Klaus Theweleit

Klaus Theweleit

Klaus Theweleit (* 7. Februar 1942 in Ebenrode, Ostpreußen – heute Nesterow, Russland) ist ein deutscher Literaturwissenschaftler, Kulturtheoretiker und Philosoph (wobei er sich oft gegen die Bezeichnung „Philosoph“ gewehrt hat und auf seiner Webseite Schriftsteller bevorzugt).

Inhaltsverzeichnis

Leben

Theweleit studierte Germanistik und Anglistik in Kiel und Freiburg. Von 1969 bis 1972 arbeitete er als freier Mitarbeiter für den Südwestfunk.

Seine Dissertation „Freikorpsliteratur; Vom deutschen Nachkrieg 1918−1923“[1] von 1977 war die Grundlage für das zweibändige, extensiv und ungewöhnlich bebilderte Werk Männerphantasien, eine stark an Konzepten der Psychoanalyse und von Gilles Deleuze und Félix Guattari orientierte Untersuchung des faschistischen Bewusstseins und der soldatischen Prägung des Ich. Mit diesem Buch wurde Theweleit weit über die linke Subkultur hinaus bekannt. Er untersuchte soldatische und faschistische Literatur und stellte die – immer wieder aktuelle – Frage, wie ein Mensch zu einem Nazi oder einem tötungsbereiten Soldaten werden könne.

Theweleit lebt in Freiburg, ist als freier Autor tätig und hat Lehraufträge in Deutschland, den USA, der Schweiz und Österreich. Er lehrte am Institut für Soziologie der Universität Freiburg im Breisgau und an der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin. Seit 1998 war er Professor für Kunst und Theorie an der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe. 2002 und 2003 war er Fellow des Kollegs Friedrich Nietzsche.[2]

2003 erhielt er den Johann-Heinrich-Merck-Preis für literarische Kritik und Essay.

Männerphantasien

In seinem bekanntesten Buch, Männerphantasien, versucht Theweleit, einige der verbreiteten psychoanalytischen Ansichten über den faschistischen Männertyp umzuformulieren. Angeregt sind seine Thesen durch die Arbeit der amerikanischen Psychoanalytikerin Margaret Mahler, die in ihrem 1969 erschienenen Buch On human symbiosis and the vicissitudes of individuation psychotische Kinder beschreibt, deren Züge Theweleit mit den Attitüden der Autoren – Hermann Ehrhardt, Gerhard Roßbach, Martin Niemöller, Rudolf Höß, Ernst von Salomon, Paul von Lettow-Vorbeck und Manfred von Killinger – vergleicht, die den Ausgangspunkt seiner (zunächst literaturwissenschaftlichen) Untersuchung bilden.

Gemeinsam sei beiden u.a. eine Unfähigkeit zu menschlichen Beziehungen, ein Entgleisen der libidinösen menschlichen Objektwelt und ein aggressionsgesättigtes, chaotisiertes „Inneres“. Weder bei den von Mahler beschriebenen Kindern noch bei dem (durch die genannten Autoren repräsentierten) faschistischen Männertyp sei ein von innen heraus gewachsenes Ich im Sinne der Freudschen Psychoanalyse – als Mittler zwischen der Welt und dem Es – voll entwickelt. Aufgrund dieses Mangels sei der faschistische Typ, ähnlich wie Mahlers Patienten, von jederzeit hereinbrechenden unlustvollen symbiotischen Zuständen bedroht und darum zu ständiger Angstabwehr gezwungen.

Im Gegensatz zu den beschriebenen Kindern seien Erwachsene vom „faschistischen Typ“ jedoch hoch funktional und in keiner Weise autistisch, was Theweleit dadurch erklärt, dass diese Personen durch erlittene Prügel und militärischen Drill ein sekundäres Ich in Form eines „Körperpanzers“ erworben haben, dessen äußere Kennzeichen u. a. militärische Strammheit, Steifheit und Unterkühltheit seien.

Werke (Auswahl)

  • Männerphantasien 2 Bde., Verlag Roter Stern/Stroemfeld 1977, 1978, Lizenzausgabe als TB bei Rowohlt 1983−94, DTV, Piper 2000.
    • Bd. 1: Frauen, Fluten, Körper, Geschichte, 1977.
    • Bd. 2: Männerkörper. Zur Psychoanalyse des Weißen Terrors, 1978.
  • K. Th., mit Martin Langbein: Bruch, Verlag Roter Stern/Stroemfeld, 1980. Beiheft zu Art Spiegelman: Breakdowns.
  • Buch der Könige (auf 4 Bände angelegt)
    • 1. Orpheus und Euridyke, Stroemfeld Verlag 1988
    • 2x. Orpheus am Machtpol, Stroemfeld 1994
    • 2y. Recording Angel's Mysteries, Stroemfeld 1994
  • Objektwahl (All You Need Is Love ...). Über Paarbildungsstrategien & Bruchstück einer Freudbiographie, Stroemfeld 1990
  • One + One. Rede für Jean-Luc Godard, Brinkmann & Bose 1995
  • Das Land, das Ausland heißt. Essays, Reden, Interviews zu Politik und Kunst, dtv 1995
  • Heiner Müller. Traumtext, Stroemfeld 1996
  • Ghosts, Stroemfeld 1998
  • Der Pocahontas Komplex (auf 4 Bände angelegt)
    • Pocahontas in Wonderland. Shakespeare on Tour, Stroemfeld 1999, ISBN 3-87877-751-5
    • "You give me fever". Arno Schmidt. Seelandschaften mit Pocahontas. Die Sexualität schreiben nach WW II Stroemfeld 1999, ISBN 3-87877-754-X
  • Nicht drängeln! Dreimal anklopfen in: Schweeger, Elisabeth & Witt, Eberhard (Hgg.): Ach Deutschland!, Belville, München 2000, ISBN 3-933510-67-8 (S. 45 - 57)
  • Der Knall. 11. September, das Verschwinden der Realität und ein Kriegsmodell, Stroemfeld 2002 ISBN 3-87877-870-8
  • Deutschlandfilme. Godard. Hitchcock. Pasolini. Filmdenken & Gewalt, Stroemfeld 2003, ISBN 3-87877-827-9
  • Tor zur Welt. Fußball als Realitätsmodell Kiepenheuer & Witsch 2004, ISBN 3-462-03393-X
  • Friendly Fire. Deadline Texte Stroemfeld 2005, ISBN 3-87877-940-2
  • absolute(ly) Sigmund Freud. Songbook orange-press 2006, ISBN 3-936086-21-4
  • K. Th. mit Rainer Höltschl: Jimi Hendrix. Eine Biographie Berlin: Rowohlt 2008, ISBN 978-3-87134-614-9

als Herausgeber

CDs

  • Das RAF-Gespenst. 2-CD-Set, 130 Minuten. Köln: supposé 2001, ISBN 3-932513-23-1
  • Ekstasen der Zeitenmischung. Geschichtsdarstellung in der Kunst. 2-CD-Set, 160 Minuten. Köln: supposé 2001, ISBN 3-932513-22-3
  • BST - VIOSILENCE. Audio-CD, 50 Minuten. Musik: Walter Berger, Christian Schaeffer, Klaus Theweleit. Köln: supposé 2001, ISBN 3-932513-24-X

Literatur

Anmerkungen

  1. Sven Reichard: Klaus Theweleits ‚Männerphantasien‘. Ein Erfolgsbuch der 1970er Jahre, Zeithistorische Forschungen etc., Online Ausgabe, 2006
  2. http://www.klassik-stiftung.de/index.php?id=601

Weblinks


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