Blindwiderstand

Blindwiderstand

Der Blindwiderstand (auch Reaktanz) ist eine Größe der Elektrotechnik, die einen Wechselstrom durch Aufbau einer Wechselspannung begrenzt und eine zeitliche Verschiebung zwischen Spannung und Strom verursacht. Der Wert des Blindwiderstandes ist frequenzabhängig. Der Zusatz „blind“ rührt daher, dass elektrische Energie zu den Blindwiderständen zwar transportiert, aber dort nicht in thermische, mechanische oder chemische Energie umgewandelt wird.

Inhaltsverzeichnis

Blindwiderstand in der komplexen Wechselstromrechnung

Der Blindwiderstand ist eine physikalisch existierende reelle Größe für Vorgänge in der Wechselstromtechnik. Eine mathematische Behandlung sinusförmiger Vorgänge ist mit trigonometrischen Funktionen möglich, aber oft mühsam. Zur Erleichterung kann die Rechnung mathematisch elegant mit komplexen Größen durchgeführt werden, wobei anschließend die Ergebnisse in reelle Größen zu überführen sind.

Der Blindwiderstand X ist in der komplexen Wechselstromrechnung der Imaginärteil des komplexen Widerstandes Z (Impedanz). Der Realteil von Z wird als Wirkwiderstand R bezeichnet. Die geometrische Summe von Wirk- und Blindwiderstand bezeichnet man als Scheinwiderstand Z.

Die Einheit des Blindwiderstandes ist – ebenso wie beim Wirkwiderstand – das Ohm mit dem Einheitenzeichen Ω.

Widerstandszeiger in der komplexen Ebene
 X = \text{Im }\underline Z  = \text{Im }\frac{\underline u}{\underline i}
 X = Z \sin \varphi = {U \over I} \sin \varphi

Allgemein gilt:

\underline Z = \frac{\underline u}{\underline i} = R + \mathrm{j}X
|\underline Z| = Z = \sqrt {R^2 + X^2}

Daraus folgt für den Blindwiderstand:

 X = \sqrt {Z^2 - R^2}   für   0 \le \varphi \le 90^\circ

oder

 X = - \sqrt {Z^2 - R^2}   für   -90^\circ \le \varphi \le 0

Induktiver und kapazitiver Blindwiderstand

Kondensatoren und Spulen sind Energiespeicher. Beim Fließen von Strom baut ein Kondensator Ladung auf; beim Anlegen einer Spannung an eine Spule baut sich ein magnetischer Fluss auf; einer elektrischen Quelle wird während dieser Zeit Energie entzogen. Diese Energie kann der Quelle jedoch bei einer möglichen Entladung wieder zugeführt werden. Wenn der Energieentzug nicht endgültig ist, spricht man von einem Blindwiderstand, anderenfalls von einem Wirkwiderstand. Der Entzug und die Zufuhr von Energie werden als Arbeit bezeichnet. Die elektrische Arbeit (Verschiebungsarbeit) ist definiert durch das Produkt von Strom mal Spannungsabfall mal der differentiellen Zeit und der Summe dieser Produkte während der Dauer des Vorgangs. Der mit dieser Arbeit verbundene Energiefluss hat eine Richtung und kann in Bezug auf die Quelle positiv oder negativ sein. Das heißt, ein Blindwiderstand kann Energie speichern (aufnehmen) oder diese gespeicherte Energie auch wieder abgeben.

Der Verlauf der Aufladung ist bestimmt durch den Verlauf der Spannung bzw. des Stromes. Die am häufigsten betrachteten Verläufe in der Elektrotechnik sind die von sinusförmigen Wechselgrößen. In diesem Fall erfolgt die Auf- und Entladung des Energiespeichers periodisch in Form eines im Bezug zu einem eingeprägten sinusförmigen Spannungverlauf phasenverschobenen sinusförmigen Stromverlaufes. Die Energie pendelt zwischen Quelle und Blindwiderstand.

Bei einem transienten, einmaligen Auflade- bzw. Entladevorgang folgt der Verlauf der aufgenommenen bzw. abgegebenen Energie einer Exponentialfunktion. Ermittelt werden können diese zeitlichen Verläufe im Speziellen durch das Lösen von Differentialgleichungen.

Blindwiderstand bei sinusförmigen Signalen

Die Herleitung der folgenden Gleichungen findet sich unter den Stichworten Komplexe Wechselstromrechnung und Elektrischer Widerstand.

Spule

Für eine ideale Spule mit der Induktivität L gilt:

Die Impedanz einer Spule ist

\, Z_L = \mathrm{j} \omega L = \mathrm{j} X_L

Wobei j die imaginäre Einheit ist.

Ihr Blindwiderstand, auch Induktanz genannt, ist der Imaginärteil der Impedanz:

\, X_L = 2 \pi f L = \omega L

Ihr Blindwiderstand XL ist ein linearer (von Spannung oder Strom unabhängiger) Wechselstromwiderstand, der aber mit wachsender Frequenz f (bzw. wachsender Kreisfrequenz \, \omega = 2 \pi f) zunimmt. Ein Berechnungsbeispiel für den induktiven Widerstand ist hier zu sehen.

Kondensator

Für einen idealen Kondensator mit der Kapazität C gilt:

Die Impedanz eines Kondensators ist

Z_C = \frac{1}{\mathrm{j} \omega C} = \frac{-\mathrm{j}}{\omega C} = \mathrm{j} X_C

Sein Blindwiderstand, auch Kapazitanz genannt, ist der Imaginärteil der Impedanz:

X_C = - {1 \over {2 \pi f C}} = - {1 \over {\omega C}}

Anmerkung zur Konvention: In der Literatur wird häufig der Betrag des kapazitiven Blindwiderstands als XC bezeichnet. Dann werden in gemeinsamen Formeln die Beträge von XL und XC voneinander abgezogen. In der hier verwendeten Konvention (siehe auch Impedanz) ist der kapazitive Blindwiderstand im Gegensatz zum induktiven Blindwiderstand negativ. Physikalisch bedeutet das umgekehrte Vorzeichen die entgegengesetzte Phasenverschiebung zwischen Spannung und Strom.

Der Blindwiderstand XC eines idealen Kondensators mit der Kapazität C ist ebenfalls ein linearer Wechselstromwiderstand, dessen Betrag aber bei zunehmender Frequenz f kleiner wird.

Blindwiderstand bei nicht sinusförmigen Signalen

Bei einem nicht sinusförmigen Verlauf von Spannung oder Strom lässt sich kein eindeutiger Blindwiderstand angeben. Jedes periodische Signal lässt sich durch eine Summe von sinusförmigen Signalen unterschiedlicher Frequenzen darstellen, was die Grundlage der Fourieranalyse darstellt. Diese zusätzlich zur sinusförmigen Grundschwingung auftretenden Oberschwingungen müssen dabei jede für sich beachtet werden und deren Blindwiderstände ermittelt werden. Ein einziger Blindwiderstandswert lässt sich nicht angeben, sondern es ist eine Überlagerung verschiedener Blindwiderstände bei unterschiedlichen Frequenzen und unterschiedlichen Spannungs- bzw. Stromamplituden zu ermitteln. Damit verändert sich die Form des Stromverlaufes gegenüber der des Spannungsverlaufs. Dieser Fall tritt beispielsweise bei nichtlinearen Verbrauchern, wie Schaltnetzteilen, oder bei induktiven Bauelementen, welche sich in magnetischer Sättigung befinden, auf.

Blindwiderstände an Gleichspannung

Bei einer Gleichspannung kann zur Ermittlung der Blindwiderstände direkt obige Beziehungen bei sinusförmigen Verlauf verwendet werden, wobei man die Frequenz ω gegen den Grenzwert von 0 streben lässt. Eine Frequenz von 0 Hz entspricht einem zeitlich konstanten Wert.

Damit ergibt sich bei Gleichspannung für die Spule der Blindwiderstand zu:

Z_{L,0} = \lim_{\omega \to 0} \mathrm{j} \omega L = 0

Das heißt, der Blindwiderstand einer Spule an Gleichspannung ist 0 Ω. Eine ideale Spule bildet eine direkte Verbindung bzw. einen Kurzschluss der Spannungsquelle; es bleibt nur der in der letzten Gleichung nicht enthaltene Drahtwiderstand.

Im Gegensatz dazu ergibt sich der Blindwiderstand eines Kondensators an Gleichspannung zu:

Z_{C,0} = \lim_{\omega \to 0} \frac{1}{\mathrm{j} \omega C} = \infty

was beim idealen Kondensator einen unendlich hohen Widerstand ergibt. Praktisch bedeutet dies, dass ein Kondensator im Gleichstromkreis eine Unterbrechung darstellt; es fließt nur der in der letzten Gleichung nicht enthaltene sehr geringe Leckstrom.

Blindwiderstand eines elektrischen Verbrauchers am Stromnetz

Ein idealer linearer Blindwiderstand verursacht nur Blindleistung im Netz, verbraucht jedoch keine Wirkleistung. Die zum Auf- und Abbau elektrischer oder magnetischer Felder benötigte elektrische Energie wird wieder an den Erzeuger zurückgegeben, belastet jedoch die Leitungen.

Blindwiderstände treten allerdings nie alleine auf, da es in der Praxis keine verlustlosen Stromkreise gibt. So sind Blindwiderstände immer mit Wirkwiderständen verknüpft, die tatsächlich Leistung umsetzen.

Überwiegt in einem Verbraucher der induktive Blindwiderstand gegenüber dem kapazitiven, so wird der Verbraucher als ohmsch-induktiv bezeichnet, anderenfalls als ohmsch-kapazitiv.

Beispiel: Die Vorschaltdrossel bei Leuchtstoff- und Gasentladungslampen ist ein induktiver Vorwiderstand (Blindwiderstand) zur Strombegrenzung und verursacht daher gegenüber einem ohmschen Widerstand nur geringe Verluste (ohmsche und magnetische Verluste).

Folgende Verbraucher sind in der Regel ohmsch-induktiv:

Folgende Verbraucher sind in der Regel ohmsch-kapazitiv:

  • Schaltnetzteile ohne PFC (u. a. viele Computernetzteile)
  • Frequenzumrichter ohne PFC
  • Leuchtstofflampen mit einer Reihenschaltung aus Drossel und Kondensator (verwendet zur Blindstrom-Kompensation weiterer Leuchten ohne diese Reihenschaltung)
  • Kondensatoren zur Blindleistungskompensation (eigenständige Schaltschränke oder Bestandteil von Leuchten und anderen induktiven Verbrauchern)

Die beiden erstgenannten Verbraucher sind – wenn sie keine Schaltungsmaßnahmen zur Leistungsfaktorkorrektur (PFC) besitzen – kapazitive und aufgrund des Eingangsgleichrichters auch nichtlineare Lasten; sie erzeugen neben Blindleistung daher auch Oberschwingungen im Versorgungsnetz.

Siehe auch

Weblinks

Wiktionary Wiktionary: Blindwiderstand – Bedeutungserklärungen, Wortherkunft, Synonyme, Übersetzungen

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Synonyme:

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