- 1. Gemeinschaftsschule
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1. Gemeinschaftsschule Schulform Gemeinschaftsschule Gründung 1909, Zusammenschluss 2009 Land Berlin Staat Deutschland Koordinaten 52° 29′ 15″ N, 13° 26′ 1″ O52.487513.433611111111Koordinaten: 52° 29′ 15″ N, 13° 26′ 1″ O Träger Bezirksamt Neukölln von Berlin Schüler 632 (Stand: Schuljahr 2010/11) Leitung Cordula Heckmann[1] Website www.campusruetli.de Die 1. Gemeinschaftsschule (ehemals: Rütli-Oberschule, Heinrich-Heine-Oberschule und Franz-Schubert-Grundschule) ist seit 2009 eine Gemeinschaftsschule in Berlin-Neukölln. Im Schuljahr 2005/2006 hatte die Rütli-Schule nur 267 Schüler und wurde bundesweit bekannt, als Lehrer im März 2006 beim Berliner Bildungssenator in einem "Brandbrief" die Schließung der Schule verlangten, weil sie der Gewalt durch Schüler nicht mehr standhalten könnten. Dies führte zu einer innenpolitischen Debatte über das Schulsystem in Deutschland, Gewalt an Schulen und die Integration von Kindern mit Migrationshintergrund.
Inhaltsverzeichnis
Geschichte
Das Schulgebäude wurde als 32./33. Gemeindeschule in Rixdorf (Neukölln) im Oktober 1909 eingeweiht. Während des Ersten Weltkriegs diente es als Kaserne, ab Januar 1920 wieder als Unterrichtsgebäude. 1921 besuchten 1400 Schüler die Lehranstalt. Ab Ostern 1923 erhielten zwei Schulen in dem Gebäude, die 31. und die 32., offiziell die Erlaubnis als weltliche Gemeinschaftsschule zu wirken (ohne Religionsunterricht und mit gemischten Klassen). Die dritte Schule, die 41./42., wurde neu gegründet und nur als weltliche Schule/Sammelschule für Jungen bzw. Mädchen geführt. Prägend für den demokratisch-reformerischen Ansatz der Schulen waren die pädagogischen Auffassungen ihrer Rektoren Wilhelm Wittbrodt und Adolf Jensen sowie das bildungspolitische Engagement vieler Lehrkräfte und Eltern; genannt sei Käthe Draeger, die nach 1926 dort unterrichtete. Arbeitsgemeinschaften, Fahrten und andere reformpädagogische Unterrichtsformen und Methoden prägten viele Schülerjahrgänge.
Sofort nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde die Schule in der genannten Form aufgelöst. Ab 1943 war im Gebäude ein Lazarett eingerichtet.
Als Schule wurde das Gebäude ab Juni 1945 wieder in Betrieb genommen. 1960 wurde die Schule – nach dem Namen der Straße, in der sie sich befindet und die nach dem schweizerischen Rütli benannt ist – offiziell in Rütli-Oberschule umbenannt. Ab 1966 war es in der Hauptschule möglich, eine freiwillige 10. Klasse zu absolvieren, welche 1979 zur Pflicht für den erweiterten Hauptschulabschluss und auch bei höheren Leistungsanforderungen und gutem Notenprofil die Möglichkeit eines Realschulabschluss eröffnete.
Demographische Schülerdaten zur Zeit der Krise
Im Schuljahr 2005/2006 gab es 13 Klassen mit 142 Jungen und 126 Mädchen. Von den Schülern waren etwa 35 Prozent arabischer, 25 Prozent türkischer und nur 17 Prozent deutscher Herkunft. Über 80 Prozent der Schüler waren Muslime. Die unterschiedliche Herkunft der Schüler stellte eine hohe pädagogische Herausforderung dar. Bereits 2004 berichtete die damalige Rektorin der Schule, Brigitte Pick, in der Presse, dass die multikulturellen Integrationsversuche zu scheitern drohen („Ich sehe eine große Verzweiflung bei den Lehrern.“). Sie selbst sei auch bedroht worden (Drohbrief, „Islam siegt“).[2] Laut Brigitte Pick „liegt das eigentliche Problem weder in der arabischen, türkischen oder serbischen (kosovo-albanischen), sondern in der sozialen Herkunft der Schüler und ihren mangelnden Perspektiven. So hat im letzten Schuljahr kein Schüler einen Ausbildungsplatz erhalten. Auf der anderen Seite versagt die Lehrerbildung, die die künftigen Lehrer nicht auf die soziale Wirklichkeit vorbereitet.“[3]
- Brandbrief 2006: Im März 2006 gelangte die Schule in die Schlagzeilen, als publik wurde, dass die Lehrer angeblich die Auflösung der Schule gefordert hatten. Dies wurde später als unwahr dementiert, vielmehr hatten die Lehrer vom Senat eine Lösung des Gewaltproblems an der Schule und die Überführung der Schule in eine andere Schulform gefordert.
Der damalige Berliner Senator für Bildung, Klaus Böger, sagte, dass kein Schulstandort Berlins aufgegeben werden dürfe. Dafür stehe den Lehrern Polizeischutz zur Verfügung, um angemessenen Unterricht aufnehmen zu können. In einem Interview mit dem Sender RBB erklärten die Verantwortlichen, dass künftig drei Sozialarbeiter helfen würden, die Probleme in den Griff zu bekommen. Im April 2006 baten der neue Interims-Rektor Helmut Hochschild und die Schulsprecherin Katrin El-Mahmout Medien und Politiker darum, die Schule weder in den beginnenden Wahlkampf Berlins hineinzuziehen noch die Einrichtung als „Hass-Schule“ zu bezeichnen.[4] Insbesondere wurden auch Vorwürfe laut, Journalisten hätten Schüler für die Darstellung von Gewaltszenen bezahlt.[5] Mit der Leitung der Rütli-Schule war von Oktober 2006 bis Sommer 2009 Aleksander Dzembritzki beauftragt.[6] Im Februar 2007 veröffentlichte Brigitte Pick ein Buch, in dem sie ihre Erfahrungen als Leiterin der Rütli-Schule zusammenfasste.[7] Der Titel wurde von ihr medienwirksam durch eine Serie in der Boulevardzeitung Bild ergänzt.[8]
Neue Schulorganisationsansätze
Ab dem Schuljahr 2009/2010 leitet Cordula Heckmann entsprechend einem Modellversuch des Senats, der pro Bezirk mindestens eine Gemeinschaftsschule vorsieht, die neugegründete "1. Gemeinschaftsschule" Neukölln, zu der außer den Klassen der Jahrgänge 1, 2, 7 und 8 auch die Jahrgänge 3 bis 6 der ehemaligen Franz-Schubert-Schule (Grundschule) und die Jahrgänge 9 und 10 der ehemaligen Rütli-Schule (Hauptschule) und Heinrich-Heine-Schule (Realschule) gehören. Eine "Sekundarstufe II" ist geplant. Die 1. Gemeinschaftsschule ist das Zentrum des Campus' Rütli [9] und Schlüsselschule des Vorhabens "Ein Quadratkilometer Bildung".[10] Im letzten Schuljahr begann die erste Bauphase auf dem "Campus Rütli" und die Gemeinschaftsschule erhielt eine Mensa, modernste naturwissenschaftliche Räume, neue Jahrgangslehrerzimmer und Sekretariatsräume. Neben Fachräumen für Chemie, Physik, Biologie, Musik und Bildende Kunst verfügt die Schule über eine Schulküche, eine Holz- und eine Metallwerkstatt, vier PC-Räume und zwei Turnhallen. Das Schulmuseum entstand in Zusammenarbeit mit dem Künstler Günter Evertz. Im Schuljahr 2009/2010 gibt es 17 Klassen. 90 % der Schülerinnen und Schüler sind nichtdeutscher Herkunft. In den Berliner Gemeinschaftsschulen soll die Zusammensetzung der Schülerschaft von der Einschulung bis zum Schulabschluss gleich bleiben. Das Ziel ist, dass alle Schülerinnen und Schüler unabhängig von der Empfehlung der Grundschule und von ihrer sozialen, kulturellen oder ethnischen Herkunft und vom Geschlecht, unabhängig von einer Religionszugehörigkeit und unabhängig von einer Behinderung gemeinsam mit- und voneinander lernen. Die Schwerpunkte der Unterrichtsgestaltung liegen im binnendifferenzierten, schülerzentrierten Umgang mit heterogenen Klassen und der individuellen Förderung. Das Motto ist: Eine Schule für alle! Kein Schüler bleibt zurück (Modellversuch). Gemeinschaftsschulen sind Ganztagsschulen. Das bedeutet an 4 Tagen der Woche dauert der Schultag von 8-16 Uhr. Die Schülerinnen und Schüler haben die Chance, aus einem breiten Wahlpflichtangebot zu wählen, das vor allem am Nachmittag stattfindet. Daran schließt ein umfangreiches Nachhilfeprogramm zur Vorbereitung der Zehntklässler auf den Mittleren Schulabschluss in den Fächer Deutsch, Englisch und Mathematik an. Zusätzliche Vorbereitungskurse finden ggf. in den Schulferien als Feriencamps statt. Es gibt eine Mittagspause mit Speisenangeboten sowohl in der Mensa als auch in der Cafeteria. Daran schließt sich ein "Mittagsband" mit einem vielfältigen Freizeit- und Lernangebot an. Im Campus Rütli werden Kurse für Klettern, Schach, Trommeln, Tischtennis, Computer, Theater, Türkisch, Arabisch und Instrumentalunterricht angeboten.
Aktuelle pädagogische Projekte
- Projekt „Wahlpflicht-AG Boxen“
Am 1. September 2006 startete das Wahlpflichtfach Boxen. Das Angebot ist der Versuch, den Jugendlichen über den Sport Regeln und Werte zu vermitteln. Der Initiator und Trainer dieses Projekts, Michael Bensch, dokumentiert den Fortschritt dieses Projekts im Internet-Blog[11]
- Projekt „Rütli Wear“
Im Jahr 2006/2007 wurde das Projekt „Rütli Wear“ gestartet. Dabei können Schüler der achten bis zehnten Klassen im Siebdruck-Verfahren T-Shirts mit eigenen Grafiken produzieren und online vermarkten.[12] Dabei erwerben sie grafische, handwerkliche und Computer-Kenntnisse sowohl im Unterricht als auch in der Werkstatt einer Druck-Firma. Geplant ist zusätzlich der Aufbau des Schülerunternehmens „T-Shirt-Produktion“, dessen Gewinn in einen Schulfonds fließen soll, um auch die kommerziellen Aspekte des Projektes aus der Hand der drei studentischen Initiatoren in Schülerhand zu geben.
- Workshop der Showgruppe „Young Americans“
Vom 22. bis zum 24. Mai 2006 fand ein dreitägiger Workshop[13] mit der 1962 gegründeten US-amerikanischen Showgruppe Young Americans statt. Vor gut 900 Zuschauern führten die Schüler zum Abschluss des Workshops ein Musical vor.[14]
- Projekt „Zurück in die Zukunft“
"Schulaussteiger" sollen wieder mittels vielfältiger Maßnahmen hinein geholt werden in den Lebensprozess mit Zukunft.
- Patenschaft
Im Jahre 2007 wurde ein Patenschaftsvertrag zwischen dem Maxim-Gorki-Theater und der Rütli-Schule unterschrieben.
- Kooperationsvertrag
Zur Unterstützung einer frühzeitigen Berufsorientierung der Schülerinnen und Schüler wird die Schule durch ein Tochterunternehmen der Deutschen Bahn AG unterstützt.
Bekannte ehemalige Schüler
- Hanno Günther, Schüler 1928-1934, deutscher kommunistischer Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus[15]
- Hildegard Jadamowitz, kommunistische Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus
- Horst Bosetzky, Schüler von 1946 bis 1951, bekannter Berliner Kriminalschriftsteller (Pseudonym -ky)
- Arno Funke, Kaufhauserpresser, bekannt unter dem Pseudonym Dagobert.
- Werner Steinbrink, kommunistischer Widerstandskämpfer gegen den Nationalsozialismus, Mitglied der Herbert Baum Gruppe.
Bekannte ehemalige Lehrer
- Käthe Draeger, kommunistische Politikerin, Pädagogin und Psychoanalytikerin. Lehrerin (Einstellung 1926)
- Wilhelm Wittbrodt, sozialdemokratischer Reformpädagoge, Politiker und Esperantist. Lehrer, dann Schuldirektor (1925-1933)und nach 1945 Hauptschulrat
- Adolf Jensen, sozialdemokratischer Reformpädagoge u.a. in Hamburg und Berlin-Neukölln, Professor in Braunschweig
- Fritz Hoffmann, Reformpädagoge, "singender" Lehrer und Schulleiter an der damals '31. Gemeindeschule' und ab 1948/49 einer wichtigen Einheitsschule in Berlin Neukölln (Britz), der heutigen Fritz-Karsen-Gemeinschaftsschule 08K06
- Herbert Busse, Reformpädagoge und Bildungspolitiker, Kommunist; Lehrer, Konrektor (31. Gemeindeschule) und Stadtrat (1945) in Berlin-Neukölln, später div. Ämter in der SBZ/DDR
- Bruno Lindtner, Reformpädagoge, Sozialdemokrat und aktives Mitglied der Roten Kämpfer in Berlin-Neukölln, Zuchthaus, Strafbataillon, Leiter einer Antifa-Schule, der SED-Parteischule Grünau, der Volkshochschule Berlin-Köpenick
- Fritz Lange, Lehrer (1919-24 an der 32. Gemeindeschule), kommunistischer Publizist, Bildungspolitiker, Stadtverordneter, Volksbildungsminister der DDR
- Friedrich Weigelt, sozialdemokratischer Reformpädagoge, Gewerkschafter, Publizist und Journalist, Schulrat
Literatur
- Festschrift 75 Jahre Rütli-Schule, 1. Aufl., Berlin-Neukölln: Rütli-Oberschule, 1984, 93 S.
- Schulreform Kontinuitäten und Brüche, Das Versuchsfeld Berlin-Neukölln, Bd. 1: 1912 bis 1945, Bd. 2 (mit Biografien und Registern): 1945 bis 1972, Opladen 1993. 415 bzw. 285 S.
Einzelnachweise
- ↑ Artikel über Heckmann in der FAS, 8. Mai 2011
- ↑ taz Berlin, 8. März 2004: Islam im Klassentest – reden oder regulieren?
- ↑ SPIEGEL, 3. April 2006: Der Spiegel: Rütli-Rektorin verdammt „Schulsystem aus dem Kaiserreich“(nicht mehr online)
- ↑ Telepolis, 8. April 2006: Terrorschule oder Medienterror?
- ↑ taz Berlin, 5. April 2006: „Das ist Medienterror“
- ↑ zeit.de: Infos über Aleksander Dzembritzki
- ↑ Brigitte Pick: Kopfschüsse. Wer PISA nicht versteht, muss RÜTLI rechnen. Hamburg 2007. ISBN 3-89965-222-3
- ↑ Brigitte Pick: Horror Hauptschule. Serie. In: Bild, 7.-10. März 2007. Teil 1, Teil 2, Teil 3, Teil 4.
- ↑ campusruetli.de
- ↑ Website des von der Freudenberg Stiftung, der Karl-Konrad-und-Ria-Groeben-Stiftung und der RAA Berlin geförderten Programms "Ein Quadratkilometer Bildung": ein-quadratkilometer-bildung.eu
- ↑ Internet-Blog:Wahlpflichtfach „Boxen“
- ↑ ruetli.biz: Projekt Rütli
- ↑ youngamericans.org: Workshop der Showgruppe Young Americans
- ↑ gew-berlin.de: Workshop der Showgruppe Young Americans an der Rütli-Oberschule
- ↑ Rütli-Gruppe S. 25
Weblinks
- Offizielle Website der Freudenberg Stiftung
- Der Brief des Kollegiums (PDF-Datei; 91 kB)
- „Berliner Senat lehnt Schulschließung ab“, RBB, 30. März 2006
- „Porträt einer Lehranstalt. Der Abstieg der Rütli-Schule“, Spiegel Online, 31. März 2006
- „Sozialarbeit und Schule. Und morgen ins Gefängnis“, Der Tagesspiegel, 6. April 2006
- Ist die Rütli noch zu retten? Die Zeit, 6. April 2006
- „Knüppel, Krampen und Konflikte Ein ehemaliger Rütli-Schüler erinnert sich an seine Kindheit in Neukölln“ Berliner Zeitung, 8. April 2006
- Ausbürgerung der sozialen Probleme, Telepolis.
- „Ein neues Label für Rütli“, Spiegel Online über das Projekt „Rütli Wear“, 22. Juni 2006
- Zwei Welten in Neukölln, Die Zeit vom 31. Januar 2008
- Alles Rütli, Vor drei Jahren galt die Schule als ein Ort des Schreckens. Jetzt entsteht dort ein kleines Paradies Berliner Zeitung vom 17./18. Januar 2009
- Neuköllner Esperanto: Eine Berliner Schule war während der Weimarer Republik ein Beispiel für moderne Reformpädagogik. Die Nazis ließen davon ab 1933 nichts übrig Diana Engel in Der Freitag vom 23. Januar 2010.
- Mehr als eine Schule, Nano (3sat) vom 1. September 2010
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