Ökofundamentalismus

Ökofundamentalismus

Der Begriff Ökologismus bezeichnet als Fremdzuweisung im politischen Meinungskampf eine Ideologie[1]. Der ursprünglich aus dem englischen Sprachraum rührende Begriff („environmentalism“) wurde dort im Sinne eines den bloßen Umweltschutz deutlich übersteigenden Engagements gebraucht und kritisiert. Bei der Übertragung ins Deutsche [2] wurde die Verwendung als abwertende Fremdbezeichnung vorherrschend, die unterstellt, Belange der Umwelt sowie einer normativen Politischen Ökologie würden über andere wichtige menschliche Belange gestellt.

Inhaltsverzeichnis

Kritische Auffassungen zu einer Umweltschutz-Ideologie

Die Publizisten Dirk Maxeiner und Michael Miersch definieren umweltschutzbezogenes Verhalten unter der Voraussetzung als ökologistisch, dass Radikalität oder Ideologie im Sinne eines Öko-Fundamentalismus dabei im Vordergrund stehen und dass die Belange des Umwelt- und Tierschutzes generell vorrangig gegenüber menschlichen Bedürfnissen und Interessen gesehen werden. Für sie ist Ökologismus ein Glauben, der es „in Deutschland beinahe schon zur neuen Staatsreligion gebracht“ habe.[3] Sie schreiben ihm eine prinzipiell gegen Wandel gerichtete konservative Orientierung zu.[4]

Für den Historiker Joachim Radkau ist nach dem Niedergang des Sozialismus „der Ökologismus weltweit als einzige ideologische Alternative zur absoluten Hegemonie des privaten Gewinn- und Konsumstrebens übrig geblieben“.[5] Auch nach dem Politikwissenschaftler Andrew Dobson erfüllt der Ökologismus alle Charakteristika einer politischen Ideologie und sollte daher in einer Reihe mit anderen etablierten Ideologien wie Konservatismus, Liberalismus oder Sozialismus gesehen werden. Wie diese anderen Ideologien biete auch Ökologismus eine analytische Beschreibung der Gesellschaft, setze eine bestimmte wünschenswerte Form von Gesellschaft voraus und enthalte eine Programmatik für politisches Handeln.[6] Michael Kenny bezeichnet Ökologismus ebenfalls als Ideologie und betont, dass Grüne diesen Begriff ablehnen; er sieht dies im Zusammenhang damit, dass Ideologiekritik zu einer der Wurzeln ihrer Bewegung zählt.[7] Auch Umweltaktivisten wie Claude Martin, ehemaliger Generaldirektor des WWF, warnen vor ökologistischen Strategien, welche die eigenen Handlungsmöglichkeiten stark einschränken und Dialog und Kooperation von vornherein ausschließen würden.[8]

Nach Dobson erachtet der Ökologismus weit reichende Umwälzungen im Verhältnis des Menschen zur Natur für notwendig und die gegenwärtige soziale und politische Ordnung als in sich nicht fähig zur Nachhaltigkeit. Ein Teil dieser Überzeugung wird in den Positionen der Tiefenökologie widergespiegelt.

Ansätze und Kritik einer spezifischen Umwelt- und Verantwortungsethik

Eugen Drewermann sieht in der christlich-jüdischen Schöpfungsüberlieferung bereits einen Anthropozentrismus der zwangsläufig zu Umweltzerstörung und Gewalt führe[9]. Auch manche Vertreter eines rigide auf die Erhaltung natürlicher Gleichgewichtszustände ausgerichteten Denkens wenden sich gegen einen dem entgegenstehenden Anthropozentrismus. Kritisiert wird, dass seit Beginn der Moderne der Mensch zunehmend als ein von ökologischen und teilweise sogar sozialen Zusammenhängen isoliertes Wesen wahrgenommen worden sei. Auch das besonders in der wissenschaftlichen Forschung dominierende betont rationale Denken habe zu einer Instrumentalisierung der Natur für menschliche Zwecke geführt.

Zur Überwindung des Anthropozentrismus und der damit einhergehenden Umweltkrise wurde eine spezifische Umweltethik entwickelt, die ein neues Wertesystem und ein neues Verständnis von der Eingebundenheit des Menschen in die Ökologie vorsieht. Dieser Ansatz setzt darauf, dass eine Veränderung gesellschaftlicher Grundwerte mit verändertem Verhalten einhergeht. Der Philosoph Hans Jonas prägte in diesem Zusammenhang in Anlehnung an Immanuel Kants kategorischen Imperativ Anfang der 80er Jahre den Begriff des ökologischen Imperativs, der besagt: [10]

„Handle so, daß die Wirkungen deiner Handlungen verträglich sind mit der Permanenz echten menschlichen Lebens auf Erden.“

Die Zivilisation, so Jonas’ Botschaft, steuere auf ihre Selbstvernichtung zu. Alle Menschen seien aufgerufen, Verantwortung zu übernehmen und sich der drohenden Zerstörung entgegenzustellen. Jonas und an ihn sich anschließende Positionen sind strukturell dem Ökologismus-Vorwurf ausgesetzt, da Jonas’ ontologische Existenzphilosophie systematisch auf einer an sich werthaften Natur aufbaut.

Heidbrink konstatiert ein Ausbleiben ökologischer Katastrophen und eine neue Unübersichtlichkeit. Er hält die Rede vom „Prinzip Verantwortung“ mehr für ein Symptom „normativer Ratlosigkeit“[11], welche nicht verhindert habe, dass die Verantwortung für notwendiges eigenes Handeln zunehmend an Experten bzw. staatliche Autoritäten delegiert wurde[12]. Verantwortung müsse sich aber ihrer Bedingungen und Grenzen bewusst sein[11]. Die Zuschreibung von Verantwortung müsse gesellschaftlichen Regeln folgen, die Risiken verantwortbar, das heißt einschätzbar und versicherbar machten.

Ökologische Aspekte umstrittener gesellschaftlicher Machtstrukturen

In den Schriften von Maria Mies[13] wird ein radikaler Ökofeminismus gefordert.

Matthew Paterson stellt vier Machtstrukturen vor, die er als Ursache für immer wiederkehrende globale Umweltzerstörung ansieht. Hierzu zählt er das Staatensystem, den Kapitalismus, das Patriarchat und die Wissenschaft. Eine ökologisch nachhaltige Gesellschaft kann, folgt man diesem Ansatz, nur dann verwirklicht werden, wenn in emanzipatorischer Weise diese Machtstrukturen überwunden oder so umgestaltet werden, dass sie nicht länger gegen Menschen und Umwelt gerichtet funktionieren können.[14]

Camille Paglia hält dagegen mit "It is nature, not society, that is our greatest oppressor." (Die Natur, nicht die Gesellschaft ist unser größter Unterdrücker" [15]. Paglia hält die angeführten Machtstrukturen für nicht gänzlich auflösbar und spricht sich für einen gänzlich anderen Naturbegriff aus. Die Natur sei von einer "unmenschlichen Grausamkeit der Biologie und Geologie" "[16]und "Darwinscher Verschwendung und Blutrünstigkeit"[16] geprägt, denen die menschliche (apollinische) Kultur entgegenstünde und entgegenwirken müsse. Kulturelle Errungenschaften seien grundsätzlich nur in der Auseinandersetzung mit und auch gegen die menschliche Natur möglich[17]. Machtstrukturen in der Gesellschaft seien kein Verbrechen, sondern die Kraft, die Verbrechen im Zaum halte[18].

Wirtschaftliche Auffassungen im Widerstreit

Nach Jonathon Porritt ist das Überleben der Menschheit eng an die Ökosphäre gekoppelt[19] Murray Bookchin vertrat seit den 1970er Jahren das Konzept der "Sozialen Ökologie" (nicht zu verwechseln mit anderen Begriffen von Sozialökologie). Er konstatierte einen Biozentrismus manch anderer Aktivisten und betonte, die Existenz von Menschen an sich sei keine Ursache für Umweltzerstörung, sondern sah das Problem in bestimmten sozialen und ökonomischen Strukturen, insbesondere im Kapitalismus. Bookchin trug mit seinen Schriften zur Entwicklung des Öko-Anarchismus bei. Porritt nähert sich demgegenüber dem klassischen Umweltschutz und Vorstellungen von einer grünen Marktwirtschaft an[20].

Sehr weitreichende praktische Forderungen stellt George Monbiot auf[21]Er hält das Klimathema für die wichtigste Herausforderung der jetzt lebenden Generation[22][23]. Er fordert unter anderem eine weltweite Kontrollinstanz für die globalen Handelsbeziehungen, weltweit erhobene Ökosteuern und starke, staatlich kontrollierte und von wirtschaftlichen Interessen unabhängige internationale Organisationen. Wirtschaftswachstum und freien Handel will er aus ökologischen Gründen starken Begrenzungen unterwerfen.

An solchen Vorstellungen wird kritisiert, dass für das Ideal einer ökologisch nachhaltigen Gesellschaft auch weit reichende Umwälzungen, undemokratische Maßnahmen und kontraproduktive Wirtschaftseinschränkenungen in Kauf genommen würden.[24] Daniel Ben-Ami bezeichnet derartige wirtschaftspolitische Vorstellungen als "Quacksalberei". Das Wirtschaftswachstum aus ökologistischen Rücksichten zu drosseln, sei angesichts von Milliarden Menschen, die nach wie vor in bitterer Armut lebten, gänzlich verfehlt[25].

Kritik am Ökologismus

Kritik richtet sich vor allem gegen Elemente, die als romantizistisch oder quaisreligiös wahrgenommen werden. Heinrich Eilingsfeld kritisiert Ökologismus als eine „mit romantischer Irrationalität aufgeladene Ideologie des Umweltschutzes, die mit neomarxistischen gesellschaftspolitischen Konzepten für den politischen Kampf präpariert wurde“.[26] Er führt dessen Entwicklung auf die Verbindung von Neomarxismus und Anthroposophie zurück.[27] Der Evolutionsbiologe und Ökologe Josef H. Reichholf, hält die Vorstellung von einem „Gleichgewicht der Natur“ für den grundlegenden Irrtum eines „religiösen Ökologismus“, da Ökosysteme immer im Fluss seien. Alles im Gleichgewicht befindliche sei leblos, tot.[28]

Literatur

  • Brian Baxter: Ecologism: An Introduction. Edinburgh University Press, 2000, ISBN 978-0-7486-1177-5
  • Andrew Dobson: Green Political Thought. Routledge, Vierte Ausgabe 2007, ISBN 978-0-415-40352-8
  • Michael Kenny: Ecologism, in: Robert Eccleshall et al.: Political Ideologies: An Introduction. Routledge, Dritte Ausgabe 2003, S. 151-180. ISBN 978-0-415-23678-2
  • Mark J. Smith: Ecologism: Towards Ecological Citizenship. Open University Press, 1998, ISBN 978-0-8166-3301-2

Einzelnachweise

  1. Klaus von Beyme: Politische Theorien im Zeitalter der Ideologien S.33
  2. Neuere (2007, Social Policy: Von John Baldock, Nick Manning, Nicholas Manning, Sarah Vickerstaff. Oxford University Press ISBN 0-19-928497-0) britische Arbeiten weisen auf eine Übernahme der deutschen Verwendung im englischen Sprachraum hin. Danach wäre "Ecologism" eine Ideologie, der zufolge Umweltprobleme alle anderen Belange an Wichtigkeit übersteigen. Gesellschaftliche Strukturen die zur Umweltbelastung beitrügen, seien abzuschaffen, das Wachstum zu begrenzen und anthropozentrisches Denken zu verringern, die Zukunft auf Harmonie mit der Natur auszurichten
  3. Dirk Maxeiner, Michael Miersch: Lasset uns Mülltrennen. Der Ökologismus als neue Religion der Wohlstands-Eliten.
  4. D. Maxeiner, M. Miersch: Lexikon der Öko-Irrtümer. Fakten statt Umweltmythen. Piper Verlag, 2002.
  5. Joachim Radkau: Natur und Macht. Weltgeschichte der Umwelt., C.H.Beck Verlag, 2002 ISBN 978-3-406-48655-5, zitiert nach http://www.woz.ch/artikel/inhalt/2000/nr44/Wissen/13515.html
  6. Andrew Dobson: Green Political Thought. Routledge, Vierte Ausgabe 2007, ISBN 978-0-415-40352-8
  7. Michael Kenny: Ecologism, in: Robert Eccleshall et al.: Political Ideologies: An Introduction. Routledge, Dritte Ausgabe 2003, S. 151-180. ISBN 978-0-415-23678-2
  8. Interview mit Ex-WWF-Generaldirektor Claude Martin bei OnlineReports.ch
  9. Drewermann, E. (1981): Der tödliche Fortschritt - von der Zerstörung der Erde und des Menschen im Erbe des Christentums. Regensburg: F.Pustel, 187 S.
  10. Hans Jonas: Das Prinzip Verantwortung - Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation. Suhrkamp Verlag 1984, ISBN 3-518-37585-7
  11. a b Ludger Heidbrink: Kritik der Verantwortung. Verlag Velbrück; Dezember 2003 ISBN 3-934730-69-8
  12. Interview mit Ludger Heidbrink in "Gesellschaft mit beschränkter Haftung" Warum der Mensch den Klimawandel nicht aufhalten wird. Von Martin Hubert, Deutschlandradio WISSENSCHAFT IM BRENNPUNKT 09.12.2007
  13. Maria Mies und Vandana Shiva: Ökofeminismus. Beiträge zur Praxis und Theorie. Rotpunktverlag, 1995, ISBN 978-3-85869-122-4
  14. Matthew Paterson: Understanding Global Environmental Politics. Domination, Accumulation, Resistance. Palgrave MacMillan, 2002, ISBN 978-0-333-96855-0
  15. Sex, Art, and American Culture, Essays. Von Camille Paglia. Verlag Vintage Books; September 1992, ISBN 0-679-74101-1
  16. a b in Camille Paglia. Die Masken der Sexualität. Seite 17. Aus dem Amerikanischen von Margit Bergner, Ulrich Enderwitz und Monika Noll. Berlin: Byblos Verlag. ISBN 3-929029-06-5
  17. Kurz und bündig: "Jede Form der Sexualität beinhaltet Macht"
  18. in Camille Paglia. Die Masken der Sexualität. Seite 13. Aus dem Amerikanischen von Margit Bergner, Ulrich Enderwitz und Monika Noll. Berlin: Byblos Verlag. ISBN 3-929029-06-5
  19. Jonathon Porritt: Seeing Green. Blackwell Publishers, 1984, ISBN 978-0-631-13892-1
  20. Jonathon Porritt: Capitalism: As if the World Matters. Earthscan, 2. Auflage 2007, ISBN 978-1-84407-193-7
  21. Als Ökologist angeführt in Modern Ecologism and its Prospects - August 26th, 2008, abgerufen bei dem Punk Fanzine Last Hours am 24.8.2008 [1], "It is a campaign not for abundance but for austerity. It is a campaign not for more freedom but less. Strangest of all, it is a campaign not just against other people, but also against ourselves." (Es handelt sich um eine Kampagne nicht für Überfluss, sondern für Kargheit. Es geht nicht um mehr Freiheit, sondern weniger. Das Eigentümlichste - es geht nicht um eine Kampagne gegen andere Leute, sondern insbesondere gegen uns selbst). Zitat nach (George Monbiot Heat: How to Stop the Planet From Burning., Seite 215. Verlag South End Press. April 2007 ISBN 0-89608-779-4)
  22. Global warming means that flying across the Atlantic is now as unacceptable as child abuse (Die globale Erwärmung bedeutet, daß Flüge über den Atlantik moralisch so unhaltbar sind wie Kindesmißbrauch). Von George Monbiot. Im Guardian 29. Juli 1999
  23. [2] Brendan O’Neill "Cheap flights should be a cause of national rejoicing". Ausführliche Kritik, Titel "Billigflüge sollten Grund für landesweiten Jubel sein"
  24. [3] Recipe for austerity George Monbiot's The Age of Consent is a caveman's manifesto (Rezept für Mangel. Georgs Monbiots "Age of Consent" ist ein Neanderthalermanifest). Daniel Ben-Ami 3.Juli2003
  25. [4] Die Quacksalberei der Öko-Ökonomie Die Vorstellung, dass das Wirtschaftswachstum gedrosselt werden müsse, sei angesichts von Milliarden Menschen, die nach wie vor in bitterer Armut leben, tragisch, meint Daniel Ben-Ami. Novo Magazin 83, Juli August 2006
  26. Heinrich Eilingsfeld, Der sanfte Wahn - Ökologismus total, Mannheim, 1989.
  27. Siehe zum Verhältnis von Anthroposophie und Marxismus: Christian Strawe, Anthroposophie und Marxismus, Stuttgart, 1986
  28. Josef H. Reichholf: Die falschen Propheten - Unsere Lust an Katastrophen.

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