner schriftlichen Stellungnahme, in der auch ein Antrag oder eine Anregung im Namen des Kindes formuliert werden soll, deutlich. Das Gericht fordert diese Stellungnahme meist innerhalb einer bestimmten Schriftsatzfrist an, so dass alle Parteien vor Anberaumung einer mündlichen Anhörung, den Inhalt und den Antrag des Kinder- und Jugendanwaltes oder Verfahrenspflegers kennen. In der mündlichen Anhörung vor Gericht hat er alle Rechte, die einem Anwalt auch zustehen. Er kann Anträge stellen, Befragungen vornehmen, Beweisaufnahmen anregen, Beweismittel vorbringen. Als beauftragter Prozess"beistand" der Kinder/Jugendlichen hat der Jurist als Verfahrenspfleger auch das Recht, die Robe zu tragen. Die Praxis zeigt aber, dass hiervon eher weniger Gebrauch gemacht wird, da sich in vielen Köpfen festgesetzt hat, die Robe stehe nur Rechtsanwälten und Richtern zu.
Der Verfahrenspfleger wird ganz regelmäßig vom Gericht bestellt. Daneben ist es in kindschaftsrechtlichen Verfahren natürlich möglich, dass für das Kind oder den Jugendlichen direkt ein (gewählter) Rechtsanwalt auftritt. Dieser "Verfahrensbevollmächtigte" hat genau die gleichen Rechte und Pflichten wie der von Amts wegen bestellte "Anwalt des Kindes". Oftmals wird er eher das Vertrauen des Kindes oder des Jugendlichen genießen. Er tritt neben einen gerichtlich bestellten Verfahrenspfleger und arbeitet entweder mit diesem zusammen oder tritt - bei fachlichen Differenzen oder wenn das Kind bzw der Jugendliche den Verfahrenspfleger ablehnt - zu diesem in Konkurrenz. Dabei spielt das Alter des Kindes oder Jugendlichen keine Rolle. Die Schranke von 14 Jahren ist nur insofern von Belang, als ab dann der Jugendliche (über seinen Bevollmächtigten) selbst ein Beschwerderecht ausüben kann.
Qualifikation
Der Verfahrenspfleger kann Rechtsanwalt sein, muss es aber nicht, er kann sogar ehrenamtlich bestellt werden. Angesichts der notwendigen Kenntnisse des Gerichtsverfahrens dürfte dies in der Praxis aber wenig hilfreich sein. Bewährt haben sich Modelle, in denen auf eine pädagogische oder psychologische Grundausbildung (meist ein Studium) eine Fortbildung mit auch juristischen Inhalten aufgesetzt wird. Besonders durch die recht komplexen Bereiche des materiellen Familienrechts, des Sozialrechts, der verschiedenen Prozessordnungen (ZPO, FGG, HausratVO, etc.) ist diese Möglichkeit der Qualifikation sicher adäquat am Bedarf und der späteren Praxis orientiert. Die Bundesverbände für Verfahrenspfleger entwickeln Standards und einen Kodex, damit insgesamt die Verfahrenspfleger nach gleichen Grundsätzen arbeiten und eine Qualitätssicherung der Arbeit gegeben ist. Allerdings ist noch offen, inwieweit derartige Vorgaben und Empfehlungen in der Praxis auch tatsächlich eingehalten werden.
Ende des Verfahrens, Rechtsmittel
Die Bestellung des Verfahrenspflegers endet mit dem Abschluss des Verfahrens, für das er bestellt ist. Anschließend befasst das OLG sich mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen dem Verfahrenspfleger ein Beschwerderecht gegen Entscheidungen des Vormundschaftsgerichts zusteht. Dabei wird unterschieden zwischen den Fällen, in denen die eigene Rechtsstellung des Verfahrenspflegers verletzt und ihm deshalb ein Beschwerderecht zustehen kann und den Fällen, in denen ein Recht des Betroffenen verletzt ist und der Verfahrenspfleger als dessen gesetzlicher Vertreter Beschwerde einlegen kann. Hier wird auf das eigenständige Beschwerderecht des Verfahrenspflegers – unabhängig vom Willen des Betroffenen – hingewiesen.
Allerdings ist die Beschwerde des Verfahrenspflegers nur dann zulässig, wenn auch der Betroffene selbst gegen die angefochtene Entscheidung Beschwerde einlegen könnte. Dies kann er aber dann nicht, wenn er durch die Entscheidung nicht „beschwert“ ist. So war es im entschiedenen Fall, wo das Vormundschaftsgericht die geschlossene Unterbringung des Betroffenen nicht etwa angeordnet oder genehmigt, sondern abgelehnt hatte.
Betreuungsverfahren
§ 67 FGG hebt besonders drei Fälle hervor, in denen in der Regel im Betreuungsverfahren ein Verfahrenspfleger zu bestellen ist:
- wenn von der persönlichen Anhörung des Betroffenen abgesehen werden soll;
- wenn Gegenstand des Verfahrens die Anordnung einer Betreuung für alle Angelegenheiten ist;
- wenn über die Genehmigung der Einwilligung des Betreuers in eine Sterilisation (§ 1905 BGB) entschieden werden soll.
Unterbringungsverfahren
Im Unterbringungsverfahren soll der Verfahrenspfleger stets bestellt werden, es sei denn, der Richter begründet ausdrücklich, warum er keinen Verfahrenspfleger für nötig hält.
Strafverfahren
Eine Vertretung der Betroffenen in Strafverfahren, beispielsweise bei Gefährdung des Kindeswohls, Missbrauch, etc., in denen diese als Nebenkläger auftreten können oder ein Verfahren anstrengen ist so noch nicht möglich. Bestrebungen, geeignete Vertreter mit grundständigen, erfahrenen pädagogischen u. psychologischen Kenntnissen einzusetzen, werden vermehrt beobachtet. Besonders Gerichte wünschen sich vielfach Interessensvertreter außerhalb der Rechtsanwaltschaften um den Kindern in solchen Verfahren gerechter zu werden und adäquater auf sie eingehen zu können. Dies muss aber mit einer sicheren und qualitativen Ausbildung im Strafrecht und den Verfahrensordnungen einhergehen. Die juristische Seite einer solchen Tätigkeit sollte nämlich in allen genannten Verfahren nicht unterschätzt werden. Es sind und bleiben rechtsschwangere Verfahren, in denen Prinzipien und Methoden eingehalten werden müssen. Regelmäßiger werden von den Staatsanwaltschaften Ergänzungspflegschaften (vergleichbar mit der Verfahrenspflegschaft) für Kinder und Jugendliche beantragt, um ihnen ggf. in gerichtlichen Vernehmungen und Gegenüberstellungen beizustehen und zu unterstützen. Eine konkrete Vertretung, wie in §§ 50, 70b FGG ist aber auch in diesen Verfahren nicht üblich.
Vergütung
Der Verfahrenspfleger wird nach § 67a FGG (ab 1. September 2009 nach § 272 FamFG) wie ein beruflich tätiger Vormund vergütet, mit einem Stundensatz von zwischen 19,50 und 33,50 Euro, zuzügl. Mehrwertsteuer (je nach Qualifikation). Die Vergütung erfolgt stets aus der Staatskasse. Diese kann aber dem Betreuten die Verfahrenspflegervergütung im Rahmen der Gerichtskosten in Rechnung stellen, wenn der Betreute über mehr als 25.000 Euro Vermögen verfügt.
Ein gewählter Verfahrensbevollmächtigter des Kindes / des Jugendlichen ist von diesem bzw von seinen Eltern zu bezahlen. Dabei wird entweder das RVG zugrundegelegt oder eine Vergütungsvereinbarung wird getroffen. Ein Verfahrensbevollmächtigter mit juristischer und pädagogischer Qualifikation wird dabei einen Stundensatz von nicht unter 150 Euro erheben.
Zukunftsperspektiven
Aufgrund der enormen Anzahl von Verfahren vor den Familien- und Vormundschaftsgerichten und den damit verbundenen hohen Zahlen an Kindschaftssachen, werden tendenziell steigend Verfahrenspfleger bestellt. Die Gerichte und Behörden haben sich mittlerweile auf die -nicht mehr ganz neue- Rechtsfigur eingestellt und nehmen diese in der Praxis gut an. Die vom Gesetzgeber beschlossenen Änderungen im Gesetz der freiwilligen Gerichtsbarkeit, insb. des Verfahrensrechtes vor den Familien- und Vormundschaftsgerichten treiben diese Entwicklung weiter voran.
Der Reformentwurf des Familiengerichtsgesetzes (RefFamFG) sieht ab 1. September 2009 größere Einsatzgebiete für diese Interessensvertreter vor. Aus der bisherigen Kann-Regelung (das Gericht "kann" dem Kind einen Pfleger bestellen), wird nach der Inkrafttreten der Reform eine Hat-Regelung. D.h. künftig hat das Gericht in allen Verfahren, in denen Kinder beteiligt sind einen "Verfahrensbeistand" oder "Kinder-und Jugendanwalt" (so die zukünftig richtigen Bezeichnungen) zu bestellen. Tut es dies nicht, muss dies in einem Beschluss ausführlich begründet werden. Beschlossen ist in der Reform gleichfalls eine Änderung der Vergütung von Verfahrenspflegern im kindschaftsrechtlichen Verfahren auf einen Pauschalsatz von 350 € pro Fall, kann max. auf 550 € (inkl. Mehrwertsteuer) angehoben werden (§ 158 FamFG). Damit sinkt die Bezahlung bei einer bisherigen durchschnittlich sich um die 800 € belaufenden Summe nach Stunden auf die Hälfte. Experten schätzen dies als große Gefahr für die Qualität der Verfahrenspflege und das Kindeswohl ein (vgl. Report Mainz, 28. Juli 2008/ ARD: "Die Reform der Verfahrenspflege geht auf Kosten der Qualität").
Literatur
- Rainer Balloff, Nicola Koritz: Handreichung für Verfahrenspfleger. Kohlhammer, Stuttgart 2006 ISBN 3-17-018466-0
- Werner Bienwald: Verfahrenspflegschaftsrecht. Gieseking, Bielefeld 2002, ISBN 3-76940-906-X
- Uwe Harm: Verfahrenspflegschaft in Betreuungs- und Unterbringungssachen. 2. Auflage. Bundesanzeiger-Verlag, Köln 2005, ISBN 3-89817-437-9
- Walter Röchling (Hrsg.): Handbuch Anwalt des Kindes. Nomos-Verlags-Gesellschaft, Baden-Baden 2001, ISBN 3-78907-384-9
- Ludwig Salgo (Hrsg.): Verfahrenspflegeschaft für Kinder und Jugendliche. Bundesanzeiger-Verlag, Köln 2002, ISBN 3-89817-040-3
Weblinks
Bitte beachte den Hinweis zu Rechtsthemen!
Wikimedia Foundation.