Hans Bernd Gisevius

Hans Bernd Gisevius
Gisevius 26. April 1946 (Nürnberger Prozess)

Hans Bernd Gisevius (* 14. Juli 1904 in Arnsberg; † 23. Februar 1974 in Müllheim) war ein deutscher Politiker (DNVP), Staatsbeamter und Autor. Gisevius stellte sich als ehemaliger Deutschnationaler dem Nationalsozialismus zur Verfügung, dem er als Gestapobeamter diente, bevor er sich dem Widerstand zuwandte. Als einer der wenigen Überlebenden der Beteiligten am Attentat vom 20. Juli 1944 veröffentlichte er nach dem Krieg mehrere Bücher zum Dritten Reich.

Inhaltsverzeichnis

Leben

Nach dem Abitur studierte Gisevius Rechtswissenschaften in Marburg, Berlin und München und promovierte 1929 in Marburg. Politisch stand er in den 1920er Jahren der jungkonservativen Bewegung nahe. Nach der vorübergehenden Zugehörigkeit zur DNVP näherte er sich in den frühen 1930er Jahren der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) an, der er nach der „Machtergreifung“ der Nationalsozialisten im Frühjahr 1933 beitrat.[1] Im August desselben Jahres war er als Assessor in der höheren Verwaltung bei der preußischen Politischen Polizei tätig. Nach Versetzung ins Reichsinnenministerium wurde er 1934 Regierungsrat und leitete kurzfristig kommissarisch die Polizeiabteilung im Reichsinnenministerium. Dort erlebte er 1933/1934 den Aufbau der Geheimen Staatspolizei, ihre Übernahme durch die SS im April 1934 und die unter der Propagandabezeichnung Röhm-Putsch bekannt gewordene politische Säuberungswelle vom 30. Juni 1934 mit, der auch einige ehemalige politische Weggenossen wie Edgar Jung zum Opfer fielen. Von Mai 1935 bis Mai 1936 war er Regierungsrat im Preußischen Landeskriminalpolizeiamt, zu dessen Leiter und späteren Mitglied des Widerstands Arthur Nebe er auch persönliche Kontakte aufbaute. Heinrich Himmler sorgte dafür, dass der zunehmend als „unzuverlässig“ geltende Gisevius nach dem Sturz seines Protektors Rudolf Diels entlassen wurde. Vorübergehend kam er unter dem Schutze des Oberpräsidenten Ferdinand Freiherr von Lüninck als Regierungsrat in Münster unter, Ende 1937 wechselte er zurück nach Potsdam. Spätestens seit 1938 war er in erste Attentatspläne militärischer Kreise eingeweiht. Admiral Wilhelm Canaris, der mit diesen sympathisierte, ließ Gisevius im September 1939 als „Sonderführer“ in das Amt Ausland/Abwehr im Oberkommando der Wehrmacht einziehen. Von dort aus wurde Gisevius 1940 im Auftrag der Abwehr als Vizekonsul an das deutsche Generalkonsulat in Zürich versetzt.

Die geheime Zentrale der deutschen Abwehr befand sich damals in Bern. Gisevius stellte Verbindungen des Widerstands zu den ebenfalls in Bern residierenden US-amerikanischen (Office of Strategic Services unter Leitung von Allen Welsh Dulles) und britischen Geheimdiensten (Special Operations Executive bzw. ab 1941 Political Warfare Executive, Berner Vertreterin war Elizabeth Wiskemann) her.[2]

Häufig zwischen der Schweiz und Deutschland pendelnd, reiste Gisevius Mitte Juli 1944 in Erwartung des Attentats auf Hitler durch Claus Schenk Graf von Stauffenberg nach Berlin. Den 20. Juli 1944 verbrachte er teilweise im Bendlerblock, konnte sich aber dem Zugriff der Gestapo nach dem Scheitern des Umsturzes entziehen, während seine Schwester, Annelise Gisevius, im KZ Dachau in Sippenhaft[3] genommen wurde. Er konnte in Berlin untertauchen und nach einem halben Jahr in verschiedenen Verstecken mit falschen Papieren in die Schweiz zurückkehren. Dort wurde er zunächst als Spion im Dienste des Dritten Reichs angeklagt, erhielt aber dann unter Fürsprache von Dulles Asyl und sagte 1946 als Zeuge beim Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof in Nürnberg gegen Hermann Göring, Ernst Kaltenbrunner und Wilhelm Keitel und zu Gunsten von Hjalmar Schacht und Wilhelm Frick aus. Von 1950 bis 1955 war er Direktor am Council of World Affairs in Dallas, Texas, danach lebte er mehrere Jahre im damaligen West-Berlin, schließlich wieder in der Schweiz. Sein Nachlass findet sich im Archiv der Eidgenössischen Hochschule Zürich.

Noch während des Krieges hatte Gisevius begonnen, seine Erlebnisse und Gedanken im Dritten Reich niederzuschreiben. Unter dem Titel Bis zum bitteren Ende und in weiteren Werken wurden sie veröffentlicht und in zahlreichen Sprachen verbreitet.

Buch „Bis zum bitteren Ende“

Zu Beginn seines 1946 zunächst in der Schweiz veröffentlichten Buchs versucht der Autor in zahlreichen Schilderungen politischer Personen und Umstände eine Antwort auf die Frage: Wie konnte es geschehen, dass die "braunen Terroristen" je die Macht über ein so großes Kulturvolk gewannen?

Anschließend schildert er aus seiner Sicht als Zeitzeuge die wichtigsten Ereignisse vom 30. Juni 1934 (Röhm-Putsch) bis zum Attentat vom 20. Juli 1944. Er stellt die These auf vom „schrittweisen - aber durchaus nicht unaufhaltsamen - Abgleiten in die Schreckensherrschaft“.

Gisevius kritisiert einerseits die gewissenlose Anpassung einer großen Zahl karrieresüchtiger Technokraten in Verwaltung und Militär.

Vor allem aber zeichnet er die deutsche Opposition gegen das Nazi-Regime in ihren jahrelangen unermüdlichen und gefährlichen Bemühungen, Vertreter von Politik, Militär, Polizei, Rechtswesen und Verwaltung auf ein konkretes gemeinsames Vorgehen zu einigen. Er portraitiert wichtige Akteure, mit denen er teilweise persönlich befreundet war, und zeigt die großen Unterschiede ihrer Persönlichkeit, philosophischen und politischen Ausrichtung.

Kurz führt er die mehrfachen Versuche bis 1944 an, das Regime durch Inhaftierung oder Ermordung Hitlers zu stürzen. Detaillierter schildert er die Vorbereitung des Attentats vom 20. Juli 1944 und die für die Zeit danach von den Beteiligten vorgesehenen Veränderungen. Nachhaltige Kritik äußert er an den politischen Zielen und der praktischen Sorgfalt der Gruppe um Stauffenberg. Von anderen wie Hans Oster, Ludwig Beck und Carl Friedrich Goerdeler berichtet er zahlreiche Gespräche, in denen sie zwar ihren Zweifel erkennen ließen, dass der Untergang des Deutschen Reichs noch abzuwenden sei, den Umsturzversuch dennoch befürworteten, um für die Nachwelt ein Zeichen gegen den „Vollstrecker des Bösen“ (Hans Bernd von Haeften über den Diktator) zu setzen. Gisevius selbst bezeichnet das Attentat als „einzig sichtbares Fanal“. Er führt weiter aus: „Aus dieser einmaligen Chance einer winzig kleinen Gruppe, eine Großaktion zur Auslösung zu bringen, darf man nicht mehr als den verzweifelten Versuch herauslesen, stellvertretend für Millionen in die Bresche zu springen, die an jeder ‚Tat‘ verhindert waren.“

Kritik

Das Buch „Bis zum bitteren Ende“ hat vielen Autoren als Vorlage gedient. Dabei gingen einige offenbar davon aus, es sei wissenschaftlich objektiv. Gisevius selbst hat dies nie geltend gemacht. Ohnehin versteht sich von selbst, dass angesichts des damaligen Fahndungsdrucks durch die Gestapo vor allem die wörtlich wiedergegebenen Gespräche keine Mitschriften sein konnten, sondern nachempfunden sein mussten. Gisevius ergänzte denn auch die Ausgabe von 1946 im Jahr 1954 und abschließend mit einer Neubearbeitung 1961 bzw 1964. Dabei berücksichtigte er die Detailkritik an seinen bisherigen Angaben. Das autobiografische Werk als „sensationell und unbesorgt um die Wahrheit redigierten Gangsterroman“ [4] zu bezeichnen, ist daher eine besonders weitgehende Kritik.

Persönlich wurde Gisevius von einigen als zwielichtig, unzuverlässig oder „Hans Dampf in allen Gassen“ bezeichnet. Soweit es sich um Gegner wie Himmler handelte, ist dies kein Vorwurf. Dass auch Canaris sich so über ihn äußerte, diente damals allerdings dazu, vor Spitzeln des NS-Regimes den Einsatz von Gisevius als Doppel-Agenten zu Gunsten des Widerstands zu tarnen. Die Angaben zu seiner Person durch Dulles und Wiskemann und im Rahmen des Asylverfahrens in der Schweiz sprechen jedenfalls für seine Einstellung gegen das Nazi-Regime. So lange nach dem Zweiten Weltkrieg in der Bundesrepublik Deutschland der Widerstand gegen das Dritte Reich politisch noch umstritten war, beeinträchtigte dies auch die Anerkennung von Gisevius. Als sich dort durchsetzte, das Attentat vom 20. Juli 1944 als Vorbild für ein besseres Deutschland anzusehen, wurde Gisevius zeitweise wegen seiner kritischen Darstellung der Gruppe um Stauffenberg angegriffen.

Werke (Auswahl)

  • Bis zum bittern Ende, 2 Bde., Zürich 1946. (Neuauflagen 1964, 1982)
  • Wo ist Nebe? Erinnerungen an Hitlers Reichskriminaldirektor, Zürich 1966.
  • Adolf Hitler - Versuch einer Deutung, Rütten & Loening (1963)
  • Der Anfang vom Ende. Wie es mit Wilhelm II. begann, Droemer Knaur, Zürich 1971.

Literatur

  • Allen Welsh Dulles: Verschwörung in Deutschland, Kassel 1949 [1947]. (Im Original Germany's Underground)

Film

  • Der Meisterspion von Bern , Regie: Mathias Haentjes. Portrait des Allen Welsh Dulles, Erstausstrahlung 2005 im Schweizerischen Fernsehen SF1 [1]

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Ernst Klee: Das Personenlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945, Frankfurt am Main 2005, S. 185.
  2. Gedenkstätte Deutscher Widerstand: Biografie von Hans Bernd Gisevius
  3. Peter Koblank: Die Befreiung der Sonder- und Sippenhäftlinge in Südtirol
  4. Karl-Heinz Janßen/ Fritz Tobias: Der Sturz der Generäle. Hitler und die Blomberg-Fritsch-Krise 1938, C.H.Beck-Verlag, 1994, S. 69ff. ISBN 3-406-38109-X

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