Weber-Fraktur

Weber-Fraktur
Klassifikation nach ICD-10
S82 Fraktur des Unterschenkels, einschließlich des oberen Sprunggelenkes
S82.5 Fraktur des Innenknöchels
Tibia, mit Beteiligung des oberen Sprunggelenkes
S82.6 Fraktur des Außenknöchels
Fibula, mit Beteiligung des oberen Sprunggelenkes
S82.8 Frakturen sonstiger Teile der Unterschenkels
- Bimalleolarfraktur
- Trimalleolarfraktur
S93.2 Traumatische Ruptur von Bändern in Höhe des oberen Sprunggelenkes und des Fußes
ICD-10 online (WHO-Version 2006)

Als Sprunggelenkfraktur (lat. Malleolarfraktur) wird ein Knochenbruch des oberen Sprunggelenkes bezeichnet. Sie ist die häufigste Fraktur des Erwachsenen an den unteren Extremitäten.

Inhaltsverzeichnis

Anatomie

Das Sprunggelenk mit seinen Bändern

Das obere Sprunggelenk des Menschen (es gibt auch ein unteres Sprunggelenk unterhalb des Sprungbeins) wird gebildet aus dem Wadenbein (Fibula), dem Schienbein (Tibia) und dem Sprungbein (Talus). Die mit Knorpel überzogenen Gelenkenden der Knochen werden durch straffe Bänder zu einem funktionsfähigen Gelenk zusammengehalten: So wird die Sprunggelenksgabel aus Fibula und Tibia durch das vordere und das kräftigere hintere Syndesmosenband, der Schaft der Fibula und der Tibia am Unterschenkel darüber durch die funktionell gleichwertige Membrana interossea (Zwischenknochenband) verbunden.

Das in die Sprunggelenksgabel eingepasste Sprungbein wird durch die Außen- oder Seitenbänder (Ligamentum fibulotalare anterius, Ligamentum fibulocalcaneare und Ligamentum fibulotalare posterius) und das dreieckförmige Innenband (Ligamentum deltoideum) beweglich und stabil fixiert. Die Lastübertragung des Fußes auf den Unterschenkel erfolgt ausschließlich über das Sprungbein und die untere horizontale Gelenkfläche des Schienbeins. Die Knöchel dienen ausschließlich der Seitenführung des Gelenks. Der Innenknöchel ist integraler Bestandteil des breiten unteren Schienbeinendes, der Außenknöchel die gelenkseitig überknorpelte Spitze des Wadenbeins.

Die Bewegung des oberen Sprunggelenks in Beugung und Streckung ist keine einfache Scharnierbewegung, weil das Sprungbein keine einfache gleichförmige Knochenrolle ist, sondern unterschiedliche Kreisradien innen und außen hat.


Funktionelle Anatomie

Wir wissen, dass der Talus trotz der individuell unterschiedlich ausgeprägten Keilform der Talusrolle bei allen Funktionszuständen von der Gabel des oberen Sprunggelenkes weitestgehend formschlüssig geführt wird, eine Tatsache, die häufig bezweifelt wird. Außen- und Innenknöchel haben eine der Keilform entsprechende Konvergenz der Gelenkflächen. Eine nachvollziehbar vermehrte Beweglichkeit des Talus in der Gabel bei Plantarflexion ergibt sich nicht, auch kommt es nur zu einer geringen Verbreiterung der äußeren Gabelmaße bei Dorsalextension. Man versuchte, eine solch perfekte Gelenkmechanik durch eine wandernde Bewegungsachse zu erklären. Der Bewegungsumfang des Sprunggelenkes kann für den praktischen Gebrauch mit einer Gelenkachse, die allerdings nicht senkrecht den Innenköchel schneidet, beschrieben werden: Bei dem Bewegungsbogen von der Plantarflexion zur Dorsalextension dreht das Sprungbein nach innen und die Fibula gleichsinnig um ihre Längsachse. Dies wird durch amerikanische Studenten bestätigt, die im Selbstversuch Bohrdrähte in die Fibula schrauben und den Bewegungsumfang der Rotation in Dorsalextension/Plantarflexion um fast 20° zeigen konnten. Zusätzlich wird in maximaler Dorsalstellung die Fibula wenig nach lateral ausgebogen und durch ihre Seit- und Dorsalverschiebung die vordere Syndesmose unter Spannung gesetzt. Unter Körperlast ist der Gelenkschluß der Malleolenwangen enger, die Syndesmosen erhalten eine deutliche Vorspannung, die Fibulaexkursion unter der Scharnierbewegung reduziert sich, wie in unveröffentlichten Leichenversuchen gezeigt werden konnte.

Der Bandapparat, der den Gabelschluß sichert, indem die Fibula in der Incisur der Tibia straff aber rotationsfähig fixiert wird, besteht aus dem vorderen und dem widerstandsfähigeren hinteren Syndesmosenband und der Membrana interossea. Wird diese durchtrennt, kommt es zu erheblichen Einschränkungen der Stabilität.

Zu wenig Beachtung finden funktionelle Aspekte des so genannten „hinteren oder dritten Malleolus": Die weit über die Talusrolle greifende dorsolaterale Tibiakante mit der hier inserierenden straffen hinteren Syndesmose als Gelenklippe stellt besonders in Plantarflexion einen wesentlichen Kontaktpunkt des Gelenkes dar: Der Begriff Sprunggelenksgabel wird weder den anatomischen noch den physiologischen Fakten gerecht. Die Form der Sprungelenkfläche des Schienbeins und des Wadenbeins wird in ihrer Gesamtheit deshalb auch treffender im englischen Sprachraum als Mortise im französischen als Mortaise bezeichnet. Napf oder Pfanne ist eine funktionsgerechte Eindeutschung.

Unfallmechanismus

Bei der Verletzung des oberen Sprunggelenkes können sowohl die knöchernen Strukturen wie auch die Bandstrukturen des Gelenks geschädigt werden. Der Verletzung liegt in aller Regel ein indirektes Trauma im Sinne eines Supinations- oder seltener Pronationstraumas −  volkstümlich „Umknicken“  – zugrunde. Dieses Grundmuster wird durch Rotationskomponenten des Fußes ergänzt. Die Fraktur kann auch durch Drehen des Unterschenkels gegen den feststehenden Fuß ausgelöst werden. Häufig werden zusätzlich Stauchungseinflüsse wirksam wie z.B. durch Sprung von einer Mauer. Das röntgenologische Frakturbild lässt sich nach Lauge-Hansen[1] einem jeweils typischen Entstehungsmechanismus zuordnen (=genetische Klassifikation). Die Fraktur des oberen Sprunggelenks entsteht immer über eine mehr oder weniger ausgeprägten Verrenkung (Subluxation oder Luxation) des Gelenks, d. h. einer Lösung der gelenkbildenden Knochen aus ihrem Verbund, daher heißt die Verletzung grundsätzlich Verrenkungsbruch (Luxationsfraktur).

Diagnostik

Bimalleolarfraktur (seitl.)
Bimalleolarfraktur (a.p.)

Die Diagnostik erfordert neben der Vorgeschichte (Anamnese) und der klinischen (körperlichen) Untersuchung eine Röntgenuntersuchung. Diese wird im a.p. (anterior-posterioren) Strahlengang mit 20° Innenrotation sowie im seitlichen Strahlengang angefertigt. Mit Schrägaufnahmen im Winkel von 45° können Ausrisse des tibialen Syndesmosenansatzes (Tubecule de Chaput Tillaux) erkannt werden. Im Zweifelsfall muss immer auch eine Langaufnahme zum Ausschluss einer hohen Wadenbeinfraktur (Maisonneuve-Fraktur) angefertigt werden. Die im Röntgenbild nicht sichtbaren Bandverletzungen werden im Zweifelsfall präoperativ nach Narkoseeinleitung durch gehaltene Röntgen-Bildwandleruntersuchung aufgedeckt.

Bei Skelettanomalien und nach alten Frakturen, besonders aber bei Beteiligung der unteren tragenden Tibiagelenkfläche durch die Fraktur, kann eine zusätzliche Computertomographie (digitale Röntgenschichtuntersuchung) Klärung über den Bruchverlauf geben. Bandschäden und Knorpelschäden z. B. am Sprungbein können sehr genau mit einer digitalen Kernspintomographie untersucht werden.

Klassifikation

Die für die operative Versorgung heute bevorzugte anatomische Einteilung der Frakturen erfolgt nach Danis oder abgeleitet nach Weber in Abhängigkeit von der Höhe der Fibulafraktur in Relation zur bindegewebigen Verbindung zwischen Fibula und Tibia (Syndesmose):

  • Weber A bezeichnet eine Fraktur unterhalb der Syndesmose, die Syndesmose ist immer intakt.
  • Weber B bezeichnet eine Fraktur auf Höhe der Syndesmose, die Syndesmose ist häufig mitverletzt.
  • Weber C bezeichnet eine Fraktur oberhalb der Syndesmose, die Syndesmose ist immer mitverletzt.

Das Ausmaß der Gelenkschädigung steigt von A-C an. Begleitverletzungen wie Innenknöchelfraktur und hinteres Tibiakantenfragment (Volkmann´sches Dreieck) können das Ausmaß der Gelenkschädigung erhöhen.

Diese Einteilung bezieht sich ausschließlich auf die Lokalisation der Fibulafraktur. Aus der Zuordnung lässt sich annäherungsweise auf die zu erwartende begleitende Läsion der gabelstabilisierenden Bänder der Syndesmosenregion und der Membrana interossea schließen.

Begleitverletzungen

Als Begleitverletzungen kommen zur grundsätzlich immer vorhandenen Läsion am Außenknöchel auch Innenknöchelbrüche und bei Weber-B- und C-Frakturen Läsionen der lasttragenden unteren Schienbeinfläche vor. An dieser Schienbeinfläche setzt nämlich hinten (und vorne) jeweils das jeweilige Syndesmosenband an, so dass bei großer Gabelspannung im Frakturmoment und Last auf z. B. der hinteren (dreieckige) Gelenkkante diese als kombinierte Abriss-Abdrück-Fraktur verletzt wird. Diese posterolaterale Tibiakante, das sogenannte Volkmann’sche Dreieck (nach Richard von Volkmann 1872) weist prognostisch auf eine schwere Variation einer Weber-B- oder C-Fraktur hin, weil zu seiner Entstehung eine erhebliche Stauchungskomponente notwendig ist, die zu zusätzlichen Knorpelschäden führt.

Prognose

Generell ist die Prognose bei der Fraktur des oberen Spruggelenks durch das Ausmaß der Gelenkknorpelschädigung bestimmt, die entweder gleich bei der Unfallentstehung durch die Bruchenden, die Verrenkung (s. o.) oder durch eine Stauchungskomponente (Fraktur des hinteren Volkmann’schen Dreiecks) entsteht. Andererseits führt aber auch eine schlechte Gelenkposition oder Instabilität nach Ausheilung der Fraktur zu einem vermehrten Verschleiß des Gelenkknorpels. Am oberen Sprunggelenk kommt es aufgrund der ausgeprägten Belastung bereits etwa 1 Jahr nach Verletzung zu den Zeichen des Verschleißes (sekundäre oder auch posttraumatische Arthrose) mit Schmerzen, Bewegungseinschränkung und Schwellneigung.

Behandlung

Konservativ

Voraussetzung für ein gutes Ergebnis ist eine anatomische (komplett normale) Wiederherstellung der Knochenform und der stabilen Gelenkführung. Nur unverschobene Brüche unterhalb der Syndesmose (Weber A-Brüche) können daher konservativ ohne Operation durch äußere Stabilisierung (z. B. Gips) behandelt werden.

Operativ

Operativ versorgte Bimalleolarfraktur, Reproduktion eines intraoperativen Röntgenprints

Bei allen anderen Frakturen mit verschobenen Knochenbruchstücken und bei Verletzung der Gabelbänder ist in der Regel eine offene Operation mit Knochenverschraubung (Osteosynthese) und Bandstabilisierung notwendig. Im abgebildeten Fall kam eine Zugschraube und eine 6-Loch-1/3-Rohrplatte als sogenannte Neutralisationsplatte am Außenknöchel und eine Zuggurtung am Innenknöchel zum Einsatz. Diese Versorgung ist übungsstabil, auf eine Gipsruhigstellung kann verzichtet werden. Der Patient darf mit leichter Kontaktbelastung an Unterarmgehstützen gehen. Bei Gabelinstabilität durch Zerreißung der Syndesmosenbänder müssen diese zusätzlich mit Bandnaht und mit einer sogenannten Stellschraube fixiert werden. Da die Sprunggelenksgabel aber nicht absolut stabil werden darf, sondern nur elastisch-stabil, um die Rotationsbewegung des Wadenbeins im Sprunggelenk zu ermöglichen, wird diese Schraube immer bereits nach 6 Wochen nach Bandheilung entfernt. Für eben diese 6 Wochen darf auf jeden Fall keine Vollbelastung eines operierten Beines mit Sprunggelenkfraktur erfolgen, um die Heilung der Syndesmose nicht zu gefährden und den Bruch der Stellschraube zu verhindern. Die Entlastung wird mit Unterarmgehstützen durchgeführt. Die Entfernung des zur Stabilisierung der Fraktur eingebrachten Osteosynthesematerials kann am Sprunggelenk nach etwa einem Jahr erfolgen.

Komplikationen

Die oft sehr dünnen Hautverhältnisse, zusammen mit der durch Schwellung und knöcherner Fehlstellung erfolgten Bindegewebsschädigung, führen leicht zu Drucknekrosen der Haut, die gelegentlich sogar die vorzeitige Metallentfernung erforderlich machen. Besonders kritisch in dieser Hinsicht ist die Situation, bei der nach dem (Verrenkungs-) Bruch das Gelenk in Verrenkungsposition verbleibt, weil dabei die Haut meist über dem gebrochenen Innenknöchel massiv unter Spannung gerät. Hier kann nur eine schleunigste Grobreposition (Einrenkung) durch Längszug an der Ferse auch durch Laien (z. B. Sporttrainer) das Schlimmste verhindern.

Bei zu früher Belastung (mangelnde Compliance) droht eine Verlagerung oder gar der Ausbruch des Osteosynthesematerials mit der Folge einer ausbleibenden Frakturheilung oder Falschgelenkbildung (Pseudarthrose). Besonders häufig tritt diese Komplikation bei älteren Patienten auf, deren Knochen aufgrund einer Osteoporose kaum Halt für das Osteosynthesematerial bietet und die gleichzeitig wegen des höheren Alters auch Probleme bei der sicheren Durchführung der Entlastung an Unterarmgehstützen haben.

Tiefe Wundinfektionen können zu einer Knocheninfektion (Osteomyelitis) und/oder einer frühzeitigen massiven Arthrose des Sprunggelenkes führen. Oft ist hier die operative Versteifung des Gelenkes die einzig mögliche definitive Maßnahme um ein schmerzfreies Gehen zu ermöglichen.

Die Ruhigstellung oder Entlastung eines Beines führt besonders nach Operationen zu einer deutlichen Erhöhung des Risikos für das Entstehen einer tiefen Venenthrombose. Zur Prophylaxe werden tägliche Injektionen von niedermolekularem Heparin durchgeführt.

Komplikationen sind besonders häufig bei Patienten mit Durchblutungsstörungen (z. B. starke Raucher) oder bei Diabetikern. Diese Tatsache muss bei der Beurteilung der Operationsnotwendigkeit (Indikation) dringend berücksichtigt werden. Auch auf das operative Vorgehen hat dieses Risikoprofil einen Einfluss: So sollte die Operation zur Vermeidung von Wundrandnekrosen und möglichen folgenden Wundinfekten nicht in Blutsperre durchgeführt werden.

Siehe auch


Einzelnachweise

  1. M. Wagner u. K. Dann in A. Rüter, O.Trentz u. M. Wagner: Unfallchirurgie. S. 854; Verl. Urban & Schwarzenberg, München – Wien – Baltimore, 1995, ISBN 3-541-17201-0

Literatur

  • B.G. Weber: Die Verletzung des oberen Sprunggelenkes. Verlag Hans Huber, Bern-Stuttgart, 1966
  • A. Rüter u. a. (Hrsg.): Unfallchirurgie. 1. Auflage. Urban & Schwarzenberg, München – Wien – Baltimore, 1995, ISBN 3-541-17201-0.
  • L. Schweiberer (Hrsg.): Konservative und operative Frakturbehandlung. 2. Auflage. Urban & Schwarzenberg, München – Wien – Baltimore, 1987, (Traumatologie; 1) (Breitner (Hrsg.):Chirurgische Operationslehre. Bd. VIII), ISBN 3-541-14482-3.
  • E. Beck (Hrsg.): Untere Extremität. 2. Auflage. Urban & Schwarzenberg, München – Wien – Baltimore, 1987, (Traumatologie; 4) (Breitner (Hrsg.):Chirurgische Operationslehre. Bd. XI), ISBN 3-541-14482-3.
  • N.M. Meenen et al.: “Sprunggelenkfraktur“. Leitlinien Unfallchirurgie. 2. Auflage. Thieme, Stuttgart, New York, 1998 ISBN 3-13-110262-4
  • N.M. Meenen, D.E. Lorke, M. Westerhoff, M. Dallek, K.H. Jungbluth. Isolated fracture of Volkmann's triangle--a unique injury. Unfallchirurgie. 1993 Apr;19(2):98-107

Weblinks

S2-Leitlinie Sprunggelenkfraktur der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie bei AWMF online (Stand Juni 2008)

Leitlinie Malleolarfraktur der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Orthopädische Chirurgie und des Berufsverbandes der Ärzte für Orthopädie bei AWMF online (Stand April 2002)

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