Jugendweihe

Jugendweihe
Fest für Jugendweiheteilnehmer in Sonneberg, 1958
Festakt einer Jugendweihe im März 1989 in Berlin-Lichtenberg

Die Jugendweihe (auch Jugendfeier) ist eine festliche Initiation, die den Übergang vom Jugend- ins Erwachsenenalter kennzeichnen soll.

Inhaltsverzeichnis

Entstehung der Jugendweihe

Die neue Form des Initiationsritus wurde von freireligiösen Gemeinden entwickelt. In Opposition zu den Kirchen organisierten sie einen kulturgeschichtlich fundierten Moralunterricht für ihre Kinder. Die abschließende Jugendweihe war vor allem eine Feier zur Schulentlassung, deshalb erhielt man sie im Alter von 14 Jahren. Seit den 1890er Jahren stand ihre Form weitgehend fest. Der Jugendlehrer hielt einen Vortrag über die freigeistige Weltanschauung, es wurden Erinnerungsblätter, ein Gelöbnis und ein Gedenkbuch überreicht. Gesänge und Rezitationen umrahmten die Feier.

Diese freireligiöse und freidenkerische Tradition wurde von der Arbeiterbewegung übernommen.

Der Begriff Jugendweihe, heute zunehmend auch als Jugendfeier bezeichnet, tauchte erstmals 1852 auf und geht auf einen Vorschlag von Eduard Baltzer zurück, der damit zum Ausdruck bringen wollte, dass sich die Abkehr von den Kirchen auch in der Terminologie niederschlagen sollte. Denn zunächst wurden noch Begriffe aus der christlichen Tradition (Konfirmation) für außerkirchliche Feiern benutzt oder ihr Ersatzcharakter betont. So nutzte am 9. April 1846 eine Breslauer Tageszeitung das Wort Confirmationsersatzfeier.

Weimarer Republik

Die Weimarer Republik (1918–1933) war die „Blütezeit“ der Jugendweihen. Es etablierten sich vor allem die Jugendweihen der proletarischen Freidenkerbünde der Arbeiterparteien SPD und KPD, bei den Gewerkschaften, bei den Anarchisten und Anarchosyndikalisten.[1] Insgesamt blieb die Jugendweihe zu Zeiten der Weimarer Republik jedoch eine gesellschaftliche Randerscheinung. Über 95 % der Jugendlichen feierten nach wie vor das Fest der Konfirmation bzw. der Firmung.

Zeit des Nationalsozialismus

Nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten wurden diese Parteien mit ihren Verbänden, aber auch die Freidenker-Bewegungen und viele freireligiöse Gemeinden verboten, damit auch die von diesen Gemeinschaften angebotenen Jugendweihen. Ein generelles Verbot der Jugendweihen gab es jedoch nicht, da nur ein Teil der freireligiösen Gemeinden verboten war.

Die Nationalsozialisten entwickelten eigene Formen von Weihen und Feiern. So wurde die „Schulentlassungsfeier“ eingeführt sowie Aufnahmerituale in Hitlerjugend und BDM. Diese drei Elemente wurden dann 1940 in Opposition zu Konfirmation und Firmung zur „NS-Jugendleite“, der „Verpflichtung der Jugend“, zusammengefasst. Konfirmation und Firmung der Kirchen wurden nicht verboten. 1944 wurde vor dem Volksgerichtshof ein Verfahren gegen einen evangelischen Pfarrer geführt, dem die Geringschätzung der „Jugendweihe der NSDAP“ vorgeworfen wurde.[2]

Jugendweihe nach dem Zweiten Weltkrieg

Nach dem Zweiten Weltkrieg nahmen die freireligiösen Gemeinden und die Verbände der Freidenker die Tradition der Jugendweihe wieder auf. Die Entwicklung und Feierkultur verlief in den beiden deutschen Staaten jedoch unterschiedlich.

Obwohl Gemeinden und Verbände, die in der Zeit des Nationalsozialismus verboten waren, wieder tätig sein konnten – anfangs auch in der SBZ und der DDR – konnten sie ihre alte Bedeutung und Größe überwiegend nicht mehr erreichen. Später bekam die Jugendweihe in der DDR eine staatspolitische Bedeutung. Jugendliche erhielten zur Feier das Buch „Weltall Erde Mensch“ und ab 1975 bis zur Wiedervereinigung Deutschlands verwendete man das Buch „Vom Sinn unseres Lebens“ herausgegeben vom Verlag Neues Leben Berlin.

Freidenker und Freireligiöse in der Bundesrepublik und West-Berlin begingen nach Kriegsende die Jugendweihen weiter und arbeiteten teilweise an einem anderen Inhalt und modernen Form. Die Jugendweihen blieben hier eine Art Aufnahmezeremonie in die freigeistigen Verbände. Als Jugendweihe-Spruch wurde in den 1960er Jahren z. B. dieser Reim Erich Mühsams verwendet (Deutscher Freidenker-Verband, Landesverband Berlin e. V.):

Weihespruch
Wollt ihr die Freiheit, so seid keine Knechte.
Wollt ihr das Gute, so schaffet das Rechte.
Wollt ihr die Ernte, so sichert die Saat.
Wollt ihr das Leben, so leistet die Tat.

Als Buchpräsent wurde „Das Buch der Freiheit – Stimmen der Völker und Nationen aus vier Jahrtausenden“ von Anna Siemens und Julius Zerfaß überreicht.

Jugendweihe in der DDR

Hintergrund

Jugendweihe in Gera mit Walter Ulbricht, 1958
Jugendweihe 1986 in Dresden
Weltall Erde Mensch

Im Februar 1950 hatte das Zentralkomitee der SED die Mitwirkung der Partei, der Gewerkschaften und der FDJ an Jugendweihen im Sinne der früheren Freidenkerverbände abgelehnt. Dennoch fanden Jugendweihen in der Freidenker-Tradition statt, an denen auch viele Vertreter von Partei und Staat mitwirkten.

Dass die Jugendweihe danach zum staatssozialistischen Fest avancierte, war in Moskau beschlossen worden. Im Mai 1953 fasste das Politbüro der KPdSU einen Beschluss über „Maßnahmen zur Gesundung der politischen Lage in der DDR“, der auch eine sozialistische Alternative zur Konfirmation vorsah. Mit gewaltigem Druck wurde die Feier neben Konfirmation oder Firmung etabliert. Aber auch konfessionell gebundene Jugendliche sollten (parallel zur Konfirmation/Firmung) an den Jugendweihefeiern teilnehmen. Sie sollte eine Konkurrenz zur Konfirmation sein und war ein Instrument zur Erziehung der Jugend im Sinne der SED-Ideologie.[3] Ab 1958 wurde die Jugendweihe durch die eingesetzten Maßnahmen der Ulbricht-Regierung praktisch zur Zwangsveranstaltung.[4] Tausende von Jugendlichen mussten schwere Benachteiligungen hinnehmen. Wer nicht daran teilnahm, musste mit erheblichen Nachteilen in Schule und Beruf (schlechtere Lehrstelle, keine Zulassung zur Oberschule[5][6], Studiumsverbot[7]) und Repressionen rechnen, auf die Eltern wurde Druck ausgeübt.[8][9][10] Am 27. März 1955 fand die erste Jugendweihe in Ost-Berlin statt. Die Jugendlichen im Alter von 14 Jahren wurden dabei „in den Kreis der Erwachsenen aufgenommen“ und danach mit „Sie“ angeredet.

Ablauf

Vor der eigentlichen Jugendweihe besuchten die Jugendlichen, meist im Klassenverband, ein Jahr lang monatlich so genannte Jugendstunden, die meist aus Betriebsbesichtigungen, Vorträgen über Sexualität und Politik, Tanzstunden oder ähnlichen gesellschaftlichen Nachmittagen bestanden.

Zu dem Festakt, der meist in einem größeren Saal oder Theater des Ortes stattfand, waren alle Angehörigen eingeladen. Nach einigen offiziellen Reden und dem Gelöbnis, in dem sich die Jugendlichen zum sozialistischen Staat bekennen sollten, wurden ihnen dann meist von Jungen Pionieren Blumen überreicht. Außerdem erhielten sie eine Urkunde und ein Buch. Dies war bis 1974 der Sammelband Weltall, Erde, Mensch, der neben ideologischen Auslassungen vor allem Allgemeinwissen enthielt. Nach 1974 wurde dieses Buch von dem reinen Propagandawerk Der Sozialismus – Deine Welt abgelöst. In den letzten Jahren der DDR wurde das Buch Vom Sinn unseres Lebens überreicht.

Nach dem feierlichen Akt in der Öffentlichkeit verbrachten die Geehrten den Rest des Tages mit ihrer Familie oder gemeinsam mit den Familien der Klassenkameraden.

Programm einer DDR-Jugendweihefeier von 1989
DDR-Briefmarke: 5 Jahre Jugendweihe

Gelöbnis

Das Gelöbnis wurde vom Zentralen Ausschuss für Jugendweihen vorgegeben. Der Text des Gelöbnisses wurde mehrmals geändert (in den Jahren 1955, 1958, 1968 und 1985). Dabei wurde das Bekenntnis zum einheitlichen Deutschland ersetzt durch die Verpflichtung zum Einsatz für den „Arbeiter- und Bauernstaat“, für die Völkerfreundschaft mit der Sowjetunion und den sozialistischen Ländern, für die „entwickelte sozialistische Gesellschaft“ unter Führung der Partei und zum Kampf gegen die „imperialistische Bedrohung“. 1955 lautete das erste Gelöbnis:

Liebe junge Freunde!

Seid Ihr bereit, alle Eure Kräfte einzusetzen, um gemeinsam mit allen friedliebenden Menschen den Frieden zu erkämpfen und ihn bis zum äußersten zu verteidigen?

Ja, das geloben wir!

Seid Ihr bereit, alle Eure Kräfte einzusetzen, um gemeinsam mit allen Patrioten für ein einheitliches, friedliebendes, demokratisches und unabhängiges Deutschland zu kämpfen?

Ja, das geloben wir!

Seid Ihr bereit, all Eure Kräfte einzusetzen für den Aufbau eines glücklichen Lebens, für den Fortschritt in Wirtschaft, Wissenschaft und Kunst?

Ja, das geloben wir!

Nehmt nun das Versprechen der Gemeinschaft aller Schaffenden unseres Volkes entgegen, Euch zu schützen, zu fördern, zu helfen, damit Ihr das hohe Ziel, das Ihr Euch gestellt habt, erreichen werdet.

Jugendweihe und Jugendfeier nach der deutschen Einheit

Nach der Wende wurde durch ein Kultusministerdekret von 1993 den Lehrern an staatlichen Schulen untersagt, die Vorbereitung der Jugendweihe in der Schule zu organisieren (Infoveranstaltungen, Anmeldungen).

Um die Jahrtausendwende nahmen, je nach Region, bis zu 40 Prozent der Jugendlichen in den neuen Bundesländern an Jugendweihen teil.[11]

Jugendweihen werden von freireligiösen Gemeinden, freigeistigen, freidenkerischen und humanistischen Organisationen, und, insbesondere in Ostdeutschland, von speziellen Vereinen, durchgeführt. Die Veranstaltungen des Humanistischen Verbands Deutschlands werden Jugendfeiern genannt.

Ähnliche Anlässe in anderen Ländern

In den meisten österreichischen und Schweizer Gemeinden ist es üblich, alle Jungbürger (d. h. alle, die gerade 18 Jahre alt geworden sind) zu einer säkularen Feier einzuladen. Sinn und Zweck ist die Einführung der Jugendlichen in die politische Gemeinschaft. Dazu erhalten die Teilnehmenden im Vorfeld oder während der Feier zumeist die Bundesverfassung und ein Büchlein mit den wichtigsten Informationen zur politischen und kulturellen Lage im Kanton bzw. Bundesland oder Stadt.

Literatur

  • Bo Hallberg: Die Jugendweihe, Vandenhoeck & Ruprecht, 1977
  • Manfred Isemeyer u. Klaus Sühl (Hrsg.): Feste der Arbeiterbewegung – 100 Jahre Jugendweihe. Berlin 1989
  • Helga Kutz-Bauer, Konny Neumann u. Kurt Neumann (Hrsg.): Was ist der Mensch – was soll der Mensch? 100 Jahre Jugendweihe Hamburg. Hamburg 1990, ISBN 3-8747-4852-9.
  • Andreas Meier: Jugendweihe – Jugendfeier. Ein deutsches nostalgisches Fest vor und nach 1990. München 1998, ISBN 3-423-30595-9.
  • Block, John, Malskies: Einmal im Leben. Ein Elternratgeber zur Jugendfeier. Berlin 2001, ISBN 3-924-04119-9.
  • Joachim Chowanski u. Rolf Dreier: Die Jugendweihe. Eine Kulturgeschichte seit 1852. Edition Ost, Berlin 2000, ISBN 3-932180-56-9.
  • Andreas Meier: Struktur und Geschichte der Jugendweihen/Jugendfeiern, St. Augustin, 2001
  • Thomas Gandow: Jugendweihe – Humanistische Jugendfeier. München 2002, ISBN 3-583-50661-8.
  • Torsten Morche: Weltall ohne Gott, Erde ohne Kirche, Mensch ohne Glauben. Zur Darstellung von Religion, Kirche und ›wissenschaftlicher Weltanschauung‹ in ›Weltall, Erde, Mensch‹ zwischen 1954 und 1974 in Relation zum Staat-Kirche-Verhältnis und der Entwicklung der Jugendweihe in der DDR. Ed. Kirchhof & Franke, Leipzig–Berlin 2006, ISBN 3-933816-33-5.
  • Konny G. Neumann (Hrsg.): Freier Blick – Fragen zu unserer Zeit / Antworten für die Jugend. Hamburg 2007 (Jahrgänge ab 1990).

Weblinks

 Commons: Jugendweihe – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien
Wiktionary Wiktionary: Jugendweihe – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

Einzelnachweise

  1. Vgl. Kapitel „Organisierter Antiklerikalismus und Atheismus – die anachosyndikalistische Fraktion in der Freidenkerbewegung“, in: Hartmut Rübner: Freiheit und Brot. Die Freie Arbeiter-Union Deutschlands. Eine Studie zur Geschichte des Anarchosyndikalismus. Libertad Verlag, Berlin/Köln, ISBN 3-922226-21-3, S. 236–254.
  2. Struktur und Geschichte der Jugendweihen/Jugendfeiern. Konrad-Adenauer-Stiftung e. V., abgerufen am 4. September 2009.
  3. Holger Kremser: Der Rechtsstatus der evangelischen Kirchen in der DDR und die neue Einheit, S. 164
  4. 1958 schrieb der Thüringer Landesbischof Moritz Mitzenheim an Otto Grotewohl: „Der immer wieder aufflammende Streit in dieser Sache kommt nicht daher, daß diese beiden im Gegensatz zueinander stehenden Anschauungen (dialektischer Materialismus und christlicher Glaube) vorhanden sind. Er kommt vielmehr daher, daß die Vertreter der Jugendweihe für ihre Propaganda und die Durchsetzung ihrer Anschauungen den Staatsapparat in Anspruch nehmen dürfen. Die Beunruhigung unserer christlichen Bevölkerung kommt daher, daß die Jugendweihe mit Drohung und Zwang durchgesetzt wird.“ Zitiert nach Horst Dähn: Konfrontation oder Kooperation? Das Verhältnis von Staat und Kirche in der SBZ/DDR 1945–1980. Opladen 1982.
  5. http://www.pnn.de/potsdam/14179/
  6. Ehrhart Neubert: Opposition in der DDR 1949–1989, S. 119.
  7. http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-13523863.html
  8. http://www.dra.de/online/dokument/2005/maerz.html
  9. http://www.frauenseelsorge.de/htdocs/index.php?detail=1&newsnr=510&sID=0401
  10. http://www.familie-und-tipps.de/Kinder/Jugendweihe.html
  11. Peter Maser: Kirchen in der DDR. Bonn 2000, ISBN 3-89331-401-6, S. 115.

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