Gemeinschaftsschule

Gemeinschaftsschule

Unter einer Gemeinschaftsschule wird nach moderner Lesart ein eher struktureller Zusammenschluss von Schulen verstanden, in der Kinder und Jugendliche vom 1. bis zum 10. Schuljahr gemeinsam unterrichtet werden. Sie ist eine Variante der Gesamtschule und Einheitsschule mit innerer Differenzierung als Alternative zu einem mehrgliedrigen Schulsystem mit äußerer Differenzierung nach Klasse 4 oder 6.

Ursprünglich steht der Begriff Gemeinschaftsschule für eine Simultanschule, in der Schüler aller Bekenntnisse gemeinsam lernen und nur im Fach Religion getrennt unterrichtet werden.[1] In diesem Sinne wird der Begriff auch in den Verfassungen und Schulgesetzen mehrerer deutscher Bundesländer verwendet.

Bildungsgänge im deutschen Bildungssystem

Inhaltsverzeichnis

Allgemeines

Gemeinschaftsschule steht für verschiedene Formen längeren gemeinsamen Lernens. Das Grundprinzip ist die flexible Kooperation verschiedener Schularten bis hin zur vollständigen Zusammenführung zu einer Schulart mit dem Ziel einer längeren gemeinsamen Schulzeit (bis zur 8. oder bis zur 10. Klasse). Damit soll eine höhere Durchlässigkeit im Bildungssystem und eine effektivere Integration von Migrantenkindern erreicht werden.

Der Unterschied zur Gesamtschule besteht hauptsächlich darin, dass im Gemeinschaftsschulkonzept die einzelnen Schulen vor Ort sich – abgestimmt auf die jeweilige lokale Situation – schrittweise verändern und selbstbestimmt agieren können. Zudem wird eine Eingruppierung in A-, B- oder C-Kurse vermieden und viel mit Methoden des offenen Unterrichts gearbeitet, um die Heterogenität der Schülerschaft zu nutzen. Sie bietet damit auch einen gut geeigneten Ort, um die von der UNO in der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen geforderte Inklusion umzusetzen.

Baden-Württemberg

In Baden-Württemberg stellten die Grünen zusammen mit der SPD ihr neues Schulkonzept, für die Landtagswahl am 27. März 2011 vor. Das Konzept sieht eine Gemeinschaftsschule vor, deren Entwicklung von den Schulen bestimmt werden kann, um die am Ort gebotenen Möglichkeiten in die Schulentwicklung mit einfließen zu lassen. [2]

Bayern

In Bayern stellte die SPD-Landtagsfraktion im Mai 2011 ihr Modell für eine Gemeinschaftsschule der Öffentlichkeit vor und hat gleichzeitig einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Landtag eingebracht.

Das Konzept:

  • Die Gemeinschaftsschule umfasst die Schularten 1 bis 10.
  • Die selbständigen Grundschulen sollen in das Konzept der Gemeinschaftsschule Zug um Zug integriert werden.
  • Sie ist als Ganztagsschule geplant, um ausreichend Zeit für die individuelle Förderung jeden Schülers zu haben.
  • Es gibt innerhalb der Schule keine Aufteilung in Haupt- und Realschule sowie Gymnasium, stattdessen wird auf gemeinsames Lernen gesetzt.
  • Es können alle Schulabschlüsse nach der Sekundarstufe I gemacht werden. Aus diesem Grund unterrichten auch Lehrer aus Grund-, Haupt- und Realschulen und von Gymnasien.

Die Gemeinschaftsschule bietet danach eine Lösung für viele gerade im Flächenland Bayern auftretende Probleme (Entfernung zur nächsten Schule) und gibt eine Antwort auf die wandelnde Gesellschaftsstruktur. Bildungswege bleiben länger offen, das heißt gleichzeitig weniger Druck und mehr Chancen für die Schüler. Konkret ist vorgesehen, dass alle zusammen bis zur 10. Klasse unterrichtet werden. Die unterschiedlichen Lernstärken werden durch eine individuelle Förderung aufgefangen.

In der Gemeinschaftsschule können sowohl der qualifizierende Hauptschulabschluss wie auch der Realschulabschluss gemacht werden. Bei entsprechenden Fähigkeiten können die Schüler auch direkt in die Oberstufe eines Gymnasiums wechseln oder eine Berufliche Oberschule besuchen. Anhand von individuellen Förderplänen erhalten alle Schüler einen an ihre Fähigkeiten angepassten Unterricht. Hier soll Bildungsqualität vor –quantität gesetzt werden. Durch angepasste Lehrmethoden und mit dem Augenmerk auf die persönlichen Stärken und Schwächen des Einzelnen sollen alle in der Gemeinschaftsschule erfolgreicher lernen als in den traditionellen Schularten.

Das Übertrittsverfahren in der 4. Klasse entfällt. Alle Schüler werden unabhängig von ihrem Notenstand in der Gemeinschaftsschule aufgenommen. Der Gesetzentwurf sieht weiter vor, dass sich diese Schulform an den gängigen Bildungsstandards und Lehrplänen orientiert und die Gemeinschaftsschule als gleichberechtigte Schulart neben den vorhandenen eingeführt werden soll.

Durch ein modernes pädagogisches Konzept sollen Schüler in jahrgangsübergreifenden Klassen unterrichtet werden. Die Lehrkräfte übernehmen dabei die Rolle eines Lernbegleiters und stehen den Schülern als Experten zur Seite. Diese neue Rolle der Lehrkräfte soll gleichzeitig Zeit und Freiräume schaffen, die für individuell unterstützende Maßnahmen eingesetzt werden sollen. Ziel ist es dabei, die Schüler in einen aktiven Lernprozess einzubinden und auf nachhaltiges Lernen umzusteigen - stures Pauken soll dadurch vermieden werden.

Die Gemeinschaftsschule funktioniert schon ab 200 Schülerinnen und Schülern. Das trägt dazu bei, dass Gemeinden als Wohnorte für Familien interessant bleiben. In den Gemeinden Denkendorf und Kipfenberg im Landkreis Eichstätt sowie in der Gemeinde Odelzhausen sind Initiativen entstanden, die die Einführung einer Gemeinschaftsschule zum Ziel haben.

Berlin

In Berlin hat sich die Landesregierung aus SPD und Linkspartei schon in den Koalitionsverhandlungen Ende 2006 darauf verständigt, mittels einer Pilotphase den Einstieg in die Gemeinschaftsschule voranzutreiben. In dieser Pilotphase sollen Schulen auf freiwilliger Grundlage die Möglichkeit erhalten, Gemeinschaftsschulen zu werden. Sie dient der Sammlung von Erfahrungswerten in der Praxis, wie und unter welchen Bedingungen individuelles Fördern und Fordern erfolgreich möglich ist. Die Gemeinschaftsschulen erhalten durch eine wissenschaftliche Begleitung konkrete Unterstützung. Die Pilotphase soll eine flächendeckende Einführung von Gemeinschaftsschulen als Regelschule in Berlin vorbereiten. Bis 2011 stehen den Gemeinschaftsschulen 22 Millionen Euro für Fortbildungs- und Infrastrukturzwecke zur Verfügung. Folgende Wege sind denkbar:

  • bestehende gemeinschaftsschulähnliche Schulen entwickeln sich weiter
  • Grundschulen wachsen schrittweise auf
  • Grund- und Sekundarstufenschulen fusionieren bzw. kooperieren verbindlich
  • verschiedene Sekundarstufe-I-Schulen fusionieren
  • Sekundarstufe-I-Schulen bauen eigene Grundstufen oder Sekundarstufen II auf
  • Schulneugründungen

In Gemeinschaftsschulen sollen alle Kinder bis zum Ende der 10. Klasse bzw. bis zum Abitur länger gemeinsam von- und miteinander lernen. In ihnen gibt es daher keine Jahrgangsstufenwiederholungen, kein Probe-Halbjahr und auch keine äußere Fachleistungsdifferenzierung als Organisationsprinzip.

In einem Interessensbekundungsverfahren meldeten sich insgesamt 65 Berliner Schulen, um Gemeinschaftsschule zu werden. Nach dem verbindlichen Bewerbungsverfahren starten in einer ersten Welle 15 Schulen in 11 Schulverbünden zum Schuljahr 2008/2009 ihre Arbeit als Gemeinschaftsschule.

Außerparlamentarisch hat sich ein „Runder Tisch Gemeinschaftsschule“ gegründet. In ihm sind viele gesellschaftliche Akteure, Verbände, Gewerkschaften, Parteien und Einzelpersonen organisiert, die den Prozess der Einführung der Gemeinschaftsschule außerparlamentarisch begleiten.[3]

Nordrhein-Westfalen

In Nordrhein-Westfalen soll nach dem Koalitionsvertrag der neuen rot-grünen Minderheitsregierung vom 5. Juli 2010 die Gemeinschaftsschule als neue Schulform längeres gemeinsames Lernen ermöglichen. Sie soll eine Ganztagsschule sein, die gymnasiale Standards mit einschließt. In ihr sollen alle Schülerinnen und Schüler in den Klassen 5 und 6 gemeinsam unterrichtet werden. Danach sollen die Schulen entscheiden, ob es integriert weitergeht oder ob nach Bildungsgängen differenziert wird. Die Entscheidung über die Einrichtung von Gemeinschaftsschulen soll bei den Kommunen liegen. Im Rahmen der ersten Antragsrunde für das Schuljahr 2011/12 gingen beim Ministerium für Schule und Weiterbildung insgesamt neunzehn Anträge auf Errichtung von Gemeinschaftsschulen ein, u.a. aus Ascheberg im Münsterland und aus Rheinberg am Niederrhein.

Die CDU wandte sich gegen die Einführung von Gemeinschaftsschulen und kündigte unter Hinweis auf die Entscheidung des VerfGH NRW vom 23. Dezember 1983 (VerfGH NRW 22/82) verfassungsrechtliche Schritte an. Nach dieser Entscheidung enthält die Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen in Art. 8 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 12 eine institutionelle Garantie der Hauptschule als eigenständigem Bildungsgang.[4]

Gegen den Plan der Schulministerin, die Gemeinschaftsschule als Schulversuch ohne Änderungen im Schulgesetz einzuführen, hat der Philologenverband NRW am 16. November 2010 eine rechtliche Expertise von Ferdinand Gärditz vorgelegt, in der verfassungsrechtliche Bedenken erhoben werden.[5] Eine ausführliche kritische Bewertung enthält der Beitrag von Günter Winands : Die "Gemeinschaftsschule" in Nordrhein-Westfalen: Grenzen eines Schulversuchs. in: Die öffentliche Verwaltung (DöV) 2011, S.45 ff.

Sachsen

In Sachsen ist die Gemeinschaftsschule ab Schuljahr 2006/07 möglich, es können Grundschulen, Mittelschulen, Gymnasien oder Förderschulen zu einer Gemeinschaftsschule werden. Bereits kurz nach Amtsantritt im Herbst 2009 beschloss die neue schwarz-gelbe Staatsregierung jedoch, den „Versuch“ ab Schuljahr 2010/11 wieder auslaufen zu lassen. [6]

Schleswig-Holstein

In den Gemeinschaftsschulen in Schleswig-Holstein sollen die Schüler bis zur 10. Klasse gemeinsam lernen. Sie bieten die Abschlüsse von Haupt- und Realschule sowie den Übergang zur gymnasialen Oberstufe an, die sie auch selbst einrichten können. Die Schüler werden nach den Anforderungsebenen der Haupt- und der Realschule wie auch des Gymnasiums durch innere Differenzierung unterrichtet.

Bis 2010 wurden in Schleswig-Holstein alle integrierten Gesamtschulen zu Gemeinschaftsschulen entwickelt. Diese können aber auch aus anderen Schularten hervorgehen, wenn die Schulträger dies wollen.

Folgende Strukturmerkmale und Rahmenbedingungen prägen eine Gemeinschaftsschule in Schleswig-Holstein:

  • gemeinsamer Unterricht in den Klassen 5 und 6
  • unterschiedliche Formen und Angebote der Differenzierung und längeres gemeinsames Lernen ab Klasse 7
  • in der Übergangsphase: enges Kooperationsverhältnis der „traditionellen“ Bildungsgänge und ein großer schulartenübergreifender Teil des Unterrichts
  • die abschlussbezogenen Ausprägungen entsprechend den Vorgaben der Kultusministerkonferenz sind gewährleistet
  • gleiche Leistungsanforderungen wie an den Schulen des gegliederten Schulwesens
  • zentrale Abschlussprüfungen
  • Unterricht durch Lehrkräfte aller Schularten
  • durchschnittliche Jahrgangsgröße mindestens 50 Schüler
  • Gemeinschaftsschulen sind grundsätzlich offene Ganztagsschulen

Die gymnasiale Oberstufe in einer Gemeinschaftsschule umfasst drei Schuljahre, so dass an einer Gemeinschaftsschule Schüler ihr Abitur nach 13 Schuljahren ablegen. An welchen Gemeinschaftsschulen gymnasiale Oberstufen eingerichtet werden, entscheidet sich nach der Schülerzahl der jeweiligen Schule.

Am 1. August 2007 starteten in Schleswig-Holstein die ersten 7 Gemeinschaftsschulen in Flensburg, Handewitt, Schafflund, Fehmarn, Kellinghusen, Itzstedt und Halstenbek mit insgesamt 714 Schülern im neuen 5. Jahrgang. Auf Fehmarn gibt es eine gymnasiale Oberstufe, in Schafflund, Itzstedt organisatorische Verbindungen mit Grundschulteilen, in Handewitt mit Grundschulteil und Förderzentrum.

Am 17. Oktober 2007 wurde in Schleswig-Holstein unter dem Motto „Eine Schule für Alle“ eine Volksinitiative gestartet, um die Gemeinschaftsschule als einzige weiterführende Schule festzulegen. Haupt-, Real-, Regionalschulen und Gymnasien sollen abgeschafft werden.[7]

Für das Schuljahr 2008/2009 genehmigte das Ministerium für Bildung und Frauen 49 weitere Gemeinschaftsschulen.[8]

Thüringen

In Thüringen haben sich CDU und SPD bei ihren Koalitionsverhandlungen 2009 auf die Einführung der Gemeinschaftsschule geeinigt. Nachdem zum Schuljahr 2009/2010 erste Schulen an einer Pilotphase teilgenommen haben, startet die Gemeinschaftsschule offiziell zum Schuljahr 2010/2011. An der Gemeinschaftsschule sollen alle Kinder bis zur 8. Klasse gemeinsam lernen. Erst dann erfolgt das so genannte abschlussbezogene Lernen. Mit dem längeren gemeinsamen Lernen setzt die Landesregierung eine zentrale Forderung der Mehrheit der Thüringer um. So haben sich laut einer Studie der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung rund 90 Prozent der Thüringer für das längere gemeinsame Lernen ausgesprochen. Die Gemeinschaftsschule ist das zentrale Projekt von Kultusminister und SPD-Landeschef Christoph Matschie. [9]

Literatur

  • Erdsiek-Rave, U. (2007). "Jeder einzelne ist wichtig". Schleswig-Holsteins Perspektiven einer Schule für alle. Eröffnungsrede der Bildungsministerin von Schleswig-Holstein. In: I. Demmer-Dieckmann (Hg.): Integrationsforschung und Bildungspolitik im Dialog. Bad Heilbrunn: Klinkhardt, S. 25-34
  • Jungmann, C. (2008): Die Gemeinschaftsschule. Konzept und Erfolg eines neuen Schulmodells. Münster: Waxmann.
  • Gräf, M. (2008): Heterogenität und Gemeinschaftsschule. Kritische Betrachtung der Berliner Konzeption einer "Schule für alle". München, Ravensburg: GRIN-Verlag.
  • Martin Spiewak: „Die Revolution von Fehmarn“. In: Die Zeit Nr. 29 vom 12. Juli 2007
  • Vorschriften zum Schulrecht NRW. LinkLuchterhand 2009.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Iris Mortag: Die Gemeinschaftsschule ist in aller Munde......, 16. Juni 2007
  2. Stuttgart: SPD und Grüne stellen gemeinsames Schulkonzept vor
  3. GEW Berlin / Aufruf "Für eine gemeinsame Schule für alle!"
  4. Schulstruktur zwischen Chaos und Konsens (Link nicht mehr abrufbar), Artikel von Christian Jülich auf S.6 der FAZ vom 19. August 2010
  5. Westfälische Nachrichten: Gutachten: Ohne Gesetz ist die Einführung der Gemeinschaftsschule illegal (Link nicht mehr abrufbar) vom 16. November 2010
  6. Internetaufritt des Sächsischen Staatsministerium für Kultus - Abschnitt Gemeinschaftsschulen
  7. Grüne Jugend Schleswig-Holstein » Blog Archive » Jetzt unterschriften sammeln für die Volksinitative für eine gemeinsame Schule für alle!
  8. http://www.schleswig-holstein.de/MBF/DE/Service/Presse/PI/2008/Februar2008/III__GenehmigungSchulen.html__nnn=true/ (Link nicht mehr abrufbar)
  9. Thüringer Gemeinschaftsschule. thueringen.de (10. Dezember 2010). Abgerufen am 20. Juli 2011.

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