- Beginenhaus Kempten
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Das Beginenhaus Kempten ist ein denkmalgeschütztes Gebäudeensemble aus dem 14. Jahrhundert an der Iller in Kempten (Allgäu). Es besteht aus einem Beginenhaus und einem Nonnenturm. Nach 25 Jahren Leerstand gehört der Komplex seit 2005 der Stadt Kempten. Er soll saniert und für kulturell-gemeinschaftliche Zwecke verwendet werden.
Inhaltsverzeichnis
Baugeschichte, Beschreibung und Lage
Das Gebäudeensemble Beginenhaus befindet sich an der innerstädtischen Illerbrücke unterhalb der Burghalde neben dem neu erbauten Illertor. Es ist größtenteils ein Steinhaus, nur die Südfassade im zweiten Obergeschoss wurde in einem aus Holz bestehenden, ausgeriegelten Fachwerk erbaut. Das ursprünglich zweigeschossige Gebäude hat ein traufseitiges Satteldach. Um 1584/86 erhöhte man das Gebäude um ein weiteres Stockwerk. Das Rückgebäude, der sogenannte Nonnenturm, ist ein zweigeschossiger Massivbau aus Stein mit einem Satteldach. An der Südseite befindet sich ein sandsteinerner Torbogen mit einer Inschrift aus dem Jahr 1502. Historiker und Archäologen aus der Region nehmen jedoch aufgrund stilistischer Gegebenheiten an, dass es sich hier um einen viel älteren Bogen aus dem 14. Jahrhundert handelt. Im Westen dieses Bogens ist die segnende Hand Christi dargestellt. Im Scheitel befindet sich das Agnus Dei, das Lamm Gottes.[1] Die Inschrift lautet: „Das ist das lamgotz ain biu haltter der cristenheit“ („Das ist das Lamm Gottes, ein Bewahrer der Christenheit“). Es ist die einzige erhalten gebliebene mittelalterliche Skulptur in Kempten aus Gestein. Im Inneren des Gebäudes findet sich eine reiche, historisch und architektonisch, bedeutende Ausgestaltung.
Durch Dendrochronologie fand man heraus, dass der Kern des Beginenhauses um das Jahr 1357 entstanden sein muss. Das Haus gehörte im Mittelalter und in der Renaissance den Ordensschwestern. Die Schwestern versorgten hier Durchreisende und Pilger, worauf der große Raum, den die Küche einnimmt, einen Hinweis gibt. Der Gebäudekomplex wurde damals nicht als Beginenhaus bezeichnet, sondern nach der direkten Lage der Treppe zur städtischen Befestigungsmauer „ze der styeg“ („zu der Stiege“) genannt. Der Begriff „Beg(h)ine“ war im Mittelalter im Ort Kempten nicht gängig, auch die Nonnen und Schwestern waren keine Beginen. Sie waren eine selbstständige, vom Papst unabhängige Schwesternschaft.[2]
Im 16. Jahrhundert kamen das Beginenhaus und der Nonnenturm in den Besitz einer Patrizierfamilie, nachdem die Ordensschwestern im Zuge der Reformation aus Kempten vertrieben worden waren. Die Patrizierfamilie erweiterte das Gebäude baulich in großem Umfang und stattete es im Stil der Renaissance für damalige Verhältnisse reich aus.
Bis zur Übernahme durch die Stadt Kempten im Jahr 2005 stand das Gebäude offiziell 25 Jahre leer. In dieser Zeit wohnten dort teilweise türkische Mitbürger. Einzelhandel, Gastronomie und Werkstätten befanden sich ebenfalls in den Gebäuden.[3]
Beginenhaus
Das dreigeschossige Beginenhaus ist vornehmlich aus Stein gemauert, nur die Südwand mit den Balkonen besteht im zweiten Obergeschoss aus einer Fachwerkkonstruktion. Die Nordfassade trägt unter dem modernen Putz Reste einer historischen Bemalung.[4]
Erdgeschoss und erstes Obergeschoss
Das Erdgeschoss und das erste Obergeschoss sind Anfang der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts entstanden. Im westlich liegenden Teil des Erdgeschosses befindet sich ein großer, hoher Raum, der im Mittelalter als überdachte Einfahrt und Lager diente. Hier befand sich ursprünglich das Sandsteintor. Zuletzt wurde der Raum für einen Supermarkt genutzt. Im östlichen Teil des Hauses befindet sich unter dem Hochparterre des Gebäudes ein Gewölbekeller, der noch aus dem 13. Jahrhundert stammt.
Im ersten Stockwerk befindet sich unter einer gotischen Riemendecke eine große Diele. Unter Putz aus heutiger Zeit sind Rankenmalereien aus der Renaissance zu Teilen verdeckt. Der nordwestliche Saal hat an zwei Wänden eine Vertäfelung aus Holz. Auf dieser wurde eine florale Malerei entdeckt. Zu diesem Raum gehört ein einstiger Alkoven. Auf den freigelegten Brettern an der Decke ist eine gut erhaltene Rankenmalerei zu sehen.
Ein großes, dreiteiliges Fensterband mit zwei unterschiedlich ausgeformten Sandsteinsäulen befindet sich im nordöstlichen Saal. Hier ist eine sogenannte „Lindauer Decke“ zu sehen, eine Decke aus beschnitzten, ehemals farbig gefassten Balken. Die Schnitzereien zeigen Lindenblätter.[4]
Zweites Obergeschoss und Dach
Um 1584/86 setzte man dem Haus das zweite Obergeschoss auf. Der westliche Teil wurde in dieser Zeit vollständig mit einer Kassettendecke ausgestaltet. Diese ist heute noch in Teilen erhalten. Im nordöstlichen Saal haben Untersuchungen an den Wänden eine Holzvertäfelung bis in eine Höhe von etwa 180 cm sowie eine feine Rankenmalerei darüber aufgezeigt. Im gleichen Raum befinden sich Reste eines grün glasierten, rautenförmigen Fliesenbodens.
Das große Dachgeschoss hat neben einer Hauptebene zusätzlich noch zwei weitere Spitzböden. Bei dieser Dachkonstruktion handelt es sich um ein Kehlbalkendach mit zwei übereinander liegenden Stühlen.[4]
Nonnenturm
Der Nonnenturm ist, wie das Beginenhaus, auch dreigeschossig, aber kleiner. Der Nonnenturm ist zum größten Teil aus Stein gebaut. Eine kleine Stelle ist im 19. Jahrhundert mit einer Fachwerkkonstruktion ausgefüllt worden, weil bei einem Abriss der Nonnenturm teilweise beschädigt wurde. Bei dem Nonnenturm handelt es sich nicht um einen Turm im eigentlichen Sinne. Es handelt sich um ein relativ hohes Bauwerk, in welchem sich keine Treppe befand, um in die höheren Stockwerke zu gelangen. Es gab nur eine Außentreppe.[4]
Erdgeschoss
Der gebäudeprägende Sandsteintorbogen befindet sich heute in der Südfassade. Das Eingangstor befand sich jedoch bis in das Jahr 1936 an der Nordseite des Beginenhauses als Einfahrt für einen Lagerraum. Nach dem das Tor 1936 ausgebaut worden war, hat man es 1943 an der heutigen Stelle eingebaut.
Das Erdgeschoss des Nonnenturms besteht aus zwei tonnengewölbten Räumlichkeiten aus der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. In einer nordöstlich anschließenden Kammer ist die hölzerne Decke aus Brandschutzgründen mit Ziegelplatten und eisernen Nägeln verdeckt. Dies ist der einzige Raum aus dem 16. und Anfang des 17. Jahrhundert in Kempten, der so vor einem möglichen Brand geschützt wurde.
Der Name „ze der styeg“ („zu der Stiege“) leitet sich von der Südwand ab. Diese war Teil der mittelalterlichen Stadtmauer. Im ersten Stockwerk beweisen ein erhaltener Wehrgang und Schießscharten diese Verwendung.[4]
Zweites Geschoss und Dach
Das erste und zweite Stockwerk sowie der Dachstuhl wurden gegen Ende des 14. Jahrhunderts erbaut. Im ersten Stock befinden sich Überreste eines spätmittelalterlichen Wohnraums, der mit Holzbrettern verkleidet war (Bohlenstube). Im Geschoss darüber befinden sich drei ehemalige Bohlenstuben. Diese sind von unterschiedlicher Beschaffenheit und stammen aus der Zeit von etwa 1585. Die nordöstliche Stube befindet sich im besten Zustand und zeigt auf den Holzvertäfelungen mehrfarbige Malereien an Wänden und Decke. Dargestellt sind verschiedene Rosetten, Rauten und Maserungen, die Holz und Fell imitieren sollen. Historiker und Archäologen bestaunten diesen Fund, weil diese Art der Wandbemalung bereits ab 1500 aus der Mode gekommen ist. Der südwestliche Wohnraum hat zwei großflächige Fenster mit darunter liegenden Sitznischen. Im Raum befand sich bis in die 1990er Jahre ein grüner Kachelofen. In diesem Geschoss befindet sich außerdem eine große Kochstelle mit begehbarem Kaminabzug. Dies weist auf eine Verwendung als Großküche hin, die mit dem Pflegen der Pilger im Zusammenhang steht.
Das ursprüngliche Dachgeschoss ist erhalten geblieben und besteht aus einem Kehlbalkendach mit dreifach stehendem Dachstuhl.[4]
Mittelbau
Zwischen dem Beginenhaus und Nonnenturm befindet sich ein Innenhof. Dieser hat als Verbindung zwischen den Häusern gedient. Als sich noch Gastronomie im Haus befand, war die Küche in diesem Mittelbau. Da es im Beginenhaus keine Treppe gab, kam man nur mit Hilfe einer hölzernen Treppe an der Außenfassade in die höheren Stockwerke. Daran erinnert heute nur noch ein hölzerner Balkon. Die inneren Treppen wurden erst spät eingebaut.[4]
Funde
Da es sich um ein Gebäude mit Fundamenten aus dem 13. Jahrhundert handelt, fanden Archäologen, Schüler und weitere freiwillige Helfer immer wieder Stücke aus 650 Jahren Stadtgeschichte. Die Böden in den Räumen wurden nicht erneuert, sondern schichtweise neu verlegt. Die Böden sind in einigen Räumen über 30 cm hoch und bergen Objekte, die eine Analyse über das Leben der Bewohner und Gäste der Häuser ermöglicht.
So stieß man im Gewölbekeller auf eine aus Venedig stammende, wertvolle Münze aus der Zeit um 1570. Das ist der Beleg, dass in Kempten bereits damals frühneuzeitlicher Fernhandel stattgefunden hat. Außerdem fand man moderne Geldscheine und Münzen aus Italien, der Sowjetunion (Münze mit Lenin-Kopf) oder Tunesien. Ebenso fand man aus Knochen gedrehte Knöpfe aus dem Mittelalter. Weitere Funde sind beispielsweise eine alte Pistole und eine gut erhaltene Wanduhr mit Uhrwerk.
Zwei in Wänden eingemauerte Katzenköpfe weisen auf den Aberglauben der Menschen im Mittelalter hin. Diese Katzenköpfe sollten das Haus vor dem Bösen bewahren. Man fand aber auch verschiedene Briefe, die auch aus dem Mittelalter stammen, so zum Beispiel einen Liebesbrief im Zwischenboden.[5]
Zustand und Sanierung
Obwohl die Gebäude lange unbenutzt waren und daher so gut wie nichts zum Erhalt der Gebäude unternommen wurde, befinden sich Nonnenturm und Beginenhaus in einem relativ guten Zustand. Tragende Wände des Beginenhauses und des Nonnenturms sind jedoch durch Umbauten statisch instabil. Der Dachstuhl ist aufgrund des Alters bereits marode und zu schwer für die alten Wände. Bei den Außenfassaden der Bauwerke fällt teilweise der Putz ab. Das Dach ist an manchen Stellen undicht, so dass durch Wasser manche Holzbretter und Balken morsch sind. Um die Außenfassade vor Wasser zu schützen und um den Eintritt von Wasser ins Gebäudeinnere zu vermeiden, werden Notsicherungsmaßnahmen durchgeführt. So wurde eine verrostete Dachrinne ausgewechselt, ein absturzgefährdeter Kamin entfernt oder ein vorübergehendes Notdach erbaut, um so weiteren Schäden des Bauwerks durch Witterung entgegen zu wirken.
Der marode Mittelbau aus dem 19./20.Jahrhundert soll vollständig abgerissen werden und durch einen Aufzug und Treppenhaus ersetzt werden. Die unter dem Putz versteckte Wandbemalung an der Außenwand des Beginenhauses soll konserviert werden und durch eine neue ersetzt werden. Ausschmückungen der Innenräume sollen so gut wie möglich erhalten bleiben und zur Schau gestellt werden.[6] Der Sandsteinbogen soll wieder an seine ursprüngliche Stelle versetzt werden und wurde mit chemischen Stoffen vor dem weiteren Zerfall geschützt. Die Kosten für eine denkmalgerechte Sanierung betragen laut Verein etwa 3 Millionen Euro.[7]
Geplante Verwendung
Der Förderverein Beginenhaus Kempten e. V. nimmt auch Gelder zur Gebäudesanierung auf und organisiert diese.[6] Ziel der Sanierung ist die Gründung des Hauses der Buchkultur. Die Stadt Kempten hat einen Bestand von etwa 30.000 historischen Werken aus dem 15. bis zum 19. Jahrhundert. Diese Sammlung soll im Beginenhaus und Nonnenturm erstmals der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Des Weiteren soll eine Werkstatt, Lesesaal, Ausstellungsraum, Antiquariat und ein Museum eingerichtet werden.[8]
Einzelnachweise
- ↑ Georg Dehio: Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler – Bayern III – Schwaben. 2. Auflage. Deutscher Kunstverlag, München 1989, ISBN 978-3-422-03116-6, S. 572.
- ↑ Beginen in Kempten. In: www.beginenhaus-kempten.de, abgerufen am 15. Oktober 2011
- ↑ Birgit Kata: Förderverein Beginenhaus Kempten e.V.. In: www.altstadtfreunde-kempten.de, abgerufen am 15. Oktober 2011
- ↑ a b c d e f g Baugeschichte. In: www.beginenhaus-kempten.de, abgerufen am 15. Oktober 2011
- ↑ Archiv-Aktuelles. In: www.beginenhaus-kempten.de, abgerufen am 16. Oktober 2011
- ↑ a b Baustelle. In: www.beginenhaus-kempten.de, abgerufen am 15. Oktober 2011
- ↑ Das Lamm Gottes im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit. In: www.beginenhaus-kempten.de (Pressemitteilung), abgerufen am 15. Oktober 2011
- ↑ Zukünftige Nutzung. In: www.beginenhaus-kempten.de, abgerufen am 15. Oktober 2011
Literatur
- Birgit Kata: Schwesternhäuser im spätmittelalterlichen Kempten. In: Allgäuer Geschichtsfreund 102 (2002), Seiten: 117-140 (PDF)
- Georg Dehio: Handbuch der deutschen Kunstdenkmäler – Bayern III – Schwaben. 2. Auflage. Deutscher Kunstverlag, München 1989, ISBN 978-3-422-03116-6, S. 572.
Weblinks
Commons: Beginenhaus Kempten – Sammlung von Bildern, Videos und Audiodateien47.72444444444410.322027777778Koordinaten: 47° 43′ 28″ N, 10° 19′ 19″ OKategorien:- Patrizierhaus in Kempten (Allgäu)
- Baudenkmal in Kempten (Allgäu)
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