Wladimir Sergejewitsch Ignatowski

Wladimir Sergejewitsch Ignatowski

Wladimir Sergejewitsch Ignatowski (auch Vladimir Sergeyevitch Ignatowski, Waldemar Sergius von Ignatowski oder Ignatowsky; russisch Владимир Сергеевич Игнатовский; * 8. Märzjul./ 20. März 1875greg. in Tiflis, Georgien; † 13. Januar 1942 in Leningrad) war ein russischer Physiker. Er beschäftigte sich vor allem mit der Ausbreitung elektromagnetischer Wellen und der speziellen Relativitätstheorie.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Werk

Ignatowski graduierte 1906 in St. Petersburg. 1906-1908 studierte er an der Universität Gießen weiter und wurde 1909 promoviert. Von 1911-1914 lehrte er an der Höherer Technischen Schule in Berlin.[1] Danach arbeitet er an verschiedenen Instituten in der Sowjetunion. Darauf wurde er korrespondierendes Mitglied der sowjetischen Akademie der Wissenschaften. Wie Alexander Solschenizyn in seinem Werk Der Archipel Gulag berichtet, wurde Ignatowski 1941 wie viele andere von den sowjetischen Behörden wegen absurder Vorwürfe festgenommen. Er wurde 1942 in Leningrad exekutiert, weil er nach Ansicht der stalinistischen Behörden 1909 vom deutschen Geheimdienst angeworben worden sei, allerdings nicht um im nächsten Krieg (dem Ersten Weltkrieg), sondern im übernächsten Krieg (dem Zweiten Weltkrieg) zu spionieren.[2]

Ignatowski verfasste mehrere Arbeiten über die Spezielle Relativitätstheorie (SRT). So versuchte er 1910 als einer der ersten, die Lorentz-Transformation auf gruppentheoretischen Überlegungen ohne dem Postulat der Konstanz der Lichtgeschwindigkeit (c) abzuleiten. Er zeigte, dass diese schon aus der Forderung folgen, dass die wechselseitigen Lorentzkontraktionen, die in zwei gegeneinander bewegten Inertialsystemen beobachtet werden, gleich sind.[3] Unabhängig zeigten dies auch Philipp Frank und Hermann Rothe 1911. Die physikalische Interpretation der dabei eingeführten Parameter der Lorentztransformation fehlt dann allerdings. Ingnatowski gelang es auch (gleichzeitig mit Gustav Herglotz und Ernst Lamla), einige grundlegende Zusammenhänge der relativistischen Hydrodynamik zu formulieren.

Ebenso untersuchte er die Möglichkeit der Existenz starrer Körper in der SRT, wobei er feststellte, dass dies nur sehr eingeschränkt möglich sei. Dabei kam er allerdings aufgrund einer unkorrekten Interpretation der Relativität der Gleichzeitigkeit zu dem Ergebnis, dass sich Überlichtgeschwindigkeiten bei der Deformation der Körper ergeben. Beispielsweise wenn ein Körper in einen Inertialsystem an beiden Enden A und B gleichzeitig angehoben wird, erfolgt dies aus der Sicht eines anderen Inertialsystems nicht gleichzeitig, und der Körper wird in diesem System einem Knick unterworfen sein (siehe z.b. das Maßstabsparadoxon). Wichtig dabei ist, dass gemäß der Relativitätstheorie die beiden Ereignisse bei A und B kausal nicht miteinander verknüpft sind, d.h. sie sind so weit voneinander entfernt, dass ein mit Lichtgeschwindigkeit ausgesandtes Signal nicht rechtzeitig eintreffen kann, um das Stattfinden des jeweils anderen Ereignisses zu beeinflussen (d.h. der Abstand der Ereignisse ist "raumartig"). Ignatowski interpretierte jedoch fälschlicherweise das Anheben des Körpers an beiden Enden als ein kausal zusammenhängendes Ereignis, wodurch er zum Fehlschluss gelangte, dass sich der Knick als dynamische "Kraftwirkung" von A nach B mit Überlichtgeschwindigkeit ausbreiten müsse. Neben dieser "dynamischen" Interpretation vertrat er im Zuge des Ehrenfestschen Paradoxons die irrige Meinung, Effekte wie die Lorentzkontraktion seien lediglich "scheinbar", und nur Messungen an ruhenden Körpern ergäben "wahre" Werte.[4]

Bekannt wurde Ignatowski auch für seine Arbeiten auf dem Gebiet der Optik, wobei er (nach Solschenizyn) in der Sowjetunion den einzigen optisch-mechanischen Betrieb gründete.[2]

Einzelnachweise

  1. Thomas F. Glick, ed.: „The Comparative Reception of Relativity.“ Kluwer Academic Publishers, 1987, ISBN 9027724989
  2. a b Solschenizyn: „Der Archipel Gulag“, 2. Band., 1973
  3. Ignatowski, Archiv für Mathematik und Physik, Bd.17, 1910, S.1, Bd.18, 1911, S.17, Physikalische Zeitschrift Bd.11, 1910, S.972, Bd.12, 1911, S.779. Siehe auch Pauli Relativitätstheorie, Nachdruck Pergamon Press 1958, S.11.
  4. Miller, A.I.: Albert Einstein’s special theory of relativity. Emergence (1905) and early interpretation (1905–1911). Reading: Addison–Wesley 1981, ISBN 0-201-04679-2

Veröffentlichungen

  • Ignatowsky, W. v.: Reflexion elektromagnetisches Wellen an einem Draht. In: Annalen der Physik. 323, Nr. 13, 1905, S. 495–522. doi:10.1002/andp.19053231305.
  • Ignatowsky, W. v.: Berichtigung zu der Arbeit: Reflexion elektromagnetischer Wellen an einem Draht. In: Annalen der Physik. 323, Nr. 15, 1905, S. 1078. doi:10.1002/andp.19053231517.
  • Ignatowsky, W. v.: Diffraktion und Reflexion, abgeleitet aus den Maxwellschen Gleichungen. In: Annalen der Physik. 328, Nr. 10, 1907, S. 875–904. doi:10.1002/andp.19073281005.
  • Ignatowsky, W. v.: Berechnung des Widerstandes eines Drahtes bei der Reflexion von elektromagnetischen Wellen. In: Annalen der Physik. 328, Nr. 10, 1907, S. 905–906. doi:10.1002/andp.19073281006.
  • Ignatowsky, W. v.: Diffraktion und Reflexion, abgeleitet aus den Maxwellschen Gleichungen. In: Annalen der Physik. 330, Nr. 1, 1908, S. 99–117. doi:10.1002/andp.19083300108.
  • Ignatowsky, W. v.: Diffraktion und Reflexion, abgeleitet aus den Maxwellschen Gleichungen. In: Annalen der Physik. 331, Nr. 10, 1908, S. 1031–1032. doi:10.1002/andp.19083311012.
  • Ignatowsky, W. v.: Einige allgemeine Bemerkungen über das Relativitätsprinzip. In: Physikalische Zeitschrift. 11, 1910, S. 972–976.
  • Ignatowsky, W. v.: Zur Elastizitätstheorie vom Standpunkt des Relativitätsprinzips. In: Physikalische Zeitschrift. 12, 1911, S. 164–169.
  • Ignatowsky, W. v.: Über Überlichtgeschwindigkeit in der Relativitätstheorie. In: Physikalische Zeitschrift. 12, 1911, S. 776–778.
  • Ignatowsky, W. v. & Oettinger, E.: Experimentelle Untersuchungen zur Totalreflexion. In: Annalen der Physik. 342, Nr. 5, 1912, S. 911–922. doi:10.1002/andp.19123420505.
  • Ignatowsky, W. v.: Zur Theorie der Beugung an schwarzen Schirmen und Erwiderung an F. Kottler. In: Annalen der Physik. 319, Nr. 14, 1925, S. 589–643. doi:10.1002/andp.19253821402.
  • Ignatowsky, W. v.: Zur Theorie der Beugung an schwarzen Schirmen. In: Annalen der Physik. 388, Nr. 15, 1927, S. 977–978. doi:10.1002/andp.19273881506.

Siehe auch


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