Milorad Ekmečić

Milorad Ekmečić

Milorad Ekmečić (* 4. Oktober 1928 in Prebilovci) ist ein serbischer Historiker. Er lehrte an der Philosophischen Fakultät in Sarajevo (1968–1992) sowie an der Philosphischen Fakultät in Belgrad (1992–1994). Ekmečić ist ständiges Mitglied der Serbischen Akademie, sowie der Akademie der Wissenschaften und Künste Bosnien-Herzegowinas.[1] Er ist Träger zahlreicher Auszeichnungen für sein umfangreiches historiographisches Oeuvre zur modernen Geschichte Jugoslawiens und des Balkans.[2]

Inhaltsverzeichnis

Leben

Geboren wurde Ekmečić im Ort Prebilovci in der Gemeinde Čapljina in der Herzegowina am 4. Oktober 1928. In Čapljina besuchte er die vierjährige Grundschule und schloß das Gymnasium in Mostar 1947 unter Befreiung vom Abitur ab. Den Zweiten Weltkrieg erlebte er bis 1943 in Čapljina, nach dem Tod beider Eltern schloß er sich den Partisan in Prigilovci an und war vom Oktober 1944 bis Juli 1945 Mitglied im NOV. Er diplomierte 1952 an der Philosophischen Fakultät in Zagreb wo er 1958 gleichfalls doktorierte. Nach Abschluss seiner Doktorarbeit über den Aufstand in Bosnien 1875—1878 („Устанак у Босни 1875–1878.“), schrieb er sich zu einer einjährigen wissenschaftlichen Spezialisierung in Princton ein. Nach seiner Rückkehr aus den Vereinigten Staaten war er bis zum Ausbruch des Bosnienkrieges 1992 an der Philosphischen Fakultät Sarajevo angestellt. Von 1992 - 1994 lehrte er an der Philosphischen Fakultät in Belgrad. Seit 1973 ist er Mitglied der Bosnischen Akademie, seit 1978 Mitglied der Serbischen Akademie.

Ekmečić wurde 1996 ständiges Mitglied im Senat der Serbischen Republik.

Werk

In seinen frühen Schriften befasste sich Ekmečić überwiegend mit der Geschicht Bosniens. Er ist einer der führenden Kenner der bosnischen Historiographie und trat während des Bosnienkrieges durch seine wissenschaftliche Polemik an der Rezipation der damaligen bosnischen Geschichtsschreibung auf.[3] Seit der Koautorschaft mit Vladimir Dedijer, Ivan Božić und Sima Ćirković in der Geschichte Jugoslawiens (1972) bearbeitete Ekmečić vielfach Themen der allgemeinen jugoslawischen Geschichte. Nach seinem Opus magnum[4] in Zwei Bänden von 662 und 842 Seiten über die Entstehung Jugoslawiens (Stvaranje Jugosavije: 1790—1918, 1989), für das er 1990 den begehrten NIN-Preis erhalten hatte, publizierte Ekmečić über die Geschichte Serbiens im Ersten Weltkrieg, sowie nach der Auflösung des jugoslawischen Gesammtstaates über die neuere Serbische Geschichte, sowie dem historischen Schicksaal der Serben in der Neuzeit (Dugo kretanje između klanja i oranja. Istorija Srba u novom veku 1492-1992, 2007). Er gilt heute als Doyen der serbischen Geschichtsschreibung[5] und neben Dobrica Ćosić als Eminenz der intellektuellen serbischen Kritik an der westlichen und europäischen Balkanpolitik.[6] [7]

Thesen

Ekmečić baute in der "Geschichte Jugoslawiens" (1972) eine frühere These, das eine "religiöse Wasserscheide" entscheidend für das Zugehörigketisgefühl der Volksgruppen in Jugoslawien wäre, aus.[8][9] Er postulierte, dass diese religiöse Basis als Definition und Unterscheidungsmerkmal der jugoslawischen Völker zur Irrationalität führte und taufte diesen Typus Nationalismus als "Nationalismus des jüngsten Gerichts" (nationalisam sudnjeg dana).[10][11][12] Den Ausdruck "Nationalismus des jüngsten Gerichts" entlehnte er dabei einer Aussage Winston Churchills, der das nationale Problem der Iren am Jüngsten Tag geregelt sah, da es auf der Religion basierte.[13] Zur Unterscheidung von Nations-Typen nahm Ekmečić an, das diese Drei Formen entstammten, einer gemeinsamen Sprache, einer gemeinsamen Religion ader einer stabilen und mehrhunderjährigen staatlichen Entwicklung. Die ideologische Kritik an der "Geschichte Jugoslawiens" wurde insbesondere Ekmečić zuteil, da er gegen die damalige offizielle These einer systematischen Unabhängigkeit der Völker Jugoslawiens, die er mit der These "jede Nation hat ihren eigenen Adam" vergleicht, abwich.[14] Er gab den westlichen Staaten eine wesentliche Schuld am Krieg in Jugoslawien und trat dazu schon zum 70ig sten Jahrestag der Gründung Jugoslawiens 1988 mit der Parole "Europa hat Jugoslawien aufgebaut, Europa wird es auch abbauen" auf.[15] Ekmečić verteidigte das SANU-Memorandum als angebrachte Reaktion auf die Probleme im Kosovo und Bosnien.[16][17] Nach dem westlichen Eingreifen unter Führung der Vereinigten Staaten von Amerika in den Balkankonflikten 1995-1999 (insb. Kosovokrieg) entwickelte Ekmečić eine außgeprägte antiamerikakritische Position. Er gehört in Serbien auch zu der stark prorussisch ausgerichteten Fraktion, die in einer vermeintlichen antiserbischen Reaktion des Westens eine Verlängerung antirussischer Tendenzen auch nach Ende des Ost-West-Konfliktes sieht.[18]

Politik

Ekmečić engagierte sich für die Unabhängigkeit der Serbischen Republik in Bosnien und war ab 1992 Mitglied im Ausschuss der SDS. Er wurde 1992 von den Bosnischen Paramilitärischen Truppen (Zelene Beretke) festgenommen, floh danach aber mit seiner Familie nach Belgrad, wo er nach der erfolgten körperlichen Misshandlung operiert werden musste.[19] Er war ein Anhänger Miloševićs, den er selbst als „gemäßigten Degaullisten“ bezeichnete. Lehnte aber dessen Bitte bei der bosnischen Serbenführung und Radovan Karadžić in der Annahme des Vance-Owen-Plans zur Kantonisierung Bosniens und Beilegung des Bürgerkrieges zu vermitteln ab. Während der Anklage vor dem Völkergerichtshof in Den Haag sollte er auf Seite der Verteidigung im Prozess als Zeuge und Experte für die moderne Geschichte Jugoslawiens und des Balkans aussagen. Ekmečićs wollte dabei eine wissenschaftliche Analyse zum Bosnienkrieg liefern, die auf seiner Arbeit Spoljni uzroci građanskog rata u BiH 1992 (dt. Die äußeren Gründe für den Krieg in Bosnien und Herzegowina 1992) basierte. Da der Milošević-Prozess aufgrund des vorzeitigen Ablebens des Angeklagten beendet wurde, kam es dazu nicht mehr.[20]

Kritik

Ekmečićs Werk wird im Westen als proserbisch kritisiert.[21]

Werke (Auswahl)

  • Стварање Југославије: 1790-1918. - Belgrad: Prosveta, 1989. - 2 Bd. (662; 842 pp.)
  • Жива реч Милорада Екмечића / Милорад Екмечић; (разговоре водио) Милош Јевтић. - Gornji Milanovac: Dečje Novine, 1990.
  • Ратни циљеви Србије 1914. - 2. Auflg. - Belgrad: Prosveta, 1990.
  • Ратни циљеви Србије : 1914-1918. - Belgrad: Politika, BMG, 1992.
  • Србија између Средње Европе и Европе. - Belgrad: Politika, BMG, 1992.
  • Устанак у Босни: 1875-1878. - 3. ver. Aulg. - Belgrad, Službeni List SFRJ, Balkanologisches Institut SANU, 1996.
  • Владимир Дедијер, Милорад Екмечић, Иван Божић, Сима Ћирковић: Историја Југославије. Belgrad, Prosveta, 1972.

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Serbische Akademie der Wissenschaften und Künste [1]
  2. Politika, 20. April 2008 Portret bez rama: Milorad Ekmečić Cenjeni istoričar
  3. New York Times, 26. November 1994 Five Years Later: Eastern Europe, Post-Cummunism -- A special report; Ethnic and Religious Conflicts Now Threaten Europe's Stability
  4. NIN, 14. Januar 1990, Polemika o Jugoslaviji - „STVARANjE JUGOSLAVIJE 1790-1918" MILORAD EKMEČIĆ Polemika o Jugoslaviji
  5. Politika, 6. Mai 2011 Nagrada Pečat Vremena Miloradu Ekmečiću
  6. Pečat, 11. Januar 2011 MILORAD EKMEČIĆ Mi smo za Ameriku narod koji u sebi nosi opasan virus
  7. Vecernje Novosti, 28. August 2010 Milorad Ekmečić: Evropa nije čokolada već vojni blok
  8. Pečat, 12. Mai 2011 Jedino protiv srba su svi slozni
  9. NIN, 7. und 14. Januar 2010, Komplette Abschrift bei Nova srpska plitička misao - Časopis za političku teoriju i društvena iztraživanja, 16. Januar 2010 Kuda ide Srbija - Budućnost gledamo kroz tamu
  10. ibid. NIN, 14. Januar 1990
  11. Sonja Biserko, The Serbian elites and Genocide in Bosnia. The Serbian elites and Genocide in Bosnia
  12. Abschrift eines Interviews der Politika mit Ekmečić vom 05. Mai 2007 Национализам судњег дана
  13. ibid NIN, 7. und 14. Januar 2010
  14. ibid. Pečat, 12. Mai 2011
  15. ibid. NIN, 14. Januar 1990
  16. Milorad Ekmečić, CLASH OF CIVILIZATIONS OR A NEW GLOBAL SYSTEM OF GREAT POWERS? CLASH OF CIVILIZATIONS OR A NEW GLOBAL SYSTEM OF GREAT POWERS?
  17. Radio slobodna Evropa, 10. September 2010 'Memorandumska' Srbija prošlost ili sadašnjost?
  18. ibid. NIN, 7. und 14. Januar 2010
  19. Standard, 11. März 2011Slobodan Milošević i ja
  20. ibid. [2]
  21. Sabrina P. Ramet, 2000 The denial syndrome and its consequences - Serbian political culture since 2000

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