Riemannsches Integral

Riemannsches Integral

Das Riemannsche Integral (auch Riemann-Integral) ist eine nach dem deutschen Mathematiker Bernhard Riemann benannte Methode zur Präzisierung der anschaulichen Vorstellung des Flächeninhaltes zwischen der x-Achse und dem Graphen einer Funktion. Der Riemannsche Integralbegriff gehört neben dem allgemeineren lebesgueschen zu den beiden klassischen der Analysis.

Das zu Grunde liegende Konzept des Riemannschen Integrals besteht darin, den gesuchten Flächeninhalt mit Hilfe des leicht zu berechnenden Flächeninhalts von Rechtecken anzunähern. Man geht dabei so vor, dass man in jedem Schritt zwei Familien von Rechtecken so wählt, dass der Graph der Funktion „zwischen“ ihnen liegt. Indem man sukzessive die Anzahl der Rechtecke erhöht, erhält man mit der Zeit eine immer genauere Annäherung des Funktionsgraphen durch die zu den Rechtecken gehörenden Treppenfunktionen. Entsprechend lässt sich der Flächeninhalt zwischen dem Graphen und der x-Achse durch die Flächeninhalte der Rechtecke approximieren.

Inhaltsverzeichnis

Ober- und Untersummen

Dieser Zugang wird meist Jean Gaston Darboux zugeschrieben.

Untersumme (grün) und Obersumme (grün plus lavendel) für eine Zerlegung in vier Teilintervalle

Das Integrationsintervall wird hierbei in kleinere Stücke zerlegt, der gesuchte Flächeninhalt zerfällt dabei in senkrechte Streifen. Für jeden dieser Streifen wird nun einerseits das größte Rechteck betrachtet, das von der x-Achse ausgehend den Graphen nicht schneidet (im Bild grün), und andererseits das kleinste Rechteck, das von der x-Achse ausgehend den Graphen ganz umfasst (im Bild jeweils das grüne Rechteck zusammen mit der grauen Ergänzung darüber). Die Summe der Flächeninhalte der großen Rechtecke wird als Obersumme, die der kleinen als Untersumme bezeichnet. Kann man durch geeignete, ausreichend feine Unterteilung des Integrationsintervalles den Unterschied zwischen Ober- und Untersumme beliebig klein machen, so gibt es nur eine Zahl, die kleiner oder gleich jeder Obersumme und größer oder gleich jeder Untersumme ist, und diese Zahl ist der gesuchte Flächeninhalt, das Riemannsche Integral.

Für die mathematische Präzisierung seien im folgenden [a,b] ein Intervall und f\colon[a,b]\to\R eine beschränkte Funktion.

Eine Zerlegung Z von [a,b] in n Teile sei eine endliche Folge x_0,x_1,\ldots,x_n mit a=x_0<x_1<\cdots<x_n=b. Dann seien die zu dieser Zerlegung gehörende Ober- beziehungsweise Untersumme definiert als

O(Z):=\sum_{k=1}^n(x_k-x_{k-1})\cdot\sup_{x_{k-1}<x<x_k}f(x)
U(Z):=\sum_{k=1}^n(x_k-x_{k-1})\cdot\inf_{x_{k-1}<x<x_k}f(x)

Die Funktion wird dabei durch die Treppenfunktion ersetzt, die auf jedem Teilintervall konstant gleich dem Supremum beziehungsweise Infimum der Funktion auf diesem Intervall ist.

Bei einer feineren Unterteilung wird die Obersumme kleiner und die Untersumme größer

Bei einer Verfeinerung der Zerlegung wird die Obersumme kleiner, die Untersumme größer (oder sie bleiben gleich). Einer „unendlich feinen“ Zerlegung entsprechen also Infimum der Obersummen sowie Supremum der Untersummen; diese werden als oberes beziehungsweise unteres darbouxsches Integral von f bezeichnet:

\overline{\int_a^b}f(x)\,\mathrm dx:=\inf_ZO(Z) := \inf \{ O(Z) : Z \mbox{ ist Zerlegung von } [a,b] \}
\underline{\int_a^b}f(x)\,\mathrm dx:=\sup_ZU(Z):= \sup \{ U(Z) : Z \mbox{ ist Zerlegung von } [a,b] \}

Es werden also jeweils alle möglichen Zerlegungen Z des Intervalls in eine beliebige endliche Anzahl von Teilintervallen betrachtet.

Beispiel der Zerlegung eines Intervalls [a,b] in n=8 Teile (Obersumme lila und Untersumme orange)

Es gilt stets

\underline{\int_a^b}f(x)\,\mathrm dx\leq\overline{\int_a^b}f(x)\,\mathrm dx.

Gilt Gleichheit, so heißt f Riemann-integrierbar (oder Darboux-integrierbar), und der gemeinsame Wert

\int_a^bf(x)\,\mathrm dx:=\underline{\int_a^b}f(x)\,\mathrm dx=\overline{\int_a^b}f(x)\,\mathrm dx

heißt das Riemannsche Integral (oder Darboux-Integral) von f über dem Intervall [a,b].

Ein Beispiel einer nicht Riemann-integrierbaren Funktion ist die Dirichlet-Funktion, die auf allen rationalen Punkten den Wert 1 annimmt und auf allen irrationalen Punkten den Wert 0.

Uneigentliche Integrale

Als uneigentliche Integrale bezeichnet man:

  • Integrale mit den „Intervallgrenzen“ -\infty oder \infty; dabei ist
\int_{-\infty}^{\infty} f(x) \mathrm{d}x:= \lim_{a,b \rightarrow \infty} \int_{-a}^b f(x) \,\mathrm{d}x.
  • Integrale mit unbeschränkten Funktionen in einer der Intervallgrenzen; dabei ist
\int_a^b f(x) \mathrm{d}x := \lim_{\varepsilon \searrow 0} \int_{a+\varepsilon}^b f(x) \mathrm{d}x bzw. \int_a^b f(x) \mathrm{d}x := \lim_{\varepsilon \searrow 0} \int_a^{b-\varepsilon} f(x) \,\mathrm{d}x.

Im Sinne von Isaac Newton, welcher dieses Integral in seinen Philosophiae Naturalis Principia Mathematica zum ersten Male deutlich aussprach, versteht auch Riemann die Existenz des bestimmten Integrales als Grenzwert einer Summe von Rechtecken für den Fall, dass die Breite der Elementarflächen gegen null geht.

Mehrdimensionales Riemannsches Integral

Das mehrdimensionale Riemann-Integral basiert auf dem Jordan-Maß. Sei μn das n-dimensionale Jordan-Maß und sei E \subset \R^n eine jordan-messbare Teilmenge. Außerdem sei \tau = (E_i)_{i=0}^k eine endliche Folge von Teilmengen von E mit \textstyle\bigcup\nolimits_{i=0}^k E_i = E und \mu_n(E_i \cap E_j) = 0 für i \neq j und sei weiter \textstyle \operatorname{diam}(A) = \sup_{a,b \in \overline{A}}^{\,}(\|a-b\|) die Funktion, welche die maximale Distanz in einer Menge A zurückgibt. Setze nun

\delta_\tau = \max_{i=0, \ldots , k}\left(\operatorname{diam}(E_i)\right) = \max_{i=0, \ldots , k}\left(\sup_{a,b \in \overline{E_i}}^{\,}(\|a-b\|)\right).

Sei f : E \to \R eine Funktion, dann heißt die Summe

\rho_\tau(f,\xi^{(0)},\ldots , \xi^{(k)}) = \sum_{i=0}^{k(\delta_\tau)} f(\xi^{(i)})\mu_n(E_i)

Riemannsche Zerlegung der Funktion f.

Existiert der Grenzwert

\lim_{\delta_\tau \to 0}\rho_\tau(f,\xi^{(0)},\ldots , \xi^{(k)}) = \lim_{\delta_\tau \to 0} \sum_{i=0}^{k(\delta_\tau)} f(\xi^{(i)})\mu_n(E_i),

so ist die Funktion f riemann-integrierbar und man setzt

\int_E f(x) \mathrm{d} x = \lim_{\delta_\tau \to 0} \sum_{i=0}^{k(\delta_\tau)} f(\xi^{(i)})\mu_n(E_i).

Dieser Integralbegriff hat die gewöhnlichen Eigenschaften eines Integrals, die Integralfunktion ist linear und es gilt der Satz von Fubini.

Ursprüngliche Formulierung (Riemann-Summen)

Der obige Zugang zum Riemann-Integral über Ober- und Untersummen stammt, wie dort beschrieben, nicht von Riemann selbst, sondern von Jean Gaston Darboux. Riemann untersuchte zu einer Zerlegung Z = {a = x0,x1,...,xn = b} des Intervalls [a,b] und zu Z gehörigen Zwischenstellen t_i \in [x_{i-1}, x_i] (i=1,...,n) Summen der Form

 S(f, Z, t_1,...,t_n) = \sum_{i=1}^n f(t_i) (x_i - x_{i-1}),
Geometrische Veranschaulichung der riemannschen Zwischensummen (orange Rechtecke). Es gilt für die gezeigte Zerlegung Z:μ(Z) = x7x6

auch als Riemann-Summen oder Riemannsche Zwischensummen bezüglich der Zerlegung Z und den Zwischenstellen t1,...,tn bezeichnet. Riemann nannte eine Funktion f über dem Intervall [a,b] integrabel, wenn sich die Riemann-Summen bezüglich beliebiger Zerlegungen unabhängig von den gewählten Zwischenstellen einer festen Zahl A beliebig nähern, sofern man die Zerlegungen Z nur hinreichend fein wählt. Die Feinheit einer Zerlegung Z wird dabei über die Länge des größten Teilintervalls [xi − 1,xi], das durch Z gegeben ist, gemessen, also durch die Zahl:

μ(Z) = max{xixi − 1:i = 1,...,n}.

Die Zahl A ist dann das Riemann-Integral von f über [a,b]. Ersetzt man die Veranschaulichungen „hinreichend fein“ und „beliebig nähern“ durch eine präzise Formulierung, so lässt sich diese Idee wie folgt formalisieren:

  • Definition: Sei  f: [a,b] \rightarrow \mathbb R eine Funktion. Sie heißt über [a,b] Riemann-integrabel, wenn es zu einer festen Zahl A und zu jedem \epsilon > 0 ein δ > 0 gibt, so dass gilt: |S(f, Z, t_1,...,t_n) - A | < \epsilon für jede Zerlegung Z mit μ(Z) < δ und beliebige, zu Z gehörige Zwischenstellen t1,...,tn. A heißt das Riemann-Integral von f über [a,b]. Man schreibt:
A = \int_a^b f.

Es lässt sich zeigen, dass Riemanns ursprüngliche Definition äquivalent zur Darboux-Definition der Ober- und Untersummen ist, also: Jede Funktion ist im Darbouxschen Sinne integrierbar genau dann, wenn sie im riemannschen Sinne integrierbar ist. In diesem Fall stimmen die Werte der beiden Integrale überein. In typischen Analysis-Einführungen, vor allem in der Schule, wird heute weitgehend die Darbouxsche Formulierung zur Definition benutzt. Riemannsche Zwischensummen treten oft als weiteres Hilfsmittel hinzu, etwa zum Beweis des Hauptsatzes der Integral- und Differenzialrechnung.

Quellen

Weblinks


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