- Blindleistung
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Blindleistung ist ein Begriff der Elektrotechnik. Im elektrischen Energieversorgungsnetz soll Energie vom Erzeuger zum Verbraucher übertragen werden. In mit Einphasen- bzw. Dreiphasenwechselstrom (Drehstrom) betriebenen Netzen fließt häufig mehr Energie zwischen dem Erzeuger (Kraftwerk) und einem elektrischen Verbraucher (beispielsweise elektrische Maschine), als in derselben Anzahl von Perioden im Verbraucher umgesetzt wird. Diese zusätzliche Energie pro Zeit, die nichts zur Wirkleistung („tatsächlichen Leistung“) beiträgt, ist im Allgemeinen unerwünscht und wird als Blindleistung bezeichnet.
Inhaltsverzeichnis
Festlegungen
Bei Gleichgrößen definiert man die elektrische Leistung aus Spannung U und Stromstärke I.
Bei Wechselgrößen definiert man entsprechend den Augenblickswert der Leistung aus den Augenblickswerten der Spannung u (t) und des Stromes i (t). Anstelle der Augenblickswerte verwendet man möglichst durch Mittelwertbildung (Integration) gewonnene, im stationären Betrieb konstante Größen:
- die Effektivwerte der Spannung und des Stromes
- drei Leistungsangaben
- die Wirkleistung
- die Scheinleistung
- die Gesamtblindleistung
Diese Definitionen gelten gemäß DIN 40110-1 („Wechselstromgrößen“) allgemein.
Die Einheit der Leistung ist das Watt (Einheitenzeichen W). In der elektrischen Energietechnik werden gemäß derselben Norm – auch in DIN 1301-2 („Einheiten“) – vorwiegend für die Scheinleistung das Voltampere (Einheitenzeichen VA) und für die Blindleistung das Var (Einheitenzeichen var) benutzt; dabei gilt 1 var = 1 VA = 1 W.
Für das Versorgungsnetz sind weitere Festlegungen in DIN 40108 und DIN 40110-2 zu beachten.
Sinusförmige Spannungen und Ströme
Für die Anwendung im Energieversorgungsnetz sind u (t) und i (t) Wechselgrößen mit derselben Grundfrequenz. Wenn sie außerdem beide sinusförmig sind, dabei möglicherweise um den Winkel φ phasenverschoben, dann gilt:
wobei Q Verschiebungs-Blindleistung heißt oder, wenn keine Verwechselung möglich ist, allein Blindleistung mit |Q| = Qtot . Man zählt
bei induktivem Verbraucher 0 < φ < π Q > 0 , bei kapazitivem Verbraucher 0 > φ > −π Q < 0 . Ursache
Bei ohmscher Belastung haben Spannung und Strom einen phasengleichen Verlauf, der Phasenverschiebungswinkel ist φ = 0. Die gesamte vom Erzeuger gelieferte Energie wird beim Verbraucher umgesetzt (z. B. als thermische oder chemische Energie).
Bei einem induktiven Verbraucher (z. B. Drosselspule, Transformator, Asynchronmotor) wird vom Erzeuger gelieferte Energie verwendet, um das magnetische Feld aufzubauen. Die Energie wird zunächst im Magnetfeld gespeichert, jedoch mit dem periodischen Wechsel im Vorzeichen der Spannung wird das Feld wieder abgebaut und die Energie ins Netz zurückgespeist. Bei rein induktiver Belastung läuft der Strom der Spannung um eine Viertelperiode nach, der Phasenverschiebungswinkel beträgt 90°. Das Produkt aus u und i befindet sich abwechselnd im positiven und negativen Bereich, wobei die Frequenz der Leistung die doppelte der Grundfrequenz ist. Wenn sich die Leistung p im negativen Bereich befindet, bedeutet das, dass Energie in das Netz zurückgeliefert wird. Die Schwankung der Leistung um ihre mittlere Höhe null zeigt, dass Energie im Netz nur hin- und herpendelt. Sie erzeugt aber „blinden“ Stromfluss. Für diesen Fall ergibt sich
Entsprechendes gilt auch für kapazitive Verbraucher (z. B. Kondensatormotoren, Erdkabel), die jedoch statt des magnetischen ein elektrisches Feld erzeugen, das die Phase zwar in die andere Richtung verschiebt, aber sonst dasselbe liefert: Die zum Auf- und Abbau des Feldes pro Periode transportierte Energie stellt Blindleistung dar.
Die Blindleistung tritt in der Regel bei allen am Netz angekoppelten Komponenten und auch beim Leitungsnetz selbst auf. Da in einem Stromkreis im Prinzip immer die drei passiven linearen Eigenschaften Kapazität, Induktivität und ohmscher Widerstand entweder in diskreten Bauelementen oder als „Leitungsbelag“ vorhanden sind, liegt in einem Wechselstrom-Versorgungsnetz praktisch immer eine Blindleistungsbelastung vor.
Belastung durch Blindleistung
Folgen
Die Leistung p wird über das Versorgungsnetz bezogen, wenn Spannung und Strom dasselbe Vorzeichen haben, und wieder zurückgespeist, wenn die Vorzeichen gegensätzlich sind. Die Rückspeisung bewirkt Blindleistung und einen Blindstrom, der bei steigendem Blindleistungsbedarf der Verbraucher ansteigt. Um der Erwärmung der Leitung entgegenzuwirken, werden größere Leiterquerschnitte in den Versorgungsleitungen sowie größere Generatoren und Transformatoren nötig. Elektrische Großverbraucher in der Industrie müssen neben der bezogenen Wirkenergie auch für ihren Blindenergiebezug bezahlen. Privat- und Kleinverbraucher, die im Gegensatz zur Industrie überwiegend Strom für Wärmegeräte beziehen, verursachen geringe Blindleistungsbelastung und werden deswegen und wegen des hohen Aufwandes für deren Erfassung von den Kosten freigestellt, bzw. finden sich letztere im Preis der Wirkarbeit (angegeben in kWh) wieder.– Außerdem bewirken Blindlaständerungen wesentlich größere Spannungsänderungen im Netz, da der Innenwiderstand von Generatoren und Transformatoren überwiegend induktiv ist.
- Beispiel einer Blindleistung
Erdkabel stellen aufgrund des geringen Abstandes der Adern zueinander bei gegebener Länge eine große kapazitive Last dar. Die ca. 11,5 km lange 380-kV-Transversale Berlin hat eine Kapazität von 2,2 μF. Um diese mit 50 Hz umzuladen, muss Blindstrom von 277 A aufgebracht werden, das entspricht einer Blindleistung von 110 Mvar. Deshalb ist die sinnvolle maximale Kabellänge auf etwa 70 km begrenzt.
Gegenmaßnahmen
Durch geeignete Maßnahmen versuchen daher die großen Energieverbraucher, den Blindleistungsbedarf möglichst gering zu halten. Der induktive Blindleistungsbedarf einer Asynchronmaschine kann durch eine Kondensatorbatterie, Synchronmaschine oder einen speziellen Stromrichter (Leistungsfaktorkorrektur) kompensiert werden, das wird als Blindleistungskompensation bezeichnet. Die für die Erzeugung des magnetischen Feldes erforderliche Energie pendelt dann nicht mehr in das versorgende Netz bis zum Generator, sondern nur zwischen Asynchronmaschine und Kondensatorbatterie bzw. Synchronmaschine. Damit sinkt der resultierende Strom, den der Antrieb aus dem Netz entnimmt. Die drei gezeigten Kurven sollen das verdeutlichen:
- Von Maschine aufgenommene Leistung, schwingt mit der Amplitude S
- Von Kondensator zu liefernde Leistung, schwingt mit der Amplitude |Q|
- Dann noch vom Netz bezogene Leistung, schwingt mit der Amplitude |P|
Bei Antrieben mit Asynchronmaschinen ist der Blindleistungsbedarf durch den Motor definiert und weitgehend unabhängig von der mechanischen Antriebsleistung. Die Kompensation mit Hilfe einer Kondensatorbatterie, Synchronmaschine oder einem speziellen Stromrichter (Leistungsfaktorkorrektur) ist möglich. Bei Systemen mit veränderlichem Blindleistungsbedarf ist es erforderlich, dass anstelle einer Kompensationseinrichtung mit konstanter Blindleistung (Kondensator) ein geregelter Kompensator eingesetzt wird.
Die Blindleistungen innerhalb eines regionalen Stromnetzes können durch einen Phasenschieber kompensiert werden.
Die Parallelschaltung von Kapazität und Induktivität zu diesem Zweck kann auch als Schwingkreis angesehen werden, der bei passender Auslegung bei 50 Hz seine Resonanzfrequenz hat und Blindstrom sperrt. Ein Beispiel wird unter Blindleistungskompensation dargestellt.
Nichtsinusförmige Ströme
Bei sinusförmiger Spannung können auch nichtsinusförmige Ströme auftreten. Das ist bei allen nichtlinearen Verbrauchern, wie Umrichtern in der Leistungselektronik oder bei Induktivitäten, die magnetisch sättigen, der Fall. Nichtsinusförmige Ströme können auch bei Schaltnetzteilen ohne Leistungsfaktorkorrektur auftreten. Bei einem solchen Strom handelt es sich um eine Summe von sinusförmigen Anteilen unterschiedlicher Frequenz; er beinhaltet neben dem Grundschwingungsanteil auch noch Oberschwingungsanteile. Bezeichnet man mit I1 den Effektivwert der Grundschwingung, mit I2 , I3 … die Effektivwerte der Oberschwingungen, so gilt für die Wirkleistung
nur die Parameter der Grundschwingung des Stromes sind von Bedeutung; Oberschwingungen haben auf P keinen Einfluss. Dagegen gehen bei der Schein- und Blindleistung alle Oberschwingungen mit in das Ergebnis ein.
Mit der Gesamtblindleistung
einer Verschiebungsblindleistung in der Grundschwingung
und einer Verzerrungsblindleistung in den Oberschwingungen
ergibt sich
Die mechanischen Blindleistungsmesser arbeiten wie Wirkleistungsmesser und erfassen damit (bei wenigstens noch sinusförmiger Spannung) Q1 , aber nicht Qtot .
Mehrphasensystem
Im ersten Bild oben ist ersichtlich, dass bei sinusförmiger Spannung und ohmscher Last die Augenblicksleistung zwar keine negativen Augenblickswerte hat, aber schwankt. Es tritt also ein Mittelwert auf (die Wirkleistung) und eine Leistungsschwankung, die jedoch in diesem Fall keine Blindleistung ist.
Beim Übergang zum symmetrischen Dreiphasensystem verdreifacht sich die Wirkleistung. Wegen des Wegfalls der Rückleiter (es sind statt 6 Leiter nur 3 erforderlich) steigen die Zuleitungsverluste nur um den Faktor 1,5. Diese Einsparung der Zuleitungsverluste lässt sich damit erklären, dass im symmetrisch belasteten Dreiphasennetz die Summenleistung zeitlich konstant ist, also keine Leistungspendelung auftritt.
Bei unsymmetrischer Last treten im Neutralleiter zusätzliche Verluste auf, sie sind dem zeitlichen Verlauf der Summenleistung als Pendelungen überlagert. Diesen Effekt kann man mit Unsymmetrie-Blindleistung beschreiben.
Messungen im Energieversorgungsnetz
Dieser Abschnitt beschränkt sich auf den Fall, dass Spannung und Strom sinusförmig sind.
Messgeräte
Ein Leistungsmesser hat einen Strompfad und einen Spannungspfad. Er multipliziert Augenblickswerte von Spannung und Stromstärke, mittelt über die Augenblickswerte des Produktes und ist somit gemäß der Definition der Wirkleistung ein Wirkleistungsmesser. Zur Blindleistungsmessung ist das Gerät aber auch geeignet, wenn die Spannung am Spannungspfad um 90° verschoben ist gegenüber der Spannung am Verbraucher, und zwar
- wenn I nachläuft gegenüber U, dann USpg.pfad nacheilend,
- wenn I vorläuft gegenüber U, dann USpg.pfad voreilend.
Das Bild zeigt die an den Spannungspfad zu legende Spannung als gestrichelten Zeiger in der komplexen Ebene.
Wenn beide Spannungen denselben Effektivwert haben, wird gemessen
Im Einphasennetz ist zur Phasenverschiebung eine Kunstschaltung erforderlich, z. B. die Hummelschaltung, die mit zwei verlustbehafteten Spulen und einem ohmschen Widerstand bei einer festgelegten Frequenz eine Verschiebung um 90° erzeugt.
Um 90° verschobene Spannungen bzw. in Zeigerdarstellung um 90° gedrehte Spannungen sind im unverzerrten Dreiphasennetz mit Neutralleiter direkt verfügbar. Z. B. zu um 90° nacheilend ist . Allerdings ist . Durch einen Vorwiderstand oder einen Spannungswandler lässt sich die Spannung aber um den Faktor vermindern; je nach Umständen kann das Ergebnis auch rechnerisch korrigiert werden.
Zur vorzeichen-richtigen Messung ist auf korrekten Anschluss zu achten, der durch korrekte Schaltpläne vorzugeben ist. Für den Regelfall | φ | < π / 2 wird innerhalb dieses Artikels, in Übereinstimmung mit DIN 43807, konsequent eingehalten:
- Positiver Messwert,
- wenn positiver Energiefluss im Strompfad von links nach rechts
- und positiver Energiefluss im Spannungspfad von unten nach oben.
Falls die Messung auf einen negativen Wert führt, aber kein negativer Messwert ausgegeben werden kann, kann man sich durch bewusste Vertauschung der Richtung im Spannungspfad (oder Strompfad) helfen. Auf weitergehende Erläuterungen unter dem Stichwort Wirkleistung wird verwiesen.
Einphasennetz
Die übliche Schaltung entspricht der Schaltung zur Wirkleistungsmessung, nur dass der Strom durch den Spannungspfad gegenüber der Spannung um 90° verschoben werden muss.
Dreiphasennetz
Vierleiter-Stromkreis mit Neutralleiter
Der umfassendste Fall ist der Vierleiter-Stromkreis mit Neutralleiter und drei Außenleitern, wie er im Niederspannungsnetz mit U1N = 230 V bzw. U12 = 400 V verbreitet ist, in Verbindung mit beliebiger Belastung. Beliebig soll hier heißen: In den drei Außenleitern können Ströme mit unterschiedlichen Amplituden und unterschiedlichen Phasenverschiebungswinkeln zur jeweiligen Bezugsspannung fließen. Damit ist die Blindleistung messbar mit drei Leistungsmessern bzw. einem Kombinations-Gerät. Die entsprechende Schaltung zur Messung induktiver Blindleistung zeigt das Bild. Was man messen will, nämlich
wird mit den um 90° nacheilenden Spannungen messbar als
Dreileiter-Stromkreis
Durch den fehlenden Neutralleiter im Dreileiter-Stromkreis ist
Wie im Artikel zur Wirkleistung gezeigt wird, kann man einen Strom, hier i2 , herausrechnen, und man kommt mit zwei Leistungsmessern in Aronschaltung aus. Das zugehörige Bild zeigt die Messschaltungen für Wirk- und Blindleistung. Beide sind für beliebige Belastung geeignet. Die Rechnung für die Wirkleistung ergibt
Zum Anschluss der um 90° nacheilenden Spannungen ist im Dreileiter-Stromkreis das Neutralleiter-Potential durch einen Sternpunkt gemäß Bild künstlich zu schaffen mit einem Widerstand, der genauso groß ist wie der Widerstand des Spannungspfades in den Leistungsmessern. Da die gedrehten Spannungen hier um den Faktor kleiner sind, müssen die Messwerte um den Faktor vergrößert werden (mit Spannungswandler oder durch Rechnung), und es ergibt sich
wobei = Winkel zwischen und
und = Winkel zwischen und .
Die Einzelmesswerte der beiden Messgeräte haben keine anschauliche Bedeutung, nicht einmal im Vorzeichen. Wenn φ3 kleiner wird als 30°, wird der zweite Summand negativ; ein korrekter Anschluss für im Vorzeichen richtiges Messen ist erforderlich.
Symmetrische Belastung
Bei symmetrischer Belastung reicht die Verwendung nur eines Leistungsmessers für den Leistungs-Bezug durch einen der Außenleiter. Die gesamte Leistung ist davon das Dreifache.
Daraus wird mit der gedrehten Spannung
Literatur
- Réne Flosdorff, Günther Hilgarth: Elektrische Energieverteilung. 4. Auflage, Verlag B.G. Teubner, 1982, ISBN 3-519-36411-5.
- Günter Springer: Fachkunde Elektrotechnik. 18. Auflage, Verlag Europa-Lehrmittel, Wuppertal 1989, ISBN 3-8085-3018-9.
- Horst Stöcker: Taschenbuch der Physik. 4. Auflage, Verlag Harri Deutsch, Frankfurt am Main 2000, ISBN 3-8171-1628-4.
- Günter Springer: Rechenbuch Elektrotechnik. 11. verbesserte Auflage, Verlag Europa-Lehrmittel, Haan-Gruiten 1992, ISBN 3-8085-3371-4.
Siehe auch
- Blindwiderstand
- Blindarbeit
- komplexe Wechselstromrechnung
- Asynchrongenerator
- Doppelt gespeiste Asynchronmaschine
Weblinks
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