Weißenseer Arbeitskreis

Weißenseer Arbeitskreis

Der Weißenseer Arbeitskreis (Kirchliche Bruderschaft in Berlin) war eine im Jahr 1958 entstandene Gruppe von evangelischen Theologen der DDR. Anlass der Gründung als freie innerkirchliche Vereinigung war die Opposition von politisch links stehenden Theologen aus der Tradition der Bekennenden Kirche gegen die dominierende national-konservative Strömung des Berliner Bischofs Otto Dibelius. Eine maßgebliche Rolle spielten dabei Gerhard Bassarak und der aus Westdeutschland stammende, aus politischer Überzeugung in die DDR übergesiedelte Hanfried Müller.

Die Angehörigen des Weißenseer Arbeitskreises knüpften theologisch an Karl Barth und Dietrich Bonhoeffer an. Sie betonten dabei die kritische Haltung gegen die Kirche als Institution und die Ablehnung der traditionellen Verbindung der Kirche mit weltlicher Macht. Zu politischem Engagement sei stattdessen der einzelne Christ aufgerufen. Hanfried Müller formulierte eine Kritik der traditionellen „Religiosität“, der er eine weltoffene „Christusgläubigkeit“ entgegenstellte. Der Arbeitskreis trat mit wenigen öffentlichen Stellungnahmen hervor, in denen er u. a. die Vorherrschaft der Säuglingstaufe in Frage stellte, die Vereinbarkeit von Konfirmation und Jugendweihe begründete und für die Eigenständigkeit der Evangelischen Kirchen der DDR gegenüber Westdeutschland eintrat. Leitgedanke war die Auffassung, dass die Kirche der (auch nichtchristlichen) Gesellschaft zu dienen, nicht Herrschaftsansprüche zu stellen habe. 1963 formulierte die Bruderschaft die Sieben Sätze von der Freiheit der Kirche zum Dienen, in welchen es hieß: „Im Glaubensgehorsam sind wir dessen gewiss, dass uns nichts von Gottes Liebe scheiden kann. Darum begegnen wir der nichtchristlichen Gesellschaft nicht ängstlich und gehässig, sondern hilfsbereit und besonnen und können so auch in der sozialistischen Gesellschaftsordnung verantwortlich mitleben.“ Das Engagement für den Sozialismus wurde insbesondere mit Verweisen auf die Ethik des Urchristentums begründet.

Stärker als andere kirchliche Gremien in der DDR war der Weißenseer Arbeitskreis vom Ministerium für Staatssicherheit beeinflusst, das viele Weißenseer Theologen als Inoffizielle Mitarbeiter heranzog (u. a. Müller und Bassarak). Die staatsnahe Haltung der Weißenseer und ihre Distanzierung von Aktivitäten oppositioneller Geistlicher war der SED einerseits willkommen, andererseits rief ihre geistige Unabhängigkeit auch Misstrauen hervor. Da die SED prinzipiell Religion als rückständiges Überbleibsel einschätzte, wirkte das offensive Eintreten von Theologen für die sozialistische Gesellschaft, verbunden mit souveräner geistiger Aneignung der marxistischen Theorie, irritierend. Überdies hatte die Weißenseer Gruppe zu der offiziell als Blockpartei für staatstreue Christen vorgesehenen CDU ein eher gespanntes Verhältnis. In den 1980er Jahren nahm die Mitgliederzahl der Organisation ab, weil im Zuge der krisenhaften Entwicklung der DDR auch bei links orientierten Theologen das Vertrauen in den Staat schwand.

Von 1982 bis 2006 gab der Weißenseer Arbeitskreis in unregelmäßigen Abständen die Zeitschrift Weißenseer Blätter (WBl) heraus.

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