Ägyptische Zahlen

Ägyptische Zahlen

Die ägyptischen Zahlen (auch ägyptische Ziffern oder Zahlzeichen genannt) sind eine seit Anfang des 3. Jahrtausends v. Chr. bezeugte hieroglyphische Zahlschrift, mit der positive rationale Zahlen (ganze und gebrochene) additiv geschrieben wurden. In ihrer Weiterentwicklung zur hieratischen Zahlschrift traten ab Mitte des 3. Jahrtausend an die Stelle dieser Zahlenhieroglyphen hieratische Kursivzeichen mit einer Vereinfachung des Prinzips additiver Zeichenwiederholung.

Inhaltsverzeichnis

Hieroglyphische Zahlschrift

Natürliche Zahlen

Die Ägypter benutzten ein dezimales Zahlensystem, in dem es für jede Zehnerpotenz von 1 bis 1.000.000 ein eigenes Zeichen gab. Eine beliebige natürliche Zahl (positive ganze Zahl) schrieb man mit möglichst großen, der Größe nach geordneten Zehnerpotenzen, die man jeweils so oft angab, bis man mit deren Gesamtsumme die Zahl erhielt.


1 10 100 1.000 10.000 100.000 1.000.000
Z1
V20
V1
M12
D50
I8
C11
Einfacher Strich Rinds- gespann Seilschlinge Wasserlilie Finger Kaulquappe
oder
Frosch
Heh (altägyptischer Gott der Unendlichkeit)


Beispiel für die Zahl 305, mit drei Hunderterzeichen und fünf Einerzeichen:

V1 V1 V1 Z1 Z1 Z1 Z1 Z1
Im 2. Jahrhundert v. Chr. wurde am Horus-Tempel in Edfu eine Inschrift angebracht, in der die Flächen von Tempelländereien berechnet wurden. Nach heutiger, jedoch nicht sicherer Interpretation wurden dabei vier- und dreieckige Parzellen nach einer allgemeinen Formel für Vierecke aus den Seitenlängen ungefähr berechnet, bei dreieckigen Parzellen setzte man die vierte Seite null und benutzte als Zeichen dafür die Hieroglyphe
D35
(„nichts“).[1] Man kannte also vielleicht auch schon die Zahl Null.

Bruchzahlen

Um die Division vollständig durchführen zu können, verwendeten die Ägypter gemeine Brüche natürlicher Zahlen,[2] die sie durch Summen von Stammbrüchen, d. h. Brüche mit dem Zähler 1, sowie vom Bruch 2/3 darstellten.[3] Die Brüche gingen ursprünglich auf kleinere Maßeinheiten zurück. Stammbrüche mit Zweierpotenzen von 2 bis 64 im Nenner konnten als Elemente des Udjat-Auges
D10
geschrieben werden. Die einzelnen Teile des Udjat-Auges entsprachen auch den jeweiligen Bruchteilen des ägyptischen Scheffels (Heqat, ca. 4,8 Liter). Ihre Summe ergibt 63/64, das fehlende 1/64 ließ angeblich der Gott Thot verschwinden.


Stammbrüche mit Zweierpotenzen
1/2 1/4 1/8 1/16 1/32 1/64
D11
D12
D13
D14
D15
D16


Allgemeine Stammbrüche wurden geschrieben,[4] in dem man den Nenner unter das Bildzeichen des Mundes schrieb, das auch das Getreidemaß [5] In Anlehnung an die ägyptische Form werden Stammbrüche in lateinischer Umschrift heute durch den überstrichenen Nenner wiedergegeben und 2/3 durch eine doppelt überstrichene 3.


Allgemeine Stammbrüche
2/3 1/2 1/3 1/4 1/9 1/10 1/11 1/12
\overline{\overline3} \overline2 \overline3 \overline4 \overline9 \overline{10} \overline{11} \overline{12}
r

Z1 Z1
Aa13
r

Z1 Z1 Z1
r

Z1 Z1 Z1 Z1
r

Z1 Z1 Z1
Z1 Z1 Z1
Z1 Z1 Z1
r

V20
r

V20 Z1
r

V20 Z1 Z1


So wurde z. B. 5/12 wie folgt geschrieben:

D21
Z1 Z1 Z1
D21
V20 Z1 Z1
= \frac{1}{3} + \frac{1}{12} = \frac{5}{12}

Hatte der Nenner zu viele Ziffern, so wurde der Mund nur über die vorderen Ziffern des Nenners gesetzt:

D21
V1 V1 V1
V20 V20
V20 Z1
= \frac{1}{331}

Hieratische und demotische Zahlschrift

Für den alltäglichen Gebrauch waren die Hieroglyphen jedoch zu umständlich zu schreiben, so wurden sie schon ab Mitte des 3. Jahrtausends zur hieratischen Schrift vereinfacht. Wiederholungen von Zahlzeichen wurden dabei jeweils zu einem einzigen Zeichen zusammengezogen. Im Ergebnis stand mit vier Zeichen für die Zehnerpotenzen 1, 10, 100 und 1.000 sowie 32 (4 mal 8) Zeichen für deren Vervielfachungen ein System von insgesamt 36 Zahlzeichen für die Schreibung der Zahlen 1 bis 9.999 zur Verfügung. Durch den Wegfall der Zeichenwiederholung ließ sich auf diese Weise eine vierstellige Zahl als Folge von maximal vier hieratischen Zahlzeichen statt maximal 36 hieroglyphischen Zeichen schreiben. Ab der Mitte des 7. Jahrhunderts v. Chr. fand eine weitere Vereinfachung zur demotischen Schrift statt. In Gebrauch blieben die hieratischen und die demotischen Zahlzeichen bis sie in hellenistischer Zeit durch die griechischen Zahlen abgelöst wurden.

Literatur

  • Georges Ifrah: Universalgeschichte der Zahlen, Übersetzung aus dem Französischen von Alexander von Plasen, Redaktion Peter Wanner, Sonderausgabe der 2. Aufl., Parkland, Köln 1998, ISBN 3-880-59-956-4, S. 230 ff., S. 265 ff.
  • Kurt Vogel: Vorgriechische Mathematik I: Vorgeschichte und Ägypten. Schroedel, Hannover und Schöningh, Paderborn 1958.

Einzelstellennachweise

  1. H. Gericke: Mathematik in Antike und Orient. Springer, Berlin u.a. 1984; S. 58–60
  2. Vogel; S. 44 f.
  3. Vogel; S. 37 ff.
  4. Vogel; S. 34 f.
  5. Vogel; S. 35 ff.



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