ZEGG

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ZEGG, März 2007

Das ZEGG (Zentrum für Experimentelle Gesellschaftsgestaltung) ist eine Lebensgemeinschaft in Bad Belzig, 80 km südwestlich von Berlin. Es versteht sich als Modellprojekt für eine ökologisch und sozial nachhaltige Lebensweise. Dabei geht es um persönliche Entwicklung, Aufbau einer kooperativen und ökologischen Lebensweise sowie um politisches Engagement. Ein wichtiger Schwerpunkt der Gemeinschaft ist die Erforschung neuer Wege in Bezug auf Liebe und Sexualität.

Das ZEGG besteht seit 1991. Auf dem 15 ha großen Gelände leben heute ca. 100 Menschen, darunter 15 Kinder und Jugendliche. Im ZEGG gibt es eine Bio-Kläranlage, eine CO2-neutrale Heizung, einen Bio-Gemüsegarten, diverse Lehmbauten, einen Meditationsraum, ein Kunstatelier, Werkstätten, ein Gästehaus, ein Kinderhaus sowie diverse Veranstaltungs- und Seminarräume.

Inhaltsverzeichnis

Seminare und Festivals

Die ZEGG GmbH veranstaltet jährlich vier große Festivals mit mehreren hundert Besuchern. Die Festivals werden von der gesamten Gemeinschaft ehrenamtlich getragen. Es finden außerdem ca. 120 Seminare interner und externer Anbieter statt. Das Angebot umfasst Gemeinschaftswissen, Kommunikation[1], Liebe und Sexualität[2], gewaltfreie Kommunikation und Empathie[3] sowie künstlerische Angebote wie Singen.[4] Das ZEGG hatte 2010 mehr als 10.000 Gästeübernachtungen und war damit der zweitgrößte Kurtaxenzahler in Bad Belzig. Trägerin aller Veranstaltungen ist die ZEGG GmbH. Der Seminarbetrieb ist die Haupteinnahmequelle der Gemeinschaft.

Gemeinschaftsleben

Das soziale Ziel des ZEGG ist es, einen gemeinschaftlichen Lebensstil langfristig zu fördern. Dazu hat die Gemeinschaft sich eine eigene soziale Struktur geschaffen.

Ein großer Teil der Gemeinschaft arbeitet im Seminarbetrieb. Dieser umfasst Unterbringung und Verpflegung der Gäste, Seminarorganisation- und leitung sowie Landwirtschaft und Geländepflege. Alle Bewohner übernehmen darüber hinaus ehrenamtliche Aufgaben. Die Arbeitsbereiche sind selbstverwaltet, Entscheidungen werden von den Mitarbeitern getroffen.

Die meisten Bewohner der Gemeinschaft leben in Wohngemeinschaften, andere als Paar oder allein. Kinder leben größtenteils bei ihren Eltern. Sie gehen in Kindertagesstätten und Schulen der Umgebung. In der Gemeinschaft gibt es eine Nachmittagsbetreuung in Elterninititative. Die Kosten für Unterkunft und Verpflegung der Kinder werden von der gesamten Gemeinschaft getragen.

Viele Gemeinschaftsmitglieder nehmen an sozialen Prozessen teil, um sich auszutauschen, Konflikte zu klären und Entwicklungsprozesse zu begleiten. Es finden außerdem regelmäßig Tanzabende, Jahreszeitenfeste, Vorträge und kulturelle Veranstaltungen statt.

Entscheidungen und Organisation

Die ZEGG-Gemeinschaft organisiert sich seit ca. 2 Jahren nach einem soziokratischen Modell. Kern des Organisationsmodells sind selbstorganisierte, hierarchisch angeordnete Kreise, die oben umfassender und nach unten spezialisierter sind. Der ZEGG-Management-Kreis hat die Aufgabe, das Organisationsziel in konkrete Schritte umzusetzen und die übergeordneten Interessen des ZEGG (wie vom Visionsbeirat vorgegeben) wahrzunehmen. Entsprechend legt er die Aufgaben für die untergeordneten Kreise fest. Diese sind in diesem Rahmen selbstorganisiert und autonom. So entscheidet im ZEGG z.B. der Versorgungskreis über alle Fragen im Bereich Garten, Küche und Verpflegung im Sinne der Gesamtorganisation. Um die Kommunikation zwischen den Kreisen zu gewährleisten, arbeitet das ZEGG mit Verbindungen in beide Richtungen. Jeder Kreis wählt je einen Vertreter in den nächsthöheren Kreis und in die unteren Kreise. Sie vertreten die Interessen der entsprechenden Kreise und sind bei Entscheidungen gleichberechtigt. Entscheidungen sind jederzeit revidierbar, wenn sie sich in der Praxis nicht bewähren.[5]

Liebe und Sexualität

Die ZEGG-Gemeinschaft beschäftigt sich seit 20 Jahren mit Liebe und Sexualität. In der Anfangszeit war dabei die Idee der freien Liebe prägend. Inspiriert von den Ideen Dieter Duhms wurde nach einer Form des Zusammenseins gesucht, in der Angst und Besitzdenken in der Liebe überwunden werden können. Nach dem radikalen Aufbruch der ersten Jahre sind nach und nach partnerschaftliche Bindungen stärker in den Vordergrund gerückt. Im ZEGG gibt es heute offene Beziehungen und monogam lebende Paare. Ziel des ZEGG ist es, Liebe und Sexualität offen zu leben und so Vertrauen zu schaffen.

Geschichte des Geländes

Das Gelände wurde erstmals 1919 besiedelt, es entstand ein landwirtschaftlicher Betrieb mit Gartenbau und Kleintierhaltung. Der damalige Besitzer überschrieb das Gelände Anfang der dreißiger Jahre der SS. Zur Olympiade 1936 trainierte die deutsche Mannschaft der Military-Reiter auf dem Platz. Danach wurden Führer der Hitlerjugend und des Bundes deutscher Mädchen auf dem Gelände ausgebildet. Es wurde das Sportlerheim Belzig erbaut, das Ziel von Urlaubsreisen im Rahmen der Massenorganisation Kraft durch Freude war. In den 1950er Jahren bildete die Einheitsgewerkschaft der DDR ihre Funktionäre auf dem Gelände aus. Anfang der 1960er Jahre übernahm es dann die HVA des Ministeriums für Staatssicherheit und wandelte es in einen Ausbildungsplatz für Auslandsagenten um. Die Schule war direkt dem Chef der Auslandsaufklärung Markus Wolf unterstellt. Als der übergelaufene Topagent Werner Stiller die Agentenschule 1988 enttarnte, wurde sie an einen anderen Ort verlegt. Zur Wendezeit 1989 war gerade damit begonnen worden, das Gelände zu einem Sanatorium umzubauen. Die Baumaßnahmen wurden eingestellt und es kam an die Treuhandanstalt.

Die ZEGG GmbH kaufte das Gelände 1991 für 2,1 Millionen DM. Das ZEGG hat seitdem durch zahlreiche landschaftliche und ökologische Maßnahmen zur Regeneration der Flora und Fauna des Geländes beigetragen. Die ZEGG-Gemeinschaft hat die Geschichte des Platzes recherchiert und alte Fotos, Zeitdokumente und Berichte gesammelt. Eine Ausstellung zur Geschichte des Geländes ist im Seminargebäude auf dem Gelände zu sehen.

Ökologie und Energie

Das ZEGG ist Ökodorf und Mitglied im Zusammenschluss der Ökodörfer GEN (Global Ecovillage Network).

Das ZEGG strebt eine regionale und CO2-neutrale Energieversorgung aus erneuerbaren Quellen an. Das bestehende Braunkohlekraftwerk wurde 1991 auf Holzhackschnitzel umgestellt und modernisiert. Das Holz für den Betrieb wird aus den umliegenden Wäldern gewonnen. Das ZEGG erzeugte damit 100% seines Wärmebedarfs selbst. Zur Umstellung der Stromproduktion wurde 2005 die erste Photovoltaikanlage (24 kW peak) installiert. 2010 gab es eine Erneuerung der Heizanlage. Drei gasbetriebene Blockheizkraftwerke gingen ans Netz, die später auf Biogas umgestellt werden sollen. Hinzu kamen 2011 weitere 33 kWp aus Photovoltaik. Das ZEGG produziert heute 87% seines Stromverbrauchs auf dem Gelände regenerativ. Es werden 86 % der thermischen Energie aus regenerativen Energiequellen gedeckt (500 kW Hackschnitzel, 240 m² Solarthermie, und 350 kW Scheitholz als Notsystem). Zusätzlich benötigter Strom wird von Greenpeace Energy bezogen. Parallel dazu hat das ZEGG durch Wärmedämmung der Gebäude seit 1991 seinen Energieverbrauch um circa 40 % gesenkt.

Das ZEGG hat einen geschlossenen Wasserkreislauf aufgebaut. Das Wasser kommt aus drei Brunnen, es wird gefiltert, genutzt, natürlich geklärt und kann dann versickern. Seit 1992 ist eine Pflanzenkläranlage in Betrieb, die die gesamten Abwässer in einem künstlich geschaffenen Feuchtbiotop reinigt. Dieses bietet einen neuen Lebensraum für Tiere.

Bei der Gestaltung und Nutzung des Geländes orientiert sich das ZEGG an Ideen der Permakultur. So wurde der sandige Boden durch Mulchen, Gründüngung und Einbringen von Tongranulat nahrhafter gemacht. Es ist eine Humusschicht entstanden, die sich selbst regeneriert. Als der Boden gesünder wurde, folgten die höheren Lebewesen - Vögel, Igel, Marder, Kröten und Eichhörnchen. Auf dem Gelände ist eine essbare Landschaft angelegt worden. In geschützten Lagen wachsen Aprikosen, Pfirsiche, Wein, Kiwis, Maulbeeren und Feigen.

Im ZEGG Garten (1 ha) werden Obst und Gemüse nach den Richtlinien des ökologischen Landbaus angebaut. Im Garten wachsen Salate und Blumen, Gemüse wie Möhren, Lauch oder Grünkohl und verschiedene Obstsorten. Die Küche im ZEGG ist vegetarisch und teilweise vegan. Die verwendeten Lebensmittel aus dem Garten werden im Sommer täglich geerntet und verarbeitet und kommen direkt auf den Tisch. Zugekauft werden Lebensmittel aus Bio-Produktion, aus der Region oder aus fairem Handel.

2004 wurde das ZEGG für die Hackschnitzelheizung und die Pflanzenkläranlage mit dem zweiten Preis des Agenda 21-Wettbewerbs des Landkreises Potsdam-Mittelmark ausgezeichnet. 2011 erhielt das ZEGG wieder den zweiten Preis des Agenda 21-Wettbewerbs des Landkreises Potsdam-Mittelmark für die Umsetzung seines neuen, innovativen Energiekonzepts.

ZEGG-Forum

Das Forum, eine psychodrama-ähnliche, ritualisierte Form der transparenten Kommunikation zwischen dem Einzelnen und der Gruppe, ist eine für das Fortbestehen der Lebensgemeinschaft ZEGG wesentliche Einrichtung.[1] Es ist ein Prozess für Gruppen von 12 bis zu 50 Teilnehmern und wird v.a. in großen Lebensgemeinschaften auch international angewandt. Das "ZEGG-Forum" wurde von der Gruppe während des Projekts Bauhütte entwickelt. Es soll für Transparenz in den Beziehungen sorgen und soziale und psychologische Spannungen abbauen. Durch das spielerische und künstlerische Ritual ist es einfacher, seine normalerweise versteckten Gefühle und Gedanken offen zu äußern und dadurch Sozialkontakte intensiver aufzubauen. Es geht davon aus, dass soziale Systeme durch unterstützende Rückkopplung profitieren. Eine Funktion des Forums ist im Johari-Fenster erklärt. Der Bereich des "Öffentlichen" wird vergrößert und so die Fähigkeit zur Zusammenarbeit in Teams verbessert.

Eine Person geht in die Mitte eines Kreises von Menschen und teilt mit, was in ihr gerade vor sich geht und sie bewegt. Erfahrene Facilitatoren unterstützen den Darsteller. Anschließend gehen Teilnehmer der Gruppe in die Mitte und geben (falls vom Darsteller gewünscht) „Spiegel“. Spiegel sind subjektive Wahrnehmungen oder Reflexionen des Prozesses. Forum ist ein Katalysator für die Entwicklung der Persönlichkeit und für die Vertrauensbildung einer Gruppe.

Geschichte des Konzeptes

Das ursprüngliche Grundkonzept des ZEGG entstand aus den Ideen von Dieter Duhm und Sabine Lichtenfels. Mit seinem Buch: "Angst im Kapitalismus" war Duhm einer der intellektuellen Köpfe der 68er Bewegung. Duhm wurde in den 1970er Jahren von vielen Projekten inspiriert. Unter anderem auch von der Aktionsanalytischen Organisation (AAO) des Wiener Künstlers Otto Muehl. Dieter Duhm und Aike Blechschmidt entwarfen gemeinsam ein Konzept eines Zentrums für experimentelle Gesellschafts-Gestaltung (ZEGG). Duhm gründete 1978 in Süddeutschland das "Projekt Bauhütte" und wandte sich nach eigener Aussage bereits 1979 wieder von der AAO ab, da er Muehls autoritären Führungsstil ablehnte. 1991 zog die Gemeinschaft nach Belzig um und gründete dort das ZEGG. Duhm und Lichtenfels waren selbst nie Bewohner des ZEGG und betreiben seit 1995 ein eigenes Projekt unter dem Namen Tamera in Portugal.

Literatur

  • Beyond you and me - Inspirations and Wisdom for Building Community S.128 (Forum – A way of group communication; Richter)" Kostenloser Download: Beyond you and me
  • Bang, Martin: Ecovillages. A practical guide to sustainable living. Edinburgh 2005.

Weblinks

Quellen

  1. a b http://zegg-forum.org
  2. www.zegg-liebesakademie.de
  3. www.experiment-empathie.de
  4. http://www.come-together-songs.de
  5. Organisationsstruktur im ZEGG (PDF), abgerufen am 4. Oktober 2011
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