Belzec-Prozess

Belzec-Prozess

Der Belzec-Prozess Mitte der 1960er Jahre war ein Prozess gegen acht ehemalige SS-Angehörige des Vernichtungslagers Belzec vor dem Landgericht München I. Dieser Prozess ist in direktem Zusammenhang mit dem Sobibor-Prozess, der dem Belzec-Prozess folgte, zu sehen, da fünf Beschuldigte in beiden Prozessen angeklagt waren. Zudem umfassen der Belzec-Prozess und der Sobibor-Prozess, ebenso wie die Treblinka-Prozesse, als Tatkomplex die Massenvernichtungsverbrechen im Rahmen der Aktion Reinhardt – der Tötung von über zwei Millionen Juden und 50.000 Roma und Sinti. Diese Prozesse stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit den Massenmorden an 100.000 Behinderten im Rahmen der Aktion T4, da viele Wachleute vor ihrer Tätigkeit in den Vernichtungslagern in diesbezüglichen Tötungsanstalten arbeiteten. Die ersten „Euthanasie“-Prozesse wurden bereits kurz nach Kriegsende durchgeführt.

Inhaltsverzeichnis

Der Belzec-Prozess vor dem Landgericht München I

Der von der Öffentlichkeit wenig beachtete Prozess gegen acht Angeklagte fand vom 8. August 1963 bis zum 21. Januar 1965 vor dem Landgericht München I statt. Vor dem Landgericht München erging am 30. Januar 1964 der Beschluss, gegen sieben der Angeklagten kein Hauptverfahren zu eröffnen, da sie sich zur Tatzeit in einem Putativnotstand befunden hätten. Unter diesen sieben Angeklagten befanden sich fünf der später im Sobibor-Prozess Beschuldigten, und zwar Dubois, Fuchs, Jührs, Unverhau und Zierke. Eine Beschwerde seitens der Staatsanwaltschaft, das Hauptverfahren doch gegen alle Beschuldigten zu eröffnen, wurde vom Oberlandesgericht in München abgewiesen. Daher begann die Hauptverhandlung am 18. Januar 1965 lediglich gegen den Angeklagten Josef Oberhauser und war bereits am 21. Januar 1965 abgeschlossen. Insgesamt wurden 14 Zeugen vernommen, darunter Professor Wilhelm Pfannenstiel, der im August 1942 mit Kurt Gerstein Zeuge einer Vergasung jüdischer Opfer in Belzec wurde, der Belzecüberlebende Rudolf Reder, der aber die Beschuldigten weder namentlich noch bildlich zuordnen konnte, die Beschuldigten Dubois, Unverhau, Schluch, Zierke, Gley und Fuchs, gegen die keine Hauptverhandlung eröffnet wurde und schließlich das ehemalige Mitglied der Lagermannschaft von Belzec Hans Gierzig, der krankheitsbedingt verhandlungsunfähig war. Oberhauser, der keine Angaben zur Sache machte, berief sich ebenso wie die anderen Beschuldigten im Belzec-Prozess auf den Befehlsnotstand und wies zudem auf seine bereits in der DDR verbüßten Haftstrafe hin. Nach Rücksprache mit der Generalstaatsanwaltschaft der DDR wurde jedoch festgestellt, dass Oberhauser von seiner fünfzehnjährigen Haftstrafe nur einen Teil verbüßt hatte (acht Jahre) und zudem nicht wegen seiner Taten im Vernichtungslager Belzec, sondern wegen seiner Beteiligung an der Aktion T4 in Magdeburg verurteilt worden war. Den Putativnotstand sah das Gericht nicht als gegeben an, da Oberhauser als Adjutant von Christian Wirth (Lagerkommandant von Belzec) zu diesem ein gutes Verhältnis gehabt haben muss. Das nachfolgend aufgeführte milde Urteil wurde vom Landgericht München mit den verschärften Haftbedingungen in den Strafanstalten der DDR und der potentiellen Höchststrafe von 15 Jahren, wenn die beiden Tatkomplexe (Belzec und Aktion 4) in einem Prozess verhandelt worden wären, begründet. Eine Revision vor dem Bundesgerichtshof erbrachte die Bestätigung des Urteils gegen Oberhauser.

Die Urteile und Straftaten im Einzelnen

Angeklagter Funktion in Sobibor Straftat Urteil
Josef Oberhauser Verbindungsmann zum Stab des SS- und Polizeiführers, kein fester Aufgabenbereich Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord in 300.000 Fällen (bei Anklageerhebung: 450.000) und wegen fünf weiterer Verbrechen der Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord in je 150 Fällen 4,5 Jahre Zuchthaus und Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte auf drei Jahre[1]
Erich Fuchs Abfertigung ankommender Transporte, Beschaffung von Material für den Bau einer neuen Gaskammer Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord in 90.000 Fällen Freispruch wegen Putativnotstand
Heinrich Gley Abfertigung ankommender Transporte, Aufsicht in der Entkleidungsbaracke Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord in 170.000 Fällen Freispruch wegen Putativnotstand
Werner Dubois Abfertigung ankommender Transporte (ca. 30.000 Personen), Leitung jüdischer Arbeitskommandos Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord in 360.000 Fällen Freispruch wegen Putativnotstand
Karl Schluch Täuschung der jüdischen Opfer über ihr Schicksal auf ihrem Weg in die Gaskammer Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord in 360.000 Fällen Freispruch wegen Putativnotstand
Heinrich Unverhau Verwertung und Abtransport der Kleidung der Opfer Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord in 360.000 Fällen Freispruch wegen Putativnotstand
Robert Jührs Aufsichtsdienste Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord in 360.000 Fällen Freispruch wegen Putativnotstand
Ernst Zierke Schmiedearbeiten, auch Abfertigung ankommender Transporte Beihilfe zum gemeinschaftlichen Mord in 360.000 Fällen Freispruch wegen Putativnotstand

Dieser erste Prozess, der um die drei Vernichtungslager Belzec, Sobibor und Treblinka der Aktion Reinhardt geführt wurde, offenbarte die Schwierigkeiten der bundesdeutschen Justiz mit der Ahndung von NS-Verbrechen. Nach 1945 wurde beschlossen, vor deutschen Gerichten kein Sonderrecht bezüglich von NS-Verbrechen einzuführen, sondern sie nach dem regulären Strafrecht zu verhandeln. Neben den schwierigen Abgrenzungsproblemen von Täterschaft und Beihilfe konnte der Tatnachweis oft nicht erbracht werden, dies zeigte sich in einem anderen Verfahren:

„Zu den vier versuchten Morden, den Exzesstaten, gehörten die Schüsse auf eine alte Frau, die Gomerski aus der Maschinenpistole in nächster Nähe abgab. Vermutlich ist die Frau an den Schüssen gestorben, doch der Häftling, der den Vorgang beobachtet hatte, kümmerte sich aus Angst nicht weiter um den Fall. So musste das Gericht von einem Versuch ausgehen, weil es den vollendeten Mord nicht nachweisen konnte.“[2]

Zudem erwies sich der Befehlsnotstand, zumindest noch im Belzec-Prozess, als sanktionshemmendes Element. Es stellte sich nicht nur für Juristen die Frage, warum den sieben Angeklagten im Belzec-Prozess der Befehlsnotstand zugebilligt wurde und den fünf Angeklagten im Sobibor-Prozess oder sogar Josef Oberhauser nicht.

Neuer Belzec-Prozess in Vorbereitung

Im Rahmen der Verhandlung gegen John Demjanjuk 2009/2010 wurden Aussagen russischer Zeugen aus den 1940er und 1960er Jahren bekannt, die sich auf einen ehemaligen Wachmann in Belzec beziehen. Die Zentrale Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen in Ludwigsburg führt derzeit Vorermittlungen. Der 88jährige mutmassliche Täter ist im Rhein-Sieg-Kreis wohnhaft. Die Nebenklage-Vertretung konnte nach Recherchen in Wikipedia als Nebenkläger Willie Glaser ausfindig machen.[3]

Literatur

  • Kerstin Freudiger: Die juristische Aufarbeitung von NS-Verbrechen. Mohr-Siebeck, Tübingen 2002, ISBN 3-16-147687-5.
  • Informationsmaterial des Bildungswerks Stanislaw Hantz e.V.: Belzec, Reader - basiert auf einem bisher unveröffentlichten Manuskript des Historikers und Leiters der Gedenkstätte Belzec Robert Kuwalek

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Urteil des LG München I
  2. Zu den Mordvorwürfen gegen Hubert Gomerski 1977 der in einem anderen Verfahren belastet wurde Zitiert bei: www.klick-nach-rechts.de.
  3. vgl. z.B. entsprechenden Artikel im Kölner Stadtanzeiger
Rechtshinweis Bitte den Hinweis zu Rechtsthemen beachten!

Wikimedia Foundation.

Игры ⚽ Поможем написать курсовую

Schlagen Sie auch in anderen Wörterbüchern nach:

  • Belzec (Begriffsklärung) — Diese Seite wird derzeit im Sinne der Richtlinien für Begriffsklärungen auf der Diskussionsseite des Wikiprojektes Begriffsklärungen diskutiert. Hilf mit, die Mängel zu beseitigen, und beteilige dich an der Diskussion! Hinweise zur Überarbeitung …   Deutsch Wikipedia

  • Sobibor-Prozess — Der Sobibor Prozess Mitte der 1960er Jahre war ein Prozess gegen 12 ehemalige SS Angehörige des Vernichtungslagers Sobibor vor dem Landgericht Hagen. Ihm voran gingen zwei Sobibor Prozesse, die 1950 in Berlin und Frankfurt am Main geführt wurden …   Deutsch Wikipedia

  • Vernichtungslager Belzec — …   Deutsch Wikipedia

  • Treblinka-Prozess — Die Treblinka Prozesse umfassen drei Strafprozesse gegen Mitglieder der Lagermannschaft des nationalsozialistischen Vernichtungslagers Treblinka. Die Verhandlungen fanden vor dem Schwurgericht in Frankfurt am Main in den Jahren 1950–1951… …   Deutsch Wikipedia

  • Hackenholt — Laurenzius Marie Hackenholt, genannt Lorenz Hackenholt, (* 25. Juni 1914 in Gelsenkirchen; Todeserklärung zum 31. Dezember 1945) war als SS Hauptscharführer, Maurer, Techniker und Fahrer an der Einrichtung und dem Betrieb der NS Tötungsanstalten… …   Deutsch Wikipedia

  • Laurenzius Marie Hackenholt — Laurenzius Marie Hackenholt, genannt Lorenz Hackenholt, (* 25. Juni 1914 in Gelsenkirchen; Todeserklärung zum 31. Dezember 1945) war als SS Hauptscharführer, Maurer, Techniker und Fahrer an der Einrichtung und dem Betrieb der NS Tötungsanstalten… …   Deutsch Wikipedia

  • Lorenz Hackenholt — Laurenzius Marie Hackenholt, genannt Lorenz Hackenholt, (* 25. Juni 1914 in Gelsenkirchen; Todeserklärung zum 31. Dezember 1945) war als SS Hauptscharführer, Maurer, Techniker und Fahrer an der Einrichtung und dem Betrieb der NS Tötungsanstalten… …   Deutsch Wikipedia

  • Sobibor-Prozesse — Der Sobibor Prozess Mitte der 1960er Jahre war ein Prozess gegen 12 ehemalige SS Angehörige des Vernichtungslagers Sobibor vor dem Landgericht Hagen. Ihm voran gingen zwei Sobibor Prozesse, die 1950 in Berlin und Frankfurt am Main geführt wurden …   Deutsch Wikipedia

  • Erich Fuchs (SS-Mitglied) — Erich Fuchs (* 9. April 1902 in Berlin; † 25. Juli 1980 in Koblenz) war ein deutscher SS Scharführer und an der „Aktion T4“ beteiligt sowie im Rahmen der „Aktion Reinhardt“ mit der Installation der Vergasungsanlagen beauftragt. Inhaltsverzeichnis …   Deutsch Wikipedia

  • Unverhau — Heinrich Unverhau (* 26. Mai 1911 in Vienenburg; † unbekannt) war SS Unterscharführer und an der „Aktion T4“ und der „Aktion Reinhardt“ beteiligt. Werdegang Nach dem Besuch der Volksschule begann er eine Lehre als Klempner, die er jedoch aufgrund …   Deutsch Wikipedia

Share the article and excerpts

Direct link
Do a right-click on the link above
and select “Copy Link”