Flugzeug von Nürnberg

Flugzeug von Nürnberg

Bei dem sogenannten Flugzeug von Nürnberg handelte es sich um die Falschmeldung von Bombenabwürfen eines französischen Flugzeugs in der Nähe von Nürnberg am 2. August 1914, unmittelbar vor der am nächsten Tag erfolgten Kriegserklärung Deutschlands an Frankreich.

Am 2. August wurde unter Berufung auf militärische Quellen in mehreren Extrablättern gemeldet, dass französische Flugzeuge bei Nürnberg Bomben abgeworfen hätten, ohne dass zuvor eine französische Kriegserklärung erfolgt sei, also völkerrechtswidrig. Max von Montgelas zufolge seien am 2. August Meldungen über Bombenabwürfe auf die Eisenbahnlinien Würzburg-Nürnberg und Ansbach-Nürnberg bei der Nürnberger Linienkommandantur eingegangen, welche sie telephonisch an das III. Bayerische Armeekommando weitergab. Dieses meldete unter Vorbehalt weiter an den Großen Generalstab. Nachdem die Meldungen sich als falsch herausgestellt hatten, wurde auch das gemeldet. Außerdem habe die Linienkommandantur Nürnberg die Eisenbahnabteilung des Großen Generalstabs informiert, ohne dem eine Berichtigung folgen zu lassen.[1]

Dem damaligen Nürnberger Bürgermeister Otto Geßler zufolge waren einige Landsturmleute, die Bahnlinien zu bewachen hatten, Urheber der Meldung. Sie hätten im Spiel von Wolkenschatten Flugzeuge zu erkennen gemeint und das dann ihren vorgesetzten Dienststellen gemeldet. Diese Meldungen seien dann ohne Prüfung weitergegeben worden.[2] Auch wenn es weder einen Bombenabwurf noch ein französisches Flugzeug am 2. August gegeben hat, so wurde möglicherweise am 1. August ein Nürnberg überfliegendes französisches Flugzeug beschossen.[3] [4]

Jedenfalls kam die Meldung den Wünschen des Generalstabes sehr entgegen. Am 2. August meldete der bayerische Militärbevollmächtigte aus Berlin nach München:

Da traf die willkommene Nachricht von unserem III.AK über den Bombenabwurf durch einen französischen Flieger bei Nürnberg ein. Nun erklärten Kriegsministerium und Generalstab, ohne noch einen diplomatischen Akt abzuwarten, Frankreich als Feind. [5]

Welche Rolle die Meldung bei der Entscheidungsfindung für die Kriegserklärung tatsächlich spielte, ist nicht sicher. Jedenfalls wird der angebliche Vorfall in der deutschen Kriegserklärung an Frankreich am 3. August 1914 erwähnt,[6] obwohl zu diesem Zeitpunkt längst klar war, dass eine Falschmeldung vorlag, denn noch am Abend des 2. August hatte der preußische Gesandte in München an den Reichskanzler telegraphiert, dass es keine Bestätigung für die Meldungen gab.[7] Das hinderte Reichskanzler Bethmann Hollweg nicht, am 4. August, unter anderem unter Verweis auf den vermeintlichen Angriff festzustellen: „Meine Herren, wir sind jetzt in Notwehr; und Not kennt kein Gebot.“[8] In der Reichstagsrede wurde „Nürnberg“ allerdings nicht explizit erwähnt, Bethmann Hollweg sprach nur von „französischen Fliegerangriffen bis nach Süddeutschland“.[9] Gleichzeitig gab es auch Gerüchte über Flugzeugangriffe auf Bahnen bei Wesel und Karlsruhe, die sich alle als falsch erwiesen.

Ein offizielles Dementi wurde nie veröffentlicht. Nach Ende des Weltkrieges wurde das Flugzeug von Nürnberg Teil der erbittert geführten Debatte um die Kriegsschuldfrage.

In einem Artikel der New York Times von 1916 wird, um die Verwirrung vollständig zu machen, von einer Telegraphenmeldung vom 1. August berichtet, in der von Bombenabwürfen bei Neuenburg am Rhein (also unmittelbar an der deutsch-französischen Grenze) berichtet wird. Aus Neuenburg soll dann in den Zeitungsmeldungen Nürnberg geworden sein.[10]

Literatur

  • Florian Altenhöner: Kommunikation und Kontrolle. Gerüchte und städtische Öffentlichkeiten in Berlin und London 1914/1918. Oldenbourg, München 2008, ISBN 3-486-58183-X, S. 171−173.
  • Oscar Bloch: La Vérité sur les avions de Nuremberg. Étude sur les responsabilités de la guerre. Dangon, Paris 1922.

Einzelnachweise

  1. Altenhöner: Kommunikation und Kontrolle. 2008, S. 171
  2. Otto Gessler: Auf dem Nürnberger Bürgermeisterstuhl im Weltkrieg. 1914 - 1918. In: Festgabe für Seine Königliche Hoheit Kronprinz Rupprecht. Verlag Bayerisch Heimatforschung, München 1953, S. 101
  3. Marc Bloch: Apologie der Geschichte. 2. Aufl., Klett-Cotta, Stuttgart 1980, ISBN 3-12-915090-0, S. 112
  4. „Der Bombenabwurf auf Nürnberg.“ In: Vossische Zeitung vom 10. Oktober 1919
  5. Bernd F. Schulte: Neue Dokumente zu Kriegsausbruch und Kriegsverlauf 1914. In: Militärgeschichtliche Mitteilungen 1979, 25, S. 123 - 185
  6. Karl Kautsky: Wie der Weltkrieg entstand. Cassirer, Berlin 1919, S. 149f: „Französische Truppen haben schon gestern bei Altmünsterol und auf Gebirgsstraßen in den Vogesen deutsche Grenze überschritten und stehen noch auf deutschem Gebiet. Französischer Flieger, der belgisches Gebiet überflogen haben muß, wurde bei Versuch, Eisenbahn bei Wesel zu zerstören, schon gestern herabgeschossen. Mehrere andere französische Flugzeuge sind gestern über Eifelgebiet zweifelsfrei festgestellt. Auch diese müssen belgisches Gebiet überflogen haben. Gestern warfen französische Flieger Bomben auf Bahnen bei Karlsruhe und Nürnberg. Frankreich hat uns somit in Kriegszustand versetzt.“ Digitalisat
  7. Max Montgelas (Hg.): Die deutschen Dokumente zum Kriegsausbruch 1914. Bd. 4, Nr. 738, S. 191
  8. Altenhöner: Kommunikation und Kontrolle. 2008, S. 173
  9. Klaus-Dieter Schwarz: Weltkrieg und Revolution in Nürnberg. Ein Beitrag zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Klett, Stuttgart 1971, ISBN 3-12-907900-9, S. 108.
  10. Richard Gottheil: „A Further Discussion of the Charge of French Air Raids on Nuernberg.“ Ausgabe vom 5. November 1916, online

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