Ärztehopping

Ärztehopping

Ärztehopping (engl. doctor shopping) ist ein Schlagwort, das von den Krankenkassen eingeführt worden ist. Sie bezeichnen damit die Inanspruchnahme von mehreren Ärzten der gleichen Fachgruppe ohne Überweisung durch einen Hausarzt, was aus Sicht der Krankenkassen unnötig und unerwünscht ist.

Ärztehopping liegt nach Ansicht der Kassen beispielsweise vor, wenn sich ein Patient innerhalb eines Quartals bei mehreren Hausärzten oder Fachärzten derselben Fachgruppe behandeln lässt, ohne dass die beteiligten Ärzte davon wissen. Aus ihrer Sicht stellt Arzthopping einen Missbrauch der freien Arztwahl dar. Holt sich ein Patient wegen einer Erkrankung lediglich die Meinung eines zweiten Arztes ein, spricht man im Allgemeinen nicht von Arzthopping.

Inhaltsverzeichnis

Studien

Die Krankenkassen vertreten die Auffassung, dass durch die Ablösung der Krankenscheine durch die Krankenversicherungskarte dieses Patientenverhalten erleichtert wurde. Eine Studie des Wissenschaftlichen Instituts der AOK hat dies im Jahr 1999 widerlegt. Die wesentlichen Ergebnisse dieser Studie waren:

  1. Nur von einem kleinen Anteil der Versicherten wurden in einem Quartal mehrere Ärzte gleicher Fachrichtung aufgesucht; ein Missbrauch war die Ausnahme.
  2. Die wichtigsten Gründe der Patienten für einen Arztwechsel waren Unzufriedenheit mit dem bisherigen Arzt oder das Einholen einer Zweitmeinung.
  3. Nur ein sehr kleiner Teil von Versicherten besuchte mehrere Ärzte, um sich mehrfach Medikamente verordnen zu lassen.[1]

Daten aus den 1990er Jahren ergaben, dass sich die Zahl der Arztbesuche durch die Versicherten nicht deutlich erhöht hat, es gab lediglich eine Verschiebung zu Gunsten der Fachärzte, die häufiger ohne vorheriges Konsultieren des Hausarztes aufgesucht wurden.[2]

Das Zentralinstitut für kassenärztliche Versorgung der KBV befragte 1995 Ärzte in drei Kassenärztlichen Vereinigungen. Davon berichteten lediglich 7 Prozent von einzelnen Missbrauchsfällen. Das Deutsche Ärzteblatt sprach daraufhin von einer bundesweiten „Betrugsquote“ von 0,014 % (dpa vom 8. November 1995).[3]

Bei der Anzahl der Arztbesuche liegt ein statistisch durchschnittlicher Mensch in Deutschland mit 16,3 pro Jahr laut einer Studie weltweit vorn.[4]. Hausärzte werden in Deutschland mit jährlich knapp sieben Kontakten am häufigsten aufgesucht.[5] Ähnlich hohe Arztkontaktraten gibt es sonst nur in Japan oder Tschechien.[6]

Grundlage für folgende Auswertungen waren Daten von 1,4 Millionen GEK-Versicherten in 8,3 Millionen Behandlungsfällen und mit 27 Millionen ICD-Diagnoseschlüsseln aus dem Jahr 2004. 91 % der Bevölkerung hatten mindestens einen Arztkontakt. Durchschnittlich gab es je Bürger 16,3 Arztkontakte. Für das Jahr 2008 weist die im Jahr 2010 vorgestellte GEK-Studie 18,1 Arztkontakte pro gesetzlich versichertem auf.[7] Darin nicht eingeschlossen sind Kontakte zum Zahnarzt, Betriebsarzt, Amtsarzt, Krankenhaus und zu anderen Behandlern wie Hebammen, Heilpraktikern, Physio- und Ergotherapeuten und zu Privatärzten. Zwei Drittel der deutschen Bevölkerung gehen mindestens einmal jährlich zum Hausarzt, im Schnitt jeder Einwohner 6,6-mal pro Jahr. 10 % der Versicherten weisen eine hohe Kontaktrate bei ambulanten Leistungen auf. Auf sie entfallen gut ein Drittel aller Arztkontakte und 43 % der Behandlungskosten. 1 % der Versicherten verursacht ca. 13 % der Kosten. International ist die Zahl der ambulanten Arztkontakte mit im Schnitt 16 in Deutschland hoch. Nur in Japan, der Slowakei, Tschechien und Ungarn sind sie auf vergleichbarem Niveau.[8]

Auch laut Techniker Krankenkasse bringen es die Deutschen auf 16 Arztkontakte pro Jahr. Dadurch kommen alleine bei dieser Krankenkasse 42 Millionen Abrechnungsfälle zusammen, 800.000 Heil- und Kostenpläne aus Zahnarztpraxen, 30 Millionen Rezepte, eine Million Krankenhausfälle, 4,8 Millionen Rechnungen von Orthopädietechnikern, Augenoptikern, Hebammen, Rettungsdiensten, Physiotherapeuten, Taxiquittungen und Krankschreibungen. [9]

Die meisten Patienten sind ihrem Arzt allerdings eher treu. 2004 gingen 66,3 % der Bevölkerung mindestens einmal zu einem Allgemeinarzt, von diesen suchten 74,5 % nur einen Arzt dieser Fachrichtung auf, 20,5 % zwei Ärzte, 4 % drei Ärzte und 1 % vier und mehr Ärzte. 25,7 % der Bevölkerung suchten einen Frauenarzt auf, von diesen 56,3 % nur einen Arzt dieser Fachrichtung, 36,3 % zwei Ärzte, 5,8 % drei Ärzte und 1,7 % vier oder mehr.[10]

Deutsche Primär- (Haus-) Ärzte haben im Schnitt 243 Patienten pro Woche, in anderen in unten genannter Studie untersuchten Industrieländern sind es meist zwischen 102 und 154. Die Zeit pro Patientenkontakt lag international im Mittel zwischen 11 und 19 Minuten, in Deutschland bei unter acht Minuten. Eine der Ursachen der verbreiteten Unzufriedenheit deutscher Hausärzte könnte in ihrer Belastung durch die höhere Zahl von kürzeren Patientenkontakten liegen.[11]

Nur neun Prozent der deutschen Bevölkerung haben 2006 keinen einzigen niedergelassenen Arzt aufgesucht. Die Zahl der ambulant psychotherapeutisch Behandelten nahm seit dem Jahr 2000 um 61 % auf circa 730.000 Patienten 2006 zu. Die Zahlen basieren auf Auswertungen aller Behandlungs- und Diagnosedaten von Vertragsärzten für die knapp 1,6 Millionen Versicherten der Gmünder Ersatzkasse (GEK), die auf die deutsche Gesamtbevölkerung hochgerechnet wurden. Demnach dürften 2006 91 % der Bevölkerung, also 75 Millionen Menschen, Kontakt zu mindestens einem Kassenarzt oder -Psychotherapeut gehabt haben. Darin enthalten sind keine Zahnarztbesuche. 48,5 % der Bevölkerung haben mindestens vier Ärzte oder Psychotherapeuten aufgesucht. Pro Kopf der Bevölkerung wurden im Schnitt 6,8 Behandlungsfälle (Quartalsabrechnungen) registriert sowie 17,1 Behandlerkontakte (also 2,3 Kontakte je Quartalsabrechnung). Das ist im internationalen Vergleich ein Spitzenwert. Verglichen mit dem Jahr 2004 sei die Zahl der Kontakte nach diesen Berechnungen um etwa 5 % gestiegen.[12]

Gründe für das Ärztehopping

Die Gründe für das Ärztehopping können höchst unterschiedlicher Natur sein. Eine Ursache ist fehlendes Vertrauen in den Hausarzt oder den behandelnden Arzt oder die Ärzteschaft insgesamt. Häufig dürfte das Ärztehopping krankheitsbedingt sein, so beispielsweise bei psychischen Erkrankungen. Ärztehopping tritt auch bei medikamentenabhängigen Menschen auf, die eine große Zahl von Ärzten aufsuchen, um sich die benötigten Medikamente verschreiben zu lassen und bei unheilbar Erkrankten, die sich von der Konsultation möglichst vieler Ärzte doch noch eine Heilungschance versprechen. Eine Ursache für scheinbares Ärztehopping kann auch ein Missbrauch der Krankenversicherungskarte durch mehrere Personen sein.

Folgen des Ärztehopping

Für die Krankenkassen führt Ärztehopping zu Mehrausgaben, wenn es sich um Privatpatienten handelt, denn ärztliche Leistungen und Untersuchungen werden dabei mehrfach durchgeführt und müssen auch entsprechend vergütet werden. Für gesetzliche Krankenkassen erhöht sich durch Ärztehopping die Gesamtvergütung, die an Vertragsärzte (früher: Kassenärzte) gezahlt wird, nicht, denn sie ist budgetiert. Ärztehopping führt dort aber zu einem Verfall des Punktwertes der Leistungen, mit anderen Worten: Der Vertragsarzt erhält weniger Honorar pro Leistung. Außerdem schlägt sich Ärztehopping durch die höhere Anzahl an Rezepten, die die einzelnen Ärzte ausstellen, auf die Arzneimittelkosten nieder. Aber auch hier greifen Begrenzungsmaßnahmen, denn auch Arzneikosten sind für gesetzlich versicherte Patienten budgetiert.

Auch für den Patienten ist Ärztehopping nicht ungefährlich, denn es kann beispielsweise bei verschiedener Medikation zu unerwünschten Wechselwirkungen kommen, die dann wiederum behandelt werden müssen und erneut zu unnötigen Kosten führen.

Andererseits kann ein Patient durch Arztwechsel einen kompetenteren Arzt finden, der seine Krankheit besser behandelt oder heilt. Dadurch kann auch die Krankenkasse Kosten sparen.

Gegenmaßnahmen

Sanktionen im Sinne von Strafen oder Leistungsbegrenzungen gegen das Ärztehopping gibt es grundsätzlich nicht. Die Einführung der Praxisgebühr kann als ein Versuch des Gesetzgebers gesehen werden, unnötige Arztbesuche einzuschränken. Ärzte und Krankenkassen können in gemeinschaftlicher Zusammenarbeit versuchen, die Gründe für das Ärztehopping zu analysieren und beratend auf ihre Versicherten und Patienten einzuwirken und Alternativen aufzuzeigen. Um solche Maßnahmen ergreifen zu können, muss das Arzthopping jedoch bekannt sein. Anhaltspunkte für die Krankenkassen können beispielsweise Arzneimitteldaten und Abrechnungen der kassenärztlichen Vereinigungen sein, problematisch ist jedoch, dass den Kassen diese Daten oft erst mit erheblichen zeitlichen Verzögerungen zur Verfügung stehen und so ein rechtzeitiges Eingreifen erschwert wird.

Quellen

  1. Verbrauchernews (1999)
  2. B. Braun u.a., Das Märchen von der Kostenexplosion. Populäre Irrtümer zur Gesundheitspolitik, S. 81
  3. B. Braun u. a., Das Märchen von der Kostenexplosion, S. 83
  4. Ärzte Zeitung, 10./11. November 2006, S. 1: "16 Arztbesuche pro Jahr"
  5. Bei Arztbesuchen sind die Deutschen Weltmeister, Ärztliche Praxis, 21. November 2006, S. 18
  6. MMW - Fortschr. Med., Nr. 46/2006 (148. Jg), S. 3: Deutsche gehen besonders oft zum Arzt
  7. 18-mal im Jahr zum Arzt, SZ, 20. Januar 2010, S. 15
  8. Zitiert nach: Medical Tribune Nr. 47, 24. November 2006, S. 27
  9. Zitiert nach Technik auf Pump, medbiz 01/07, S. 20 f., Beilage der Financial Times Deutschland
  10. Zitiert nach Medical Tribune, 8. Dezember 2006, S. 19
  11. Klaus Koch, Ulrich Gehrmann, Peter T. Sawicki, Primärärztliche Versorgung in Deutschland im internationalen Vergleich: Ergebnisse einer strukturvalidierten Ärztebefragung, German Primary Care in International Comparison: Results of a Survey of Doctors, Deutsches Ärzteblatt 104, Ausgabe 38 vom 21. September 2007, Seite A-2584
  12. Zitiert nach Ein Jahr ohne Arzt - für 90 % der Bevölkerung nicht vorstellbar - Topwert: 17 Arztkontakte pro Bürger, Medical Tribune, 42. Jg, Nr. 49, 7. Dezember 2007, S. 17

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