Adolf Rall

Adolf Rall

Adolf Anselm Rall (* 7. Juni 1905 in Berlin-Neukölln; † um den 2. November 1933 bei Berlin) war ein deutscher SA-Mann. Rall wurde bekannt als Opfer eines Mordes, der häufig mit dem Reichstagsbrand vom Februar 1933 in Zusammenhang gebracht wurde.

Inhaltsverzeichnis

Leben und Wirken

Frühes Leben

Rall wurde als ältestes von fünf Kindern des Eisenbahn-Obersekretärs Valentin Rall und seiner Ehefrau Marianna, geborene Kaminsky, geboren. Nach dem Schulbesuch erlernte er vier oder fünf Jahre lang bei der Firma Maibach den Beruf eines Automobilschlossers. Am 21. April 1924 wurde er erstmals behördennotorisch als ihm Fingerabdrücke wegen „Sittlichkeitsverbrechen" abgenommen wurden.

In den folgenden Jahren verdiente Rall, der damals in der Knesebeckstraße 120 lebte (heute Silbersteinstraße 63), seinen Lebensunterhalt als Kraftwagenführer. Ende der 1920er Jahre schloss er sich angeblich der Sturmabteilung (SA) an.

Am 30. April 1932 wurde Rall wegen verschiedenen Fällen von Autodiebstahl in Dresden verhaftet. Nachdem er mehrere Wochen im Untersuchungsgefängnis Meißen verbracht hatte wurde er im August nach Berlin verlegt, wo er nach der weiteren Verbüßung seiner Haft am 10. Oktober 1932 wieder auf freien Fuß gesetzt wurde. Eigenen Angaben in den erhaltenen Ermittlungsakten zufolge will Rall bald nach seiner Haftentlassung mit anderen nach Marseille gereist sein und sich dort der Fremdenlegion angeschlossen haben. Aus dieser sollen die Männer, Rall zufolge, aber bald wieder getürmt sein.

Verhaftung und Prozess

Am 5. Dezember 1932 erließ das Amtsgericht Berlin-Charlottenburg erneut einen Haftbefehl gegen Rall wegen Autodiebstahls. Aus nicht geklärten Gründen wurde er dann am 17. Dezember 1932 in Lörrach festgenommen, aber offenbar bereits nach kurzer Zeit wieder freigelassen: Eine Fahndungsmeldung scheint zu diesem Zeitpunkt trotz Haftbefehl noch nicht vorgelegen zu haben. Am Abend des 19. Dezembers 1932 stahl er vor dem Stuttgarter Hauptbahnhof eine dunkelblaue Daimler-Limousine. Nachdem Rall bei seiner Fahrt durch Bayern wiederholt Tankrechnungen nicht gezahlt hatte wurde die lokale Gendarmerie auf ihn aufmerksam und begann nach dem von den Tankstellenbetreibern beschriebenen Wagen zu suchen: Am 21. Dezember 1932 stellte ein Beamter Rall auf einem Bauernhof in Eschenbach bei Landshut, an dem er Halt gemacht hatte, um kleinere Reparaturen an seinem Wagen durchzuführen. Als sich herausstellte dass er das Fahrzeug gestohlen hatte wurde er ins Landgerichtsefängnis Landshut gebracht.

Nachdem der Oberstaatsanwalt beim Landgericht III in Berlin Anklage gegen Rall wegen Diebstahls in vier Fällen erhoben hatte, wurde er am 1. Februar 1933 von Landshut in das Landgerichtsgefängnis von Berlin verlegt. Am 8. Februar 1933 folgte seine Überführung in das Untersuchungsgefängnis Berlin-Moabit.

Am 11. April 1933 wurde Rall vom Landesgericht III in Berlin wegen des Diebstahls der Daimler-Limousine in Stuttgart am 19. Dezember 1932 zu einem Jahr Gefängnis unter Anrechnung der Untersuchungshaft verurteilt. Da Beweise für weitere Autodiebstähle nicht erbracht werden konnten, wurde er von diesen freigesprochen. Die von Rall beantragte Revision gegen das Urteil wurde schließlich am 6. Juli 1933 verworfen.

Verwicklung in den Reichstagsbrand und Ermordung

Am 20. Oktober 1933, wenige Tage nach dem Beginn des sogenannten Reichstagsbrandprozesses, verlangte Rall, der zu dieser Zeit im Gefängnis Tegel einsaß, dem Haftrichter vorgeführt zu werden, mit der Begründung, dass er Angaben von großer Wichtigkeit im Zusammenhang mit diesem Prozess zu machen habe. Infolgedessen wurde er kurz darauf beim Landgericht Moabit einem Richter vorgeführt. Sowohl der Gestapobeamte Hans Bernd Gisevius als auch der Gestapochef Rudolf Diels behaupteten nach dem Zweiten Weltkrieg in ihren Memoiren, dass Rall dem Richter gegenüber zu Protokoll gegeben habe, dass eine Gruppe von SA-Leuten vor dem Reichstagsbrand zum SA-Gruppenführer Karl Ernst bestellt worden sei, der ihnen befohlen habe, durch einen unterirdischen Tunnel zwischen Reichspräsidentenpalais und Reichstag in den letzteren einzudringen und ihn mit Hilfe einer speziellen, sich nach einer Weile von selbst entzündenden Tinktur in Brand zu setzen, um so einen Vorwand zum Losschlagen gegen die Kommunisten zu schaffen. Diels und Gisevius geben beide an, dass der protokollierende Beamte Karl Reineking gewesen sei, der kurz zuvor aus der SA ausgeschlossen worden sei und nach Wegen gesucht habe, um sich zu rehabilitieren. Reineking habe deswegen die Berliner SA-Führung über die brisanten Behauptungen Ralls alarmiert: Der SA-Gruppenführer Ernst habe daraufhin veranlasst, dass das Protokoll des Amtsgerichtes, das der untersuchende Richter dem Oberreichsanwalt in Leipzig zugesandt habe, abgefangen und beiseite geschafft wurde.

Am 27. Oktober wurde Rall im Tegeler Gefängnis von Beamten der Geheimen Staatspolizei abgeholt und ins Geheime Staatspolizeiamt verbracht. Dort wurde er einige Tage im Hausgefängis der Gestapo inhaftiert und wiederholt verhört. Unter anderem war Reineking, der Ende Oktober in die Geheime Staatspolizei eintrat, hieran beteiligt.

Am 2. November 1933 fand ein Förster Ralls unbekleidete Leiche mit eingeschlagenem Schädel und einem Einschussloch in der Stirn in der Nähe von Strausberg, östlich Berlins. Bereits am 4. November ordnete der preußische Ministerpräsident Hermann Göring die Niederschlagung des von der Staatsanwaltschaft eingeleiteten „Ermittlungsverfahren[s] gegen Unbekannt wegen Gefangenenbefreiung und Todschlag [sic!]" an. Ralls Tod wurde am 7. November beim Standesamt in Grazau beurkundet. In einem Brief des Gestapas an das Strafgefängnis Tegel vom 25. November 1933 hieß es offiziell noch, Rall sei am 2. November 1933 um 18.35 Uhr beim Rücktransport von der Geheimen Staatspolizei in das Strafgefängnis Tegel entwichen und seither verschwunden. Später hieß es in offiziellen Dokumenten, er habe den Transport zu einem Fluchtversuch genutzt und sei dabei erschossen worden.

Sowohl Hans Bernd Gisevius als auch Rudolf Diels schrieben später in ihren Memoiren, dass Rall von Reineking und zwei weiteren SA-Angehörigen um den 2. November 1933 im Gestapa aus seiner Zelle geholt worden und in einem Automobil verstaut worden sei: Man sei mit ihm dann aus Berlin heraus aufs Land gefahren und habe ihn in einem Wald bei Strausberg ermordet. Gisevius publizierte unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg den folgenden Bericht zum Mord an Rall, der angeblich auf Angaben beruhte, die Reineking gegenüber seinen Arbeitskollegen bei der Gestapo gemacht hatte:

„[...] der Häftling [wurde] eines Nachts aus dem Polizeipräsidium geholt. Angeblich sollte es sich um eine kurze Gegenüberstellung handeln. In Wirklichkeit musste es sich in der Prinz-Albrecht-Staße bis aufs Hemd ausziehen. Dann fuhren sie zu viert, den vor Kälte und Todesangst zitternden Rall unten ins Auto gepfercht, zur Stadt hinaus. Dort, wo die Gelegenheit günstig schien, machten sie Halt, und was sich dann ereignete, wusste [...] Reineking, scheußlich plastisch zu berichten. Sie sahen an einem Waldesrande ein freies Feld liegen, und in der der Nähe erspähten sie eine Aussichtsbank. Auf diese musste sich Rall setzen, worauf sie ihn gemeinsam erwürgten. Nach Reinekings Schilderung soll es eine endlose Zeit gedauert haben, bis ihr Opfer tot war: zumindest scheinen den Mördern die Minuten zu Stunden geworden zu sein. Darauf liessen sie die Leiche auf der Bank lehnen und machten sich am nahen Acker daran, ein Grab zu schaufeln. Doch wer beschrieb ihren Schrecken, als sie plötzlich ein Geräusch hörten, sich umdrehten und von Weitem die Leiche weglaufen sahen. Der Anblick des im hellen Mondschein und mit flatterndem Hemde davonspringen Toten war selbst für die abgebrühten Totschläger der SA grauenerregend. Noch größer war indessen die Angst der Mordbuben, alles könne entdeckt werden. Eilig rannten sie hinter der Leiche her, und jetzt würgten sie sie so gründlich, bis ihr wirklich das Atmen verging. Hastig wurde sie verscharrt.“[1]

In der Forschung wird - insbesondere aufgrund der Tatsache, dass Rall sich zum Zeitpunkt des Reichstagsbrandes bereits seit mehr als zwei Monaten in Haft befunden habe - mehrheitlich angenommen, dass Rall keine wirklichen Kenntnisse von einer Brandstiftung hatte und erst recht nicht in diese verwickelt gewesen sei, sondern dass er lediglich versucht habe, sich durch eine frei erfundene Geschichte etwas Abwechselung in seinem öden Haftalltag zu verschaffen, Vergünstigungen für sich zu erlangen oder auch einfach nur Aufmerksamkeit auf seine Person zu ziehen. Da ein Auftreten Ralls vor einem Gericht - ungeachtet der wahrscheinlichen Falschheit seiner Angaben - in hohem Maße kompromittierend für die Nationalsozialisten gewesen wäre, folgern die meisten Historiker, dass die Nationalsozialisten seine Aussage um jeden Preis verhindern wollten und ihn daher umbringen ließen. Demnach wurde Rall nicht ermordet, um zu verhindern, dass er eine ihm bekannte, die Nationalsozialisten belastende, Wahrheit zum Reichstagsbrand enthüllen könnte, sondern um zu unterbinden, dass er weiterhin Behauptungen zum Reichstagsbrand verbreiten würde, die zwar falsch waren, aber auf Anhieb glaubwürdig wirkten und so für die NS-Führung desavouierend gewesen wären, wenn sie einem breiteren Personenkreis bekannt geworden wären.

In der Nachkriegszeit versuchten Verfechter der These einer nationalsozialistischen Verantwortung für den Reichstagsbrand dennoch, den Fall Rall als Beleg zur Bestätigung ihrer Auffassung einer Inbrandsetzung des Reichstages durch die SA zu nutzen. In jüngerer Zeit haben Alexander Bahar und Wilfried Kugel den Mord an Rall erneut als Beleg für eine NS-Beteiligung am Reichstagsbrand zu nutzen versucht, indem sie argumentierten, dass er trotz seiner Inhaftierung zum Zeitpunkt des Reichstagsbrandes, intime Kenntnisse über diese gehabt haben könnte, da, wie das Nachrichtenmagazin Der Spiegel ihre These zusammenfasste, „die SA eben möglicherweise schon Wochen vor Adolf HitlersMachtergreifung“, als Rall noch in Freiheit war, den Brand vorbereitet und die Brandmittel heimlich in den Reichstag gebracht“ haben könnte.[2]

Eine Untersuchung des Mordes an Rall durch die Berliner Staatsanwaltschaft wurde in den 1960er Jahren ohne Ergebnis eingestellt, nachdem der Tod Reinekings festgestellt worden war (so dass das Verfahren gegen diesen sich automatisch erledigt hatte) und weitere Verdächtige nicht eruiert werden konnten.

Archivalien

  • Brandenburgisches Landeshauptarchiv: Strafsache Adolf Rall der Staatsanwaltschaft beim Landesgericht Berlin III.
  • Geheimes Staatsarchiv: Reproduktion 84a, Nr. 53360-53362 (Akten zum Mordfall Rall von 1933).
  • Landesarchiv Berlin: Strafverfahren wegen schweren Diebstahls von 1932 (2 Akten).
  • Landesarchiv Berlin: Untersuchung der Morde an Adolf Rall und Albrecht "Ali" Höhler durch die Staatsanwaltschaft Berlin von 1968 (9 Akten).

Literatur

  • Alexander Bahar/Wilfried Kugel: Der Reichstagsbrand. Wie Geschichte gemacht wird. edition q, Berlin 2001. ISBN 3-86124-513-2, vor allem S. 524-594.

Einzelnachweise

  1. Hans Bernd Gisevius: Bis zum bitteren Ende, 1946, S. 77.
  2. Klaus Wiegrefe: Flammendes Fanal in: Der Spiegel vom 9. April 2001.

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