Wissenschaftliche Männerforschung

Wissenschaftliche Männerforschung

Männerforschung umfasst verschiedene Wissenschaftszweige, die sich mit dem Thema Mann und Männlichkeit(en) befassen. Dazu gehören die sozialwissenschaftliche, erziehungswissenschaftliche, psychologische und historische Forschung.

Inhaltsverzeichnis

Kritische Männerforschung

Forschung ist aufgrund des systematischen Ausschlusses von Frauen aus den Universitäten bis in die Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts hinein zumeist Forschung von Männern (Androzentrismus) gewesen, da eben nur Männer an ihr teilnehmen durften. In Abgrenzung zur männerdominierten Wissenschaft gab sich die in den 1980er Jahren entstehende Forschung über Männer und Männlichkeiten den Namen Kritische Männerforschung.

Die Kritische Männerforschung geht weitgehend von einem emanzipatorischen, teilweise auch von einem feministischen Ansatz aus. Das heißt sie hinterfragt bestehende Rollenbilder und teilt zentrale Konzepte, welche in feministischen Ansätzen der Geschlechterforschung begründet sind und entwickelt diese für ihre Zwecke weiter.

Innerhalb der Kritischen Männerforschung ist allerdings umstritten, in welchem Verhältnis sie zur feministischen Frauen- und Geschlechterforschung steht. In den Anfängen gab es prominente Stellungnahmen von profeministischen Männerforschern, welche eine Unter- oder Nachordnung von Männerforschung postulierten. Andere sahen und sehen Kritische Männerforschung als wichtige Ergänzung zur feministischen Frauenforschung, welche sich ggf. auch kritisch mit den Blinden Flecken auseinandersetzen müsse.

Prinzipien der Kritischen Männerforschung nach Jeff Hearn

Jeff Hearn entwickelte 1987 im Magazin der englischen Männerbewegung "Achilles Heel" fünf Prinzipien, die für eine zukünftige kritische Männerforschung Anwendung finden sollten:

  1. Männer sollten die Autonomie der Frauenforschung respektieren, was nicht heißen soll, umgekehrt eine Autonomie der Männerforschung einzufordern.
  2. Männerforschung soll Frauen und Männern offen stehen.
  3. Das vorrangige Ziel der Männerforschung ist die Entwicklung einer Kritik an männlicher Praxis, zumindest teilweise aus feministischer Sichtweise.
  4. Männerforschung ist interdisziplinär anzulegen.
  5. Männer, die Männerforschung betreiben, müssen ihre Praxis des Forschens, Lernens, Lehrens und Theoretisierens hinterfragen, um nicht die patriarchale Form eines desinteressierten Positivismus zu reproduzieren. Ziel sei eine Bewusstseinserweiterung der Männer.

1990 ergänzte Jeff Hearn zusammen mit David Morgan in „The critique of men“ diese Prinzipien noch um die Punkte, dass (heterosexuelle) Männer sich nicht um Forschungsgelder und Universitätsposten bewerben sollen, die für Geschlechterforschung ausgeschrieben wurden, und dass feministische Wissenschaft und Frauenforschung in der eigenen Forschung und in den Institutionen zu unterstützen sei.

Diese profeministischen Prinzipien wurden in den 1990er Jahren auch von Teilen der frühen deutschen Männerforschung übernommen, von anderen jedoch kritisch diskutiert.[1]

Kritische Männerforschung nach Raewyn Connell

Die australische Soziologin Raewyn Connell (ehemals Robert Connell) vertritt die Position, dass seit der frühen Moderne verschiedene Männlichkeiten nebeneinander existieren. Männlichkeit definiert Connell als Praxis, hierunter versteht sie mehr als das Konzept der Rollentheorie, welches sie kritisiert. Sie versucht Männlichkeiten als Dominanzverhältnis unter Männern, gegenüber Frauen und im Zusammenhang mit anderen Unterdrückungsverhältnissen herauszuarbeiten. Darüber hinaus bestimmt sie den historischen Wandel der vorherrschenden Männlichkeit als bedingt durch das jeweilige Produktionsverhältnis der Gesellschaft. Gemeinsam ist den Männlichkeiten die patriarchale Dividende, das heißt der Profit, den Männer in einer patriarchal strukturierten Gesellschaft erhalten.

Connell unterscheidet zunächst zwei Männlichkeitstypen:

  • autorisierte Männlichkeit
  • marginalisierte Männlichkeit

Marginalisierte Männlichkeiten sind Männlichkeiten von Männern, die aufgrund ihrer ethnischen oder ihrer Klassenzugehörigkeit weniger anerkannt sind. In unserer Gesellschaft können beispielsweise Arbeiter oder türkische Männer keine autorisierte Männlichkeit aufweisen, da sie entweder die "falsche" Klassenzugehörigkeit beziehungsweise die "falsche" Ethnizität haben.

Daneben lassen sich drei weitere Männlichkeitsformen unterscheiden:

  • hegemoniale Männlichkeit
  • komplizenhafte Männlichkeit
  • untergeordnete Männlichkeit

Hegemonial ist die Männlichkeit, die am effektivsten das Patriarchat aufrechterhält. Diese geschlechtliche Hegemonie findet meist unter Zustimmung und Mitarbeit derjenigen statt, die beherrscht werden. Den diesbezüglichen Begriff Hegemonie hat Connell vom Marxisten Gramsci übernommen.

Ein historisch früher Typus, den Connell als hegemoniale Männlichkeit ausmachte, war der Conquistador, der an der Grenze, an der „frontier“, seine Männlichkeit zum Ausdruck brachte. Sie wurde abgelöst durch die „gentry masculinity“ (zum Beispiel George Washington). Heute lassen sich in der Bundesrepublik Deutschland Veränderungen der hegemonialen Männlichkeiten beispielsweise im Management (Ralf Lange) und in der "Forschungs- und Technologiepolitik" (Peter Döge) nachweisen. Untergeordnete Männlichkeiten sind beispielsweise schwule oder transgender Männlichkeitsentwürfe. Komplizenhafte Männlichkeiten arbeiten der hegemonialen Männlichkeit zu und profitieren von ihr.

Themen

Siehe auch

Bekannte Männerforscher

Literatur

  • Nina Baur, Jens Luedtke (Hrsg.): Die soziale Konstruktion von Männlichkeit: Hegemoniale und marginalisierte Männlichkeiten in Deutschland. Budrich, Opladen/Farmington Hills 2008, ISBN 978-3-86649-110-6.
  • Mechthild Bereswill, Michael Meuser, Sylka Scholz (Hrsg.): Dimensionen der Kategorie Geschlecht: der Fall Männlichkeit. Westfälisches Dampfboot, Münster 2007, ISBN 978-3-89691-222-0.
  • Brigitte Aulenbacher (Hrsg.): FrauenMännerGeschlechterforschung. State of Art. Westfälisches Dampfboot, Münster 2006, ISBN 978-3-89691-220-6.
  • Robin Bauer, Josch Hoenes, Josch und Volker Woltersdorff (Hrsg.): Unbeschreiblich männlich. Heteronormativitätskritische Perspektiven. Männerschwarm, Hamburg 2007, ISBN 978-3-939542-01-8.
  • BauSteineMänner (Hrsg.): Kritische Männerforschung. Neue Ansätze in der Geschlechtertheorie. Berlin/Hamburg 1996, (2001, 3., erw. Aufl.) ISBN 3886192466.
  • Claudia Benthien und Inge Stephan (Hrsg.): Männlichkeit als Maskerade. Kulturelle Inszenierungen vom Mittelalter bis zur Gegenwart. Böhlau, Köln/Weimar/Wien 2003, ISBN 3-412-10003-X.
  • Susan Bordo (1999): The Male Body. A New Look at Men in Public and in Private. New York: Farrar, Straus and Giroux.
  • Pierre Bourdieu: Die männliche Herrschaft, Frankfurt a. M. 2005, ISBN 3518584359.
  • Harry Brod (Hrsg.) (1987): The Making of Masculinities. The New Men's Studies. Boston: Allen & Unwin.
  • Jürgen Budde (2007): Von lauten und von leisen Jungen. Eine Analyse aus der Perspektive der kritischen Männlichkeitsforschung. Essener Kolleg f.Geschlechterforschung (Hg. Doris Janshen), 7.Jg. 2007, Heft I, Digitale Publikation; Druckausgabe: ISSN 1617-0571
  • Robert W. Connell (Raewyn Connell): Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeiten, Opladen 1999, ISBN 3810018058.
  • Robert W. Connell (Raewyn Connell), James W. Messerschmidt: Hegemonic Masculinity. Rethinking the Concept, in: Gender & Society, Jg. 19, 2005, S. 829-859.
  • Martin Dinges (Hrsg.) (2005): Männer – Macht – Körper. Hegemoniale Männlichkeiten vom Mittelalter bis heute. Frankfurt/M./New York: Campus.
  • Peter Döge, Michael Meuser (Hrsg.): Männlichkeit und soziale Ordnung. Neuere Beiträge zur Geschlechterforschung Opladen 2001, ISBN 3810030368.
  • Walter Erhart und Britta Herrmann (Hrsg.) (1997): Wann ist der Mann ein Mann? Zur Geschichte der Männlichkeit. Stuttgart/Weimar: Metzler.
  • Martin Fischer: Männermacht und Männerleid. Kritische theologische Männerforschung im Kontext genderperspektivierter Theologie als Beitrag zu einer Gleichstellung der Geschlechter (Edition Ethik 2), Göttingen: Edition Ruprecht 2008, ISBN 3767571226.
  • David D. Gilmore (1990): Manhood in the Making. Cultural Concepts of Masculinity. New Haven: Yale University Press.
  • Sven Glawion, Elahe Haschemi Yekani und Jana Husmann-Kastein (Hrsg.) (2007): Erlöser. Figurationen männlicher Hegemonie. Bielefeld: transcript.
  • Judith Halberstam (1998): Female Masculinity. Durham/London: Duke University Press.
  • Katrin Huxel: Fremde Männlichkeiten? Zur Konstruktion von Geschlecht in biographischen Erzählungen von Migranten. Münster 2006, ISSN 0937-6127. [1]
  • Siegfried Kaltenecker, Georg Tillner: Offensichtlich männlich. Zur aktuellen Kritik der heterosexuellen Männlichkeit in: Widersprüche. Zeitschrift für sozialistische Politik im Bildungs-, Gesundheits- und Sozialbereich, Jg. 15, 1995, Heft 56/57, S. 11-12.
  • Michael Kaufman (Hrsg.) (1987): Beyond Patriarchy. Essays by Men on Pleasure, Power, and Change. Toronto/New York: Oxford University Press.
  • Michael S. Kimmel und Jeff Hearn Hrsg.) (2004): Handbook of Studies on Men & Masculinities. Thousand Oaks/London/New Delhi: Sage.
  • Jürgen Martschukat, Olaf Stieglitz: Es ist ein Junge! Einführung in die Geschichte der Männlichkeiten in der Neuzeit. Tübingen 2005, ISBN 3892957606.
  • Michael Meuser: Geschlecht und Männlichkeit. Soziologische Theorie und kulturelle Deutungsmuster. Opladen 1998, ISBN 3810020001.
  • George L. Mosse (1996): The Image of Man. The Creation of Modern Masculinity. Oxford/New York: Oxford University Press.
  • Ralf Puchert, Marc Gärtner, Stephan Höyng (Hrsg.): Work Changes Gender. Men and Equality in the Transition of Labour Forms. Opladen 2005, ISBN 3938094133.
  • Dieter Schnack, Rainer Neutzling: Kleine Helden in Not - Jungen auf der Suche nach Männlichkeit. Reinbek 1990. ISBN 3-499-18257-2 (3. überarbeitete Auflage ab Februar 2011)
  • Dieter Schnack, Rainer Neutzling: Die Prinzenrolle - Über die männliche Sexualität. Reinbek 2006. ISBN 3-499-19966-1
  • Stefanie von Schnurbein (2001): Krisen der Männlichkeit. Schreiben und Geschlechterdiskurs in skandinavischen Romanen seit 1890. Göttingen: Wallstein.
  • Eve Kosofsky Sedgwick (1985): Between Men. English Literature and Male Homosocial Desire. New York/Guildford: Columbia University Press.
  • Therese Frey Steffen (Hrsg.) (2002): Masculinities – Maskulinitäten: Mythos – Realität – Repräsentation – Rollendruck. Stuttgart/Weimar: Metzler.
  • Klaus Theweleit ([1977/78] 2000): Männerphantasien. Bd. 1-2, München/Zürich: Piper.
  • Toni Tholen: Verlust der Nähe. Reflexion von Männlichkeit in der Literatur, Heidelberg 2005, ISBN 3825350738.
  • Marie-Theres Wacker und Stefanie Rieger-Goertz (Hrsg.) (2006): 'Mannsbilder. Kritische Männerforschung und theologische Frauenforschung im Gespräch.' Münster: LIT.
  • Paul M. Zulehner, Rainer Volz: Männer im Aufbruch. Wie Deutschlands Männer sich selbst und wie Frauen sie sehen. Ein Forschungsbericht. Ostfildern 1998, ISBN 3796609384.

Einzelnachweise

  1. Vgl. BauSteine Männer, Kritische Männerforschung: Neue Ansätze in der Geschlechtertheorie, Hamburg 1996

Weblinks


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